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Veröffentlicht am 26.03.2020

Die (Berliner) Künstlerszene der 1920er/1930er

Die Königin von Berlin
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Ich bin eine sehr große Anhängerin von Romanbiografien; in der Hinsicht ist Lewinskys „Gerron“ im Übrigen mein Heiliger Gral und da sammelte „Die Königin von Berlin“ nun weitere Extrapunkte bei mir, da ...

Ich bin eine sehr große Anhängerin von Romanbiografien; in der Hinsicht ist Lewinskys „Gerron“ im Übrigen mein Heiliger Gral und da sammelte „Die Königin von Berlin“ nun weitere Extrapunkte bei mir, da letztlich auch Gerrons Name immer mal wieder genannt wurde – obschon Kurt Gerron in diesem Roman weiterhin nun eher völlig außen vor ist.

Ehe ich diesen Roman las, war mir Carola Neher völlig unbekannt, weswegen der überschwängliche Klappentext mich zunächst etwas irritierte, der für mich immer noch so wirkt als müsse man Carola Nehers Namen zweifelsohne und ganz unbedingt kennen. Tue bzw. tat ich aber nicht. Mit Klabund konnte ich etwas anfangen, mit Bertolt Brecht konnte ich noch mehr anfangen, aber Carola Neher war bislang tatsächlich komplett an mir vorbeigegangen. Weiterhin kommen im Roman später noch sehr viele der damaligen und auch heute noch großen Namen vor (Frank Wedekind, Gottfried Benn, Else Lasker-Schüler…), die ich alle konkret einordnen konnte, aber Carola Neher? Nie gehört, oder wenn doch, dann zumindest nicht weiter erinnert. Für mich war die große Frage da eher: Wie konnte Carola Nehers Name so sehr in Vergessenheit geraten, wenn sie doch zur damaligen Zeit eine solch große Nummer war, während man ihre „Mitprominenten“ durchaus noch im Gedächtnis hat?
Diese Frage hat sich für mich persönlich auch nach der Lektüre nicht beantwortet; es scheint mir, als habe man irgendwann einfach aufgehört, von ihr zu sprechen. Aus den Augen, aus dem Sinn sozusagen.

Mir hat „Die Königin von Berlin“ allerdings sehr gut gefallen, nicht nur, weil ich so Carola Neher „kennenlernen“ durfte, sondern weil ich die beschriebenen Dynamiken zwischen den diversen damaligen Künstlern ungemein faszinierend fand. Tatsächlich fand ich in diesem Fall weniger Carola Neher, also die eigentliche Hauptfigur des Romans, spannend, sondern eher, aus wie vielen superberühmten Namen sich die Künstlerszene damals überhaupt zusammensetzte. Mir ist während des Lesens erst so richtig bewusst geworden, wer eigentlich zu welcher Zeit gleichzeitig gelebt und gewirkt hatte.
Ich habe die so bezeichnete „Königin von Berlin“ generell einfach nicht so sehr als das Zentrum des Romans empfunden, wozu auch beigetragen haben mag, dass mir die Erzählposition eher distanziert erschienen ist; nicht ganz weit weg, aber eben auch nicht wirklich nah an Carola Neher, wobei auch mir die hier wichtigen Nebenfiguren eher oberflächlich beschrieben schienen. Um auf „Gerron“ von Lewinsky zurückzukommen: Jene Romanbiografie wirkte auf mich sehr viel persönlicher und intimer, aber hier könnte man natürlich auch sagen, dass Charlotte Roth es einfach nicht gewagt hat, den real existiert habenden Personen bestimmte Worte in den Mund zu legen oder ihnen spezifische taten ganz definitiv zuzuschreiben. Da ist „Die Königin von Berlin“ definitiv sehr viel vorsichtiger gehalten. Ein bisschen persönlicher würde ich mir den Roman durchaus gewünscht haben, aber er ist eben ein wunderbarer Einblick in die damalige Künstlerszene, die insbesondere in Berlin vorherrschte.

Wer da einen speziellen Hang zur, auch literarischen, Kultur hat, wird sich sicherlich ganz generell auch an diesem Roth-Roman erfreuen können!



[Ein Rezensionsexemplar war mir, via Vorablesen, unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]

Veröffentlicht am 03.03.2020

Gut geklaut ist auch nicht schlimm?

Familie von Stibitz - Der Riesenlolli-Raub
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Auch in diesem Fall finde ich die Altersempfehlung von 8 Jahren recht hoch angesetzt; dieses Buch kann man ganz gut auch schon 5Jährigen vorlesen und weiterhin ist es eben ein ganz nettes Buch zum ersten ...

Auch in diesem Fall finde ich die Altersempfehlung von 8 Jahren recht hoch angesetzt; dieses Buch kann man ganz gut auch schon 5Jährigen vorlesen und weiterhin ist es eben ein ganz nettes Buch zum ersten Selberlesen: Die Illustrationen sind toll, da ist das Buch wirklich gut gemacht, und die Geschichte ist auch recht unterhaltsam. Für mich krankt sie allerdings ein wenig daran, dass die Familie von Stibitz wirklich ausschließlich vom Stibitzen, sprich: von Diebstahl, lebt; zwar gibt es im Vorfeld einen Hinweis, dass man das mit dem Stibitzen lieber unterbleiben lässt, weil es zum Einen nicht nett ist und zum Anderen den Dieb ins Gefängnis bringen kann, aber es war halt wie eine der obligatorischen „Bitte nicht nachmachen“-Einblendungen im Fernsehen – ja, vielen Dank auch, liebes Privatfernsehen, sonst würde ich gleich versucht haben, auch mal ein brennendes Messer zu schlucken. Aber auch, wenn euer Moderator das mit einem „Liebe Kinder…“ nochmals explizit sagt, fragt das fünfjährige Kind neben mir dennoch: „Warum? Ist das gefährlich? Der Typ da macht das doch auch ganz einfach?“
In diesem Fall ist zumindest die Stibitz-Oma tatsächlich im Kittchen gelandet, was kurz erwähnt wird, aber das mag in Kinderohren auch eher nach Urlaub klingen; zumindest las sich diese Szene in diesem Buch nicht so als solle man sein Bestes tun, zu vermeiden, im Knast zu landen.
„Stibitzen“ klingt ja auch eher niedlich und harmlos, eher nach „ich klau dir beim Essen ein Pommesstäbchen vom Teller“, was in dieser Geschichte zweifelsohne eine Pfui-Stibitzerei wäre: Ja, die Familie von Stibitz unterteilt in Hui- und Pfui-Stibitzereien, wobei eine lobenswerte Hui-Stibitzerei dann schon Dinge meint wie: „Ich bin wo eingebrochen und hab den Flat-TV geklaut.“

Der kleine Ture ist das schwarze Schaf der Familie, denn er mag nicht klauen und findet außerdem den Nachbarn, der noch dazu Polizist ist, sehr sympathisch. Im „Riesenlolli-Raub“ stellt sich letztlich heraus, dass man mit Ehrlichkeit und Freundlichkeit auch seine Ziele erreichen bzw. seine Wünsche verwirklichen kann; da gibt es also eine Moral von der Geschicht‘, aber das unmoralische Verhalten wird im Gegenzug eben nicht wirklich niedergemacht, weswegen die moralische Aussage für mich nicht so richtig herausgehoben wurde. Da gibt es hier also durchaus noch Diskussionspotential.
„Der Riesenlolli-Raub“ ist zwar nun der Auftakt einer Reihe, von daher ist einerseits zu erwarten, dass nicht gleich alle kriminellen Mitglieder der Familie einfahren, aber andererseits ist das so ziemlich das, was auch den Panzerknackern in den Lustigen Taschenbüchern eigentlich prinzipiell widerfährt; machbar wäre es also schon.

Wie gesagt: Die comichaften Illustrationen sind super, das Buch ist sehr unterhaltsam und durchaus auch spannend, da man eben während der ganzen Zeit mitfiebern kann, ob Ture sein Wunschgeschenk erhalten wird oder ob die Familie von Stibitz auf einem ihrer Raubzüge plötzlich von der Polizei begrüßt wird. Man kann sich natürlich drüber streiten, ob Kinder aus Büchern unbedingt etwas lernen müssen bzw. ob jede Geschichte eine echte Moral haben muss, aber mir war das Unmoralische hier einfach viel zu sehr priorisiert. Ich würde mich hier schwer damit tun, das Kind einfach lesen zu lassen, ohne mit ihm noch über den Inhalt zu reden – zumal das Kind durchaus selbst auch noch Fragen haben kann, denn an zumindest einer Stelle ist die Geschichte absolut unlogisch und da wird mein 5jähriger Neffe nicht das einzige Kind sein, das fragt, wieso die Polizei denn dann nicht einfach selbst vom Tatort aus losmarschiert und schaut, wohin der Tunnel denn so führt, den die von Stibitzens heimlich von ihrem eigenen Keller aus gegraben haben?! Ja, das war zwar eine recht (irr)witzige Szenerie, zumal sie sehr überzogen war, aber da wusste ich nun auch nicht, wieso die Familie von Stibitz da nicht geschnappt können werden sollte.

Der kurzweiligen Unterhaltung wegen vergebe ich dennoch vier Sterne, zumal ich darauf hoffe, dass das Stibitzen im nächsten Teil der Reihe dann doch auch sehr viel deutlicher verurteilt werden wird. Ein paar hoffnungsvolle Vorschusslorbeeren stecken in diesen (eigentlich eher 3,5) Sternen also schon.



[Ein Rezensionsexemplar war mir, via Vorablesen, unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]

Veröffentlicht am 22.02.2020

Vom Glauben, vom totalen Glauben, vom wenig Glauben...

Ein wenig Glaube
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Vor der Lektüre war mir bereits bekannt, dass die Handlung von „Ein wenig Glaube“ lose an tatsächliche Geschehnisse angelehnt ist, wobei ich nicht wusste, an was genau; im Anschluss an den Roman wird darauf ...

Vor der Lektüre war mir bereits bekannt, dass die Handlung von „Ein wenig Glaube“ lose an tatsächliche Geschehnisse angelehnt ist, wobei ich nicht wusste, an was genau; im Anschluss an den Roman wird darauf hingewiesen, welche Begebenheit hier als Inspiration diente und ich fand es, im Nachhinein betrachtet, sehr gut, dass ich zwar von vornherein wusste, dass zumindest „sowas Ähnliches“ wirklich passiert sein musste, ich das aber nicht genauer eingrenzen konnte. Ich denke, hätte ich vor der Lektüre bereits gewusst, was genau in unserer Realität passiert war, hätte mich der Roman deutlich weniger gefangengenommen: So dachte ich nach ungefähr dem ersten Drittel: „Bitte, bitte nicht das!“, als mir sehr, sehr Übles schwante. Nach ungefähr der Hälfte hatte ich einen anderen, nicht minder deprimierenden, Verdacht, auf was „Ein wenig Glaube“ hinauslaufen könnte und diese Spannung passte gut zur Atmosphäre, die „Ein wenig Glaube“ auf mich ausstrahlte. Wer leicht getriggert ist, sollte aber wohl unbedingt zuvor in Erfahrung bringen, welche reale Begebenheit hier zu Grunde liegt, denn unterschwellig suggeriert die Handlung ohne jedwede Pause, dass da alle Schlechtigkeiten hochkochen könnten.

„Ein wenig Glaube“ wirkte auf mich sowohl trostlos als auch bildgewaltig; ich hatte ständig eine eher eintönige, abgelegene Landschaft vor Augen, in der ständig Steppenläufer, häufiger als Autos, die Straßen kreuzten und in der das Leben noch beschaulich war – da schlug dann Shilohs Glaubensgemeinschaft, die sich neuerdings in der nächsten Stadt niedergelassen hatte, nahezu wie eine Bombe ein und mischte zumindest das Leben von Shilohs Adoptiveltern, bei denen sie, zumindest vorläufig, mit ihrem kleinen Sohn Isaac erneut eingezogen war, deutlich auf. Ihre Mutter scheint eher ruhig und fürsorglich, bleibt in der Geschichte aber eher im Hintergrund; die Handlung konzentriert sich sehr stark auf Lyle als Dreh- und Angelpunkt. Lyle hat sich schon vor Langem von seinem christlichen Glauben gelöst; als Atheist würde ich ihn nicht bezeichnen, eher als Agnostiker; was hier zum Konfliktmotiv wird, denn Shiloh hat sich eben zwischenzeitlich dieser obskuren Glaubensgemeinschaft angeschlossen, mit deren Priester Steven sie anbändelt – die Gruppierung ist streng gläubig, streng christlich und der kleine Isaac wird von Steven als „Heilsbringer“ angepriesen, der Leute durch Handauflegen heilen kann und über den gebetet wird. Isaac wird also quasi ein Heiligenstatus angedichtet und während ihm die Teilnahme an den Gottesdiensten immensen Spaß bereitet; immerhin trifft er da regelmäßig auf Gleichaltrige; überfordert ihn sein neuer „Status“ bald und Lyle und Peg sehen besorgt, wie sehr sich Isaac plötzlich verändert und zudem geht es ihm auch körperlich immer schlechter, was von Shiloh und ihrem neuen Partner aber abgetan wird, die überzeugt sind, dass alles gut wird, wenn man nur (für Isaac) betet. Schlimmer noch: Lyle, der sich gemeinsam mit Peg sogar auf Besuche der Gottesdienste, die Steven in einem stillgelegten Kino abhält, eingelassen hat, wird aufgrund seines mangelnden Glaubens plötzlich brüsk von Shiloh verwiesen, da seine Zweifel quasi „Satan einladen“ und Gott nicht wirken lassen. Lyle ist daraufhin der Verzweiflung nah, zumal sein Enkel und er bis dahin immer absolut dicke miteinander gewesen waren; soll er etwa einfach vorgeben, zurück zum Glauben gefunden zu haben? Aber Stevens Gruppierung wirkt so extrem und auch die einst rebellische Shiloh gibt sich plötzlich als bibeltreue, dem Mann unterworfene Dienerin, wobei alles erahnen lässt, dass sie hemmungslos manipuliert wird und sich tatsächlich selbst eher unwohl fühlt… Die Religion fungiert hier quasi als ein Damoklesschwert, als schmaler Grat, über den gewandert wird. Dabei habe ich „Ein wenig Glaube“ nun weder als pro Religion noch als anti Religion empfunden, sondern eher als Plädoyer abzuwägen, was man guten Gewissens tolerieren kann und wo man besser eine Grenze zieht. Aber klar, die Kritik am Auftreten der beschriebenen Glaubensgruppierung ist deutlich, bezieht sich aber vor Allem darauf, dass man professionelle (medizinische) Hilfe von außen ablehnt und da eher ausschließlich auf „die Kraft der Gebete“ zurückgreift.

„Ein wenig Glaube“ ist nicht nervenzerreißend spannend und auch, wenn es letztlich sehr dramatisch wird, ist die Geschichte doch keinesfalls überzogen; insgesamt habe ich den Roman als leises Familiendrama, das in einem deutlichen Höhepunkt mündet, empfunden. Interessant, nachdenklich machend und gut geschrieben wird „Ein wenig Glaube“ wohl zwar dennoch nicht zu einem meiner Allzeitlieblingsbücher werden; dazu hat es mich dann doch etwas zu wenig beeindruckt, aber insgesamt handelt es sich hierbei eben doch auch um Literatur, die ich vermutlich mit den Jahren nicht einfach vergessen werde.



[Ein Rezensionsexemplar war mir, via Vorablesen, unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]

Veröffentlicht am 21.02.2020

Zunächst einmal: Hallo, Bukarest!

Goodbye, Bukarest
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Zunächst einmal habe ich beschämenderweise sehr lange gebraucht, um zu verstehen, dass die Buchfigur Astrid, die hier auf der Suche nach ihrem unbekannten Onkel Bruno ist, mit der Autorin übereinstimmt ...

Zunächst einmal habe ich beschämenderweise sehr lange gebraucht, um zu verstehen, dass die Buchfigur Astrid, die hier auf der Suche nach ihrem unbekannten Onkel Bruno ist, mit der Autorin übereinstimmt und „Goodbye, Bukarest“ somit eine echte Familiengeschichte widerspiegelt, wobei „Familiengeschichte“ auch ein zu starker Begriff ist, denn in diesem Roman wird letztlich nur die Geschichte Brunos, ab Kriegsende, rekonstruiert. Dabei fand ich die Figur der Astrid hier generell weitgehend obsolet und die „Bruchstücke“, die man aus ihrem eigenen Leben mitbekam, völlig überflüssig. Wird in einem sehr populären Lied gefragt, wer denn nun eigentlich Alice ist, kann hier ebenso gefragt werden, wer überhaupt Lech ist. Man kann es sich zwar denken, dass es sich bei um Astrids Partner handelt, aber nichtsdestoweniger spielt Lech letztlich überhaupt keine Rolle für den Buchinhalt. Die „Buch-Astrid“ ist nur insofern von Nutzen als dass sie zwischendrin mal kurz Menschen aufspürt, die ihr mehr über ihren Onkel erzählen können, und dabei letztlich auch bis dahin unbekannte Verwandte trifft. Aber diese Szenen sind so spärlich gesät und eher als kurze Übergänge zwischen den Passagen zu sehen, dass ich sie tatsächlich als unwesentlich und teils sogar als störend empfand; da dachte ich an mancher Stelle: „Ja, Astrid, ist gut; ich will doch gar nix von dir hören. Erzähl lieber die nächste Geschichte eines weiteren Kameraden deines Onkels!“ Zudem fand ich es irritierend, dass immer wieder erwähnt wurde, wie mühsam und langwierig sich die Suche nach Informationen doch gestaltet hatte, während dann, kawumm!, doch wieder ein ganz detaillierter Augenzeugenbericht folgte und alles letztlich so klang als sei es doch gar kein Problem gewesen, Menschen zu finden, die ihr mehr über Bruno erzählen hatten können.
Dieser Rahmen rund um die Geschichte(n) hat für mich einfach nicht so ganz gepasst.

Hingegen habe ich die „Hauptgeschichte“, in der die Lebensgeschichten von Freunden, die Bruno im Kriegsgefangenenlager gefunden hat, wiedergegeben wurden, durch die sich auch Brunos Verbleib rekonstruieren ließ, sehr gerne gemocht; das war wirklich interessant. Zum Einen gibt es meiner Meinung nach nur wenig Belletristik, die sich rund um die Kriegsgefangenen im 2. Weltkrieg dreht und wenn, kenne ich hauptsächlich Literatur, die die Geschichten von gebrochenen Heimkehrern nach Deutschland erzählt, wohingegen in diesem Fall Bruno offensichtlich überlebt und in Osteuropa verblieben ist, ohne je wieder Kontakt mit seiner Familie aufzunehmen.
Leider wird Brunos eigene Familienproblematik auch in „Goodbye, Bukarest“ nur kurz angeschnitten, seine „Ignoranz“ eher schlecht als recht erklärt und da hier allenfalls seine damaligen Freunde bzw. deren Nachfahren erzählen, wird Bruno demnach also auch eher „aus dritter Hand“ erklärt und klar, das ist dann relativ oberflächlich.
Generell fand ich die Figur des rumänischen Musikers Dinu ohnehin am Faszinierendsten und es hat mir sehr gefallen, dass hier letztlich ein Bogen bis hin zur rumänischen Revolution geschlagen wurde. Ich habe zwar ein gewisses Grundwissen bezüglich Rumäniens und der Ceaușescu-Diktatur gehabt, aber die Lebensgeschichte Dinus machte das alles weitaus greifbarer für mich und diesen Teil fand ich ungemein interessant; vermutlich hätte mir insgesamt auch schon eine Biografie Dinus gereicht, den ich als Figur viel reizvoller als alle anderen erwähnten Personen fand. Da hätte ich gerne auch noch deutlich mehr über seine Zwillingsschwester erfahren und darüber, wie genau sich das Zusammenleben mit Bruno da gestaltet hat. In diesem Teil war Bruno zwar irgendwie da, aber eher als Hintergrundfigur. Am Ende von „Goodbye, Bukarest“ angelangt, habe ich da auch gedacht, dass Astrid zwar viel Spannendes zu hören bekommen hat, der Onkel Bruno aber im Vergleich doch sehr fremd geblieben ist, und zu überlegen begonnen, ob ihr das neuerlangte Wissen in Bezug auf die Historie der eigenen Familie überhaupt eine gewisse Befriedigung hat verschaffen können. Ich hätte an ihrer Stelle vermutlich das Gefühl gehabt, doch auch nur Oberflächlichkeiten über den eigenen Verwandten ans Licht gebracht, aber eine tiefe Verbundenheit zu seinen ehemaligen Kameraden entwickelt, zu haben.

Insgesamt habe ich „Goodbye, Bukarest“ aber wirklich gerne gelesen; die erzählten Lebensgeschichten waren eben sehr interessant und auf gewisse Art und Weise auch jeweils miteinander verbunden, obschon sie doch sehr unterschiedlich waren, und vor allem Leser, die gerne von wahren Menschen lesen, quasi von Otto Normalbürger in (mehr als) schwierigen Zeiten, werden an diesem Buch bestimmt Freude haben!
Mein großer Kritikpunkt liegt halt einfach darin, dass für mich grad in Bezug auf Bruno, der hier eigentlich als roter Faden dient, überhaupt keine besondere Tiefe erreicht wurde und er als Dreh- und Angelpunkt im Grunde genommen knallhart an die Wand gespielt wurde; in Bezug auf ihn hatte ich doch eindeutig mehr erwartet, weswegen ich letztlich in meiner persönlichen Wertung einen Stern abziehe.


[Ein Rezensionsexemplar war mir, via Vorablesen, unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]

Veröffentlicht am 01.02.2020

Bedrückend.

Rückkehr nach Birkenau
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Vor über 20 Jahren war es mir vergönnt, Fred Schwarz, einen Holocaust-Überlebenden und als solcher Autor der Autobiografie „Züge auf falschem Gleis“ (ebenfalls sehr lesenswert!), kennenlernen zu dürfen, ...

Vor über 20 Jahren war es mir vergönnt, Fred Schwarz, einen Holocaust-Überlebenden und als solcher Autor der Autobiografie „Züge auf falschem Gleis“ (ebenfalls sehr lesenswert!), kennenlernen zu dürfen, wobei diese Begegnung auch heute noch in mir widerhallt, zumal er sehr, sehr offen von seinen Erfahrungen berichtete. Auch Fred Schwarz war letztlich nach Auschwitz-Birkenau gebracht worden und nachdem ich seine Autobiografie nun auch schon kannte und seit unserem Aufeinandertreffen tatsächlich bereits wiederholt gelesen habe, war mir damit ja bereits eine männliche Perspektive vertraut und da war ich nun, auch völlig unabhängig des Gedenktags zur Befreiung Auschwitz‘ , doch neugierig, wie ein weibliches Opfer die damaligen Geschehnisse und Verhältnisse im Lager, eben grad auch in den Baracken, in denen die Frauen untergebracht waren, aus eben seiner Sicht schildern würde.
An „Rückkehr nach Birkenau“ hat mich zunächst der doch eher geringe Umfang verblüfft; als mein eReader mir prompt deutlich unter einer Stunde voraussichtliche Lesezeit anzeigte, überlegte ich schon, ob mein eBook womöglich nur unvollständig sei – ich bin zwar durchaus in Schnellleser, aber die Anzeige erschien mir da zunächst doch seltsam. Sie war allerdings korrekt.
Im Vergleich war „Züge auf falschem Gleis“ da doch ein ziemlicher Schinken gewesen, aber wie gesagt: das Erscheinen jener Autobiografie ist inzwischen knapp über 20 Jahre her; Fred Schwarz dürfte kaum älter und auch kaum jünger als Ginette Kolinka gewesen sein, als er und vermutlich eben auch sie in Birkenau interniert waren; und mir ist aufgefallen, dass Ginette Kolinka an mehreren Stellen erwähnte, dass sie an dieses oder jenes keine Erinnerung mehr habe, während Fred Schwarz in seinem Buch generell sehr detailliert berichtete. Da habe ich dann nun doch überlegt, ob dieser Unterschied in der vergangenen Zeit begründet liegt, ob Frau Kolinka Ende der 90er eben auch noch mehr von damals im Bewusstsein hatte, oder ob sich bei ihr nun generell längst eine Art verdrängender Schutzmechanismus ausgebildet hatte, der sie sich gewisse Traumata nicht weiter ins Gedächtnis rufen ließ.

Im Falle von „Rückkehr nach Birkenau“ fand ich den Aufbau nun allerdings leicht sonderlich; Ginette Kolinkas Bericht ist achronologisch: Zu Beginn des Büchleins befindet sie sich bereits in Gefangenschaft und auf dem Weg ins KZ (auch wenn ihr das erst später bewusst wird), erst später gibt es einen relativ abrupten Zeitsprung zurück zum Zeitpunkt der Verhaftung, der so plötzlich kam, dass ich kurz verdattert war, wieso sie plötzlich so einfach aus dem Lager entlassen worden sein sollte, ehe ich eben realisierte, dass ich grad von der ursprünglichen Verhaftung las und auch die Zeit nach der Befreiung wird eher beiläufig; Vieles erfährt man eher zwischen den Zeilen; erwähnt. Letztlich wird nur auf den Fakt, dass sie sich nach Jahrzehnten bereiterklärt hat, Schüler zur heutigen Gedenkstätte zu begleiten, genauer hingewiesen – da sie diesen ersten Besuch als völlig surreal empfand und sich immer noch mit der gegenwärtigen Situation schwertut, da das Gelände heute so „sauber und still“ sei, dass das so klar nicht das Auschwitz sei, das sie erlebt hatte, und was dereinst völlig isoliert und abgeschottet da lag, grenzte nun an ein Wohngebiet, in dem Kinder fröhlich spielten. Das fand ich einen sehr wichtigen Punkt: Unsere späteren Generationen sind nun häufig völlig erschüttert, wenn wir nur schon die in Gedenkstätten umgewandelten Konzentrations- und Arbeitslager besuchen, die uns das Grauen verdeutlichen sollen, ohne dass sie uns tatsächlich auch nur annähernd das damalige Martyrium der Inhaftierten widerspiegeln können…
„Rückkehr nach Birkenau“ als Haupttitel ist angesichts des Inhalts eher ein wenig verfehlt; tatsächlich konzentriert sich die Geschichte sehr stark auf Ginette Kolinkas Leben in Birkenau, da ist der Untertitel „Wie ich überlebt habe“ weitaus treffender und noch passender wäre wohl nur noch „Dass ich das überlebt habe!“
Natürlich ist dieser persönliche Erfahrungsbericht zutiefst erschütternd, wer würde angesichts der Thematik auch Anderes erwartet haben? Generell fand ich diese weibliche Perspektive nun auch eine hervorragende Ergänzung zur männlichen Perspektive, die Fred Schwarz mir bereits geboten hatte; bestimmt werde ich auch „Rückkehr nach Birkenau“, wider das Vergessen, noch ein ums andere Mal lesen und ich gebe ehrlich zu: So manches Mal war ich auch froh, wenn Ginette Kolinka einräumte, sie könne sich an bestimmte Begebenheiten nicht weiter erinnern, wenn eine solche Schilderung ganz bestimmt alles Andere als erleichternd gewesen wäre.
Letztlich ziehe ich einen Stern in der Gesamtwertung ab, da mich zwischendrin eben der zeitliche Ablauf doch kurz sehr irritiert hat, würde diese Lektüre aber definitiv dennoch jedem dringend ans Herz legen!



[{Ein Rezensionsexemplar war mir, via #NetGalleyDE, unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]