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Veröffentlicht am 02.11.2022

Ein leiser, aber fesselnder Pageturner - vielversprechender Reihenauftakt mit interessanten Figuren

Kalt und still
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„Sie findet keinen Platz in ihrem Körper. Alles tut weh, die Haut sticht und spannt, als hätte der Schock sie schrumpfen lassen. Die Muskeln sind so verkrampft, dass sie am ganzen Körper zittert, aber ...

„Sie findet keinen Platz in ihrem Körper. Alles tut weh, die Haut sticht und spannt, als hätte der Schock sie schrumpfen lassen. Die Muskeln sind so verkrampft, dass sie am ganzen Körper zittert, aber sie kann sich nicht entspannen.
Könnte sie sich doch für immer in den Schlaf flüchten, wegdämmern und sich in barmherziger Bewusslosigkeit verstecken.“

Weil Hanna Ahlander fehlerhafte Ermittlungen nicht auf sich beruhen lassen und einen kriminellen Polizeikollegen nicht schützen möchte, wird sie von ihrem Vorgesetzten genötigt, ihren Dienst bei der Stockholmer City Polizei zu quittieren. Und dann erfährt sie auch noch, dass ihr Lebensgefährte Christian sich in eine andere Frau verliebt hat. Um zur Ruhe zu kommen, flüchtet Hanna in den Norden Schwedens nach Åre, ins Ferienhaus ihres Schwester. Doch die Verbrecher machen auch vor der Kälte nicht halt. In Åre verschwindet über Nacht die achtzehnjährige Amanda. Hanna schließt sich einem Suchtrupp an. Später unterstützt sie Kommissar Daniel Lindskog, der die polizeiliche Suche leitet, bei den Ermittlungen. Die Aufklärung des Falls entwickelt sich für Hanna brandgefährlich…

Viveca Sten formuliert lebendig und klar. Dank des leicht verständlichen, eingängigen Schreibstils liest sich der Roman fast wie von selbst. Die Autorin nimmt verschiedene Blickwinkel ein, schreibt abwechselnd aus der Sicht ihrer Figuren. Mal erzählt sie dabei von Hannas, Daniels, Amandas Situation oder auch wie Amandas Eltern Lena und Harald mit den Ereignissen zurechtkommen.
Die Kapitel sind recht kurz gehalten. Durch den häufigen Perspektivwechsel wird immer mehr Spannung aufgebaut.
Das sehr passende Cover, ein schwedenrotes Haus in einer schneebedeckten Landschaft wirkt wie der Titel des Buches „Kalt und still“.

Viveca Stens Figuren lassen mich als Leserin hingegen ganz und gar nicht kalt. Hanna Ahlander tut mir beispielsweise leid. Mit ihr ärgert man sich über Ungerechtigkeiten und fürchtet sich vor weiteren Misserfolgen: Erst verliert sie den Job, dann die Beziehung und schließlich auch noch die Wohnung. Dass sie da einerseits wütend über die Umstände ist und kopflos und impulsiv reagiert und andererseits unsicher wird, weil sie sich wie eine einsame Versagerin fühlt, ist nachvollziehbar. Mitunter verhält sie sie recht leichtsinnig und etwas unvernünftig, um ihren Kritikern wie auch den eigenen Eltern zu beweisen, dass sie doch etwas auf dem Kasten hat.
Daniels Situation ist für viele junge Eltern keine unbekannte, er ist frisch gebackener Vater, seine Frau Ida ist mit dem Leben mit Baby zunächst etwas überfordert, fühlt sie doch jede Minute die Verantwortung für einen anderen Menschen auf sich lasten. Auch Daniel hat das Vatersein verändert, er möchte am liebsten jeden Moment mit Frau und Tochter genießen. Andererseits muss Daniel aber aufgrund des Personalmangels und des brisanten, wichtigen Falls, bei dem jede Minute zählt, viel arbeiten. Er sitzt zwischen den Stühlen, möchte sowohl seiner Familie als auch seinem Beruf gerecht werden. Daniels Zerrissenheit wird von Viveca Sten sehr nachvollziehbar dargestellt. Dass er dabei auch nicht immer souverän und rational handelt, macht ihn umso menschlicher.
Auch Amandas Eltern berühren. Ihr Vater Harald der Kommunalpolitiker, der nach außen die Fassade wahren muss, aber ein sehr unangenehmes Geheimnis hat, wirkt ebenso wie Mutter Lena so erschütternd hilflos.

Ist Amanda noch am Leben? Wird sie rechtzeitig gefunden?
Nicht allein der spannende Vermisstenfall, der immer größere Kreise zieht, ist packend und fesselt, auch das Leben der Figuren reißt mit. Viveca Stens Figuren interessieren. Wird Hanna wieder auf die Spur kommen? Schafft Daniel den Spagat zwischen Familie und Beruf? Und wie gehen Amandas Eltern mit der unerträglichen Situation um?
Viveca Sten hat mit „Kalt und Still“ einen absoluten Pageturner geschrieben. Die Geschichte liest sich wie von selbst, kommt aber ohne Gewaltexzesse und übermäßige Action aus. Alleine die überzeugenden, authentischen Charaktere schaffen es, die Leser an die Geschichte zu binden. Ich möchte unbedingt wissen, wie sich Hanna Ahlander weiter schlägt. Für mich nach der absolut lesenswerten Serie um Thomas Andreasson ein weiterer sehr vielversprechender Serienauftakt der Autorin.

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Veröffentlicht am 02.11.2022

Packender Kinderkrimi mit interessantem Fall, viel Humor, skurrilen Figuren und Tiefgang

Gangster müssen clever sein
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Ein höchst mysteriöser Einbruch beschäftigt die Polizei. In die Villa der superreichen Familie Ranzmeier wurde eingebrochen. Als Mesut und Valentin davon erfahren, ist ihre Neugier geweckt. Gemeinsam mit ...

Ein höchst mysteriöser Einbruch beschäftigt die Polizei. In die Villa der superreichen Familie Ranzmeier wurde eingebrochen. Als Mesut und Valentin davon erfahren, ist ihre Neugier geweckt. Gemeinsam mit Jamie-Lee, die mit Fee, der Tochter der Ranzmeiers, befreundet ist, beginnen sie
nachzuforschen. Zunächst legen die Jungs wenig Wert auf Jamie-Lees Unterstützung, doch diese erweist sich bald als tatkräftige Hilfe. Schnell findet die ungewöhnliche Truppe mehr heraus als sie sollte und plötzlich schweben die Kinder in großer Gefahr. Ob sie aus der Nummer wieder rauskommen?

Kirsten Boie schreibt abwechselnd aus der Sicht ihrer beiden ungleichen Hauptfiguren Jamie-Lee und Valentin in Ich-Form. Während Jamie-Lee sehr direkt kein Blatt vor den Mund nimmt, die Dinge witzig und treffend auf den Punkt bringt und auch vermehrt weniger schöne umgangssprachliche Begriffe wie „Saufen“ verwendet, drückt sich Valentin deutlich gewählter aus. Zunächst entwickeln sich beide Handlungsstränge recht unabhängig voneinander, denn Jamie-Lee und Valentin agieren zu Beginn noch selbstständig und allein. Später wird dann ein und dieselbe Geschichte aus zwei Blickwinkeln weitererzählt. Valentins Kapitel sind in einer anderen Schriftart gedruckt als Jamie-Lees. Den Kapitelanfang markiert jeweils ein Bild des Kindes, das gerade berichtet.
Die Geschichte richtet sich an Mädchen und Jungen ab zehn Jahren.

Mit Valentin und Jamie-Lee hat „Gangster müssen clever sein“ zwei völlig unterschiedliche Hauptfiguren, die zwar in der Nähe wohnen, aber ihren Interessen und Persönlichkeiten nach ziemlich weit auseinander liegen. Valentin ist zuverlässig, pflichtbewusst, ehrlich, hält sich an alle Regeln, liest gerne und ist ziemlich clever. Jamie-Lee legt Regeln generell etwas pragmatischer und großzügiger aus, so fährt sie schon mal schwarz. Sie nimmt es mit der Wahrheit nicht so genau und und findet Bücher überflüssig. Früher war sie öfter auf sich alleine gestellt, weil ihre Mutter alkoholabhängig war. Das hat sie natürlich geprägt. Jamie-Lee ist ziemlich selbstständig und sehnt sich nach einem normalen Familienleben und einer Mutter, die sich kümmert. Aktuell ist Jamie-Lees Mutter trocken und arbeitet hart daran, es auch zu bleiben. Auch Jamie-Lees Bruder Chucky wünscht sich insgeheim Sicherheit und Gewissheit. Seine verbissene Suche nach seinem leiblichen Vater rührt und macht gleichzeitig auch traurig. Chuckys problematische Entwicklung, sein Hang zu Gesetzesbrüchen, der sicherlich den Umständen geschuldet ist, wird sehr realistisch dargestellt.
Für Unterhaltung und Schmunzler sorgen Valentins ältere Bekannte die Friedhofsschrebergärtner die freundlichen Schelinskys und die forsche Frau Jelkovic, die liebenswert, aber oft auch ziemlich skurril rüberkommen.

Der Kriminalfall an sich ist ziemlich aufregend und spannend, ein wirklich unterhaltsamer, kurzweiliger Kinderkrimi.
Jamie-Lees direkte, manchmal grobe Sprache mag anfangs etwas befremden, sie ist aber durchaus authentisch. Jamie-Lee wurde nicht wie Fee Ranzmeiers mit einem Goldenen Löffel im Mund geboren. Sie hat schon vieles durchmachen müssen, trägt keine rosarote Brille mehr und weiß, wie ungerecht und das Leben sein kann. Dennoch wirkt sie trotz ihrer Abgeklärtheit manchmal auch ziemlich naiv. Mir ist sie im Laufe der Geschichte sehr ans Herz gewachsen. Ihre ganz eigene, oft drollige Art, Dinge zu erklären und zu beschreiben, gefällt mir. Mit ihr lachte und hoffte ich. Bei allem Humor schwingt immer auch etwas Traurigkeit mit, weil einem beim Lesen durchaus bewusst ist, dass sich für das Mädchen alles plötzlich ändern kann, wenn Jamie-Lees Mutter der Versuchung nachgibt und wieder zur Flasche greift. Das gelungene Ende stimmt sehr zuversichtlich. Es ist nicht nur logisch und nachvollziehbar was den Fall betrifft, es geht auch zu Herzen. Unterm Strich ein packender Kinderkrimi mit liebenswerten, skurrilen Figuren und durchaus auch ernstem Hintergrund. Kirsten Boie kann also auch Krimi und vergisst bei all der Komik nicht, ernste soziale Probleme anzusprechen und Verständnis für Benachteiligte aufzubauen.

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Veröffentlicht am 27.10.2022

Warten kann ganz schön unterhaltsam sein

Rille: Wann ist bald?
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„Wann ist denn dieses Bald vorbei?“

Gorilla Rille entdeckt im Dschungel ein einsames Ei. Wer daraus wohl schlüpft? Rille legt das Ei in ein geschütztes Nest. Jetzt braucht es nur noch eines: viel Geduld. ...

„Wann ist denn dieses Bald vorbei?“

Gorilla Rille entdeckt im Dschungel ein einsames Ei. Wer daraus wohl schlüpft? Rille legt das Ei in ein geschütztes Nest. Jetzt braucht es nur noch eines: viel Geduld. Rille hofft, dass es bald so weit ist und das Ei seinen Bewohner offenbart. Doch wann ist eigentlich bald? Zusammen mit seinen Dschungelfreunden und den kleinen Lesern wartet er und erlebt am Ende eine echte Überraschung….

Die Geschichte ist kindgemäß, schön bildhaft und abwechslungsreich formuliert. Prima, dass die kleinen Leserinnen und Leser direkt in der zweiten Person mit „du“ angesprochen werden, dadurch Teil der Geschichte sind und zum aktiven Mitlesen und Mitmachen animiert werden.
Nikolai Renger hat zur Geschichte faebenfrohe, lebendige, motivierende, liebevolle und ansprechende Bilder gezeichnet, die gute Laune verbreiten. Das Buch richtet sich an Kinder ab drei Jahren.

Die Figurentruppe ist ziemlich originell und vielfältig: ein Gorillajunge, eine ältere Gürteltierdame mit Stock, ein blauer Papagei, drei Wasserschweine, ein junger Tapir, ein Jaguar und ein Überraschungsgast. Eine Personenkonstellation so bunt wie der Dschungel selbst. Die witzigen Figuren werden sicherlich gut bei Kindern ankommen.

„Wann ist bald“ zeigt auf humorvolle Weise, dass Geduld zu haben gar nicht so einfach ist und einen langen Atem braucht. Während es die Tiere kaum erwarten können und ihnen von der Warterei langweilig wird, ist das Buch selbst absolut kurzweilig zu lesen, denn die kleinen Leser werden immer wieder mit einbezogen. Sie sollen genau hingucken, pusten, klopfen, singen, das Buch drehen, streicheln, zählen, erzählen oder gar mitbrüten. Sehr phantasievolle Ideen des Mitlesens, die auch nach der wiederholten Lektüre noch ziehen. Mein vierjähriger Mitleser hat Rille und seine Freunde sofort ins Herz geschlossen und wurde nicht müde zu fordern, das Buch immer wieder von vorne vorgelesen zu bekommen. So macht Warten definitiv Spaß.

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Veröffentlicht am 23.10.2022

Was uns die Natur alles erzählt - hochinteressantes, motivierendes „Naturdetektivbuch“

Die verborgenen Zeichen der Natur
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Die Natur steckt voller Geheimnisse und Hinweise, kann uns mehr viel erzählen, als wir für möglich halten. Das Buch „Die verborgenen Zeichen der Natur“ gibt zahlreiche Tipps und Anregungen, wie man die ...

Die Natur steckt voller Geheimnisse und Hinweise, kann uns mehr viel erzählen, als wir für möglich halten. Das Buch „Die verborgenen Zeichen der Natur“ gibt zahlreiche Tipps und Anregungen, wie man die versteckten Codes der Natur entschlüsseln kann: Welche Botschaften hat ein Regenbogen für uns? Was erzählen uns Wolken? Wie kann man sich sich im Schnee orientieren? Woran kann ich erkennen, ob es bald regnet? Wie kann ich anhand der Dünen die Windrichtung erkennen? Was verraten uns die Farben des Meers? Was zeigt uns der Seetang an der Küste? Wie lässt sich in der Wüste Wasser finden? Welche Geschichten erzählen Baumstümpfe? Welche Sprache sprechen Pilze? Was erkennt man an Tierwanderungen? Was verraten Schmetterlinge über die Natur? Was sagen Schafherden übers Wetter aus? Welche Vogelstimmen wecken uns? Wie kann man sich an der Sonne orientieren? Was verrät uns der Vollmond? Wie kann man die Himmelsrichtung mittels Polarstern bestimmen? Diese und ganz viele weitere Fragen werden hier beantwortet. Am Ende werden alle vorkommenden Fachbegriffe in einem Glossar aufgelistet und altersgerecht erläutert.

Die Texte sind klar strukturiert und kindgemäß formuliert. Es gibt auf jeder Themenseite jeweils einen längeren, etwas allgemein gehalteneren Fließtext und weitere kürzere Texte zu spezielleren Aspekten. Auf jeder Doppelseite findet sich eine große, zusammenhängende, bunte, hübsch und liebevoll gezeichnete Illustration, auf der es viel zu entdecken gibt. Die kürzeren Texte beziehen sich auf einzelne Ausschnitte des Bildes. Die detaillierten Zeichnungen laden zum genauen Hinschauen ein. Das Buch und das Cover sind hochwertig und ansprechend gestaltet und aufgemacht. Das Buch richtet sich an Kinder ab acht Jahren.

Dass es in der Natur viel zu entdecken gibt, wird in diesem spannenden Sachbuch auf jeder einzelnen Seite sehr deutlich. Die kleinen Leser werden angehalten, ihre Umwelt genau zu beobachten, ihren Geheimnissen auf den Grund zu gehen. Überall um uns finden sich ganz verschiedene Hinweise, die man deuten lernen kann: Was können wir aus dem Verhalten der Tiere schließen? Was erzählen uns Wetterphänomene? Die „Sprache der Natur“ ist vielfältig, hochinteressant und faszinierend, wenn man sich näher mit ihr beschäftigt. Und immer wieder wird dabei offensichtlich: Die Natur steckt voller Wunder. Auch Erwachsene werden aus diesem Buch noch sehr viel Neues erfahren.
Ein motivierend gestaltetes, schön aufgemachtes Naturdetektivbuch mit tollen Bildern zum immer wieder Anschauen, Staunen und Genießen.

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Veröffentlicht am 17.10.2022

Hochdramatisch, packend, emotional - ein perfekter Schmöker

Das Tor zur Welt: Träume
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„Irgendwann. Genau wie das Meer war das Wort immer da. Sie flüsterte es sich in Gedanken zu, wenn die Wirklichkeit sie zu erdrücken drohte. Es gab ihr Kraft, zu glauben, dass sich alles ändern konnte.“

Die ...

„Irgendwann. Genau wie das Meer war das Wort immer da. Sie flüsterte es sich in Gedanken zu, wenn die Wirklichkeit sie zu erdrücken drohte. Es gab ihr Kraft, zu glauben, dass sich alles ändern konnte.“

Die junge Ava lebt mit ihren Zieheltern und deren Tochter 1892 auf dem Moorhof im Alten Land, jeden Tag schuftet sie extrem hart, nie ist ihr eine Pause vergönnt. Ganz plötzlich soll sich ihr Leben ändern, als ihr Ziehvater entscheidet, alles hinter sich zu lassen und nach Amerika auszuwandern. Leider kommt es ganz anders als erhofft. Ava muss ihren Traum von einem Leben in Amerika zunächst aufgeben. Sie ist gezwungen, in der Auswanderstadt in Hamburg zu arbeiten, um Geld zu verdienen. Dort trifft sie auf die begüterte Claire Conrad, die aus ganz anderen Gründen in den Auswanderhallen mitarbeitet. Die beiden ungleichen Frauen freunden sich allmählich an, doch dann schlägt das Schicksal erbarmungslos zu….

Miriam Georg schreibt angenehm flüssig und gut verständlich, meist in der dritten Person Vergangenheit aus der Sicht ihrer beiden Protagonistinnen. Zusätzlich werden noch Passagen in der ersten Person eingeschoben, Erinnerungen einer unbekannten Erzählerin aus der Vergangenheit. Wie diese Abschnitte mit der restlichen Handlung zusammenhängen, klärt sich im Verlauf. Aufgrund des unkomplizierten, klaren Schreibstil konnte ich mich sofort in die Handlung und die Personen hineinversetzen und war rasch von der Geschichte gefangen.

Ava hat sich schon immer fortgeräumt. Doch in der Realität ergibt sie sich ihrem Schicksal, erträgt Ungerechtigkeiten, arbeitet besonders hart und unternimmt jede Anstrengung, um für sich eines Tages ein besseres Leben zu erreichen. Bei Claire stehen hingegen die Zeichen eher auf Rebellion und Auflehnung. Sie möchte sich nicht dem fügen, was ihre Mutter für sie bestimmt, ist willensstark, voller Leidenschaft und in Extremsituationen zu allem bereit. Obwohl Ava und Claire aus völlig anderen Welten stammen, nähern sich die beiden an. Mit Ava, die sich nicht unterkriegen lässt, litt ich mit. Claire hingegen, die auf ganz andere Art leidet, fordert heraus, ist verwöhnt, hat durchaus Ecken und Kanten. Ihre Persönlichkeit mag weniger „gefällig“ sein, ist aber umso interessanter. Mit der Auswahl ihren beiden vielfältigen Hauptfiguren hat Autorin Miriam Georg für mich ins Schwarze getroffen. Auch die männlichen Figuren passen gut in die spannende Personenkonstellation, Quint beispielsweise ist kein Held aus dem Bilderbuch, hat auch sehr dunkle Seiten, die ihn faszinierend machen.

Einmal mehr zeigen sich die zwei Gesichter des historischen Hamburgs: Reichtum, Prunk, fast Dekadenz einerseits, harte Arbeit, Armut, Hoffnungslosigkeit und katastrophale Bedingungen andererseits.
Überaus anschaulich beschreibt Miriam Georg die Zustände in den Hamburger Auswanderhallen, erschütternd und hautnah. Die Auswanderer hatten große Träume von einer besseren Welt, die von der erschreckenden Realität, von Hunger und Krankheit zerstört wurden und sich nicht selten zum Albtraum entwickelten. Die Geschichte um Ava und Claire hat mich bis zur letzten Seite nicht mehr losgelassen: hochdramatisch, fesselnd, voller Gefühle. Der erste Teil von „Das Tor zur Welt“ - Träume“ bietet alles, was ein perfekter Schmöker braucht. Nach „Elbleuchten“ und „Elbstürme“ erneut ein sehr lesenswertes Buch der zu Recht erfolgreichen Autorin.

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