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Marshall-Trueblood

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.11.2019

Regionalkrimi, wie er besser kaum sein kann

Totenweg
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Frida kehrt in ihr Heimatdorf zurück, nachdem ihr Vater niedergeschlagen worden ist und seitdem im Koma liegt. Zurück in der Elbmarsch wird die junge Polizistin von ihrer Vergangenheit eingeholt. Vor fast ...

Frida kehrt in ihr Heimatdorf zurück, nachdem ihr Vater niedergeschlagen worden ist und seitdem im Koma liegt. Zurück in der Elbmarsch wird die junge Polizistin von ihrer Vergangenheit eingeholt. Vor fast zwanzig Jahren wurde ihre Freundin hier ermordet und Frida glaubt, ihren Mörder zu kennen, obwohl sie nie ein Wort gesagt hat. Zusammen mit Kriminalhauptkommissar Bjarne Haverkorn, der immer noch auf der Suche nach dem Mörder von damals ist, begibt sie sich auf die Suche nach Antworten.

Totenweg ragt für mich aus der Masse der Regionalkrimis, die den Büchermarkt überschwemmen, heraus. Sehr klug konstruiert, keine Schwarz-Weiß-Malerei, an keiner Stelle langweilig und auch schlüssig aufgelöst, obwohl der Täter ab der Hälfte zu erahnen ist, weil die Anzahl der Verdächtigen überschaubar ist. Aber bei diesem Spannungsbogen sei das der Autorin verziehen, auch weil sie nicht den Fehler begeht, am Ende irgendeinen Unbekannten als Schuldigen aus dem Hut zu zaubern. Wie sie über fast 400 Seiten die Spannung hält, ohne den Faden zu verlieren, finde ich beachtlich, denn bei den mehreren Erzählsträngen hätte die Gefahr bestanden.

Ein Krimi, der weder blutig noch brutal daherkommt und der dazu viel Wert auf die Charaktere und ihre Entwicklung legt. Ich bin gespannt, wie es mit den Ermittlern weitergeht. Frida und Bjarne sind ein Ermittlerduo, das ich im Auge behalten werde.

Veröffentlicht am 17.11.2019

Genial

1793
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Stockholm 1793: Ein entstellter Körper in der Stadtkloake. Cecil Winge und Jean Michael Cardell begeben sich auf Mördersuche und finden mehr als ein Opfer und mehr als einen Täter.

Normalerweise habe ...

Stockholm 1793: Ein entstellter Körper in der Stadtkloake. Cecil Winge und Jean Michael Cardell begeben sich auf Mördersuche und finden mehr als ein Opfer und mehr als einen Täter.

Normalerweise habe ich für historische Krimis nicht so viel übrig. 1793 habe ich gelesen, weil ich jedes Mal in der Buchhandlung darüber gestolpert bin, und weil ich nur Gutes darüber gelesen hatte. Was hätte ich verpasst, wenn ich diesen Roman nicht gelesen hätte? Einen genialen Krimi, der die Schrecken einer längst vergangenen Zeit lebendig macht. In vier Abschnitten - Herbst-Sommer-Frühling-Winter - bin ich Menschen begegnet. Menschen, die Gefangene ihrer Zeit sind; Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft keinerlei Chance haben; das ist ganz großes Kino.

Der Roman erzählt von Grausamkeiten, er ist brutal und blutig; er erzählt von Angst, von Lügen und von Hass. Aber erzählt auch von Liebe, wie weit man für die Liebe gehen kann. Ein unglaublicher Mix, der mich voll und ganz überzeugt hat und der am Ende nicht für alle Beteiligten gut ausgeht, nicht gut ausgehen kann.

Konsequent von Anfang bis Ende: Homo homini lupus-Der Mensch ist des Menschen Wolf.

Veröffentlicht am 31.10.2019

Lesevergnügen

Walter muss weg
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Hannelore Huber ist froh, als sie ihren Mann beerdigen kann: Endlich frei! Leider offenbart ein Unfall bei dieser Beerdigung, dass ein anderer als ihr Walter im Sarg liegt. Frau Huber fühlt sich betrogen ...

Hannelore Huber ist froh, als sie ihren Mann beerdigen kann: Endlich frei! Leider offenbart ein Unfall bei dieser Beerdigung, dass ein anderer als ihr Walter im Sarg liegt. Frau Huber fühlt sich betrogen und ermittelt in dem kleinen Dorf Glaubenthal.

Auf dieses Buch bin ich aufmerksam geworden, weil der Autor Thomas Raab im Verlauf der Aachener Krimitage eine Lesung über den ersten Fall von Frau Huber hält. Obwohl es hier um Ermittlungen geht und auch einige Leichen auftauchen, möchte ich Walter muss weg nicht als Krimi bezeichnen. Aber das will er auch gar nicht sein, so steht schon Roman auf dem Buchumschlag. Vielmehr liegt hier eine bitterböse Studie vor. Eine Studie über das Leben auf dem Land, in einem kleinen Dorf. Da blieb mir manches Lachen im Hals stecken. Aber der Roman möchte nicht nur witzig sein. Gleichzeitig wirft er Themen auf, die immer aktuell sind, wie z.B. Leben im Alter, Vernachlässigung von Kindern. An manchen Stellen bin ich schon nachdenklich geworden, vor allem dann, wenn Frau Huber über ihr Leben nachdenkt, ob sie immer die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Aber ich war nicht lange nachdenklich, zu schnell hat mich der Autor immer wieder geweckt...

Ein zweiter Fall für Frau Huber wird schwierig, denn Glaubenthal ist halt nur ein kleines Dorf und ich weiß auch nicht, ob man den Witz in dieser Souveränität in einen zweiten Band retten kann. Aber dieser Fall hat mich voll und ganz überzeugt. Für alle Fans von schwarzem Humor geeignet. Hardcore-Krimi-Fans werden hier keine große Freude haben.

Veröffentlicht am 30.10.2019

Leise und trotzdem eindringlich

Winterbienen
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Egidius Arimond lebt in einem kleinen Dorf in der Eifel. Ich habe ihn von Winter 1944 bis Frühjahr 1945 begleitet. Er schreibt in Tagebuchform von seinen Liebesgeschichten, seiner Arbeit als Fluchthelfer, ...

Egidius Arimond lebt in einem kleinen Dorf in der Eifel. Ich habe ihn von Winter 1944 bis Frühjahr 1945 begleitet. Er schreibt in Tagebuchform von seinen Liebesgeschichten, seiner Arbeit als Fluchthelfer, seinen Bienenstöcken, von seinem Leben und Überleben während des Zweiten Weltkrieges.

Winterbienen ist ein leises Buch. Leise und gleichzeitig sehr eindringlich lässt der Autor seine Hauptfigur erzählen. Von seinem Leben, das nicht so trostlos verläuft, wie man annehmen sollte. Wegen Epilepsie als nicht wehrtauglich eingestuft, verbringt Egidius seine Zeit in der Heimat u.a. als Tröster der alleingelassenen Frauen. Er kümmert sich um seine Winterbienen, die dem Roman den Namen geben. Das Bienenvolk, das der Autor zum Spiegelbild des Deutschen Volkes macht. Richtig gut gemacht!

"Überall in den dunklen Gängen der Stöcke haben die Arbeiterinnen jetzt mit dem Schlachten begonnen. Auf dem Rücken liegend, versuchen die einstigen Günstlinge der Königin, die wütenden Angriffe abzuwehren, aber es nützt ihnen nichts. Die zarten Flügel werden ihnen abgerissen, die wie Diamantsplitter glitzernden Augen ausgestochen. Erbarmungslos werden sie wie fremdartige, nicht mehr zu ihrem Volk gehörende Eindringlinge angegriffen und getötet." (Seite 195)

Die Schrecken des Krieges werden zunächst nur zwischen den Zeilen vermittelt; doch je länger die Lesedauer, desto offensichtlicher werden der Terror, der Mangel an Essen, die Gefahren und die Angst. Mit jeder Seite wird die Situation beklemmender, bis ich am Ende Egidius im Mai 1945 verlasse.

Der Roman hat mich sehr berührt. Ohne die Beschreibungen von Schlachten wird ein Krieg lebendig, werden die Gefahren, in die sich Menschen begeben, deutlich. Der Autor erzählt fast nebenbei von Zerstörung, aber auch von der Hoffnung auf Frieden, auf ein Leben danach.

Winterbienen ist das fünfte (und letzte) Buch, das ich von der Shortlist 2019 gelesen habe. Eine Rangfolge möchte ich nicht erstellen, kann aber sagen, dass ich es deutlich besser als den Siegertitel fand. Uneingeschränkte Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 16.10.2019

Von Liebe, von Freundschaft, von Menschen, vom Leben

Was man von hier aus sehen kann
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Immer wenn Selma von einem Okapi träumt, stirbt jemand im Dorf. Wie Menschen handeln, wenn sie befürchten, es könnte sie treffen, davon erzählt Mariana Leky. Mehr noch, sie erzählt vom Dorf, von Menschen, ...

Immer wenn Selma von einem Okapi träumt, stirbt jemand im Dorf. Wie Menschen handeln, wenn sie befürchten, es könnte sie treffen, davon erzählt Mariana Leky. Mehr noch, sie erzählt vom Dorf, von Menschen, von Verlusten, von Gefühlen und von der großen Liebe.

Es hat relativ lange gedauert, bis ich Was man von hier aus sehen kann gelesen habe. Dann habe ich es erst schnell gelesen und dann mein Lesetempo immer mehr verlangsamt. Weil es so gut ist, weil ich noch lange von den Menschen auf dem Dorf lesen wollte, weil die Autorin von großen Gefühlen schreibt, ohne kitschig zu sein. Sie erzählt manchmal witzig, manchmal unglaublich traurig. Die Menschen in ihrem Roman sind Menschen wie Du und ich, auch wenn sie teilweise sehr skurrile Eigenschaften haben, mit ihren Stärken und Schwächen. Da wird auch mal eine große Liebe bis zum Sterbebett verschwiegen, oder es werden drei Besen in einen Ofen gesteckt, damit man Besuch bekommt. Die Hauptfigur und Erzählerin Luise kämpft um ihre große Liebe gegen alle Widerstände, die Zeitverschiebung und ihren Anrufbeantworter. Meine Lieblingsfigur ist allerdings die griegrämige Marlies, die in Unterwäsche und Norwegerpulli nur nachts Erbsen aus der Dose isst, weil sie den ganzen Tag das Essen vergessen hat.

Mariana Leky trifft auf jeder Seite, in jedem Abschnitt, in jedem Satz den richtigen Ton. Darüber, wie unterschiedlich Menschen mit der Liebe, dem Leben und dem Tod umgehen. Darüber möchte ich mehr lesen!