Ein ungewöhnliches Buch mit speziellem Sprachsound
SiegfriedDie Romanhauptfigur, eine junge Frau Anfang 30, fährt eines Morgens in die Psychiatrie weil sie Hilfe braucht und hofft, diese dort bei dem netten Oberarzt zu finden. Nach einem Streit mit ihrem Lebenspartner ...
Die Romanhauptfigur, eine junge Frau Anfang 30, fährt eines Morgens in die Psychiatrie weil sie Hilfe braucht und hofft, diese dort bei dem netten Oberarzt zu finden. Nach einem Streit mit ihrem Lebenspartner ist ihr gesamtes Lebenskonstrukt in sich zusammengefallen und die Angst, dass etwas unwiederbringlich zerbrochen sei, lässt sie schier verzweifeln.
Und während sie auf dem roten Metallstuhl in der Psychiatrie wartet, dass sie an die Reihe kommt, läuft vor ihrem inneren Auge ihr Leben wie ein selbstgedrehter Familienfilm ab.
Meine persönlichen Leseeindrücke
Dieses knapp 260 Seiten lange Büchlein hat es in sich und wer einen harmonischen Familienroman erwartet, möge gleich die Finger davon lassen. Die Ich-Erzählerin erzählt über ihr Leben, in dem Siegfried, ihr Stiefvater und Ex-Ehemann ihrer Mutter, überraschenderweise eine passive Rolle einnimmt. Es dauert schon eine ganze Weile bis ich verstehe, warum das Buch den Titel „Siegfried“ trägt.
Das Buch ist ein Versuch zu erklären inwiefern das Umfeld und äußere Einflüsse ein Leben beeinflussen und ein Dasein prägen können. Und es geht um Angst oder besser um die Frage, ob Hilde und Siegfried Schuld an ihrer Angst sind.
Hier ist ein Mädchen, das wie ein Schwamm Sinneseindrücke und Informationen ihres Umfeldes aufsaugt und Verhaltensmuster verinnerlicht. In einem entscheidenden Moment ihres Wachstums gerät die Mutter aus ihrem Blickfeld und Siegfried füllt diese emotionale Leere vollständig aus, obwohl er physisch kaum anwesend ist.
Die Kleine ist auf sich alleine gestellt und emotional nicht stabil genug, um mit dem Verlust der Mutter fertig zu werden. Vielleicht ist das die Schlüsselstelle des Romans, der Keim der Angst, der später die Panikattacke auslösen und gleichzeitig erklären wird.
Ob sich Siegfried bewusst ist, welche Rolle er im Leben seiner Stieftochter einnimmt, erfahre ich nicht. Über ihn weiß ich nur, was seine Stieftochter erzählt und ich verlasse mich auf kindliche Erinnerungen.
„Siegfried“ ist ein ungewöhnliches Buch. Was es ausmacht, ist neben einer psychologisch durchaus interessanten Geschichte ein melodisch monotoner Sprachsound, der mich wie ein gregorianischer Gesang einlullt und von dem ich nicht wegkomme. Ich möchte das Buch in einem fort lesen und doch gleichzeitig atmen können. Obwohl so viel Ungeheuerliches geschieht, wirkt alles beruhigend und unheimlich, und ich wundere mich nicht, als dieses Lebenskonstrukt einstürzt und die Protagonistin in die Psychiatrie flieht. Es ist ein letztes Aufbäumen gegen die Angst, ihrem ständigen Begleiter.
Fazit
„Siegfried“ von Antonia Baum beschäftigt sich mit dem Thema Angst und Erziehung und ob ein Zusammenhang zwischen beiden bestehen kann. Der Roman überzeugt mit einem tollen Plott, speziellem Sprachsound und guter psychologischer Recherche.