Die Suche nach der Gerechtigkeit – grotesk und moralisch
Der VerdachtTiefgründige Fortsetzung von „Der Richter und sein Henker“
Einige Tage nach den Ereignissen aus „Der Richter und sein Henker“ unterzieht sich Kommisär Bärlach einer schweren Magen-OP. Seine Zeit läuft ...
Tiefgründige Fortsetzung von „Der Richter und sein Henker“
Einige Tage nach den Ereignissen aus „Der Richter und sein Henker“ unterzieht sich Kommisär Bärlach einer schweren Magen-OP. Seine Zeit läuft ab, er steht vor seiner Pensionierung und die Ärzte geben ihm noch ein Jahr. Da sieht er in einer Zeitschrift das Foto eines berüchtigten NS-Arztes, der im Konzentrationslager Stutthof Menschen ohne Narkose operierte. Als sein behandelnder Arzt in diesem Arzt den Leiter der Privatklinik „Sonnenschein“ zu erkennen meint, reift in Bärlach ein Verdacht, der ihn nicht mehr loslässt. Als Bärlach sich unter falschen Namen in der Privatklinik einliefern lässt, sieht er zwar in seinen Verdacht bestätigt, doch entgleitet ihm die Situation völlig.
Auch wenn es sich dem Titel nach um einen Kriminalroman handelt, so ist die Ermittlungsarbeit und die Suche nach dem Täter nur die Grundlage für eine moralische-philosophische Betrachtung des Themas Gerechtigkeit. Will Bärlach als Vertreter der Gerechtigkeit mit christlichen moralischen Grundsätzen den NS-Arzt für seine grausamen Verbrechen bestrafen, so muss er bald seine Unterlegenheit erkennen. Zum einen hindert ihn seine körperliche Schwäche, doch vor allem ist Bärlach moralische Philosophie der materialistisch-nihilistischen Weltanschauung unterlegen. Eine Herstellung der Gerechtigkeit scheint nicht mehr möglich (darin gleicht der Roman dem Vorgängerroman).
Noch viel mehr als der Vorgängerroman werden die philosophischen Fragen in den Mittelpunkt gestellt. Die Rechtfertigung des NS-Arztes für seine grausamen Verbrechen ist erschreckend, vor allem im Kontrast des unterlegenen Bärlachs, dessen Zeit abläuft – eine tickende Uhr zeigt das. Und auch hier zeigt Dürrenmatt, dass der Kriminalroman und die Figur des Detektivs überkommen ist.
Ein nicht leicht zu lesender Roman, der aber durch seinen Zynismus, das Groteske und die tiefe Charakterisierung der Personen zu einem philosophischen Genuss wird. Aber definitiv kein Roman für zwischendurch.