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Veröffentlicht am 06.10.2022

Zwei Familien – ein Jahrhundert

Über Carl reden wir morgen
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Anton und Rosa Brugger waren die einzigen überlebenden Kinder ihrer Eltern. Ihr Lebenslauf war bereits vorgezeichnet, Anton war der Erbe der Hofmühle im österreichischen Mühlviertel und sollte sie später ...

Anton und Rosa Brugger waren die einzigen überlebenden Kinder ihrer Eltern. Ihr Lebenslauf war bereits vorgezeichnet, Anton war der Erbe der Hofmühle im österreichischen Mühlviertel und sollte sie später an seinen Sohn übergeben, während Rosa heiraten sollte. Sie geht aber lieber als Dienstmädchen nach Wien, was ihr jedoch kein Glück bringt. Anton heiratet mit Mitte dreißig Alberta, die in rascher Folge drei Mädchen zur Welt bringt. Bei der Geburt des vierten Kindes, dem lang ersehnten Sohn und Erben Albert Brugger, stirbt Alberta. Jetzt kommt Rosa zurück um die vier Kinder des verwitweten Bruders aufzuziehen.

Als junger Mann zog es Albert Brugger in die Welt und als er nach zwölf Jahren zurück kam, war sein Vater tot. Er muss nun die Hofmühle übernehmen. Beim Willkommensfest zu seinen Ehren verliebt er sich in Franziska, die Tochter des verhassten Eder-Bauern. Da eine Heirat mit ihr nicht möglich ist, heiratet Albert kurze Zeit später Anna Svoboda, die Tochter eines Wiener Tischlermeisters, die wegen eines Skandals aus Wien verschwinden musste. Das Paar bekommt vier Kinder, die Zwillinge Carl und Eugen, Gustav und Elisabeth. Albert Brugger eröffnet neben der Mühle noch ein Handelsgeschäft mit Kaufhaus, das bald sehr gut floriert. Die Familie kommt zu Wohlstand, was viele Neider, so auch den Eder-Bauern, auf den Plan ruft. Als dann Albert gar Emil Wagner, Eders unehelichen Sohn, als Müllerburschen zu sich nimmt, kommt es zum Eklat. Zuerst brennt die Mühle, später auch das Kaufhaus.

Die dritte Generation der Bruggers ist zunächst weniger vom Glück gesegnet. Eugen zieht es nach Amerika, Carl muss im Ersten Weltkrieg an der Südfront kämpfen, Gustav fällt bereits in den ersten Kriegsmonaten und Elisabeth wird später seinen Kameraden Georg heiraten. Jetzt ist es endlich an der Zeit, dass sich die beiden zerstrittenen Familien aussöhnen. Als dann die Bruggers den Landarbeiter Thomás einstellen, wendet sich alles zum Guten …

Der österreichischen Autorin Judith W. Taschler, geb. 1970 in Linz, ist mit dem Roman „Über Carl reden wir morgen“ eine fesselnde Familiengeschichte gelungen, die eng an die Geschichte ihrer eigenen Familie angelehnt ist. Über drei Generationen begleiten wir die Bewohner der Hofmühle Brugger und des Ederhofs. Beide Familien bekriegen sich erbittert, obwohl ihre Schicksale eng miteinander verwoben sind. Der erste Weltkrieg schlägt erbarmungslos zu und hinterlässt bei allen seelische und körperliche Wunden.

Die fünf Kapitel des Buches sind nach Paaren benannt, die auf irgendeine Weise miteinander verbunden sind. So erfahren wir die Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven, lernen die einzelnen Personen intensiv kennen und erleben hautnah die unterschiedliche Lebensweise zwischen Stadt und Land im 19. Jahrhundert. Durch die vielen Zeitsprünge und die große Anzahl immer neu auftretender Figuren ist jedoch das Lesen etwas anstrengend und bedarf einer gewissen Konzentration und Aufmerksamkeit. Intrigen, Heimlichkeiten, Missverständnisse und überraschende Wendungen, wie sie nun mal im Leben vorkommen, verleihen dem Geschehen eine kontinuierliche Spannung.

Fazit: Ein beeindruckender Familienroman, den ich gerne weiter empfehle!

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Veröffentlicht am 08.08.2022

Von Basel bis ans Lagerfeuer von Sitting Bull

Susanna
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Susanna Faesch wächst Mitte des 19. Jhd. als 3. Kind einer angesehenen Familie in Basel auf. Als ihre Eltern sich scheiden lassen nimmt ihre Mutter sie mit nach New York, wohin sie dem Arzt Karl Valentiny, ...

Susanna Faesch wächst Mitte des 19. Jhd. als 3. Kind einer angesehenen Familie in Basel auf. Als ihre Eltern sich scheiden lassen nimmt ihre Mutter sie mit nach New York, wohin sie dem Arzt Karl Valentiny, einem Freund ihres Mannes, folgt. Dieser wird Susannas Ersatzvater, ihre beiden älteren Brüder verbleiben in Basel beim Vater. Brooklyn, wo sie nun ihre Kindheit und Jugendzeit verbringt, wird sie für ihr weiteres Leben prägen. Schon früh beginnt Susanna Porträts zu malen und kann auch bald von dem Erlös leben. Sie heiratet einen Kollegen ihres Stiefvaters, hat eine kurze folgenreiche Affäre mit einem anderen Mann und wird daraufhin geschieden. Mit Hilfe ihrer Mutter zieht sie ihren Sohn Christie sehr liebevoll auf. Als dieser sich für die Geschichte der amerikanischen Ureinwohner interessiert, fährt sie mit ihm auf eine abenteuerliche Reise nach Dakota …

Der Autor Alex Capus wurde 1961 in Frankreich als Sohn einer Schweizerin und eines Franzosen geboren. 1966 zog seine Mutter mit ihm in die Schweiz, wo er später an der Universität Basel Geschichte, Philosophie und Ethnologie studierte. Während und nach seinem Studium arbeitete er als Journalist und Redakteur bei verschiedenen Schweizer Zeitungen. 1994 veröffentlichte er seinen ersten Erzählband - Kurzgeschichten, historische Reportagen und Romane folgten, für die er einige Auszeichnungen erhielt. Mit seinem Roman „Léon und Louise“ war er 2011 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Geschichtlich überlieferte Tatsachen recherchiert er sorgfältig und verknüpft diese gerne mit fiktiven Geschichten, die oft in der Schweiz spielen. Alex Capus ist verheiratet und Vater von fünf Söhnen, er lebt heute als freier Schriftsteller in Olten in der Schweiz.

Wie oft bei Alex Capus liegt auch hier seinem Roman eine wahre Begebenheit zugrunde, und auch hier verbindet der Autor wieder geschichtlich überlieferte Gegebenheiten mit Erdachtem. Neben den wichtigsten Ereignissen aus dem Leben der Portrait-Malerin und Künstlerin Susanna Faesch (die in den USA als Bürgerrechtlerin Caroline Weldon bekannt ist), bekommen wir ein Sittenbild der schweizerischen Stadt Basel aus der Mitte des 19. Jahrhunderts geboten, erhalten Einblick in die damaligen Gepflogenheiten der französischen Fremdenlegion, erfahren mehr über New York wie es früher war und nehmen teil am Leben der amerikanischen Ureinwohner, der Indianer unter Sitting Bull. Wir sind dabei bei der Einführung der Glühbirne, feiern mit bei der Eröffnung der Brooklyn Bridge und erfahren, wie Susanna den ersten starren Fotographien farbiges Leben einhaucht. Der Schreibstil ist dabei sehr ansprechend, flüssig und erstaunlich lebendig. Ausdrucksstarke Landschaftsbeschreibungen bereichern die Geschichte und machen das Lesen zu einem kurzweiligen Vergnügen.

Fazit: Ein lesenswertes Buch, das ich gerne weiter empfehle.

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Veröffentlicht am 30.07.2022

Die Überlebenden

Der Sturm
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Um seiner Mutter dabei zu helfen den dementen Vater ins Heim umzusiedeln, ist Kieran Elliot nach zwölf Jahren erstmals wieder in seinen Heimatort auf der australischen Insel Tasmanien zurückgekehrt. Vor ...

Um seiner Mutter dabei zu helfen den dementen Vater ins Heim umzusiedeln, ist Kieran Elliot nach zwölf Jahren erstmals wieder in seinen Heimatort auf der australischen Insel Tasmanien zurückgekehrt. Vor zwölf Jahren hat er Evelyn Bay verlassen, nachdem bei einem verheerenden Sturm drei Menschen seinetwegen ihr Leben lassen mussten. Inzwischen hat er sich in Sydney mit Freundin Mia und ihrer gemeinsamen kleinen Tochter Audrey ein neues Leben geschaffen und gehofft, seine alte Schuld zu vergessen. Doch kaum ist er zurück, wird am Strand die Leiche einer jungen Frau gefunden. Es gibt Parallelen zu damals, als am selben Strand ein Mädchen verschwand und nie gefunden wurde. Jetzt brechen die alten Wunden wieder auf und die Wahrheit, was seinerzeit wirklich geschah, muss endlich ans Tageslicht …

Die Autorin Jane Harper wurde 1980 in Manchester (England) geboren. Als sie acht Jahre alt war zog ihre Familie nach Australien, wo sie in einem Vorort von Melbourne lebten und die australische Staatsbürgerschaft annahmen. Später ging die Familie zurück nach England, wo Jane dann an der Universität von Kent Englisch und Geschichte studierte und als Journalistin arbeitete. 2008 zog sie zurück nach Australien, arbeitete dort für die „Herald Sun“ und absolvierte einen Lehrgang über das Schreiben von Romanen. Seither schreibt sie Thriller, für die sie bereits ausgezeichnet wurde und den „Gold Dagger“, den wichtigsten Krimipreis Großbritanniens, erhielt. Jane Harper ist verheiratet, hat eine Tochter und lebt in Melbourne.

Der Schreibstil der Autorin ist sehr ansprechend, angenehm lebendig, flüssig und leicht zu lesen. Leider zieht sich die Handlung anfangs etwas schleppend dahin und der als Thriller ausgelobte Roman „Der Sturm“ wird erst ab der Hälfte richtig spannend und legt an Fahrt zu. Die Handlung ist psychologisch gut durchdacht und die Auflösung des Geschehens vor zwölf Jahren ist stimmig und somit durchaus vorstellbar. Die einzelnen Charaktere in ihrer Vielschichtigkeit sind gut ausgearbeitet und die Beziehungen untereinander absolut nachvollziehbar. Der Schauplatz, die Küste Tasmaniens, ist in ihrer Wildheit großartig beschrieben, so dass man beim Lesen tief in das Geschehen eintauchen kann. Die Geschichte rund um das Monument „Die Überlebenden“ kommt so real und plastisch rüber, dass man bisweilen vergessen kann, dass alles nur Fiktion ist.

Fazit: Ein eher sanfter Thriller, der trotzdem fesselt und erst nach und nach sein Geheimnis preisgibt. Meine Empfehlung!

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Veröffentlicht am 19.07.2022

Vater und Sohn – ein nicht immer einfaches Verhältnis

Die Schuhe meines Vaters
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Wie ist es, wenn man plötzlich über den Tod des Vaters entscheiden soll? Mit dieser Frage sieht sich der Autor Andreas Schäfer konfrontiert, als er den Anruf einer Frankfurter Klinik erhält. Nach einer ...

Wie ist es, wenn man plötzlich über den Tod des Vaters entscheiden soll? Mit dieser Frage sieht sich der Autor Andreas Schäfer konfrontiert, als er den Anruf einer Frankfurter Klinik erhält. Nach einer Biopsie hat sein Vater eine Hirnblutung erlitten und liegt im künstlichen Koma - er wird sterben. Andreas muss nun entscheiden, wann die Maschinen abgestellt werden sollen. Auf dem Weg ins Krankenhaus kommen die Erinnerungen …

Andreas Schäfer ist Journalist und Schriftsteller. Er wurde 1969 in Hamburg geboren, studierte Germanistik, Kunstwissenschaft und Religionswissenschaft in Frankfurt, Kassel und Berlin und war danach bis 2003 fester Mitarbeiter bei der Berliner Zeitung. Seit 2006 schreibt er für den Tagesspiegel und veröffentlichte Beiträge in mehreren Literaturzeitschriften. Darüber hinaus schrieb er einige Romane, für die er verschiedene Auszeichnungen erhielt. Der Autor lebt in Berlin-Kreuzberg.

In aufrichtigen, tief berührenden Worten beschreibt der Autor sein Verhältnis zum Vater und versucht dabei, seine Trauer um ihn zu bewältigen. Im Rückblick auf frühere Begebenheiten benutzt er seine eigenen Erinnerungen und greift auch auf Aufzeichnungen, Briefe und Tagebücher aus dem Nachlass des Vaters zurück. Dabei stellt sich heraus, dass die Beziehung zwischen Vater und Sohn in früheren Jahren, besonders seit der Trennung von der Mutter, nicht immer harmonisch war. Durch diese Art der Trauerbewältigung gelingt es Andreas Schäfer jedoch, die Gedanken an seinen Vater, den vom Krieg traumatisierten, den Vielreisenden, den nach Harmonie strebenden Mann, in geordnete Bahnen zu lenken und seinen Frieden zu finden.

Fazit: Ein Buch das es wert ist gelesen zu werden und das ich gerne weiter empfehle.

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Veröffentlicht am 07.07.2022

Die Vergangenheit aufarbeiten, um die Zukunft zu gestalten …

Die Ewigkeit ist ein guter Ort
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Elke, eine junge Pastorin, wohnt bei ihrem Freund Jan in Köln, wo sie ehrenamtlich den Seelsorge-Dienst im Seniorenheim übernommen hat. Als sie nun am Sterbebett einer alten Dame sitzt um mit ihr zu beten, ...

Elke, eine junge Pastorin, wohnt bei ihrem Freund Jan in Köln, wo sie ehrenamtlich den Seelsorge-Dienst im Seniorenheim übernommen hat. Als sie nun am Sterbebett einer alten Dame sitzt um mit ihr zu beten, hat sie plötzlich das Vaterunser vergessen – und nicht nur das, sondern alle Gebete und alles, was mit Gott zu tun hat. Eine Blockade, die für eine Theologin eine Katastrophe bedeutet. Um Klarheit in ihre Gedanken zu bringen und ihre Zukunft zu ordnen, reist sie zurück in ihre norddeutsche Heimat. Doch auch dort will sich die erlösende Befreiung nicht einstellen. Der vierte Platz am Tisch der Eltern ist leer, das Verhältnis zu ihrer und ihres Bruders früherer Freundin Eva ist gestört – und unten am See kommen die quälenden Gedanken über das damalige Unglück zurück. Doch Elke ahnt, dass sie sich der Vergangenheit stellen muss, um in der Gegenwart den Glauben an Gott wieder zu finden …

Die Autorin Tamar Noort wurde 1976 in Göttingen geboren und wuchs in den Niederlanden auf. Nach dem Studium von Kunst- und Naturwissenschaften absolvierte sie die Masterclass Non-Fiction an der Internationalen Filmschule in Köln und erstellt seit 2009 wissenschaftliche Dokumentationen für ZDF, Arte und 3sat. Für einen Auszug aus ihrem Debüt-Roman „Die Ewigkeit ist ein guter Ort“, der am 19.07.2022 erschienen ist, gewann sie bereits 2019 den Hamburger Literaturpreis. Tamar Noort lebt in der Nähe von Lüneburg.

„Gottdemenz“ nennt die Protagonistin ihre seltsame Störung. Die Autorin lässt diese als Ich-Erzählerin zu Wort kommen und berichten, sodass man als Leser ganz nahe am Geschehen ist. Allerdings dauerte es bei mir eine geraume Zeit, bis ich mich mit den Handlungen der Protagonistin anfreunden und diese auch verstehen konnte, zu seltsam kamen mir anfangs ihre Motivation und ihre Beweggründe vor. Doch dann entwickelte das Buch einen Sog, dem ich mich nicht mehr entziehen konnte. Ein großes Lob gebührt der Autorin dafür, dass sie, obwohl der Roman im kirchlichen bzw. religiösen Milieu handelt, den Fokus auf das weltliche Geschehen mit seinen mannigfachen Problemen gelegt hat. Das Buch kann somit bedenkenlos von jedem gelesen werden, ob Christ oder Atheist, es frömmelt nichts. Auch der Schluss befriedigt - die Vergangenheit ist geklärt, die Zukunft ist offen.

Fazit: Eine gut und fesselnd erzählte Geschichte über Verlust und Verlassen, Hoffnung und zu sich selbst finden. Meine Leseempfehlung!

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