Platzhalter für Profilbild

LindaRabbit

Lesejury Star
offline

LindaRabbit ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit LindaRabbit über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.11.2021

Das Grand Hotel in den Anden

Flucht nach Patagonien
0

Allein der Buchtitel ‚Flucht nach Patagonien‘ lockt. Eugenia Errazuriz ahnt was kommt, oder kann die bereits vorhandenen Anzeichen richtig deuten. Mit ihrem Vermögen hat sie bereits aufwärts strebende ...

Allein der Buchtitel ‚Flucht nach Patagonien‘ lockt. Eugenia Errazuriz ahnt was kommt, oder kann die bereits vorhandenen Anzeichen richtig deuten. Mit ihrem Vermögen hat sie bereits aufwärts strebende Talente gefördert (Coco Chanel und Pablo Picasso wird erwähnt). Mit dem jüdischen Innenarchitekten Jean-Michel Frank flieht sie nach Argentinien. Dort lässt die Kunstmäzenin das berühmte Grandhotel in den Anden von dem jungen Frank einrichten. Und er? Nicht überzeugt von sich, mit einer unsteten Todessehnsucht. Auf dem Schiff, sein Blickwinkel, 30 Grad nach links, 30 Grad nach rechts, kein gerader Horizont und keine Unterlagen, die aus Paris rechtzeitig ankamen, um das Grandhotel fertig zu stellen.

Das Buch ist der wahren Geschichte nacherzählt. Die darin vorkommenden Personen haben existiert und die Autorin erzählt auch, was mit ihnen passierte bis zu ihrem, teilweise tragischen Lebensende

Das Grandhotel existiert noch heute. Bis in die 70er Jahre ein beliebtes Hotel. Dann verfiel es. Heute ist es ein Golfressort.

Stil: Jana Revedin hat Ahnung von dem Metier, das sie beschreibt,. Sie ist selbst Architektin und hat bereits einige Bücher zu diesem Bereich, Architektur, Kunst, geschrieben. Manchmal ein bißchen holprig, doch im großen Ganzen sehr flüssig. Im Laufe der Geschichte jedoch wird zuviel von den großen Gestalten der Weltgeschichte erzählt (Kunst, Film, Flugpionierin, Politiker) und das zieht das Dröge etwas mehr in die Länge. Interessant sind die Details über Patagonien und seine Schönheiten, auch Erwähnungen der Mapuche und ihrer Sicht der Dinge (A. Earheart und das Geschenk, was Walt Disney von Mme Roosevelt überreichen soll. Vorahnung, dass Earhearts Pionierreise nicht gut ausgeht...). Leider kommt auch oft der depressive Charakter von Jean - Michel Frank zum Vorschein. Also kein heiteres Buch. L.-M. Frank ist mit Anne Frank verwandt und er versuchte auch die Familie Frank aus Amsterdam zu retten. Doch da waren sie bereits im Versteck verschwunden.

Buchumschlag: Zwei Schiffe, eines was vorbeifährt, das andere auf dem die Protagonistin steht und winkt, gekleidet im Stil der 1920 – 30. Nach dem Lesen des Buches kommt mir das Titelbild etwas apokalyptisch vor - das andere Schiff fährt vorbei, wie eine Chance im Leben, die verpasst wurde...

Interessant für diejenigen, die an Ereignisse im letzten Jahrhundert interessiert sind.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.11.2021

Vielleicht halbtot, aber doch noch sehr lebendig

halbtote schmetterlinge
0

Zuerst einmal zum Titelbild - das ist unschlagbar auffällig, die krassen Farben (gelb rot und blau) können natürlich auch auf etwas Außerirdisches / Naturgewaltiges hindeuten, auf jeden Fall etwas, was ...

Zuerst einmal zum Titelbild - das ist unschlagbar auffällig, die krassen Farben (gelb rot und blau) können natürlich auch auf etwas Außerirdisches / Naturgewaltiges hindeuten, auf jeden Fall etwas, was nicht gerade um die Ecke liegt. Auch der Titel 'halbtote Schmetterlinge' ist ein ungewöhnlicher Titel.

Ambühl, Lehrer, verheiratet, erhält die Diagnose, Prostatakrebs. Vielleicht 'nur noch ein Jahr' zu leben. Das ist natürlich ein Schlag in den Kontor. Was fällt einem Mann ein, wenn er diese Nachricht erhält? Das große Aufräumen beginnt. Wie war sein Leben bis jetzt, hat er sein Leben gut gelebt, wie geht es weiter in den letzten Monaten seines Lebens?
Eigentlich eine Frage, die sich ein jeder stellen sollte. Wir sind alle sterblich und nur eine begrenzte Zeit auf diesem schönen Planeten.

Ambühl berichtet von seiner Ehe, seinen Liebschaften (die Ehe ist schwesterlich geworden, kein aufregender Sex mehr). Ambühl hatte und hat seine Liebschaften nebenbei. Nun will er neben seiner Krebsbehandlung auch den Neuschritt wagen, Trennung von seiner Gattin und Neuanfang mit Theresa.
Er denkt an Höhepunkte in seinem Leben (das Pamphlet der Schülerschaft und die heimliche Freude von Ambühl, dass er daran mitgewirkt hatte). Doch dann wird die Behandlung des Krebses immer massiver. Chemische Kastration nennt er es, er kann kein Testosteron mehr produzieren. Er denkt über den Tod nach, den von seiner Mutter (einer Frau, die weiß zu manipulieren), über den Tod allgemein und was die Kirche dazu sagt. „Ich fühle mich wie ein fremder Besucher in meinem eigenen Körper und Geist, bin Verräter und Verratener, habe gleichzeitig Ängste und Schuldgefühle“. Das ist ein wunderschöner Schlüsselsatz zu seinem Nachdenken und Fühlen über sich, aber auch zu seiner Umgebung, zu seinen Ambivalenzen. Ambühl lässt sich in die Psychiatrie einweisen. Er trifft dort Naom, eine Transfrau, und lernt von ihr.

Das Büchlein ist für gemächliches Lesen angelegt, es ist kein Buch, was sich schnell liest. Es sind nachdenkliche Worte. Manchmal holprig und sprunghaft, ohne vermeintlichen Bezug zum vorherigen Text. Manchmal eher ein wenig wie ein Poesiealbum, in das Ambühl Erinnerungen einklebt, die Bilder seiner Verflossenen, die Irrungen und Wirrungen in seinem Leben.
Eine besondere Stärke des Büchleins sind die Teile mit der Beschreibung vom Prostatakrebs, wie er behandelt wird und vor allem, was es mit einem Mann macht. Die Auseinandersetzung darüber, was es für einen Mann bedeutet kein Testosteron mehr zu produzieren. Ist er nun ein kastrierter Mann, kann er noch Sexualität erleben? Dieser Teil ist ausführlich und sensibel beschrieben. Vielleicht hilft das Buch, dass Männer, ältere Männer, alle Männer, über diese Probleme zu reden beginnen. Denn Männer mit dem Älterwerden bekommen zunehmend Probleme mit ihrer Erektion, mit ihrem Mannsein (nicht mehr so viril wie einst). Was bedeutet es ein Mann zu sein?

Es ist nicht einfach sich mit einer schweren Krankheit auseinanderzusetzen, der Autor in der Figur des Ambühls ist diesen Schritt gegangen. Es kann andere Männer anregen, über ihr Leben nachzudenken und vielleicht auch Schritte zu unternehmen, an die sie dachten, aber nie getraut haben zu vollenden.
Es ist ein Mutmacherbuch, eine Art Ratgeber.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.11.2021

Der Briefträger

Das geheime Leben des Albert Entwistle
0

Der Buchtitel bringt es – allein das Wort geheim. Geheimnisse ziehen uns doch an. Und so will jeder dem Geheimnis des Briefboten auf den Grund gehen. Wer ist George? Auf was beruht Alberts Sozialphobie? ...

Der Buchtitel bringt es – allein das Wort geheim. Geheimnisse ziehen uns doch an. Und so will jeder dem Geheimnis des Briefboten auf den Grund gehen. Wer ist George? Auf was beruht Alberts Sozialphobie? Und wird die Suche nach seiner Liebe fündig? Dazu im Rahmen einer kleinen englischen Stadt (mit Charme, heißt es, denken wir da nicht an Cornwall und ähnliche, literarisch bereits gut beackerte, Regionen des britischen Königreichs?)

Stil: Leicht zu lesen, es geht ja meistens um Alltagsbeschreibungen von Albert und seinen inneren Ängsten, dass er nicht mit Leuten reden möchte. Er taut zweimal auf: Als er vor lauter Angst, den offiziellen Brief lesen zu müssen, zu seiner Beruhigung tanzte. Die Worte dazu bringen einem Albert ziemlich nahe und macht neugierig auf das schreckliche Geheimnis. Das zweite Mal, als er einen Weihnachtspullover kaufen muss und ihn die Verkäuferin ungemein geschickt um den Finger wickelt. So gut beschrieben, dass man meint daneben zu stehen. Dann ist da auch der Neuzuzug in seiner Postbotenrunde und da meint man seinem Geheimnis doch ein Stück näher gekommen zu sein.

Buchumschlag: Ein englisch roter Briefkasten, eine graue Katze, die Umrandung wie ein Luftpostbrief, Briefe, die über das Bild flattern. Sehr romantisch gemacht, anziehend!

Ich empfehle gern das Buch! Mit Albert um die Ecke ziehen. Der stille Held des Romans ist ein liebenswürdiger Mensch, den man einfach gernhaben möchte. Und wer Matt Cain kennt, mag erraten in welche Richtung Alberts Suche geht...

Matt Cain, Das geheime Leben des Albert Entwistle, Ullstein Verlag
(Dieses Buch ist das dritte von Matt Cain)

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.11.2021

Fälschung!

Rochade
0

Ein Attentat auf ein Bild; ein Restaurateur, der selbst Maler ist. Das Vergnügen ein großartiges Bild in Händen zu haben – es anfassen zu können. Was nur wenige dürfen. Er muss – der Restaurateur. Es ist ...

Ein Attentat auf ein Bild; ein Restaurateur, der selbst Maler ist. Das Vergnügen ein großartiges Bild in Händen zu haben – es anfassen zu können. Was nur wenige dürfen. Er muss – der Restaurateur. Es ist beschädigt. Nun strömen seine Gedanken zum Bild, zur Malerei, zum Kunstverständnis. Angesichts der Tatsache, dass gerade ein anscheinend bekannter Künstler eine ‚unsichtbare Skulptur‘ für 15.000 Dollar verkauft bekam, stellt sich die Frage nach ‚Kunst‘, was ist Kunst, wer ist Künstler und welche Kunstobjekte sind authentisch?

Die Gedanken des Restaurateurs fließen so auch zum Kunstgeschäft aufs Papier. Zu den Besitzenden und den Schauenden.

Der Roman spielt im Jahr 2022 und er erinnert an das aktuelle österreichische Geschehen. Der Kanzler will das zerstörte Bild restauriert für sich, der Restaurateur will das aber nicht.

Stil: Ich-Erzähler, der Ahnung hat vom Kunstgeschäft

Reinhard Tötschinger, 'Rochade', 2021, Picus Verlag

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.11.2021

Die Eisenbahnanschläge Jüterbog bei Berlin & Biatorbagy in Ungarn

Kommissar Gennat und der Anschlag auf den Orientexpress
0

Ein Junge, der sich als blinder Passagier im Gestänge eines D-Zuges versteckt (D steht für einen Durchfahrenden Zug, also einem Schnellzug). Ein Reisender, der muffig ist und nicht reden will. Ein Zug, ...

Ein Junge, der sich als blinder Passagier im Gestänge eines D-Zuges versteckt (D steht für einen Durchfahrenden Zug, also einem Schnellzug). Ein Reisender, der muffig ist und nicht reden will. Ein Zug, der kurz vor Berlin (in Jüterbog) mit einer Detonation zum Stehen gebracht wird und acht Waggons entgleisen lässt. Letzteres beschäftigt natürlich die Berliner Polizei massiv. Dazwischen – wir befinden uns im Jahr 1931 der Weimarer Republik – geht es um die politische Situation vor Ort: Die braunen Horden gegen die Kommunisten. Und ein real existierender Kommissar Ernst Gennat in Berlin, der anders Fälle untersucht als bis dato üblich war. Auf 300 Seiten entwickelt sich eine Geschichte, bei der verschiedene Stränge zusammengebracht werden müssen, bevor sie in die Abgründe des oder der Täter(s) führen.

Ein Krimi ist kein Thriller. Während es im ‚Thriller’ rasant zugeht, dass einem die Spuke wegbleibt und so viele Ereignisse eintreten, die höchst unwahrscheinlich sind, greift ein Krimi eher in das pralle Leben. Er spricht vom ganz normalen Leben, von deinem und von meinem. Und doch passieren in diesem normalen Leben ebenfalls Dinge, die ungewöhnlich sind, aber eben ‚normaler’, vielleicht... Kommissar Gennat ist Berlins bekanntester Kriminaler (zumindest war er es in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts): In der Zwischenzeit geriet er in Vergessenheit, trotz seiner besonderen Art der Ermittlung und der Neuordnung der Polizeieinheiten, Neuerungen die heutzutage selbstverständlich sind. Regina Stürickow sei Dank, sie (und einige andere) hat den Kriminaler wieder ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Dem Himmel sei Dank, denn die Autorin schreibt großartige Krimis, die sich lesen wie das Leben selbst, nur eben durchsetzt mit dem Bösen. So wie im wahren Leben auch. Bei Stürickow bekommt man Schritt für Schritt die Ermittlungen mit (was nicht nur Lissy, die Frau von Max Kaminski, Reporter, fasziniert, sondern auch die Berliner Öffentlichkeit und selbst die Polizei). Sie hat mehrere Sachbücher sowie Romane über Gennat geschrieben. Er ist ein ungewöhnlicher Ermittler, Vorbild für einige Kommissare in der Nachkriegszeit; er ist ein verfressenes Dickerchen, beliebt bei Hunden und Kinder (in dieser Reihenfolge).

Der real existierende und hoch anerkannte Kriminalrat Ernst Gennat lebte von 1880 bis 1939. Der beschriebene Fall ist einem tatsächlich passierten Fall nachempfunden. Auch auf andere Fakten macht die Autorin aufmerksam; so dürfte den Wenigsten heutzutage bekannt sein, dass in Österreich für einige Zeit Links- und Rechtsfahrzonen existierten. Und auch der Orient-Express ist nur noch als Buchtitel bekannt.
Autorin Regina Stürickow ist eine Meisterin im Schreiben. Von der ersten bis zur letzten Seite versteht sie es den Leser oder Leserin mitzunehmen. Ein genussvolles Lesen der sanften Aufregung in gewählter Sprache.

Das Umschlagsbild zeigt auf der unteren Hälfte, passend zum Titel, eine Eisenbahnbrücke mit einem abgestürzten Waggon (es ist ein Originalbild von dem Eisenbahnanschlag von Biatorbagy). Der obere Teil ziert ein kleine Fotografie von Gennat und in rot ‚Kommissar Genna’. Die rote Signalfarbe lockt Krimifans.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere