Profilbild von Krani

Krani

Lesejury Profi
offline

Krani ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Krani über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.02.2024

Jungsabenteuer in Zeiten der Sklaverei

James
0

Die Romane um Tom Sawer und Huckleberry Finn sind amerikanische Klassiker. Hier erzählt der schwarze Sklave Jim die Geschichte aus seiner Sicht. Der Autor ist Professor für Literatur, seit vielen Jahren ...

Die Romane um Tom Sawer und Huckleberry Finn sind amerikanische Klassiker. Hier erzählt der schwarze Sklave Jim die Geschichte aus seiner Sicht. Der Autor ist Professor für Literatur, seit vielen Jahren erfolgreicher Schriftsteller und ebenfalls schwarz.
James ist clever. Er kann lesen und schreiben, und er kann auch denken. Doch er bemüht sich so zu wirken, wie die Weißen einen Schwarzen erwarten: dumm, einfältig, untertänig. Das macht er sehr erfolgreich, aber schließlich will seine Besitzerin ihn verkaufen – dann muss er seine Frau und seine kleine Tochter verlassen. Er flieht. Unterwegs trifft er auf Huck, der vor seinem prügelnden Vater auf der Flucht ist.
Die groben Züge der Handlung sind aus Mark Twains Romanen bekannt. Für uns in Mitteleuropa erscheint die Radikalität, mit der man Schwarzen damals ihre Menschlichkeit absprach, irrwitzig und grotesk. Auch der Rest der damaligen USA kommt nicht gut weg: James und Huck bekommen es fast nur mit Gaunern und Dummköpfen zu tun. Lynchmorde an Schwarzen sind an der Tagesordnung und werden nicht bestraft. Das ist eine ständige Bedrohung.
Der Stil ist flüssig und gut zu lesen. Ein spannendes Abenteuer, das Spaß macht! Der schwarze Protagonist ist ein sympathischer Held, der in dunklen Zeiten überleben und Mensch sein will. Er ist nicht nur belesen und klug, er besitzt auch Humor. Doch gerade als Mensch stößt er immer wieder an Grenzen. Und schließlich fängt er an, andere auf die Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen. Weil man mit ihm fühlt, ist die Geschichte grausam, absurd und insgesamt tragisch. Sehr gelungen ist die Nachdichtung jener stark vereinfachten Sprache, die von den Schwarzen erwartet wird, und die James wie eine Fremdsprache benutzt. Da hat der Übersetzer Nikolaus Stingl gute Arbeit geleistet.
Insgesamt ist dies eine wirklich starke Neuerzählung. Wer die Vorlage kennt, hat besonderes Vergnügen daran. Eine Frage bleibt am Ende offen: Warum erst jetzt?

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.01.2024

Ausgrenzungen

Nachbarn
0

Vierzehn Kurzgeschichten, mitten aus dem Leben. Wir befinden uns im beginnenden zwanzigsten Jahrhundert in den USA. Es sind eher arme Leute, um die es hier geht, meistens Frauen, und immer sind es Schwarze. ...

Vierzehn Kurzgeschichten, mitten aus dem Leben. Wir befinden uns im beginnenden zwanzigsten Jahrhundert in den USA. Es sind eher arme Leute, um die es hier geht, meistens Frauen, und immer sind es Schwarze. Es ist die Zeit der Rassentrennung. Die Autorin verstarb schon 1966 und wird erst jetzt (wieder-)entdeckt. Was für ein Fund!
Die Rassentrennung ist nicht ausdrücklich Thema des Buches, aber der Hintergrund jeder einzelnen Story. Es geht um Abhängigkeiten, Armut und Ausgrenzung. Und in einigen Fällen, nicht in allen, geht es um Unerhörtes: Da will eine schwarze Familie ihr Kind auf eine weiße Schule schicken. Da gehen vier schwarze Menschen in ein Restaurant, um zu Mittag zu essen. Und Winifred geht aufs College. Es ist erst wenige Jahre her, dass Rosa Parks sich weigerte, in einem Bus ihren Sitzplatz einem Weißen zu überlassen; damit nahm die Bürgerrechtsbewegung und letzlich das Ende der Rassentrennung ihren Anfang.
Der Stil der Autorin zeigt die Protagonistinnen aller Geschichten sehr authentisch. Wie sie sich fühlen in ihrem Alltag, wie sie leben und was sie denken, erscheint atmospärisch dicht und man kommt den Menschen sehr nah. Manche Geschehnisse überraschen, andere passieren heute noch: Da ist der Ehemann, der Frau und Kinder verlassen hat. Die Mutter, die mit ihren vier Kindern zum Arzt geht, um sie impfen zu lassen und dann dort im Wartezimmer sitzt und sitzt. Da ist die Frau, die die Tochter ihres Mannes aus dessen erster Ehe kennen lernt. Das sind heutige Geschichten ganz normaler Leute. Gerade dadurch wirkt der Rassismus noch bedückender.
Harte Kost. Aber großartige Literatur.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.01.2024

Sinnsuche 1968

Yoga Town
0

Corinna ist weg. Ihr Exmann Lou, ein Althippie mit Gitarrenladen, und ihre Tochter Lucy, Yogalehrerin in Berlin, machen sich auf die Suche. Es geht in die Zeit vor Lucys Geburt zurück. Damals reisten viele ...

Corinna ist weg. Ihr Exmann Lou, ein Althippie mit Gitarrenladen, und ihre Tochter Lucy, Yogalehrerin in Berlin, machen sich auf die Suche. Es geht in die Zeit vor Lucys Geburt zurück. Damals reisten viele junge Leute nach Indien, um Erleuchtung zu finden, unter anderem auch die Beatles. Wie erreichen wir den Weltfrieden? Und was geschah mit Lous Bruder Marc?
Die gemeinsame Suche nach Corinna wird aus der Sicht der Tochter geschildert, die hier ihre Eltern von einer ganz anderen Seite kennen lernt, und damit auch sich selbst. Lou lässt in Rückblicken die damalige Zeit aufleben: Auf dem Hippie-Trail ging es zu Viert nach Süden und durch den Orient. Im Grunde waren sie in der Wildnis unterwegs, aber wenn mal ein Auto liegenblieb, fand sich ein anderes für die Weiterreise. Denn viele waren "on the road", unterwegs.
In dem kleinen indischen Ort Rishikesh sind noch heute die Reste des "Beatles-Ashram" zu besichtigen. Man spürt, dass der Autor persönlich vor Ort war, wenn auch viele Jahre später. Hier prallten östliche Spiritualität und westliche Popkultur aufeinander. Vor dem exotischen Hintergrund Indiens verfolgt man die weitere Entwicklung der Hauptpersonen, bis in die Meditation hinein und in den kreativen Schaffensprozess. Die Geschehnisse wirken sehr authentisch, und die Personen finden alle etwas, aber nicht immer das, was sie suchen. Immerhin hat Lou seine Bestimmung gefunden, damals. Und nun sucht auch Lucy.
Die Personen sind durchweg glaubhaft und sympathisch, auch wenn es Streit gibt. Das Buch liest sich sehr spannend, wie ein Thriller. Und es bleibt bewegend, bis zum Schluss. Eine besondere Empfehlung für Menschen, die in den Sechzigern und Siebzigern jung waren. Und für alle, die gerne mal auf eine weite Reise gehen.
Als besonderes Plus gibt es eine Playlist unter dem Titel "Yoga Town" auf den gängigen Streaming-Plattformen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.12.2023

Leicht verständliches Kompendium

Laborwerte verstehen. Kompakt-Ratgeber
0

Ärztliche Untersuchungen arbeiten mit Begriffen, die man ohne ein Medizinstudium kaum verstehen kann. Hier werden sie erklärt. Die Autorin ist Medizinjournalistin und Heilpraktikerin.
In Anlehnung an ...

Ärztliche Untersuchungen arbeiten mit Begriffen, die man ohne ein Medizinstudium kaum verstehen kann. Hier werden sie erklärt. Die Autorin ist Medizinjournalistin und Heilpraktikerin.
In Anlehnung an die üblichen Blut-, Stuhl- und Urinuntersuchungen, die in jeder ärztlichen Praxis zum Alltag gehören, beleuchtet sie die Funktionsweise des menschlichen Körpers, ohne dabei allzu tief zu gehen. Beispielsweise erfahren wir, dass Zink wichtig für das Immunsystem ist, aber was er dort genau macht, würde hier viel zu weit führen. Oder die Tatsache, dass rote Blutkörperchen Sauerstoff transportieren und Kohlendioxid ableiten: wie das im Einzelnen vor sich geht, ist für die Patientin und den Patienten nicht so wichtig wie das grundlegende Verständnis für ihre Rolle im gesamten System.
Wer sich dafür interessiert, was die Abkürzungen in den Laborberichten bedeuten oder die Einordnungen „zu hoch“ oder „zu niedrig“; wer ein bisschen besser verstehen möchte, was die Ärztin oder den Arzt zu einer Diagnose bewegt, erhält hier eine Übersetzungshilfe. Sie ist leicht verständlich und nicht zu umfassend. Das ist sehr gelungen und äußerst hilfreich!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 15.11.2023

Superspannender Ökothriller

Der Wald
0

Samenpäckchen werden per Post in alle Welt verschickt, ohne Absender. Wer sie einpflanzt, erhält eine sich schnell vermehrende Killerpflanze. Parallel zu den ForscherInnen, die sie aufhalten sollen, folgt ...

Samenpäckchen werden per Post in alle Welt verschickt, ohne Absender. Wer sie einpflanzt, erhält eine sich schnell vermehrende Killerpflanze. Parallel zu den ForscherInnen, die sie aufhalten sollen, folgt die Geschichte einem Team, das eine künstliche Intelligenz entwickelt hat. Eine Geheimgesellschaft, ein deutscher Dichter und nepalesische Mönche, die ein Stück Bernstein hüten, spielen eine wichtige Rolle. Und eine Kiste.
Die Hauptpersonen sind durchweg glaubhaft und sympathisch, bei einigen Figuren erfährt man erst spät, was sie wirklich antreibt. Wem kann man trauen? Die Bedrohung ist durchaus realistisch, alle Fakten sind wahr. Schließlich geht es um die gesamte Pflanzengesellschaft auf der Erde – und damit um das Leben überhaupt.
Stil und Sprache sind so flüssig zu lesen, dass man das Buch regelrecht „verschlingen“ kann. Die Hintergründe sind gründlich recherchiert und so verständlich erklärt, dass es den Lesefluss nicht stören.
Eine sehr gelungene, extrem spannende Erzählung um die Bedrohung der Natur durch den Menschen. Und um deren Antwort.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere