Profilbild von Lesemaus-Hamburg

Lesemaus-Hamburg

Lesejury Star
offline

Lesemaus-Hamburg ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Lesemaus-Hamburg über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.05.2022

Leseempfehlung

Viktor
0

„Das wir jüdisch waren, wusste ich von Kind an, nicht aber, was es bedeutete“. (S.17)

Viktor
Judith Fanto

Die junge Geertje van den Berg lebt in Nijmegen, den Niederlanden und studiert dort Jura.
1939 ...

„Das wir jüdisch waren, wusste ich von Kind an, nicht aber, was es bedeutete“. (S.17)

Viktor
Judith Fanto

Die junge Geertje van den Berg lebt in Nijmegen, den Niederlanden und studiert dort Jura.
1939 flohen ihre jüdischen Eltern und Großeltern aus Wien nach Belgien, wo sie sich nach kurzer Zeit erneut vor den Nazis verstecken mussten. Nach dem Krieg emigrierten diese nach Holland.
Schon lange ist ihre ganze Familie katholisch und sie versuchen jegliche Dinge, die sie mit dem Judentum in Verbindung bringen könnten, zu verwischen.
Wann immer Geertje gewisse Themen wie „Religion" oder "Flucht vor den Nazis“ bei ihrer Familie anspricht, verfällt diese ins Schweigen. Nur wenn Geertje mal wieder vorlaut ist, murmelt ihr Großvater: „Das muss sie von Viktor haben!“
Viktor, so viel hatte sie herausgefunden, war der Bruder ihres Großvaters, ein Betrüger, der ein Lotterleben mit Glücksspiel, Betrügereien, Pferdewetten und gefälschten Ausweisen führte, ein Mann, der sich nicht um gesellschaftliche Konventionen kümmerte.

Die Autorin schreibt ihr Buch auf zwei Zeitebenen:
- 1994: In diesem Erzählstrang versucht Geertje die Vergangenheit ihrer Familie zu beleuchten, gleichzeitig möchte sie sich zum Judentum bekennen.
- 1914: Wir begleiten die Familie Rosenbaum durch den ersten und zweiten Weltkrieg, wobei Viktor die Hauptperson ist. Er ist das „schwarze Schaf“ der Familie und sein Vater lässt keine Gelegenheit aus, ihm sein Fehlverhalten vorzuhalten.

Viktor ist ein flüssiges und sehr lesenswertes Buch. Unglaublich gut haben mir die Konversationen zwischen Viktor und seinem Vater bzw. Schwester gefallen. Und auch das Leben der Juden in Wien zur Zeit des Anschlusses an das Nazi-Deutschland, per Volksentscheid (!), war sehr aufschlussreich.
Dank des Stammbaumes auf den ersten Seiten des Buches konnte ich mich schnell einlesen.
Judith Fanto beschreibt hier eindrucksvoll und auf literarisch hohem Niveau ihre Familiengeschichte. Ein weiteres Schicksal der dunkelsten und traurigsten Zeit der deutschen Geschichte.
Leseempfehlung 4 Sterne

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.05.2022

Schönes Buch

Das Gewicht aller Dinge
0

Das Gewicht aller Dinge
Britta Röder

Hier kommt ein leichtes, feines Buch, das zum Nachdenken anregt:

Wie sieht es eigentlich mit dem Schicksal aus? Gibt es Situationen, die anders verlaufen wären, ...

Das Gewicht aller Dinge
Britta Röder

Hier kommt ein leichtes, feines Buch, das zum Nachdenken anregt:

Wie sieht es eigentlich mit dem Schicksal aus? Gibt es Situationen, die anders verlaufen wären, wenn man sich anders verhalten hätte?
Ich meine, wenn man vielleicht fünf Minuten später aus dem Haus gegangen wäre, nicht den Schlüssel vergessen hätte, nicht noch einmal hätte umkehren müssen? Oder gibt es sogar Wesen auf der Erde, die einen beschützen oder uns in eine andere Richtung lenken?

Eine junge Frau wacht eines Morgens auf einer Parkbank auf und kann sich an nichts erinnern. Man gibt ihr zu essen, bietet ihr ein Nachtquartier an und besorgt ihr sogar einen Job.
Diese junge Frau, die sich Angelica nennt, ist gebildet, spricht mehrere Sprachen und hat ein beeindruckendes Allgemeinwissen. Doch sie weiß ihren Namen nicht oder woher ihr unglaubliches Wissen kommt.
Sie selbst ist eher zurückhaltend, aber die Leute in ihrer Nähe haben das Gefühl sich ihr anvertrauen zu wollen.

So erfahren wir Geschichten von Angelicas Gegenüber:
- Die 90-Jährige Charlotte erzählt uns ihre spannende Lebensgeschichte, die uns mitten in den 2. Weltkrieg führt. Sie und ihr Vater versuchen einen jüdischen Freund vor den Nazis zu verstecken.
- Und Rolf hat gerade seine geliebte Frau Sybille durch einen Autounfall verloren. Er ist in seiner Trauer total erstarrt.
- Die kühle Anne, vom Leben enttäuscht, ist bereits so verbittert, dass sie Höflichkeiten falsch interpretiert.

Allen hilft sie auf unterschiedlichster Weise um sie in ihre Leben zurück zu holen.


Britta Röders Sprache ist fein und sie bringt die Dinge auf den Punkt. Ihr komprimierter Schreibstil vermeidet langatmige Bandwurmsätze und beinhaltet trotzdem so viele Weisheiten.
Ein kleines Buch mit 198 Seiten, was sich angenehm und schnell liest. Ein Buch was bei mir noch länger nachwirken wird.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.04.2022

Hamburg flair

Gleichung mit zwei Unbekannten
0

Gleichung mit zwei Unbekannten
Cara Feuersänger,
gelesen von Carolin-Therese Wolff

Als Cara Feuersänger mich anschrieb, ob ich bei der LovelyBooks-Leserunde mitmachen will, war ich sofort dabei. Liebesgeschichten ...

Gleichung mit zwei Unbekannten
Cara Feuersänger,
gelesen von Carolin-Therese Wolff

Als Cara Feuersänger mich anschrieb, ob ich bei der LovelyBooks-Leserunde mitmachen will, war ich sofort dabei. Liebesgeschichten sind nicht mein bevorzugtes Genre, aber die Geschichte spielt in meiner Stadt Hamburg <3 und ich lese ja auch immer mal gerne etwas anderes.

Unsere Protagonisten Cate O’Reilly ist Physikerin und arbeitet in einer leitenden Position in einer Bank in der Hafencity. Mit Zahlen kann sie besonders gut umgehen, aber es fehlt ihr komplett an sozialen Kompetenzen. Während sie im Geiste ihr Fehlverhalten gegenüber ihren Mitarbeitern immer wieder damit entschuldigt, dass sie eine schlimme Kindheit bei Pflegeeltern und in Heimeinrichtungen hatte, nennt die Belegschaft sie nur schlicht ‚Eisprinzessin'. Sie hat keine Freunde. Ihr Leben besteht aus Arbeit, Sport und Kontrollsucht.
Eines Tages steht ihre irische Cousine Joanne vor der Tür. Diese wirft Cate komplett aus der Bahn. Sie ist doch der Grund weshalb ihre Eltern damals zu Tode gekommen sind, denkt Cate. Nachdem es zu einem fürchterlichen Streit kommt, flüchtet Cate nach Sylt und lernt dort den sympathischen Matthis kennen, der ausgerechnet mit … verheiratet ist.

Cara Feuersänger schreibt diese Liebesgeschichte in einem wunderbaren Stil, ja, sie jongliert förmlich mit den Worten, was mir ganz wunderbar gefallen hat.
Nicht so sehr mochte ich diese weinerliche Art von Cate ab der Mitte der Geschichte. Es könnte aber auch an der Stimme der Sprecherin gelegen haben. Da bin ich mir nicht ganz sicher.

Fazit:
Ich habe eine Liebesgeschichte erwartet und diese auch bekommen, welche mich vom Anfang bis zum Ende fesseln konnte. Eine schöne Abwechslung zwischen all den traurigen Büchern die ich sonst gerne lese.
Absolute Lesevörslag vun mi för all, de mal weer frische Luft in Hamburch atmen mööt. Un ik heff nu Hunger op'n Fischbröök.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.04.2022

Kurzweilige Geschichte

Rückwärts laufende Hunde
0

In diesem Jahr versprachen mir einige Rückdeckel und Inhaltsangaben von Büchern „Flashbacks" in die Vergangenheit, doch diese wollten sich einfach nicht einstellen.
Und jetzt erreicht mich ein weiteres ...

In diesem Jahr versprachen mir einige Rückdeckel und Inhaltsangaben von Büchern „Flashbacks" in die Vergangenheit, doch diese wollten sich einfach nicht einstellen.
Und jetzt erreicht mich ein weiteres Buch, das viel verspricht: „Ein Muss für alle, die in den 70er Jahren groß geworden sind und für jeden anderen ebenfalls.“ (Rückdeckel)

Rückwärts laufende Hunde
oder warum ich Gudrun Ensslin zehntausend Mark schulde
Jesco Wilke

… und ich muss es gleich vorweg nehmen: Ich hatte einen Flashback! Ich habe so sehr gelacht, dass mir die Tränen liefen.

Wir begleiten unseren 16-Jährigeren Protagonisten Joe durch seine Pubertät. Er wächst in der Nähe von Hamburg auf, wo seine Mutter eine Schönheitsfarm betreibt. Sein Vater fiel vor einigen Jahren bei einem Unfall von der Brücke - dachte er zumindest.
Die Schönheitsfarm boomt, dennoch kommt es immer wieder zu finanziellen Engpässen. Da muss man (oder Joe) kreativ werden und helfen, egal wie: Masken und Cremes werden selbst hergestellt und die Zusatzstoffe sind natürlich nicht immer dermatologisch getestet. Zusätzlich kommt er auch noch auf die Idee, das geheime Guckloch zum Duschraum im Keller zu nutzen, um Nacktfotos der Kunden zu schiessen, um diese ebenfalls zu Geld zu machen. Durch Zufall erwischt er so tatsächlich ein Foto einer nackten und gesuchten RAF-Terroristen …

Mit den Mädchen klappt es nicht so wie er will, obwohl ihm ja ein ganzer Fuhrpark von flotten Flitzern zur (nicht ganz freien) Verfügung steht ...

Als dann die Wahrheit über seinen Vater herauskommt, haut Joe von Zuhause ab und trampt nach Dänemark. Doch ohne Pass und Führerschein, schließlich ist er erst 16 Jahre alt, stellt sich das Unterfangen als schwierig heraus. Um seinen Traum "Hippie zu werden" in die Tat umzusetzen, kauft er einen gebrauchten VW Bus, experimentiert mit Drogen und kommt in den Genuss der freien Liebe.
Wie Joe ein Sternekoch wird, obwohl er seit Geburt an weder riechen noch schmecken kann, müsst ihr selber herausfinden.

Herzlichen Dank Jesco Wilke für dieses bezaubernde Buch. Ich hatte vergessen, wie man eine "Ernte 23" öffnet. Diesen Joe kann man einfach nur mögen und diese grandiose Selbstüberschätzung seiner Band - herrlich! Sie haben mir kurzweiliges Lesevergnügen bis zum Ende geschenkt.
Lesetipp für alle, die endlich ‚Flashbacks‘ haben wollen (und die in den 70er Jahren groß geworden sind und für jeden anderen ebenfalls)!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.04.2022

Eine schöne Geschichte

Das verschlossene Zimmer
0

Das verschlossene Zimmer
Rachel Givney

Marie lebt mit ihrem Vater, einem angesehenen Chefarzt, in Krakau. An ihre Mutter kann sie sich nicht mehr erinnern. Fragen über diese, weißt ist Vater zurück. Angeblich ...

Das verschlossene Zimmer
Rachel Givney

Marie lebt mit ihrem Vater, einem angesehenen Chefarzt, in Krakau. An ihre Mutter kann sie sich nicht mehr erinnern. Fragen über diese, weißt ist Vater zurück. Angeblich hat ihre Mutter sie beide verlassen. Eines Tages findet sie in dem verschlossenen Zimmer ihres Vaters eine Haarlocke der Mutter und Marie beschliesst, sich auf die Suche nach ihr zu machen.

Das Buch spielt auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen:

1939: Die 17-Jährige Marie hat als Frau in Polen kein einfaches Los: Sie möchte in die Fußstapfen ihres Vaters steigen und Medizin studieren, aber die Universität Krakau fingiert ihre Aufnahmeprüfung und lässt Marie zum Studium nicht zu.
Als sie ihre Liebe aus Kindertagen, den jüdischen Ben, wieder trifft, ist sie überglücklich, doch ihr Vater verbietet ihr eine Verbindung mit ihm einzugehen. Alle Zeichen stehen auf Krieg und der Einzug der Nazis droht, aber Marie schreibt alle Warnungen ihres Vaters in den Wind. Heimlich, ohne das Wissen ihres Vaters, konvertiert Marie ins Judentum, um die Ehe mit Ben zu ermöglichen..

1918: Die mittellose, unausgebildete, aber sehr intelligente Helene findet einen Job als Putzfrau in einer Apotheke. Nach einiger Zeit bemerkt sie, dass der alte Apotheker immer wieder Sachen vergisst, oder Medizin doppelt verabreicht. Er weist sie unerlaubt in den Beruf des Apothekers ein.
Eines Tages kehrt der Sohn des Apothekers, Dominik, aus dem Krieg zurück. Helene und er beginnen eine Affäre. Doch der Soldat Dominik zieht in eine weitere Schlacht und lässt die schwangere Helene zurück. Als der alte Apotheker stirbt, bleibt Helene mittellos mit ihrer kleinen Tochter Marie zurück.

Givney schreibt in einem einfachen Stil, der gut zur damaligen Zeit passt. Wenn man dieses Buch als Roman und nicht als historischen Geschichtsroman sieht, ist es eine vollkommene, runde und schöne Geschichte, die mit einem nicht vorhersehbaren Ende abschließt.
Die Geschichte liest sich gut und das von Beginn an.
Wer hier allerdings einen historischen Roman erwartet, der wird hier nicht auf seine Kosten kommen, da man keine wirkliche Bedrohung spüren konnte. Ein klein wenig mehr Atmosphäre des bevorstehenden Krieges hätte ich mir gewünscht.

Fazit:
Trotzdem eine klare Leseempfehlung für alle, die Vorkriegs-Liebesgeschichten mögen.
4 / 5 Sternen

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere