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Veröffentlicht am 10.06.2019

Oft kommt es anders, als man erwartet …

Sommer unter Sternen
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Ella versteht die Welt nicht mehr, als ihr Mann Thomas nach 7jähriger Ehe ihr eines Abends eröffnet, dass er sich scheiden lassen wolle. Da ist es gut, wenn man eine beste Freundin hat, der man sein Leid ...

Ella versteht die Welt nicht mehr, als ihr Mann Thomas nach 7jähriger Ehe ihr eines Abends eröffnet, dass er sich scheiden lassen wolle. Da ist es gut, wenn man eine beste Freundin hat, der man sein Leid klagen kann. Maggie lebt zwar in New York, aber mit Skype ist das ja heute kein Problem. Sie bietet ihr sofort das Ferienhaus ihrer Familie auf Fire Island an, wo sie sich vorübergehend mit ihren dreieinhalb Jahre alten Zwillingsmädchen aufhalten kann. Als Ella nach sechsstündigem Flug mit übermüdeten Kindern und jeder Menge Gepäck endlich auf Fire Island ankommt, muss sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass sich dort bereits Maggies Bruder Nathan einquartiert hat, der wegen beruflicher und anderer Probleme dorthin geflüchtet ist. Beide sind über die unerwartete Situation sehr verärgert und eine gemeinsame Nutzung des Ferienhauses bei gegenseitiger Rücksichtnahme scheint zunächst undenkbar. Doch, wie das Leben so spielt, es sollte ganz anders kommen …

Die Autorin Miriam Covi wurde 1979 in Gütersloh geboren. Schon früh begann sie zu schreiben und entdeckte ihre Liebe zum Reisen. Als Fremdsprachenassistentin lebte sie von 2005 bis 2008 in New York, danach zog sie mit ihrem Mann zunächst nach Berlin und dann nach Rom, wo während ihres vierjährigen Aufenthaltes ihre beiden Töchter geboren wurden. Nach einem Jahr in Bangladesch lebt sie nun seit 2017 mit ihrer Familie in Bangkok. Sehr gerne verbringt sie ihre Freizeit an der Kanadischen Ostküste, wo sie versucht, von der Hektik der Großstadt abzuschalten und zu schreiben. Es erschienen bereits mehrere Bücher von ihr, deren Handlung meist in der Nähe ihrer Wohnorte angesiedelt ist.

Da das Cover keine anspruchsvolle Lektüre vermuten lässt, hatte ich an „Sommer unter Sternen“ auch nur geringe Erwartungen. Doch bereits nach wenigen Seiten wurde ich eines Besseren belehrt, das Buch bzw. die Geschichte zog mich unversehens in seinen Bann. Der Schreibstil der Autorin ist überraschend lebendig, flüssig und einprägsam, dabei mitreißend und voller Gefühl. Sie versteht es großartig, Menschen und ihre individuellen Charaktereigenschaften anschaulich zu beschreiben und deren Emotionen zu schildern, so dass man als Leser sich mittendrin im Geschehen fühlt, sich mit den Protagonisten freut oder mit ihnen bangt und sich in der einen oder anderen Person sogar wiederfinden kann.

Auch die Orte der Handlung sind treffend erfasst und Fire Island, eine kleine Insel vor New York, ist so liebenswert beschrieben, dass man dort gleich Urlaub machen möchte. Man hört förmlich die Wellen rauschen, sieht den herrlichen Strand und spürt den lauen Wind. Im Gegensatz dazu stehen die alltäglichen Probleme, die in dem Buch ebenso behandelt werden. Wir lesen neben Ehe- und Beziehungsproblemen auch über verpasste Gelegenheiten, berufliche Schwierigkeiten und Burnout, was den Leser in ein Wechselbad der Gefühle stürzt. Gelegentliche Rückblicke auf eine gemeinsam verbrachte Jugendzeit erzeugen eine unwillkürliche Spannung, die bis zum Schluss auch anhält. Zwei Rezepte der Protagonisten am Ende des Buches lohnen auf jeden Fall nachgekocht bzw. nachgebacken zu werden.

Fazit: Ein wunderbares Buch mit dem richtigen Schuss Romantik – die perfekte Lektüre für den Urlaub, für ein sonniges Wochenende im Garten oder auch für verregnete Tage auf der Couch.

Veröffentlicht am 26.05.2019

Die Macht der Musik …

Der Dirigent
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Leningrad, Sommer 1941: Die Vorboten des Krieges sind zu spüren, alle Anzeichen deuten auf einen Angriff der Deutschen und ihrer Verbündeten hin. Namhafte Künstler, das Philharmonie-Orchester, das Ensemble ...

Leningrad, Sommer 1941: Die Vorboten des Krieges sind zu spüren, alle Anzeichen deuten auf einen Angriff der Deutschen und ihrer Verbündeten hin. Namhafte Künstler, das Philharmonie-Orchester, das Ensemble des Kirow-Balletts und die Elite der Stadt werden auf Anweisung Stalins evakuiert. Sehr zum Leidwesen seiner Frau Nina nutzt der Komponist Dmitri Schostakowitsch dieses Privileg nicht, sondern schreibt an seiner 7. Sinfonie weiter und beteiligt sich an der Aushebung von Schützengräben zur Verteidigung der Stadt. Ebenfalls in Leningrad bleiben Karl Eliasberg, Dirigent und Leiter des Rundfunkorchesters, der sich für seine betagte, im Rollstuhl sitzende Mutter, verantwortlich fühlt, und ein Großteil seiner Musiker sowie Stargeiger Nikolai, der seine 10jährige Tochter Sonja zuvor mit einem Kindertransport in Sicherheit gebracht hatte. Dann greifen die Deutschen an, Leningrad soll dem Erdboden gleichgemacht und ausgehungert werden, ein unvorstellbares Inferno beginnt …

Wie die neuseeländische Autorin Sarah Quigley, die seit dem Jahr 2000 in Berlin lebt, in einem Interview im Nachwort des Buches erklärt, ist die Geschichte von Schostakowitsch und dem Dirigenten Eliasberg eine Mischung aus Fakten und Fiktion und beruht auf sorgfältigen Recherchen und ihren eigenen Vorstellungen über den Krieg in Russland und die Belagerung Leningrads. Eingehend wird hier die Entstehung der 7. Sinfonie Schostakowitschs (Leningrader Sinfonie) geschildert, deren Aufführung am 9. August 1942 mit einem stark reduzierten und völlig erschöpften Orchester in Leningrad erfolgte und per Lautsprecher über die feindlichen Linien hinaus übertragen wurde. Dadurch sollte die Moral der Eingeschlossenen gestärkt und gleichzeitig der deutschen Wehrmacht mitgeteilt werden: wir sind noch lange nicht am Ende. Tatsächlich dauerte die Blockade beinahe 900 Tage und forderte ca. 1,1 Millionen Opfer, von denen die meisten verhungert sind.

Der Schreibstil ist dem Thema entsprechend leicht anspruchsvoll und erfordert eine gewisse Konzentration beim lesen. Es gelingt der Autorin großartig, den Figuren Leben einzuhauchen und ihre immer existenzieller werdenden Lebensumstände zu beschreiben. Die Kraft, die Musik entwickeln kann, steht dabei im Vordergrund. Musikalische Kenntnisse jedoch sind für den Leser nicht erforderlich, da die Sinfonie selbst nicht ausführlich erörtert wird. Es geht letztendlich um den Dirigenten Eliasberg, ein anfangs eher unsympathischer Mann, der aber im Laufe der Geschichte über sich selbst hinaus wächst.

Fazit: Ein eindringlicher Roman über unmenschliches Leid, über standhaftes Durchhaltevermögen und beharrliches Hoffen auf eine bessere Zukunft – aber auch ein Werk über den Mut, die Musik in diesen grausamen Zeiten beim Kampf ums Überleben einzusetzen.

Veröffentlicht am 16.05.2019

Die Vergangenheit holt uns immer wieder ein …

Die italienischen Schuhe
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Fredrik hat sich von der Welt zurückgezogen. Der ehemalige Chirurg lebt schon seit Jahren auf einer einsamen Schäre, alleine, ohne Nachbarn. Sein einziger Kontakt ist der Postbote, der mit seinem Boot ...

Fredrik hat sich von der Welt zurückgezogen. Der ehemalige Chirurg lebt schon seit Jahren auf einer einsamen Schäre, alleine, ohne Nachbarn. Sein einziger Kontakt ist der Postbote, der mit seinem Boot gelegentlich vorbeischaut. Doch dann, mitten im Winter ist plötzlich eine Frau da. Es ist Harriet, seine Jugendliebe. Sie will von ihm ein Versprechen eingelöst haben, das er ihr gegeben, aber nie erfüllt hat. Sie will mit ihm an einen Waldteich irgendwo in der Wildnis fahren, wie er ihr von beinahe vierzig Jahren versprochen hatte. Fredrik ist geschockt, er möchte die Fahrt hinauszögern, auf Frühling, auf wärmeres Wetter warten. Harriet jedoch drängt, sie will sofort aufbrechen. So begeben sich die beiden betagten Menschen mit einem alten Auto auf eine Fahrt ins Ungewisse, auf eine Reise in die Vergangenheit …

Der schwedische Schriftsteller und Theaterregisseur Henning Mankell (1948-2015) erhielt für seine Werke zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen. Im deutschsprachigen Raum wurde er hauptsächlich durch seine Krimi-Reihe mit Kommissar Kurt Wallander bekannt, schrieb aber auch sehr viele andere Bücher, die bei uns mehr oder weniger bekannt sind.

„Die italienischen Schuhe“ erschien in Deutschland erstmals im Jahr 2007 und wurde seither noch einige Male neu aufgelegt. Es ist ein berührendes Buch über das Leben allgemein, über Vereinsamung im Alter, über Krankheit und Tod - oftmals traurig, aber häufig zeigt der Autor in seiner unnachahmlichen Art dem Leser auf, wie wunderschön das Leben trotzdem sein kann. Unverkennbar ist auch hier Mankells Schreibstil, solide und sachlich bringt er die Dinge auf den Punkt. Schnörkellose, prägnante Sätze, kein Wort zu viel, trotzdem ist alles klar verständlich. Gelegentlich lässt er seine Protagonisten in Erinnerungen abschweifen und über Geschehenes resümieren, so dass man sich als Leser in die aktuellen Vorgänge einfühlen und die Handlungen der Personen besser verstehen kann. Mankell wäre nicht Mankell, hätte er nicht auch hier einige sozialkritische Themen behandelt und einfühlsam auf die Problematik unbegleiteter junger Flüchtlinge aufmerksam gemacht.

Fazit: Ein wunderbares Buch, tiefgründig und ausdrucksstark, über das Altern, über Freundschaft im Alter und darüber, dass es letztendlich nie zu spät ist.

Veröffentlicht am 04.05.2019

Lotterleben der Kardinäle …

Die nackten Masken
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Rom, 2. Dezember 1581, Papst Leo X. ist tot. Das Kardinalskollegium muss sich zur Neuwahl versammeln, lässt sich aber reichlich Zeit und findet lange keinen Nachfolger. Schließlich einigte man sich auf ...

Rom, 2. Dezember 1581, Papst Leo X. ist tot. Das Kardinalskollegium muss sich zur Neuwahl versammeln, lässt sich aber reichlich Zeit und findet lange keinen Nachfolger. Schließlich einigte man sich auf einen abwesenden flämischen Kardinal, den die Mehrheit überhaupt nicht kannte. Es ist Adrian von Utrecht, der sich dann Hadrian VI. nannte. Die Wahl kam beim Volk nicht gut an und auch die Kleriker mussten bald feststellen, dass sie unter dem neuen Papst und seinen Reformen ihr lasterhaftes Lotterleben nicht mehr so unverhohlen weiterführen konnten. Besonders Kardinal Cosimo Rolando della Torre mit seiner hübschen rothaarigen Palmira bekamen das zu spüren …

Luigi Malerba (geb. 1927 in der Provinz Parma, gest. 2008 in Rom) war ein italienischer Schriftsteller, Journalist und Drehbuchautor. Er schrieb zahlreiche Romane und Erzählungen, sowie Hör- und Fernsehspiele. Gemeinsam mit Umberto Eco und anderen gründete er die Schriftstellervereinigung „Gruppo 63“. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und weltweit veröffentlicht.

In „Die nackten Masken“ (Le maschere, 1994) erzählt uns der Autor phantasievoll ausgemalt über das Leben in Rom und im Vatikan in der Spätrenaissance, ohne jedoch vom geschichtlich überlieferten Hintergrund abzuweichen. Machtkämpfe, Verbrechen und Korruption waren an der Tagesordnung, Scheinheiligkeit und Aberglauben spielten eine nicht unbedeutende Rolle. Wir nehmen teil am bunten Leben der Stadt, erfahren viel über das sündhafte Treiben des Klerus, der selbst vor Mord nicht zurückschreckt, und erleben, wie die Bevölkerung mit der herrschenden Pest und Armut umgehen musste.

Der Schreibstil des Autors ist nicht ganz einfach, hat man sich aber erst mal daran gewöhnt, entdeckt man viel Witz, Ironie und Satire zwischen den Zeilen. Ein Vergleich mit den heutigen Zuständen dürfte dabei durchaus gewollt sein, denn manche Leute verstecken sich gerne hinter Masken, doch reißt man ihnen diese runter, bleibt nur die nackte Wahrheit übrig. Obwohl der Roman das sündige Leben, das Kurtisanentum und die Heuchelei der Kirchenoberen heftig anprangert, ist er in keiner Weise als religionsfeindlich zu bezeichnen.

Fazit: Ein intelligent geschriebener Renaissance-Krimi für den geschichtlich interessierten Leser.

Veröffentlicht am 02.05.2019

Harte Schale, weicher Kern …

Der Zopf meiner Großmutter
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In Deutschland ist es auch nicht besser als in Russland, stellt Großmutter nach ihrer durch einen Trick erschlichenen Aussiedlung fest. Jetzt leben sie umgeben von Juden im Wohnheim und sind auf deutsche ...

In Deutschland ist es auch nicht besser als in Russland, stellt Großmutter nach ihrer durch einen Trick erschlichenen Aussiedlung fest. Jetzt leben sie umgeben von Juden im Wohnheim und sind auf deutsche Almosen angewiesen. Auch die deutschen Ärzte sind unfähig, können sie doch keine der vielen Krankheiten feststellen, die Mäxchen, ihr sechsjähriger Enkel, ihrer Meinung nach hat. Er ist zurückgeblieben, ein schwacher Krüppel und debiler Idiot, den sie ständig von Keimen, Bakterien und anderen schädlichen Einflüssen fernhalten muss meint Großmutter, und dessen Magen nur von ihr selbst zubereitetes Püriertes verträgt. Für Max wird die Situation erst etwas besser, als sie die Klavierlehrerin Nina mit ihrer Tochter Vera kennen lernen. Großvater verliebt sich auf den ersten Blick in Nina und beginnt, als er ihr auf Großmutters Befehl beim Umzug helfen muss, ein Verhältnis mit ihr. Da Großmutter ihre einzige Aufgabe darin sieht, sich um ihren Enkel zu kümmern, merkt sie zunächst nicht, was um sie herum vorgeht …

Alina Bronsky (der Name ist ein Pseudonym) wurde 1978 in Jekaterinburg, dem damaligen Swerdlowsk in der UdSSR, geboren. Als sie 12 Jahre alt war, wanderte ihre Familie nach Deutschland aus. Sie arbeitete später als Werbetexterin und Redakteurin beim Darmstädter Echo, nachdem sei ein begonnenes Medizinstudium abgebrochen hatte. Alina Bronsky ist Mutter von vier Kindern. Der Vater ihrer ersten drei Kinder verunglückte 2012 tödlich in den Walliser Alpen. Heute lebt sie mit dem Theater- und Filmschauspieler Ulrich Noethen, von dem sie eine Tochter hat, in Berlin-Charlottenburg.

Ein Feuerwerk aus ätzendem Humor und tragisch-komischen Ereignissen hat die Autorin mit diesem Buch abgeliefert. Sie lässt Max, der im Laufe der Geschichte vom Sechsjährigen zum Teenager heranreift, selbst erzählen. Dabei wird klar, dass der Junge keineswegs geistig behindert ist und einen sehr klaren, wachen Verstand hat. Messerscharf erfasst er das Geschehen und erzählt altersgerecht, oftmals kritisch und anklagend, meist aber voller Verständnis und mit liebevollen Gefühlen für die Großeltern. Auch die Großmutter hat ein Herz, auch wenn sie gründlich versucht, es unter einer harten Schale zu verbergen.

Sehr wohltuend ist auch zu vermerken, dass nur wenige Protagonisten in die Geschichte eingebunden sind. Dadurch lässt sich das Buch zügig lesen und man verliert nie den Überblick: Großmutter, die den Eindruck einer bösartigen alten Frau erweckt, sich aber im Verborgenen äußerst hilfsbereit zeigt – Großvater, der zu Hause nur nickt oder den Kopf schüttelt, da er es längst aufgegeben hat, gegen seine Frau aufzumucken, außer Haus aber ganz andere Seiten zeigt – Max, an dem glücklicherweise die verächtlichen Worte der Großmutter abprallen und der trotzdem liebevoll von ihr spricht – Nina, die anfangs recht unsichere alleinlebende Frau mit Kind, die aber zu einer selbstsicheren Frau heranreift – und Vera, ihre Tochter, die sich vom bösen kleinen Mädchen zum netten Teenager wandelt.

Fazit: Eine außergewöhnliche Geschichte, die von absurder Situationskomik lebt, die aber dennoch berührt und nachdenklich macht und die ich gerne weiter empfehle!