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Julia_Matos

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.06.2018

Kurzweilige Sci-Fi-Unterhaltung, Gefühlslagen teils zu gewollt, Sprache holprig

DIE LETZTE FIREWALL
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Singularity 1, verortet 2015, zeichnet sich insbesondere durch einen hohen Realitätsbezug aus, mit Schwächen bei Dramatik und Charakterzeichnung.
Singularity 2, verortet 2025, weist vor allem einen tollen ...

Singularity 1, verortet 2015, zeichnet sich insbesondere durch einen hohen Realitätsbezug aus, mit Schwächen bei Dramatik und Charakterzeichnung.
Singularity 2, verortet 2025, weist vor allem einen tollen Humor auf, ist futuristischer, dabei nah am in naher Zukunft Möglichen, gestaltet sich im Spannungsaufbau, in Bezug auf Wendungen und Charakterzeichnung stärker als der Auftaktband.

Singularity 3, verortet 2035, ist echte Science Fiction. Es ist empfehlenswert, die Vorgänger gelesen zu haben, aber wenn man damit leben kann, einige Bezugnahmen nicht durchdringen zu können, lässt sich hierauf auch verzichten, da die ganze Reihe leicht verständlich geschrieben ist und Handlung und Figuren nicht besonders komplex gezeichnet sind. Die Handlung von Band 3 endet abgeschlossen, bildet in Bezug auf bekannte Figuren gleichzeitig einen Twist, der neugierig auf den letzten Band macht.

Die namentlich bekannten KIs aus Band 1 und 2 sind nicht mehr präsent, was ich schade finde. Dafür gibt es ein Wiedersehen mit dem nunmehr 50-jährigen Mike und dem 29-jährigen Leon. Es ist interessant, wie sie ihre Vergangenheit bewerten und sich charakterlich und in ihrer Weltanschauung entwickeln. Sie werden greifbarer, ohne für mich zu richtigen Sympathieträgern geworden zu sein.
Interessante Einblicke in einen Antagonisten, dessen Andersartigkeit ich gern noch stärker herausgearbeitet gesehen hätte, und seine Handlanger.
Und eine neue nette Protagonistin, die Mitleid und Sympathie erzeugt, der man das Gelingen ihrer Vorhaben wünscht, mit manchmal vorhersehbarer, aber über weite Strecken dennoch spannender Storyline, wobei auf Meditation und Kampfsport für meinen Geschmack zu detailliert eingegangen wird.
Es verbleibt bei mir das Gefühl, dass die Figuren manchmal zu sehr verbogen werden, um das jeweils passende Schema zu erfüllen. Da kommt mir unweigerlich in den Sinn, dass es sich um ein amerikanisches Werk handelt, für das wohl eine actionreiche Verfilmung angedacht ist. Motive, Handlungen und Gefühlslagen darf man an einigen Stellen - auch bezogen auf den jeweils hohen Intellekt - nicht zu sehr hinterfragen. Kleines Beispiel: Der Mann, bei dem die Frauen Schlange stehen, schwärmt von den körperlichen Vorzügen der eigentlich kränkelnden, gestressten und ausgehungerten Frau, wohlgemerkt ohne jemals unmittelbar miteinander kommuniziert zu haben.

Die hier vorzufindende Welt basiert auf den weitreichenden gesellschaftlichen Umwälzungen aus Band 2:
angefüllt mit Nanotechnologie, Robotik und Superintelligenz, wobei die Ordnung aufrechterhalten bleiben soll durch einen den KIs auferlegten Moralkodex. Ein konfliktträchtiger, ungewöhnlicher Weltenbau mit Bezug zu aktuellen politischen Diskussionen, z. B. das bedingungslose Grundeinkommen. Mal amüsant, mal ernst, durchaus visionär und stimmig. Viele futuristische Problemstellungen werden angekratzt, hier gilt es, viel selbst weiterzudenken, um Stoff zum Nachdenken zu haben.

Gefreut habe ich mich über liebevolle Details wie z. B. die Benennung bedeutender Gebäude nach Schriftstellerkollegen (z. B. Suarez, Naam).

Am Sprachgebrauch störe ich mich schon ein bisschen seit Beginn der Reihe, es gibt wohl aufgrund der Übersetzung manchmal Ausdrücke, die im Deutschen unnatürlich klingen.
Es sind im mir vorliegenden Exemplar vergleichsweise viele Zeichensetzungsfehler enthalten. Ich gehe aber davon aus, dass hier noch nachgearbeitet wird.

Am Ende jedes Buches führt der Verlag an, als Dank für eine Rezension zu einem käuflich erworbenen Exemplar ein eBook aus dem lieferbaren Verlagsprogramm kostenlos auf Anfrage zu übersenden. Dies hat hier unter Verweis auf meine Amazon-Rezension zu Band 1 einwandfrei funktioniert, dafür danke an den Luzifer-Verlag und meine Empfehlung an andere eifrige Rezensenten.

3 Sterne mit Tendenz zu 4 Sternen. Erneut kein tiefschürfendes Werk, aber mit inspirierten Ideen zur nahen Zukunft, temporeich und unterhaltsam, auch nach einem besonders anstrengenden Tag flüssig lesbar.

Veröffentlicht am 01.05.2018

Eingängig und lustig mit Schwächen in Charakterzeichnung und Dramatik

AVOGADRO CORP.
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US-Autor Hertling beschreibt erschreckend realistisch auch für IT-Laien verständlich die versehentliche Erschaffung einer Künstlichen Intelligenz, deren positive und negative Folgen und die geheim zu haltende ...

US-Autor Hertling beschreibt erschreckend realistisch auch für IT-Laien verständlich die versehentliche Erschaffung einer Künstlichen Intelligenz, deren positive und negative Folgen und die geheim zu haltende menschliche Intervention zur Bekämpfung der Bedrohung.

2011 geschrieben, ist das Szenario im Jahr 2015 in Portland verortet. Gefallen haben mir Anspielungen zu Innovationen und real existierenden Firmen, z. B. Netflix. Es wird deutlich, dass tagtäglich ein solches Szenario auftreten könnte.
Die Intention für die Programmierung verheißt viele Vorteile und ist absolut nachvollziehbar. Die im Mittelpunkt stehende Firma erinnert an Google. Geschäftspraktiken, z. B. Projektabläufe und -hierarchien, Sachmittel- und Budgetvorgaben und die Anforderung, für die Geschäftsführung alles ansehnlich in PowerPoint-Präsentationen zu verpacken, dürften annähernd allen Mitarbeitern mit Büroarbeitsplatz bekannt vorkommen. Solche Seitenhiebe heitern mich regelmäßig auf.

Den Handlungsverlauf empfand ich als interessant und unterhaltsam. Es war aber weder außergewöhnlich spannend noch überraschend, dystopisch oder emotional.
Auch wenn ich es grundsätzlich mag, aufgelockert zu werden, empfand ich es an vielen Stellen als deplatziert und für das Spannungsmoment und die bedrohliche Atmosphäre als kontraproduktiv, wenn die Hauptverursacher der Katastrophe einen einfachen Humor an den Tag legten und (möglicherweise der Übersetzung geschuldet) ständig kicherten. Da hätten trockener schwarzer Humor und ein gelegentliches Grinsen dem Ernst der Lage besser Rechnung getragen.
Es wird chronologisch erzählt und man begleitet sämtliche relevante Entwicklungen von Beginn an. Dabei ist früh absehbar, welche Figur welche Rolle zu spielen hat und wie diese agieren wird. Hätte man so manches Ergebnis vorweggenommen und in einer Rückblende erzählt, wie es dazu kam, wäre das Buch etwas komplizierter zu lesen (weniger Mainstream-tauglich), die Dramatik aufgrund der geringeren Vorhersehbarkeit aber viel höher. Auf der anderen Seite vorteilhaft, dass hier ein hochinteressantes Thema einer großen Zielgruppe vermittelt wird und sich dieser Cyber-Krimi auch nach einem besonders harten Arbeitstag flüssig und mühelos lesen lässt.

Bei den Figuren habe ich Persönlichkeit vermisst. Überwiegend werden Handlungen und Gespräche beschrieben. Den Interaktionen fehlte es manchmal an Reibungspunkten und Gefühlslagen wirkten auf mich manchmal nicht authentisch. Alleinstellungsmerkmale kommen zu kurz, bis kurz vor Ende hätte ich Mike und David kaum auseinanderhalten können.

Die Schilderungen zur Künstlichen Intelligenz sind sehr eingängig, bleiben in Erinnerung und können den geneigten Leser - hierzu zähle ich mich - zum Nachdenken anregen, sodass man mit offeneren Augen durch die Welt geht.

Die letzten paar Seiten fördern dann doch noch einen lang ersehnten Wow-Effekt zu Tage. Und ich bin neugierig geworden, wie die Geschichte fortgesetzt wird. Knappe 4 Sterne von mir.

Anekdote: Glaubt man dem Autor, gibt es nur ein wirksames Mittel zur Bekämpfung des Bösen: „Kaffee“ taucht laut Kindle-Wort-Suche in diesem kurzen Buch 53 x und in 14 von 16 Kapiteln auf.

Adressatenkreis: Besonders geeignet für Genre-Einsteiger und Fans von leicht zu lesenden und realistischen Cyber-Krimis, in denen humoristische Elemente die dystopischen überwiegen. Wichtig: Singularity 1 lässt sich auch ohne Weiteres als abgeschlossene Geschichte lesen. Das finde ich sehr fair.
Interessierte könnten nach meiner Einschätzung aber auch direkt mit dem für meinen Geschmack noch viel besseren Band 2 starten.

Ausblick: Band 2 spielt 10 Jahre nach Band 1. Anspruchsvollere Technik mit mehr Sci-Fi-Elementen, alte Bekannte treffen auf einen neuen Handlungsstrang mit neuen Figuren. Bessere Charakterisierungen und innovativere und wendungsreichere Story. Und man erhält – anders als bei Band 1 – auch faszinierende Inneneinblicke in Künstliche Intelligenzen. Und vor allem: Anspruchsvollere Komik, die mein Humorzentrum diesmal fantastisch trifft.

Veröffentlicht am 29.03.2018

Gelungenes Plädoyer für diskriminierungsfreies Zusammenleben

After Work
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Mein erstes Buch der Autorin. Ich mag den Bastei-Lübbe- bzw. den LYX-Verlag, und Titel, Cover und Klappentext wirkten interessant und weckten bei mir positive Assoziationen zum Auftakt der Liebesgeschichte ...

Mein erstes Buch der Autorin. Ich mag den Bastei-Lübbe- bzw. den LYX-Verlag, und Titel, Cover und Klappentext wirkten interessant und weckten bei mir positive Assoziationen zum Auftakt der Liebesgeschichte in Grey’s Anatomy.
Chronologisch und kapitelweise wechselnd, ohne doppelte Szenenwiedergaben, wird die Geschichte über mehrere Monate aus Sicht der Protagonisten Lexia (28) und Adam (36) erzählt (Sie/Er in der Vergangenheitsform).
Erstaunt hat mich, dass das Thema Gewicht und hierauf aufbauend ein geringes Selbstwertgefühl die Handlung dominiert. Lexia ist übergewichtig und Adam hat ein hierzu kompatibles Schönheitsideal.
Ich habe Geduld benötigt, um in die Geschichte reinzukommen. Lexia mag ihren Körper überhaupt nicht, lässt sich mobben und flüchtet sich in Junkfood und Shopping-Orgien, bedient damit ein Negativklischee. Das um Mitleid heischende negative Selbstbild zerrt gehörig an den Nerven, während ihre Stärken, z. B. ihr Witz sowie Engagement und Leidenschaft als Werbetexterin, untergehen. Adam zu mögen, ist anfangs auch nicht leicht, weil er es sich zum Job gemacht hat, langjährigen Mitarbeitern zu kündigen.
Ist man über diese ersten Eindrücke hinweg und beginnt persönliche Hintergründe und Motivlagen zu ergründen, gelingt es immer besser, zu verstehen, zu sympathisieren und zu hoffen, dass die Liebe eine reelle Chance bekommt. Eine Distanz blieb für mich aber bestehen. Zum einen inhaltlich bedingt, weil ich mich in vielen Situationen anders verhalten hätte, zum anderen sprachlich bedingt, z. B. wird Lexias Mutter immerzu als Eva bezeichnet, wodurch es mir schwerer fällt, mich hineinzuversetzen und eine emotionale Bindung aufzubauen.

Ich empfinde die Geschichte über weite Strecken als langatmig. Die Gedankenwelt der Protagonisten dreht sich viel im Kreis. Es werden viele Banalitäten beschrieben. Zahlreiche Ausdrücke und Beschreibungen gleichen Inhalts kommen mehrfach vor. Ein kurzes Beispiel: „Dort wurde einem von einer Sekunde auf die andere fristlos gekündigt, man wurde gefeuert oder auf die Straße gesetzt“ (10 %).
Würde man kürzen, wären die Dramatik und das Prickeln wohl besser spürbar.

Ein paar Erotikszenen sind enthalten. Mehr als angedeutet, nicht ganz explizit, den Roman nicht dominierend. Ästhetisch, einfühlsam, ansprechend. Vergleichsweise vernünftig, da dürfen auch Körperhygiene und Verhütung nicht fehlen. Es spielt sich ansonsten viel im Kopf ab.
Es verleiht Authentizität, dass die Autorin die Handlung in ihrer Wahlheimat Stockholm verortet hat.
Nebenfiguren (insbesondere Siri, Dina, Bashir) wirken auflockernd, passen gut zur Rahmenhandlung und verleihen Würze. Erfrischenderweise konnten mich einige Nebenfiguren in ihrer Entwicklung überraschen.
Die Handlung entwickelt sich so, wie ich es erwartet hatte. Ich habe interessiert gelesen, aber große Überraschungen, die große Gefühlsachterbahn blieben leider aus.

Die Extreme zwischen weltoffenen und intoleranten, hetzenden Personen wird ausgereizt. Dem ist dadurch Boden bereitet, dass das berufliche Umfeld in der Werbebranche angesiedelt ist. In einem anderen Umfeld hätte ich die Darstellungen als realitätsfern bezeichnet, aber hier könnte sich die Handlung mit etwas gutem Willen tatsächlich so abspielen. Ein Buch, das kontroverse Meinungen hervorrufen kann.
Ich empfand den stimmig eingearbeiteten Aufruf, sich von Oberflächlichkeiten zu lösen, sich auf charakterliche Stärken zu konzentrieren, sich selbst zu lieben, seine eigenen Prioritäten zu ordnen und Personen abseits der Norm (allumfassend: Gewicht, Ethnie, sexuelle Orientierung, gesellschaftlicher Rang, …) gleichberechtigt zu behandeln und wahrzunehmen, als inspirierend. Gleiches gilt für das vermittelte Motto „du verkörperst mehr als nur die Summe deiner Eltern.“ (79 %).
Ich meine, gespürt zu haben, dass es dabei um eine Herzensbotschaft der Autorin geht.
Ich unterstütze diese Botschaft und nehme an, dass viele Leserinnen und Leser hieraus Mut und Selbstbewusstsein schöpfen können.

Wermutstropfen: Es wurde bis dato versäumt, die Stärke des Buches als solche zu vermarkten. Das Cover ist zweifelsohne schön anzusehen, zeigt jedoch die Rückseite einer Frau der Kleidergröße XS und damit das vermeintlich allgemeintaugliche Idealbild, dem doch eigentlich etwas entgegengesetzt werden soll. Zitat aus dem Buch: „Es gibt viele Leute, die sich in der Durchschnittswerbung nicht repräsentiert fühlen.“ Wenn der Mut aufgebracht wird, die Vermarktung – analog zur Handlung – anzupassen, vergebe ich mit Freuden nachträglich den vierten Stern.

Veröffentlicht am 28.01.2018

Neue Gesellschaft, neue Figuren, neue Probleme - nicht so mitreißend wie zuvor

Erbe und Schicksal
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Band 3 empfinde ich leider als nicht mehr so stark wie die Bände 1 und 2 - weiterhin spannend, aber ich konnte nicht mehr so schön mitfühlen.

Es wird ein liebenswerter neuer Charakter in die Familie eingeführt.
Giles' ...

Band 3 empfinde ich leider als nicht mehr so stark wie die Bände 1 und 2 - weiterhin spannend, aber ich konnte nicht mehr so schön mitfühlen.

Es wird ein liebenswerter neuer Charakter in die Familie eingeführt.
Giles' Wahlkampf für einen Einzug ins englische Unterhaus als Abgeordneter für Bristol mit der Partei der Arbeit wird sehr ausführlich dargestellt. Da er gegen einen alten, nicht wirklich fair agierenden Widersacher antritt, helfen Harry und Emma, die sonst konservativ wählen, auch gern hierbei. Zwar kennt man das Werben um Wähler in ähnlicher Weise von heutigen Wahlen vor der eigenen Haustür, doch so manchen Einblick in das Klinkenputzen, die Wahldebatte und den Einfluss der Medien fand ich durchaus spannend. Lediglich die Auszählung der Stimmen ist für meinen Geschmack etwas zu ausführlich geraten.
Dem neuen Bösewicht Don Pedro Martinez wird textlich aus meiner Sicht zu viel Raum gegeben.
Lady Virginia Fenwick ist zwar ein Abziehbild, worüber ich aber gern hinwegsehe, da sie immerhin für so manchen humorigen Moment sorgt.
Die meisten hinzugekommenen Figuren wirken leider wie Stereotype auf mich, es fehlt an emotionaler Tiefe, der Leserschaft werden wenig Sympathiemöglichkeiten eingeräumt.
Auch der neue Hauptprotagonist Sebastian, der Sohn von Harry und Emma, bietet erstmal wenig Identifikationspotenzial. Zwar ist es als Sohn einer mittlerweile gut situierten Familie nicht unplausibel, dass er etwas arrogant und kühl auftritt, trotzdem schade, vor allem da Maisie, die ich liebgewonnen hatte, ab Band 3 keine Rolle mehr spielt.

Die hohe gesellschaftliche Stellung von Harry, Emma und Giles ermöglicht hier und in den Folgebänden Verknüpfungen zur englischen, russischen und deutschen Politik und zu Geheimdiensten. Die Saga verdient sich hiermit den Titel "Historische Romanreihe". Positiv, dass ich als Leserin etwas über politische Zeitgeschichte von vor meiner Geburt - wenn auch der Story geschuldet bisweilen etwas zurechtgerückt - lernen kann. Bedauerlich ist hierbei, dass die Sichtweisen der sog. Unterschicht und unteren Mittelschicht auf Alltag, Politik und Wirtschaft gänzlich ausgeklammert werden. Solche Einblicke hätte ich als sehr reizvoll empfunden. Ideal wäre es gewesen, hier frühzeitig eine Figur zu etablieren, die diesen Part langfristig übernimmt. Alternativ hätten im Zuge des Wirkens von Giles für die Partei der Arbeit Einblicke gewährt werden können.

Das Ende ist wieder ein Cliffhanger. Dass bei einem Mehrteiler viele Fäden offen bleiben, ist normal. Leider treibt Jeffrey Archer bei jedem Band dieser Saga das Spannungselement zum Ende auf die Spitze - das ist kein schöner Schachzug, erst recht wenn noch nicht alle Bände in dieser Sprache erschienen sind.

Aufgrund der in den vorangegangenen zwei Bänden ans Herz gewachsenen Hauptprotagonisten fühlte ich mich zum Weiterlesen animiert.

Veröffentlicht am 28.01.2018

Für Hauptzielgruppe der weiblichen Teenager eine emotionale Reise mit fragwürdigem Ende

Entführt
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Ich bin in meiner Meinung zwiegespalten.
Die Handlung ist objektiv betrachtet wenig überraschend und nicht besonders innovativ. Schwerer wiegt die Auseinandersetzung mit den dargestellten Gedanken - im ...

Ich bin in meiner Meinung zwiegespalten.
Die Handlung ist objektiv betrachtet wenig überraschend und nicht besonders innovativ. Schwerer wiegt die Auseinandersetzung mit den dargestellten Gedanken - im Band 1 die der 16-jährigen Entführten Lou und im Band 2 die des 22-jährigen Entführers Brendan. Es werden jeweils sämtliche Interaktionen und Beobachtungen intensiv gefühlsmäßig reflektiert, inklusive aller Ängste und Sehnsüchte.
Aufgrund der Erzählperspektive und der gewählten Sprache bilden Jugendliche und junge Frauen nach meiner Einschätzung die Hauptzielgruppe. Da das Identifikationspotenzial hier besonders hoch ist, wird dieser Adressatenkreis mit höherer Wahrscheinlichkeit das Dargestellte als glaubwürdig, sensibel und fesselnd beschreiben. Mir ist das komplette Fallenlassen und Mitfühlen über weite Strecken schwer gefallen, zum einen gibt es ein paar Längen (Darstellung banaler Gegenstände und Tätigkeiten), zum anderen gibt es für Erwachsene sicherlich vergleichbare Romane aus Erwachsenensicht.

Figur Lou: Aus ihrer Sicht wird Band 1 erzählt. Als Waise, Nesthäkchen und einziges Mädchen von ihren vier Brüdern verhätschelt, kommt die 16-jährige Lou zu Beginn oberflächlich daher, zeigt sich undankbar, naiv, mäßig intelligent, wenig vorausschauend und wenig empathisch. Sie ist gelangweilt vom Alltag in der Kleinstadt und wünscht sich mehr Abenteuer.
Das bietet für Erwachsene wie mich wenig Identifikationsmöglichkeit, für junge Frauen, die sich in der Abnabelungsphase vom Elternhaus befinden umso mehr. Da es sich um eine 16-Jährige handelt, ist diese Charakterisierung durchaus glaubwürdig geraten. Offensichtlich ist die Veranlagung der Hauptfigur durch die Autorin beabsichtigt, um in der persönlichen Reife Entwicklungspotenzial darzubieten. Obgleich noch ziemlich naiv agierend, wurde dieses Potenzial in der weiteren Handlung bei kritischer Auseinandersetzung mit ihrem Entführer und Flucht(plänen) zumindest streckenweise auch umgesetzt.

Figur Brendan: Aus seiner Sicht wird Band 2 erzählt. Der 22-jährige Entführer Brendan hatte traumatische Erlebnisse in seiner Kindheit und Teenagerzeit, die ihn in der Gegenwart psychisch sowie physisch in Form von drastischen Aussetzern verfolgen und auf die im aus seiner Sicht dargestellten Band 2 noch näher eingegangen wird. Allein und ohne Lebensmut lebt er auf sich selbst gestellt im landschaftlich idyllischen kanadischen Yukon-Territorium. Gefühle, da ausschließlich negativ, möchte er verdrängen. Erfahrungen in tiefer Zuneigung oder gar Liebe hat er nicht. Über Facebook stößt er auf Lou, deren Schönheit und Lebensfreude ihn derart faszinieren, dass er sie nach langem Ringen mit sich selbst und nach sorgfältiger Planung entführt. Im Laufe des Romans spielen sich bei ihm äußere und innere Kämpfe, Reflektionen zu sich selbst und Lou ab (in Band 1 aus Sicht von Lou dargestellt). Diese Darstellungen, insbesondere in Band 2, sind nichts für schwache Nerven.

Die sprachliche Darstellung der Gefühlswelt ist einfach gehalten, ohne zu kitschig zu geraten, passt damit zur Figur Lou und erreicht einen großen Adressatenkreis.
Bei den Beschreibungen der Landschaft ist streng genommen ein Bruch im Erzählstil, da sich hier nicht Lous Vokabular bedient wird, aber das ist hier ein Pluspunkt, weil durch die Worte der Autorin eine schöne Atmosphäre erzeugt und die Vorstellungskraft der Leserschaft positiv angeregt wird.
Gefallen haben mir die poetisch angehauchten philosophischen Textpassagen, siehe auch beliebte Markierungen. Diese kennzeichnen regelmäßig Schlüsselmomente in der Handlung, die geeignet sind, den Funken überspringen zu lassen - zwischen Lou und Bren sowie zur Leserschaft.
Mein Kompliment an Mila Olsen für die neugierig machenden ersten Sätze sowie die letzten zwei Sätze des Romans.

Das Ende habe ich persönlich als wenig zufriedenstellend empfunden - Näheres mit Spoiler siehe unten.
Bei Band 2 finde ich das Ende treffender, sodass ich empfehle, diesen ergänzend oder parallel zu Band 1 zu lesen.
Ich vergebe 3 Sterne. Weniger wäre nicht fair aufgrund eines Gesamtwerkes, dass ich im Wesentlichen doch mit Spannnung (wenn auch eher als Zuschauerin) gelesen habe.

Begründung für das subjektiv nicht befriedigende Ende: Achtung, SPOILER!
Dass sich Lou infolge eines verständlicherweise körperlichen und emotionalen Ungleichgewichts in Verbindung mit einem Nahtoderlebnis von ihren Fluchtwünschen löst und vollumfänglich auf Brendan einlässt (Fluchtmöglichkeit wird nicht ergriffen, danach wilde Küsse, Sex, Liebesbekundungen), ist aus meiner Sicht noch einigermaßen glaubhaft dargestellt. Sich aber in Freiheit nach der Möglichkeit mehrmonatiger Reflektion bedenkenlos und ohne Nachfragen einem Mann in die Arme zu werfen, der mich gefangen gehalten hatte, mit sich selbst nach wie vor nicht im Reinen ist (Stichwort Selbstwertgefühl) und ohne intensive Psychotherapie doch jederzeit wieder Aussetzer bekommen kann (z. B. im Zuge eines Streits, den es im Rahmen einer jeden normalen Partnerschaft mal geben muss) und hierbei bleibende Schäden verursachen kann, war - auch beim Glauben an die Grenzen überwindende und heilende Kraft der Liebe - für mich zu naiv und kurz gegriffen. Zugegeben, Brendan gibt mit einem Satz an, er habe eine Therapie begonnen - das ist es aber auch schon. Kein Hinterfragen von irgendeiner Seite wird deutlich. Wenn man das z. B. auf weit verbreitete Alkoholsucht oder Depressionen überträgt, empfinde ich dieses Ende für die (wahrscheinlich viel aus weiblichen Teenagern bestehenden) Leser als moralisch bedenkliche Botschaft.
Auch dass Lous Bruder (in der Vaterrolle) hier nicht vermittelnd eingreift, z. B. wohlwollend im Vorfeld zum erneuten Treffen ein Auseinandersetzen mit der Zukunft und eine Gesprächstherapie für Lou anregt, ist wenig nachvollziehbar.
Ob man angesichts der Umstände auf beiden Seiten zweifelsohne von Liebe reden kann?! Naja, daran scheiden sich zu Recht die Geister. Die Annäherung ist ausreichend einfühlsam dargestellt und da sich die Hauptzielgruppe sicher ein Happy End wünscht, kann man das so stehen lassen.
Was aber obendrein unglaubwürdig auf mich wirkt, ist der Umstand, dass trotz polizeilicher und medialer Aufmerksamkeit kein Spezialist bei der Polizei, kein findiger Journalist oder Jugendamtsmitarbeiter und auch nicht Lous Brüder das fragile Lügengebilde binnen Minuten zum Einstürzen gebracht haben sollen. Dies hätte doch spätestens mit der Frage nach den Identitäten der vermeintlichen Mitausreißerinnen geschehen müssen.
Ich fürchte, dass sich insbesondere junge Leserinnen, die hier im Fokus stehen, zu wenig mit solchen Fragen auseinandersetzen und sich die Handlung damit im Romantischen verklärt. So manche Rezension bekräftigt mich noch in dieser Befürchtung. Gerade da dieser Roman ein Bestseller ist und psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft zunehmen, hätte ich mir gewünscht, dass die Autorin am Ende des Romans das Krankheitsbild und mögliche Behandlungsmethoden mehr in den Vordergrund gerückt hätte, dies zumindest zwecks Sensibilisierung der Leserschaft mit mehr als der kurzen Aussage von Brendan, eine Therapie begonnen zu haben, angerissen hätte - gerade wo doch schon so viele Leser angebissen haben. Das hätte einen wertvollen Beitrag zur Herausholung psychischer Probleme aus der leider immer noch existierenden Tabu-Zone leisten können und diese Chance hat die Autorin leider nicht ergriffen.
Eine solche Aufarbeitung hätte ja einem durchaus wünschenswerten schlussendlichen Happyend nicht im Wege gestanden.
Erfreulicherweise erhält die psychische Aufarbeitung im Band 2, wo die gleiche Handlung aus Brendans Sicht dargestellt wird, etwas mehr Aufmerksamkeit. Ich habe mich folglich über Band 2 gefreut, mit dem auf einige meiner dargestellten Sorgen eingegangen wird.
Ich rate der Autorin Mila Olsen von einem Fortsetzungsroman (Band 3) ab. Ich bin in diesem Fall der Meinung, Jeder sollte sich das weitere Leben von Lou und Brendan selbst ausmalen.