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Veröffentlicht am 30.01.2018

Tolle High Fantasy

Iskari - Der Sturm naht
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Abrupt wandte sie sich von dem Ausblick ab und hob die Säbel auf. Sie spürte den Blick ihrer Cousine im Rücken. Dieses Mal sprach Safira die Frage, die ihr auf der Zunge lag, nicht aus. Das hieß jedoch ...

Abrupt wandte sie sich von dem Ausblick ab und hob die Säbel auf. Sie spürte den Blick ihrer Cousine im Rücken. Dieses Mal sprach Safira die Frage, die ihr auf der Zunge lag, nicht aus. Das hieß jedoch nicht, dass Asha sie nicht hörte.
"Sobald es vorbei ist, erzähle ich dir alles", sagte sie deshalb. "Versprochen."
Safira würde ihr Geheimnis nicht verraten. Daran hegte sie nicht den geringsten Zweifel. Aber wenn der Drachenkönig herausfand, dass Safira von den verbotenen Handlungen seiner Tochter gewusst hatte, wäre das ihr Ende. Asha durfte ihre Cousine nicht in eine Lage bringen, die noch mehr Gnade vom König erforderte - denn mehr Gnade konnte er ihr einfach nicht gewähren.
Je weniger Safira wusste, desto besser war sie geschützt.
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INHALT:
Asha, Tochter des Königs, leidet unter schrecklichen Schuldgefühlen: Als Kind hat sie mit verbotenen Geschichten den gefährlichsten aller Drachen, Kozu, herbei gelockt, der mit seinen Flammen viele Menschen getötet und ihren eigenen Körper zu einem Drittel verbrannt hat. Von den Bewohnern des Königreichs wird sie daher gefürchtet und gehasst. Um ihre Tat wieder gut zu machen hat sie sich einer großen Aufgabe verschrieben: Alle noch übrigen Drachen zu töten und die Gefahr damit zu bannen. Sie ist auf dem besten Wege, ihr Ziel zu erreichen, aber immer wieder kommen ihr ihre Sorgen über die bevorstehende Vermählung mit dem grausamen Jarek in die Quere. Doch dann bietet ihr Vater ihr einen Ausweg: Wenn sie Kozu tötet, sagt er die Hochzeit ab. Asha weiß, dass dies ihre einzige Chance ist. Aber nachdem sie sich mit dem Sklaven Torwin verbündet hat, kommen ihr Zweifel an der Mission und an allem, was sie geglaubt hat zu wissen...

MEINE MEINUNG:
High Fantasy ist auch im Jugendbuchbereich immer mehr auf dem Vormarsch, enttäuscht aber oft durch unausgereiftes Worldbuilding und ein zu großes Augenmerk auf die Liebesgeschichte. Nicht so "Der Sturm naht", Band 1 der "Iskari"-Trilogie von Kristen Ciccarelli, deren von Drachen bevölkerte und von alten Geschichten und Bräuchen bestimmte Welt einen schnell in den Bann zieht. Und das, obwohl ich persönlich Drachen normal sterbenslangweilig finde. Der Schreibstil ist sehr angenehm zu lesen, voller wunderbarer Details, und insbesondere die eingewobenen alten Sagen, die die Welt ein wenig erklären, wissen zu begeistern.

Asha ist nicht unbedingt eine einfache Protagonistin. Aufgewachsen unter dem Einfluss ihres Vaters, der alle alten Bräuche auslöschen will, und überzeugt von ihrer Schuld, sträubt sich sich gegen jeden aufkommenden Zweifel. Das wird zwischenzeitlich anstrengend, ist aber nichtsdestotrotz verständlich und vor allem macht sie auf diese Weise eine sehr glaubwürdige Entwicklung durch. Love-Interest Torwin, Sklave ihres Verlobten, erscheint dagegen erst einmal blass und lange ohne eigene Ambitionen und Wünsche. Auch zum Ende hin hat er noch Merkmale des typischen Manic Pixie Dream Boys, aber aufgrund seiner liebevollen Art und weil er sich nicht alles gefallen lässt, schließt man ihn dennoch ins Herz. Während Kommandant Jarek ein relativ klischeehafter Fiesling ist, können Nebencharaktere wie Ashas starke und kämpferische Cousine oder ihr zart wirkender, aber Pläne schmiedender Bruder punkten, sodass der Roman von einer Riege lebendiger und fast durchweg gut charakterisierter Figuren bevölkert wird.

Nach einem starken Beginn, der Asha in Aktion während eines Kampfes mit einem Drachen zeigt, wird der Leser erst einmal in die Welt und ihre Eigenheiten eingeführt. Bis sich die Protagonistin tatsächlich mit dem Sklaven Torwin verbündet und einigen Geheimnissen auf die Spur kommt, dauert es so seine Zeit, aber spätestens ab der Hälfte zieht das Tempo richtig an. Die Charaktere sind eigentlich permanent unterwegs und schmieden Pläne oder geraten in Gefahr, sodass keine Langeweile aufkommt. Romantik ist vorhanden, entwickelt sich aber wunderbar langsam, wodurch sie die Geschichte perfekt unterschützt, anstatt sie zu verdrängen. Einige Entwicklungen konnte man schon früh vorhersagen, aber Schreibstil und Dialoge machen das wieder wett. Das Ende ist in sich recht geschlossen, lässt aber noch Stränge für die folgenden Bände offen - die sicherlich erneut einiges zu bieten haben.

FAZIT:
Ich bin kein Fan von Drachen und trotzdem mochte ich den ersten Band der "Iskari"-Trilogie sehr gerne - das sagt einiges aus. Kristen Ciccarelli hat keine völlig neue, aber dafür eine schöne und mitreißende Geschichte erschaffen. Ich freue mich schon darauf, im September kommenden Jahres wieder mit Asha auf die Reise gehen zu können. Sehr gute 4 Punkte!

Veröffentlicht am 30.01.2018

Fantasy der anderen Art

Die Blutkönigin
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"Warum?", fragte Daleina. "Warum hilfst du mir?"
Sie zuckte mit den Schultern und vermied es, Daleina in die Augen zu sehen. "Während des ganzen Unterrichts bist du die Einzige gewesen, die es gewagt ...

"Warum?", fragte Daleina. "Warum hilfst du mir?"
Sie zuckte mit den Schultern und vermied es, Daleina in die Augen zu sehen. "Während des ganzen Unterrichts bist du die Einzige gewesen, die es gewagt hat, eine Frage zu stellen, die Einzige, der das Lernen wichtiger war, als ein abgerichteter Affe von denen zu sein und blöde Examen zu bestehen. Offen gesagt, ich brauche jemanden zum Reden, und du bist die Einzige, die zumindest ein Fünkchen Grips im Kopf zu haben scheint."
Daleina musterte sie. Sie ist einsam, ging es ihr durch den Kopf. "Danke."
"Sicher, angesichts deines Mangels an Talent wird dir bestimmt nur ein kurzes Leben beschieden sein, aber ich werde deine Gesellschaft genießen, bis zu in Fetzen gerissen wirst."
Daleina wiederholte: "Danke", etwas weniger dankbar. Dann schlossen sie sich den anderen Schülerinnen an, um zu hören, wer bestanden hatte und wer durchgefallen war.
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INHALT:
Das Land Renthia ist von Geistern bevölkert, die nur zwei Dinge im Sinn haben: Erschaffen und Zerstören. Um diese beiden Ziele in Einklang zu bringen, braucht jedes Königreich eine Königin, die die Geister kontrolliert. Nur Frauen besitzen die Gabe, sie zu befehligen - und als die junge Daleina aus dem Königreich Aratay ihre Familie vor einem Geister-Angriff bewahrt, wird deutlich, dass auch sie mit dieser Fähigkeit gesegnet ist. Und sie ist eine der Auserwählten, die eine der Akademien für Thronanwärterinnen besuchen dürfen. Allerdings ist sie ganz eindeutig nicht die Beste und so stehen ihre Chancen, jemals Königin zu werden, denkbar schlecht. Jedenfalls bis sie von einem Meister erwählt wird, der sie ausbilden will: Es ist Ven, der vor Jahren von der amtierenden Königin verraten wurde...

MEINE MEINUNG:
Es ist lange her, dass ich das letzte Buch von Sarah Beth Durst gelesen habe - aber ihr bildlicher Schreibstil und ihre phantastischen wie originellen Ideen sind mir im Gedächtnis geblieben. Sie schreibt keine konventionellen Fantasy-Romane, die nach bewährtem Schema ablaufen, und das wird auch in "Die Blutkönigin" schnell deutlich. High Fantasy für junge Leser hat oft einen faden Beigeschmack, weil sich statt auf das Worldbuilding mehr auf die Liebesgeschichte konzentriert wird. Zum Glück ist das hier nicht der Fall: Der packende Schreibstil zieht einen schnell in eine Geschichte voller Überraschungen und großartiger Ideen. Und mit der jungen Daleina und ihrem Mentor Ven gibt es zwei Protagonisten, die man sehr gern begleitet.

Daleina ist bei weitem nicht diese "besondere" Hauptfigur, die alles kann und von jedem bewundert wird. Im Gegenteil - sie ist die wahrscheinlich am wenigsten talentierte Kandidatin. Doch was sie nicht an Fähigkeiten vorweisen kann, macht sie durch Intelligenz, Mut und Persönlichkeit wett. Sie hat Fehler, aber sie versucht immer, Gutes zu bewirken, und das macht sie sehr sympathisch. Meister Ven ist ein tief enttäuschter Mann, der seiner Vergangenheit mit der Königin nachhängt, ihr aber auch des Öfteren die Stirn zu bieten vermag. Er ist streng und unnachgiebig, aber mit seiner fürsorglichen Art dennoch etwas wie ein Ziehvater. Durch die Tatsache, dass nur Frauen Oberhaupt der Königreiche von Renthia werden können, sind die Charaktere zum größten Teil weiblich - eine tolle Abwechslung. Zugegeben, Daleinas Freundinnen konnte ich nicht alle auseinander halten, das ist zum Teil aber auch der Fülle geschuldet. Und Zickenkrieg sucht man vergebens: Selbst die talentierte und hochnäsige Merecot ist insofern keine Konkurrenz für Daleina als dass sie einander trotzdem helfen - auch ungewöhnliche Freundschaften werden geschlossen, was wunderbar zu lesen ist.

Mit den Geistern, die die Welt instand halten und gleichzeitig die Menschen töten wollen, hat die Autorin ein abstraktes Konstrukt entworfen, das sie großartig erklärt. Noch viel besser gefällt aber ihre Welt: Denn die Bewohner Aratays leben in den Bäumen, in den Kronen und Ästen werden Häuser gebaut, verbunden sind einzelne Städte durch Brücken und Seildrähte - eine wunderbare Idee, die eine besondere Naturverbundenheit porträtiert. Der Leser begleitet Daleina während ihrer Ausbildung in der Akademie und bei Meister Ven, wobei sie dem Tod mehr als einmal knapp entkommen muss. Das Leben mit und unter Geistern ist gefährlich, und so ist es kein Wunder, dass man sich mehr als einmal von liebgewonnenen Figuren verabschieden muss. Es gibt eine kleine Liebesgeschichte, die aber nur einen Bruchteil der Handlung einnimmt (fast schon wieder zu kühl wirkt), ansonsten wird sich komplett auf Daleina und ihr Ziel konzentriert. Ein paar kleinere Längen im Mittelteil werden zum Glück immer wieder von actionreichen Szenen aufgelockert - und der Schluss ist erschreckend, überraschend und absolut konsequent. Band 2 handelt von einer anderen Protagonistin und man darf gespannt sein, wie die Geschichte weiter gesponnen wird.

FAZIT:
Sarah Beth Durst hat sich in "Die Blutkönigin" eine umwerfende Welt erdacht, die einen schnell in ihren Bann zieht. Viele neue Ideen und starke wie liebenswerte Frauen runden das Bild ab. Bis auf ein paar kleinere Längen ein echtes Lesevergnügen. Sehr gute 4 Punkte!

Veröffentlicht am 30.01.2018

Packend und brutal

Ich bin nicht tot
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"Ich habe heute Nacht einen Menschen getötet", sagte sie. "Ich habe jemanden umgebracht, um zu dir zurückkehren zu können." Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und rannte davon.
Ihr ehemaliger Freund ...

"Ich habe heute Nacht einen Menschen getötet", sagte sie. "Ich habe jemanden umgebracht, um zu dir zurückkehren zu können." Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und rannte davon.
Ihr ehemaliger Freund mit dem Namen, an den sie sich eben erst erinnert hatte, rief etwas hinter ihr her, aber sie lief einfach weiter. Zurück in die Dunkelheit. Und Gott mochte ihr beistehen, aber für ein paar kurze Augenblicke dachte sie tatsächlich darüber nach, zu dem Keller zurückzukehren - zu dem Verlies und zu dem toten Mann, bei dem sie sich fast schon wünschte, ihn nicht erschossen zu haben.
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INHALT:
Nach drei Jahren in Gefangenschaft ist es Detective Jude Fontaine gelungen, ihren Entführer und Peiniger zu überwältigen und sich in Sicherheit zu bringen. Doch zurück in der Wirklichkeit merkt sie schnell, dass sie auch hier keine Ruhe und Geborgenheit zu erwarten hat. Alles hat sich verändert, auch sie selbst. Doch sie ist fest entschlossen, zu ihrem Job als Polizistin zurückzukehren - gegen den Willen ihres neuen Partners Uriah Ashby, der sie für nicht zurechnungsfähig hält. Als sie zu einem neuen Fall gerufen werden, stellt sich jedoch heraus, dass Jude erstaunliche Fähigkeiten entwickelt hat: Sie kann Menschen lesen, was ihnen die entscheidenden Hinweise auf den Täter liefern könnte...

MEINE MEINUNG:
Im Genre der Thriller noch etwas Neues zu finden, erweist sich mittlerweile als relativ schwierig. "Ich bin nicht tot" nimmt als Ausgangsszenario eine Entführung, macht daraus dann aber etwas ganz anderes: Denn als Leser lernt man die Protagonistin nur im bereits gebrochenen Zustand nach den drei Jahren des Martyriums kennen, was so spannend wie erschreckend ist. Der Schreibstil ist teilweise etwas distanziert, aber lebendig in der Sprache und dadurch mitreißend, aber auch schonungslos.

Jude Fontaine ist sicherlich keine einfache Hauptfigur - bei dem, was sie erleiden musste, überrascht das nicht. Teilweise erscheint sie ein wenig zu tough, aber ihre Verletzlichkeit und das schlimme Trauma schimmern immer wieder durch. Ihre Willenskraft ist ein starker Charakterzug, der von der trotzdem vorhandenen Empathie für Opfer nur noch untermalt wird. Ihr Kollege und Partner Uriah Ashby hat mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen und traut ihr anfangs nicht. Er taut mit der Zeit auf, aber ein paar seiner Entscheidungen sind nur schwer nachzuvollziehen. Die Nebenfiguren bleiben leider ein bisschen blass und besonders der Täter entspricht durchaus dem Klischee, aber darüber lässt sich hinwegsehen.

Denn spannend ist das Ganze allemal. Neben den Morden an jungen Mädchen, die Jude und Uriah aufklären müssen - und die gut mit vergangenen Fällen verwoben werden - ist Jude auch auf der Suche nach dem Haus, in dem sie die drei Jahre festgehalten wurde, um endlich abschließen zu können. Leser sollten nicht zimperlich sein, denn einige Geschehnisse sind durchaus ziemlich brutal, und auch das, was der Protagonistin angetan wurde, lässt nicht kalt. Einige Verbindungen zum Ende hin konnte ich früh erahnen, andere wiederum haben mich überraschen können, sodass auch der Schluss größtenteils rund wirkt. Der Roman ist ein Einzelband - aber einem zweiten Teil wäre zumindest ich nicht abgeneigt.

FAZIT:
Anne Frasiers "Ich bin nicht tot" ist ein packender und teils durchaus brutaler Thriller, der mit den beiden Hauptfiguren und den Verbindungen zwischen einzelnen Fällen punkten kann. Ein paar Schwächen fallen da nicht stark ins Gewicht. Gute 4 Punkte!

Veröffentlicht am 08.11.2017

Komplex und stark erzählt

Das Lied der Krähen
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"Wir kommen von Norden, wie geplant", sagte Kaz.
Jesper ließ den Kopf gegen den Schiffsrumpf sinken und sah zum Himmel. "Fein. Aber wenn Pekka Rollins uns alle umbringt, dann werde ich Wylans Geist dazu ...

"Wir kommen von Norden, wie geplant", sagte Kaz.
Jesper ließ den Kopf gegen den Schiffsrumpf sinken und sah zum Himmel. "Fein. Aber wenn Pekka Rollins uns alle umbringt, dann werde ich Wylans Geist dazu bringen, meinem Geist beizubringen, wie man Flöte spielt, nur damit ich euren Geistern so richtig auf den Geist gehen kann."
Brekkers Lippen zuckten. "Dann heuere ich Matthias' Geist an, um deinem Geist in den Arsch zu treten."
"Mein Geist wird keinen Umgang mit deinem Geist haben", antwortete Matthias steif, und dann fragte er sich, ob die Seeluft sein Hirn langsam auflöste.
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INHALT:
Ketterdam ist nicht nur eine lebendige Hafenstadt voller Touristen und Kaufmänner, sie ist auch Brutstätte für allerlei zwielichtige Personen, die vor allem darauf aus sind, anderen ihr Geld abzuknöpfen. Kaz Brekker gehört zu eben diesen zwielichtigen Personen und ist der Anführer der Bande der Dregs, die sich mit ihrer Gewieftheit bereits einen Namen gemacht hat. Als er eines Tages einen überaus lukrativen, aber auch eigentlich unmöglichen Auftrag erhält, ist sein Ehrgeiz geweckt. Gemeinsam mit fünf sehr unterschiedlichen Helfern entwirft er einen Plan, um in das am Besten bewachte Gefängnis überhaupt einzubrechen. Sie alle verfolgen ihre ganz eigenen Ziele, müssen aber trotzdem zusammen halten, wollen sie überleben. Das allerdings ist deutlich leichter gesagt als getan...

MEINE MEINUNG:
Ich bin nicht die Erste, aber ganz sicher auch nicht die Letzte, die sich ein eigenes Bild machen musste vom "Lied der Krähen", das in die Buchwelt eingeschlagen hat wie selten ein Fantasy-Roman zuvor. Die "Grischa"-Reihe von Leigh Bardugo, die im selben Universum spielt, habe ich nicht gelesen, aber zum Glück kann die "Glory or Grave"-Dilogie auch ohne Vorwissen richtig Spaß machen. Erzählt wird sie aus insgesamt fünf Perspektiven, wobei Bandenführer Kaz jedoch am Häufigsten zu Wort kommt. Diese Art der Erzählung hätte bei anderen schnell verwirrend sein können, die Autorin meistert sie aber beeindruckend gut. Der Schreibstil ist wunderbar bildlich, voller Gerüche und Geschmäcker und Gefühle, was dazu beiträgt, dass einen die Atmosphäre schnell gefangen nimmt. Am meisten überzeugen können aber die sehr glaubwürdigen, mal schlagfertig-witzigen, mal gefühlvollen, mal von Zorn getriebenen Dialoge, die einen die Charaktere auch außerhalb ihrer eigenen Perspektiven gut kennen lernen lassen.

Nachdem in letzter Zeit in Fantasy-Romanen aufopferungsvolle, immerzu verliebte und damit sehr langweilige Figuren auf dem Vormarsch zu sein scheinen, sind die verschiedenen, oft ambivalenten Figuren hier eine echte Erfrischung. Es gelingt das Kunsstück, dass man die Charaktere im einen Moment nicht leiden kann, nur um sie kurz darauf zu lieben, weil sie so menschlich sind: Der egoistische, gefährlich lebende Kaz Brekker, der ein altes Trauma mit sich herumschleppt; der spielsüchtige Adrenalinjunkie Jesper; die unglaublich leise und doch so starke Inej; der auf Rache sinnende Hexenjäger Matthias; und die magisch begabte, von Schuldgefühlen geplagte Nina. Der sechste Hauptcharakter, Bombenbauer und Kaufmannssohn Wylan, kommt nicht selbst zu Wort, aber durch die Augen der anderen hat man nichtsdestotrotz das Gefühl, ihn zu kennen. Diese unterschiedlichen Protagonisten mit ihren Geheimnissen und dunklen Vergangenheiten sind das, was das Buch so besonders macht, auch wenn für Nebenfiguren dann schon fast kein Platz mehr ist. Einzig und allein gestört hat mich, dass alle Personen so unfassbar jung sind, was ihren vielen Taten und Errungenschaften manchmal die Glaubwürdigkeit nimmt.

Anfangs brauchte das Buch für mich einige Zeit, um seine volle Wirkung zu entfalten - Ketterdam ist düster und dreckig und sehr komplex, und nicht nur muss man sich in dieser Stadt zurechtfinden, sondern auch mit den Gegebenheiten. Das bessert sich aber irgendwann und spätestens, wenn man die Figuren zu verstehen beginnt und sich an sie bindet - ob man will oder nicht -, kommt man kaum noch zur Ruhe. Trotz vieler Rückblicke wird es nie langweilig, denn gerade durch das Verständnis für Motive und Hintergründe kann man auch jeweilige Entscheidungen besser nachvollziehen. Richtig großartig wird es dann aber auf den letzten 200 Seiten, als der Coup, den die Sechs durchführen wollen, in vollem Gange ist und es nicht nur zu so einigen brenzligen Situationen kommt, sondern auch zu großen Überraschungen, die atemlos zurücklassen. Dabei hofft und bangt man gemeinsam mit den Figuren, nicht nur wenn es ums Überleben geht, sondern auch im Bezug auf die ein oder anderen tieferen Gefühle. Es gibt langsam schwelende und dennoch sehr intensive Romantik, die sich nie in den Vordergrund drängt und gerade deswegen so überzeugend ist. Der Schluss ist actionreich, unerwartet und lässt einem mit dem Gefühl zurück, dass Band 2 noch viel epischer wird - und wenn man den Kritiken glauben darf, trügt dieser Eindruck nicht.

FAZIT:
Epische Fantasy mit durchdachten Figuren, die einem trotz - oder gerade wegen - ihrer Ecken und Kanten ans Herz wachen, das ist "Das Lied der Krähen". Die ideenreiche Geschichte mit viel Action brauchte bei mir etwas Anlaufzeit, konnte mich dann aber überzeugen. Band 2, "Crooked Kingdom" gibt es im Original bereits - und wird hoffentlich auch bald übersetzt. Sehr gute 4 Punkte.

Veröffentlicht am 24.10.2017

Fantasievoll, aber auch düster und bedrückend

Fuchsnacht
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Peter Pan nimmt meine Hand und führt mich fort ind das Land, in dem Träume blühen und in dem niemand jemals erwachsen werden muss. Ich sehe die wiegenden Kronen der Bäume unter mir hinweg ziehen, als wäre ...

Peter Pan nimmt meine Hand und führt mich fort ind das Land, in dem Träume blühen und in dem niemand jemals erwachsen werden muss. Ich sehe die wiegenden Kronen der Bäume unter mir hinweg ziehen, als wäre ich ein Adler, der seine weiten Schwingen ausbreitet. Endlich legt sich die Nacht wie eine Decke über mich und wickelt mich in einen Kokon.
Zum ersten Mal in meinem Leben lauern in der rabenschwarzen Nacht weder Schnäbel noch Krallen, die sich in mein Fleisch bohren. Samtweich treibe ich im Nichts. Jeder Funke Erwartung und Druck fällt von mir ab, meine Knochen lösen sich auf, mein Körper zerfließt in tausend Staubkörner. Nichts spielt mehr eine Rolle - friedvolle Gleichtgültigkeit hält in mir Einzug.
Sterben ist zu leicht. Es ist das Leben, das unendlich viel wiegt.
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INHALT:
Emil ist ein schmächtiger Teenager von 15 Jahren ohne Freunde und mit einem psychisch kranken Vater, um den er sich kümmern muss. Als wäre das nicht schon schlimm genug, versuchen sich auch noch sein Onkel und seine Tante in sein Leben einzumischen. Eines Tages hält er es nicht mehr aus und beschließt, wegzulaufen und seine Mutter zu suchen, die die Familie vor vielen Jahren im Stich gelassen hat. Doch in einer U-Bahn-Unterführung kommt es zu einem tragischen Unfall, und Emil stirbt. Nicht für lange allerdings - denn er erwacht als Fuchsdoppel: Bei Nacht ist er Mensch, tagsüber ein Fuchs. Mit dieser neuen Realität muss er sich erst einmal abfinden. Neue Freunde, ebenfalls Fuchsdoppel, helfen ihm dabei. Aber als einer von ihnen verschwindet, wird deutlich, dass im Dunkeln eine unbekannte Bedrohung lauert...

MEINE MEINUNG:
In Julia Mayers erstem Buch rund um die Tierdoppel, damals noch bei Amazons CreateSpace erschienen, ging es um Rehe. "Fuchsnacht" hat nun ein Zuhause im Drachenmond-Verlag gefunden, und dieses Zuhause kann sich sehen lassen. Dieser Band rund um die Fuchsdoppel kann komplett unabhängig gelesen werden, trotzdem würde ich jedem auch die berührende Geschichte aus "Rehruf" ans Herz legen. Deutlich wird jedoch von Anfang an, dass sich der Schreibstil der Autorin seit 2015 weiter entwickelt hat - die Formulierungen sind noch etwas sauberer geworden und die Dialoge glaubwürdiger. Die Beschreibungen und Geschehnisse sind oftmals so traurig und bedrückend wie im Vorgänger, aber es gibt auch lichte Momente.

Emil ist als männlicher Protagonist ein ungewöhnlich schwacher Charakter. Er ist noch sehr jung, was man ihm auch anmerkt, und er hat es nicht leicht mit seinem psychisch kranken Vater und dem gewalttätigen Onkel. Seine Unsicherheiten sind daher durchaus nachzuvollziehen. Allerdings hat er mir trotzdem zu viel geweint - selbst nachdem er seine Stärke gefunden und angefangen hat, für sich zu kämpfen, bricht er extrem oft in Tränen aus. Dafür konnten mich die anderen drei Fuchsdoppel, mit denen er sich anfreundet, sehr begeistern: Timon ist anfangs nicht begeistert davon, einen Frischling durchzufüttern, zeigt aber bald seine weiche Seite. Kara ist wunderbar liebevoll und eine echte Sympathieträgerin. Biggers bleibt zwar blass, weil er so schweigsam ist, aber wer gut kochen kann, den mag ich sowieso.

Obwohl "Fuchsnacht" ein Fantasy-Roman ist, geht es auch sehr viel um zwischenmenschliche Probleme und wie schon im Vorgänger um Verlust und Tod. Die erste Hälfte dreht sich überwiegend um Emils Versuch, sich mit dem neuen Leben anzufreunden und um seine erste Liebe - eine homosexuelle, die sehr sensibel und gefühlvoll aufbereitet wird. Danach jedoch wird das Buch überraschend düster und teilweise schon geradezu brutal, denn nicht alle Fuchsdoppel haben nur Gutes im Sinn. Das Motiv der Gegenspieler ist mir nicht recht klar gewesen, aber nichtsdestotrotz entsteht eine bedrückende Atmosphäre, die nicht loslässt. Zwei größere Kontinuitätsfehler (in denen beispielsweise davon gesprochen wird, in zwei Stunden ginge die Sonne auf, nur um dann noch eine vierstündige Fahrt plus mehrere Stunden Schlaf bis dahin verstreichen zu lassen) und ein paar Logiklücken stören ein wenig den Lesefluss, aber die Pluspunkte überwiegen. Am Ende ist nicht alles gut, was sehr realistisch wirkt und zur Geschichte passt - auch wenn ich mir vielleicht ein paar mehr Lichtblicke gewünscht hätte.

FAZIT:
Julia Mayers zweiter Roman ihrer Fuchsdoppel-Reihe dreht sich nun um einen männlichen Protagonisten, der es in seinem Leben bisher nicht einfach hatte - und auf den auch nach seiner Verwandlung zum Tierdoppel noch einige Gefahren warten. "Fuchsnacht" wird zum Ende hin überraschen düster, verpackt dies aber zumeist düster und fesselnd. Knappe 4 Punkte.