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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.03.2024

Hard and Heavy - gesellschaftskritische Unterhaltung

Chain-Gang All-Stars
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Das war mal ein fesselnder Pageturner! Spannend wie ein Hollywood-Film.
Allerdings könnte ich eine Verfilmung des Romans niemals im Kino sehen, denn es wird ordentlich und kreativ gemetzelt. Das kann ...

Das war mal ein fesselnder Pageturner! Spannend wie ein Hollywood-Film.
Allerdings könnte ich eine Verfilmung des Romans niemals im Kino sehen, denn es wird ordentlich und kreativ gemetzelt. Das kann ich auf Papier sehr gut lesen, aber ich möchte es mir nicht anschauen.

Warum wird gemetzelt?
Die USA hat ihr Strafvollzugssystem mit ihrer Unterhaltungsbranche fusioniert und eine Gladiatorinnen Liga gegründet.
An diesem Program können verurteilte Straftäter
innen teilnehmen und in tödlichen Kämpfen gegeneinander antreten. Im Gegenzug erhalten sie die Möglichkeit die Freiheit wieder zu erhalten, wenn sie das Programm erfolgreich absolvieren und lange genug überleben.

Organisiert ist die Liga in verschiedenen Chains, deren einzelnen Mitglieder, die Links, auf dem BattleGround gegen die anderer Chains antreten. Wer gewinnt, steigt im Rang auf und bekommt Blood Points, wer verliert…ist game over.

Die Links werden bei ihren Vorbereitungen und den Zeiten zwischen den Kämpfen wie bei einer Mischung aus Big Brother und Dschungelcamp permanent von Kameras begleitet.

Der unangefochtene Star der Liga und Publikumsliebling ist Loretta Thurwar, dicht gefolgt von Hamara Stacker, alias Hurricane Staxxx. Beide gehören zur erfolgreichen Angola-Hammond-Chain-Gang und sind ein unkonventionelles Liebespaar.
Die Ausstrahlung der Chain Gang All-Stars hat mittlerweile die 32. Staffel erreicht und Thurwar steht nur ein paar Siege vor ihrer Freilassung.

Auch wenn die Action Sport Liga in der amerikanischen Gesellschaft auf breite Begeisterung stößt, formiert mittlerweile sich in kleinen Gruppen der Widerstand gegen das kapitalistische und ummenschliche System und es kommt zu …Zwischenfällen. Außerdem sind für die 33. Staffel Regeländerungen mit weitreichenden Folgen geplant…

Du siehst, es mangelt nicht an Action. Es mangelt auch nicht an Gesellschaftskritik, denn der ganze Roman funktioniert wie eine Anklage das bereits bestehende und ungerechte amerikanischen Strafverfolgungs- und Vollzugssystems.
In Fußnoten lässt Adjei-Brenyah wahre Zahlen und Fakten zu Selbstmordraten in Gefängnissen oder das Verhältnis von schwarzen zu weißen Insassen.

Vieles ist mir davon bekannt und dass das US Strafvollzugssystem komplett kommerzialisiert ist und einen eigenen Wirtschaftszweig bildet, kenne ich ansatzweise aus der Serien „Orange is the new black“.
Adjei-Brenyah denkt in „Chain Gang All-Stars“ den nächsten Schritt, der sich aus der Kombination aus der Ausbeutung Gefangener mit immer entmenschlichteren Unterhaltungsformaten ergibt.

Mich hat der Roman begeistert, ich komme jedoch an einigen Kritikpunkten nicht vorbei. Zum einen mangelt es den Figuren in meinen Augen an charakterlicher Tiefe. Natürlich sind meine Sympathien auf der Seite der Kämpferinnen Thurwar und Staxxx, aber ihre beschriebene Gefühlspalette ist doch ein bisschen reduziert. Hier wäre ich den Frauen gerne noch näher gekommen. Auch die pathetischen und teilweise philosophisch abgehobenen Dialoge sind nicht unbedingt mein Ding. Sie passen zwar super in die harte Stimmung des Romans, aber die Worte empfinde ich teilweise als Platitüden.
Außerdem habe ich manchmal das störende Gefühl, mit der Setzung oder mit der Übersetzung stimmt in manchen Sätzen etwas nicht.

Doch in Summe war „Chain Gang All Stars“ großes und spannendes Kino und auf jeden Fall empfehlenswert, wenn du ungewöhnlichen und harten Stoff lesen willst!
Die Kurzgeschichten von Nana Kwame Adjei-Brenyah liegen jetzt zu Hause für mich schon bereit!

„Weil man versklavt wird, ist man noch lange kein Sklave. Sklave kann man niemals sein.“

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Veröffentlicht am 04.03.2024

Sprachstark, poetisch aber emotional für mich schwer zugänglich

Mutternichts
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„Mutternichts“ hat mich spontan angesprochen und ich wollte das als kraftvoll-poetisch beschriebene Debüt von Vescoli mit dem Thema Mutter-Tochter-Beziehung sehr gerne lesen.

Die Mutter der Ich-Erzählerin ...

„Mutternichts“ hat mich spontan angesprochen und ich wollte das als kraftvoll-poetisch beschriebene Debüt von Vescoli mit dem Thema Mutter-Tochter-Beziehung sehr gerne lesen.

Die Mutter der Ich-Erzählerin ist gestorben, wie sie gelebt hat: unaufgeregt, ohne viele Worte. Zurück bleibt ein Nichts.
Es ist das nicht greifbare, das Nichts, das Mutternichts, das die Beziehung zwischen Mutter und Tochter definiert hat. Der eigentliche Wesenskern ihrer Mutter hat sich der Tochter immer entzogen.

Nach dem Tod der Mutter kommen die Fragen.

Die Tochter muss mehr über die Mutter wissen, um dem Mutternichts auf den Grund zu gehen. Sie will sich die Mutter in deren Vergangenheit vorstellen können, um ihr näher zu kommen.
Ist es auch die Suche nach eigener Identität?
Die Tochter will die Orte sehen, den Hof, auf dem ihre Mutter als Dirn gearbeitet hat. Kann sie das Wesen ihrer Mutter dort finden?

Die Mutter musste schon als Kind hart arbeiten und etwas nutze sein.
Sie, die Worte und Gedichte liebt, wird später nie über ihre alltäglichen Verrichtungen ihrer Vergangenheit sprechen.
“Als würde die Geschichte schmutzen.”


Die Erzählerin muss noch weiterzurückgehen bis zur Großmutter und Mutter ihrer Mutter, und findet ein weitere Leben voller unausgesprochener Not.
Sich an Spekulationen vorantastend, im nicht gesagten mutmaßen.
Mutters Erzählungen sparen so viele Dinge aus, beschränken sich auf Anekdoten. Ihre Vergangenheit wird ein Konjunktiv bleiben.

“Es kann sein, dass die Angst umeinander der Ort war, an den wir zusammen hingehörten. An dem wir uns voreinander versteckten, während wir aufeinander schauten.”

Es ist dieser Widerspruch und das ambivalente Verhältnis von Liebe und Distanz, den Vescoli im Kern dieser Mutter-Tochter-Beziehung sichtbar macht.

Ich spüre das Ringen der Erzählerin, ihren Wunsch das Nichts um ihre Mutter zu durchdringen, unmittelbar aus ihren Worten. Der Text ist stellenweise merkwürdig eindringlich, nicht emotional, nein, er ist spröde und poetisch in seiner Ausdrucksweise.

So wird auch meine Rezension wenig eindeutig bleiben. Vescolis ungewöhnlicher und anspruchsvoller Text hielt auch mich in einer Distanz, die mir den Zugang zur Erzählerin schwer gemacht hat, mir aber nicht den Blick für die sprachliche Kraft des Textes verstellt hat.

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Veröffentlicht am 28.02.2024

Spannende und abgründige Unterhaltung!

Die erste Attacke
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Was ist denn ein „Bobo-Psychothriller“, frage ich mich unwillkürlich, als ich die Kurzbeschreibung zu „Die erste Attacke“ las. Meine Assoziationen bei dem Begriff sind auf jeden Fall positiv und auch der ...

Was ist denn ein „Bobo-Psychothriller“, frage ich mich unwillkürlich, als ich die Kurzbeschreibung zu „Die erste Attacke“ las. Meine Assoziationen bei dem Begriff sind auf jeden Fall positiv und auch der beschriebene Inhalt klang äußerst vielversprechend.

Und mir wurde nicht zu viel versprochen, ich bin von Pretterhofers Roman sehr, sehr angetan!
Keine Wunder, denn sein Thema und Setting passt perfekt auf meine eigene Lebenssituation.
Pretterhofers Protagonist und Ich-Erzähler ist junger Vater zweier Kinder und macht mit seiner Frau und zwei befreundeten Familien ein paar Tage Urlaub auf einer Selbstversorger-Hütte. Das habe ich selbst auch schon gemacht und weiß daher, dass von einem solchen Szenario keine wirkliche Erhohlung zu erwarten ist.
Aber anfangs scheint es so, dass er Erzähler, genauso wie die anderen Familien und ganz anders als ich, die Familiensituation perfekt beherrscht.
Ihre Familien funktionieren durch Rituale und eine sehr hohe Gesprächsbereitschaft und gegenseitigen Verständnis ganz wunderbar und wie aus dem Bilderbuch. Die Kinder dürfen sogar einmalig Limonade bestellen, schließlich ist Urlaub.

Dass die Urlaubsstimmung natürlich nur von kurzer Dauer ist, ist klar, schließlich lese ich einen Bobo-Psychothriller! Und richtig, aus den kleinere morbiden Andeutungen eines lauernden Unheils, werden ausgewachsene konkrete Alpträume, die die Nachtruhe stören.
Die Kinder fangen tags darauf mit merkwürdigen und bedenklichen Spielen an, die Ehepaare streiten sich untereinander und miteinander und plötzlich sind auch noch die Autoschlüssel weg.

Ich liebe diese entlarvende Eskalation, die nicht nur in den äußeren Handlungen stattfindet sondern auch in den Gedanken des Erzählers.
Besonders wird die Geschichte durch das sehr geschickte Einsprengseln von surrealen Gruselelementen, die den Roman zu einem wunderbaren und ungewöhnlichen Genre-Mix machen.

Für mich beschreibt Pretterhofer hauptsächlich dieses unheimliche und beängstigende Gefühl von Kontrollverlust, der mit Elternschaft zwangsläufig einhergeht, es gibt aber bestimmt auch noch andere Deutungsansätze.

Nach Beenden des kurzen Roman hat sich mein Anfangsgedanke über den Ich-Erzähler von „Alta, du hast dein Leben im Griff“ ins komplette Gegenteil gedreht.

Für diesen Roman und diese tolle und abgründige Unterhaltung muss ich einfach eine Leseempfehlung aussprechen! Der einzige Kritikpunkt wäre vielleicht die Länge, die mit nur 143 Seiten fast ein zu kurzes Vergnügen bietet.
Dass mir die Farbgestaltung des Covers unheimlich gut gefällt, möchte ich noch einmal extra betonen!

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Veröffentlicht am 28.02.2024

Empfehlenswert und aufregend!

Eskalationsstufen
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Warum geht sie nicht einfach? Warum lässt sie sich das gefallen? Ich würde ja einfach abhauen!

Ja, einfach.
Von außen sieht es immer so einfach aus. Einfach gehen, oder noch besser, einfach gar nicht ...

Warum geht sie nicht einfach? Warum lässt sie sich das gefallen? Ich würde ja einfach abhauen!

Ja, einfach.
Von außen sieht es immer so einfach aus. Einfach gehen, oder noch besser, einfach gar nicht erst so eine Beziehung anfangen.

Wir sprechen von gefährlichen, gewaltvollen Beziehungen. Nicht nur körperliche Gewalt sondern auch psychische Gewalt wie emotionale Erpressung, Manipulation und Gaslighting.

Ein hartes aber wichtiges Thema das Rieger für ihren neuen Roman gewählt hat, denn nicht nur in Österreich und Deutschland, sondern weltweit werden Männer gegenüber ihren (Ex-)Partnerinnen gewalttätig bis hin zum Femizid. Die Dunkelziffer ist bei Gewalt in Beziehungen besonders hoch.

Riegers Protagonistin Julia ist eine liebenswerte, junge Frau, die gerne zeichnet und beruflich sehr engagiert ist. Sie hat einen kleinen Freundeskreis und eine lockere und offene Fernbeziehung, deren Unverbindlichkeit sie bewusst genießt.
Als sie bei einer Vernissage den Maler und Künstler Joe trifft, ist sie elektrisiert. Das sofortige Interesse des souverän wirkenden Mannes schmeichelt ihr und die immense körperliche Anziehung macht es ihr leicht, auf Joes Annäherungsversuche einzugehen.
Nicht zufällig erinnert mich der Beginn der Liebesgeschichte von Julia und Joe an die toxischen Narrative mancher beliebter spicy Romancegeschichten.

Der Mann mit der gequälten Seele und der tragischen Vergangenheit, der nur mit der wahren Liebe einer reinen Frau gerettet werden kann.
All das trifft auch auf Joe und Julia zu. Aber was in einer Geschichte und in der Phantasie vielleicht noch einen gewissen Reiz hat, entpuppt sich im echten Leben oft als Ausgangspunkt für eine toxische Beziehung.

Julia spürt auch bald, dass ihre Beziehung zu Joe nicht gesund ist und nicht auf Augenhöhe stattfindet, doch da greift bereits ihre psychische Abhängigkeit zu Joe. Die nächsten Eskalationsstufen sind schnell erreicht.

Rieger schildert Julias Gedankengänge konsequent und psychologisch nachvollziehbar aus der Ich-Perspektive. Das lässt mich ihre Geschichte besonders gegen Ende atemlos und intensiv miterleben.

Der Titel „Eskalationsstufen“, wie auch die Einteilung der Kapitel, orientieren sich am 8-Stufen-Model einer Risikobeziehung von Jane Monckton Smith, wie in ich in Riegers Anmerkungen nachlesen kann. Durch diesen Aufbau bekommt der Roman etwas modellhaftes, konstruiertes, was mich aber nicht stört.
Vielmehr können Roman wie „Eskalationsstufen“, oder auch das geniale „Malus“ von Simone Hirth, helfen, diese Muster bekannter zu machen und zu verdeutlichen, dass Betroffene Gewalt durch ihre (Ex-) Partner durch ihr Verhalten nicht „einfach“ verhindern können.

Eine kleine Kritik gibt es für die Kurzbeschreibung, die im Gegensatz zum gelungenen Klappentext meiner Meinung nach schon zu viel, oder besser gesagt eigentlich alles vom Inhalt vorweg nimmt.

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Veröffentlicht am 20.02.2024

Perfekter, gesellschaftskritischer und literarischer Abenteuerroman

Trophäe
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Spannend as hell, berauschend und nicht mehr aus der Hand zu legen. So muss ein guter Roman.
„Trophäe“ hat all diese Eigenschaften und noch ein paar mehr. Zu der sogerzeugenden Story addieren sich gesellschaftskritische ...

Spannend as hell, berauschend und nicht mehr aus der Hand zu legen. So muss ein guter Roman.
„Trophäe“ hat all diese Eigenschaften und noch ein paar mehr. Zu der sogerzeugenden Story addieren sich gesellschaftskritische Ansätze und ein Blick in die Seele des Archetypen des weißen Mannes.

Besagter weiße Mann ist einer von Schoeters Protagonisten und heißt Hunter White.
Hunter White!?! I mean….

Dieser Name in einem Roman über Jagd, Afrika und weiße Allmachtsfantasien ist Program.

„Denn nur er, Hunter, und niemand anderes, steht ganz oben in der Nahrungskette.“

Schoeter lässt ihren Roman in einer nicht näher genannten Gegend von Afrika spielen, in der es eine artenreiche Savanne gibt. Der Amerikaner Hunter White ist ein passionierter Jäger und reist regelmäßig in das Gebiet um seltene Tiere zu schießen und die Trophäen zu Hause seiner Trophy-Wife zu übergeben.
Da er über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, ist der Erwerb von Jagdlizenzen, selbst der seltensten Tiere, wie Nashörner, für ihn kein Problem.
Das Land und die Naturreservate verdienen an den seltenen und teueren Jagdlizenzen gutes Geld, das wiederum in den Schutz von seltenen Tieren investiert werden kann.
Das ist natürlich nicht die einzige ethische Fragestellung, die Schoeters in ihrem bereits preisgekrönten Roman aufwerfen wird. Es geht ans Eingemachte und nicht nur Hunter, sonder auch ich als Leser*in werde nah an die Grenze von Gut und Böse geführt, als sein Jagdorganisator Van Heeren ihm eine ganz spezielle Beute anbietet…

Eine Jagd auf Leben und Tod beginnt und ich verfolge sie atemlos!

„Die Befriedigung liegt nicht so sehr im Töten, sondern in der Unterwerfung der Beute: in der Bestätigung unserer Vorherrschaft über alles andere Leben.“

Diese Jagdszenen sind mit die actionlastigsten und spannendsten, die ich in letzter Zeit gelesen habe! Das ist für mich Abenteuerliteratur in besten Sinn des Wortes. Hart, dramatisch und gnadenlos.
In dieser Hinsicht erinnert mich Schoeters Roman an „Nordwasser“ von Ian McGuire, ebenfalls ein perfekter, fesselnder Abenteuerroman.

Schoeters bedient gleichzeitig das Klischee von der geläufigen Vorstellung von Afrikanischer Wildheit und druchbricht es. Es ist ein schmaler Grat, keine Vorurteile zu reproduzieren, sondern sie durch Übertreibung offenzulegen, was Schoeters in meinen Augen gelingt.

Klar, dass es nach all der Aufregung von mir eine deutliche Leseempfehlung für diesen Roman gibt, und zwar uneingeschränkt!

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