Profilbild von Nabura

Nabura

Lesejury Star
offline

Nabura ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Nabura über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.04.2024

Stillstand durch Verweigerung

Und alle so still
0

Elin ist 21 Jahre alt und lebt mit ihrer Mutter Alma in deren eigenem Wellnesshotel. Für sie bestand ihre Familie immer nur aus ihnen beiden. Doch dann bittet Alma sie, zu ihrer Oma Iris zu fahren, die ...

Elin ist 21 Jahre alt und lebt mit ihrer Mutter Alma in deren eigenem Wellnesshotel. Für sie bestand ihre Familie immer nur aus ihnen beiden. Doch dann bittet Alma sie, zu ihrer Oma Iris zu fahren, die sie nie kennengelernt hat. Diese hat sich mit anderen Frauen vor das Krankenhaus gelegt. Die Aktion sorgt für Irritation - gegen was oder wofür sind die Frauen? Was sind ihre Forderungen? Doch die Beteiligten äußern sich nicht dazu. Nicht nur Elin wird Zeugin der Aktion, sondern auch die Pflegerin Ruth, Elins Tante, und der neunzehnjährige Nuri, der zahlreiche Aushilfsjobs hat, um seine Arztrechnungen bezahlen und eines Tages in eine eigene Wohnung ziehen zu können.

Zu Beginn des Romans lernte ich die drei Protagonist:innen näher kennen. Elin ist eine erfolgreiche Influencerin, doch die zahlreichen Hasskommentare machen ihr zu schaffen. Sie leidet unter Panikattacken und die hohe Zahl ihrer sexuellen Kontakte mit Besuchern des Hotels bereitet ihrer Therapeutin Sorgen. Bei einer dieser Begegnungen passiert etwas, von dem sie nicht sicher ist, ob es Gewalt war. Doch bevor sie weiter darüber nachdenken kann wird sie zu ihrer Oma geschickt, deren Verhalten Fragen aufwirft.

Ruth arbeitet in dem Krankenhaus, vor das ihre Mutter sich mit den anderen Frauen legt. Sie möchte ihre Arbeit gut erledigen, doch es gibt so viel zu tun, dass sie bis zur Erschöpfung und darüber hinaus arbeitet und trotzdem nicht alles schafft, was zu tun wäre. Im Krankenhaus begegnet sie auch Nuri, der keinen Schulabschluss hat und daher diverse Jobs im Niedriglohnsektor hat - Barkeeper, Reinigungskraft, Bettenschubser, Essenslieferant - um sich finanziell über Wasser zu halten.

Schnell war ich mittendrin in der Geschichte und gespannt darauf, welche Reaktion die stille Revolte der Frauen auslöst. Der Geist der Aktion verbreitet sich und plötzlich verweigern überall Frauen die Arbeit. Der Autorin gelingt es damit eindrucksvoll, den Wert von Care Arbeit zu verdeutlichen und was das plötzliche Wegbrechen für Konsequenzen hätte. Auch die katastrophalen Zustände in Pflegeberufen und im Niedriglohnsektor sind Teil des Romans. Der starke Zusammenhalt der Frauen hat mir gut gefallen und mit Nuri hat die Geschichte einen männlichen Charakter, der sich nicht dem männlichen Rollenklischee entsprechend verhalten möchte.

Nicht alles wird auserzählt, die Geschichte setzt auf intensive Szenen und überlässt es den Leser*innen, sich das restliche Geschehen genauer auszumalen. Für mich ist "Und alle so still" ein feministischer Gesellschaftsroman, der gelungen aufzeigt, welche Konsequenzen eine kollektive Verweigerung der Frauen hätte und der zum Nachdenken ebenso wie zur Diskussion einlädt.

Veröffentlicht am 06.04.2024

Wie geht es nach dem Happy End weiter?

Sommer ist meine Lieblingsfarbe
0

Ava ist 43 und ihr Leben ist eigentlich genau so, wie sie es sich immer erträumt hat: Sie ist mit ihrem Traummann verheiratet, hat drei Kinder und lebt in einem schönen Haus in Hamburg Vierlanden gleich ...

Ava ist 43 und ihr Leben ist eigentlich genau so, wie sie es sich immer erträumt hat: Sie ist mit ihrem Traummann verheiratet, hat drei Kinder und lebt in einem schönen Haus in Hamburg Vierlanden gleich hinter dem Deich. Doch seit einiger Zeit fühlt sich das alles nicht mehr richtig an: Ihr Mann Jan muss so viel arbeiten, dass sie ihn kaum mehr zu Gesicht bekommt, sie kümmert sich allein um die Hausarbeit und die Hühner und in der Elternvertretung überlässt man ihr alles Organisatorische, weil sie als einzige nicht arbeitet und nach Auffassung der anderen doch sicher genug Zeit dafür hat. Als Ava eine Mail ihres Ex-Freundes erhält, der sie gerne sehen will, ist das Gefühlschaos komplett. Sie gerät ins Grübeln, was sie in ihrem Leben ändern möchte, um wieder glücklich zu sein, und was vielleicht doch bleiben darf, wie es ist.

Das Cover des Romans ist frisch und bunt und macht Lust auf die Geschichte. Es zeigt eine Frau mit Farbpinsel in der Hand, was eine Anspielung auf Avas Hobby ist, für das sie schon lange keine Zeit mehr gefunden hat. Zu Beginn des Romans lernte ich Avas turbulentes Leben kennen und musste schnell feststellen, dass sie selbst dabei viel zu kurz kommt. Insofern konnte ich gut nachvollziehen, warum sie unzufrieden ist und das Gefühl hat, dass sich etwas ändern muss.

Claudia Schaumann zeichnet Ava als eine authentische Figur, deren innerer Konflikt und emotionale Reise mich als Leserin mitnahm. Sie fragt sich, was sie wirklich im Leben will und was sie braucht, um glücklich zu sein. Der überwiegende Teil des Romans ist aus Avas Perspektive geschrieben, gelegentlich kommt aber auch ein "Er" zu Wort, der berichtet, wie er Ava kennengelernt hat. Hier ist zunächst nicht hundertprozentig klar, wer der Erzähler ist.

Der Autorin gelingt es, mit ihrem einfühlsamen Schreibstil eine berührende Geschichte über Selbstfindung, Liebe und Lebensglück zu kreieren. Es gibt nachdenklich stimmende und emotionale Szenen, aber auch humorvolle Momente, die der Handlung Leichtigkeit geben. Insgesamt ist "Sommer ist meine Lieblingsfarbe" ein gelungener Roman über die Frage, wie es nach dem Happy End weitergeht, den ich sehr gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 09.03.2024

Mit diesen Figuren möchte man gerne noch mehr Zeit verbringen

Hallo, du Schöne
0

William Waters ist ein Einzelkind, seit seine drei Jahre alte Schwester kurz nach seiner Geburt überraschend verstorben ist. Seine Eltern haben diesen Schicksalsschlag nie ganz überwunden und ihm wenig ...

William Waters ist ein Einzelkind, seit seine drei Jahre alte Schwester kurz nach seiner Geburt überraschend verstorben ist. Seine Eltern haben diesen Schicksalsschlag nie ganz überwunden und ihm wenig Liebe zukommen lassen. Seine Tage verbringt William mit Basketball spielen und ist schließlich so gut, dass er ein Stipendium für die Northwester University in Chicago erhält und sein bisheriges Leben hinter sich lässt. Dort lernt er Julia Padavano kennen, die mit ihren Eltern und ihren drei Schwestern in der Nähe des College wohnt. Als die beiden ein Paar werden, wird William in der Familie herzlich aufgenommen. Ihr Leben scheint vorgezeichnet: Eine gemeinsame Wohnung, Hochzeit, Kinder und Karriere. Doch dann kommt es zu unerwarteten Ereignissen, welche alle Charaktere aus der Spur werfen. Wie werden sie unter den veränderten Bedingungen ihre Zukunft gestalten?

Das Buch beginnt im Jahr 1987 mit dem Kennenlernen von William und Julia. Ich erhielt einen kurzem Abriss über Williams Kindheit und bevor ich mich versah waren die beiden ein Paar. Nach dem ersten Kapitel aus Williams Perspektive wechselt diese zu Julia und es ging in ebenso hohem Tempo weiter: Die beiden verloben sich und beschließen, zu heiraten. Die dritte im Bunde, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, ist Julias Schwester Sylvie. Sie arbeitet seit ihrem dreizehnten Lebensjahr in einer Bibliothek, da ihr das Geld fürs College fehlt. Wärhend sie darauf wartet, dass ihr die große Liebe begegnet, lässt sie sich von diversen Jungen zwischen den Bücherregalen küssen.

Nach dem zügigen Einstieg spielt ein großer Teil der Geschichte in den Jahren 1982 bis 1984. Hier tauchte ich tiefer in das Leben der vier Schwestern und William ein. Auch wenn das Buch aus drei Perspektiven erzählt wird erfuhr ich ebenfalls so manches über die Zwillingsschwestern Cecelia und Emelina sowie ihrer Eltern Rose und Charlie. Die Charaktere wurden mir schnell sympathisch und die ersten schicksalhaften Entwicklungen ließen mich hoffen und bangen. Es kommt zu Brüchen, die mich hoffen ließen, dass sie wieder gekittet werden können. Doch manche Entscheidungen scheinen unwiderruflich.

Beim Lesen dieses Familienromans erlebte ich die ganze Bandbreite an Emotionen. Es geht um Liebe und Zusammenhalt, aber auch Eifersucht und Enttäuschung. Ann Napolitano behandelt die Themen gefühlvoll und mit großer Sensibilität. Ich lernte die Charaktere immer besser kennen, die einfach nicht aus ihrer Haut können. Ihre Entscheidungen, so folgenreich sie auch sein mögen und so unverständlich andere sie auch finden, wurden mir begreiflich gemacht. Zum Ende hin wird es noch einmal hochemotional und ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Auch wenn ich mit den Figuren noch mehr Zeit hätte verbringen können, ist die Länge des Romans genau richtig und dieser rundum gelungen. Für mich ein echtes Herzensbuch, das ich absolut weiterempfehlen kann!

Veröffentlicht am 02.03.2024

Ein absolut lesenswerter Roman

Yellowface
0

June Hayward ist eine aufstrebende Autorin, deren Debütroman im Hinblick auf die Verkaufszahlen allerdings hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Ihre Freundin Athena Liu hingegen, die sie während ...

June Hayward ist eine aufstrebende Autorin, deren Debütroman im Hinblick auf die Verkaufszahlen allerdings hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Ihre Freundin Athena Liu hingegen, die sie während ihres Studiums in Yale kennengerlernt hat, landet mit ihrem ersten Buch gleich einen Bestseller, wird von der Branche gefeiert und räumt Preise ab. Als die beiden sich in Athenas Wohnung treffen und diese überraschend stirbt, nimmt June das Manuskript an sich, das Athena gerade vollendet und bislang streng geheim gehalten hat. June redet sich ein, dass es ganz in Athenas Sinne gewesen wäre, dass sie das Manuskript vollendet. Von einer geteilten Autorinnenschaft würde eine Tote auch nicht mehr profitieren, wieso es also nicht gleich als ihres ausgeben? Schließlich bestehet keine Chance, dass das Geheimnis ans Licht kommt, solange sie selbst nichts erzählt - oder?

Ich hatte im Vorfeld der Lektüre schon viel Lob für die Originalausgabe gesehen, sodass ich mit hohen Erwartungen in die Geschichte startete. Die Ich-Erzählerin June sprach mich als Leserin direkt an und erzählte zunächst von der Nacht, in der Athena in ihrem Beisein gestorben ist. Von Beginn an merkt man, dass sich June für ihr Handeln rechtfertigen will, es liest sich wie ein Plädoyer für ihre Sache. Athena wird als überheblicher Shootingstar dargestellt, der June trotz ihrer Freundschaft nicht besonders nahe stand und deren Tod zwar tragisch ist, sie emotional aber nicht allzu tief trifft. Die Eifersucht auf Athenas Erfolg trieft aus den Zeilen des Buches, sodass Junes Entscheidung, das Manuskript zu stehlen und als ihres auszugeben, für mich nachvollziehbar wurde.

Das Verhalten von June ist natürlich entsetzlich und moralisch völlig inakzeptabel. Gleichzeitig musste ich im Laufe der Geschichte widerwillig zugeben, dass sie ein manipulatives Talent besitzt, mit welchem sie ihr Umfeld um den Finger wickelt und dasselbe in meine Richtung versucht. Ihre Freundschaft zu Athena betont sie mal, dann wird sie wieder heruntergespielt, je nachdem was gerade besser passt. Sie spinnt ein Netz aus Lügen und tut alles für ihr Ziel, aus dem Manuskript einen Verkaufsschlager und aus sich eine Bestseller-Autorin zu machen.

Beim Lesen schwankte ich zwischen der Hoffnung, dass June für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen wird und der Neugier, wie weit sie es noch treiben kann, bevor ihr Kartenhaus in sich zusammenfällt. Währenddessen beobachtete ich gespannt das Verhalten ihres Verlags, der Branche und der sozialen Medien auf die Ereignisse. Dabei geht es unter anderem um die Frage, ob weiße Autor:innen alle Geschichten erzählen dürfen und die Bedeutung von Own-Voices-Romanen und Sensitivity Reading. Junes geklautes Manuskript wird vom Verlag als Bestseller auserkoren und es werden Änderungen zulasten der Authentizität und zugunsten des Rassismus vorgenommen, um ein möglichst großes Publikum anzusprechen. Schließlich setzt sich der Roman mit digitalen Shitstorms und Cancel Culture auseinander.

In Amerika hat das Buch für Kontroversen gesorgt, inwiefern die Autorin Rebecca F. Kuang hier auf Basis eigener Erfahrungen mit der Buchbranche abrechnet. Doch gerade im Hinblick auf Junes Verlag, der sich hinter sie und ihr rassistisches Verhalten stellt und in der Folge die Verkäufe in der rechten Szene ansteigen, ist die Geschichte von großer Aktualität. Ich kann dieses Buch klar weiterempfehlen.

Veröffentlicht am 17.02.2024

Auf der Suche nach Margot

Deine Margot
0

Als Viljas Vater Markus im Jahr 2011 überraschend stirbt, findet sie in seinen Hinterlassenschaften ein Bündel Briefe, verfasst am Ende der 80er Jahre. Sie stammen von einer Frau, die sich Margot nennt ...

Als Viljas Vater Markus im Jahr 2011 überraschend stirbt, findet sie in seinen Hinterlassenschaften ein Bündel Briefe, verfasst am Ende der 80er Jahre. Sie stammen von einer Frau, die sich Margot nennt und diese an Erich adressiert hat. Offenbar waren die beiden ein Liebespaar. Auch von einem Kind ist die Rede, das Kastanie genannt wird und das Margot schrecklich vermisst. Vilja vermutet, dass Erich ihr Vater und sie Kastanie sein soll. Aber das würde heißen, dass ihr Vater in den zwei Jahren, in denen er mit seiner finnischen Familie in der DDR gelebt hat, eine außereheliche Beziehung geführt hat. Vilja selbst hat so gut wie keine Erinnerungen an die Zeit und erst recht nicht an eine fremde Frau, ihre Mutter blockt sämtliche Fragen ab. Um mehr über Margots Identität, die Geheimnisse ihres Vaters und ihre eigene Vergangenheit herauszufinden, kehrt Vilja in das Hochhaus in Berlin zurück, in dem sie einst mit ihren Eltern und ihrem Bruder gewohnt hat.

Das Cover im Stil eines Briefumschlags spielt auf die Briefe der mysteriösen Margot an. Mit dem letzten dieser Briefe beginnt die Geschichte. Diesen konnte ich als Leserin genauso wenig einordnen wie die Protagonistin Vilja Siltanen. Sie ist gerade von Helsinki nach Berlin geflogen, um vor Ort nach der Absenderin und nach Antworten zu suchen. Ihr einziger Anhaltspunkt ist Ute, die während der Zeit der Familie Siltanen in der DDR die beste Freundin ihrer Mutter war.

Ein zweiter Erzählstrang beginnt im Jahr 1983 und erzählt von dem Eintreffen der Familie in Ostberlin. Markus soll dort als Journalist für die finnische Zeitung "Kraft des Volkes" authentische Berichte aus der DDR liefern, während sich seine Frau Rosa um die beiden Kinder kümmert. Die Perspektive wechselt zwischen Markus und Rosa, sodass ich einen guten Eindruck davon bekam, wie unterschiedlich die beiden ihre vorübergehende Heimat empfinden.

Durch die beiden Erzählstränge erlebte ich das Geschehene einmal aus Sicht der Betroffenen als Gegenwart und einmal mit einer Außenperspektive auf die Vergangenheit. Diese beiden Ebenen werden von der Autorin Mari Valkama geschickt miteinander verwoben. Am nähesten fühlte ich mich Vilja, deren Wunsch nach Antworten ich gut nachvollziehen konnte. Sie war zwei Jahre alt, als sie in der DDR eintraf und ihre Erinnerungen an die Zeit sind kaum vorhanden. Kann sie diesen vielleicht auf die Sprünge helfen, indem sie an die Orte ihrer Kindheit zurückkehrt?

Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen. Ich freute mich mit Vilja über jeden neuen Hinweis auf ihrer Suche, während ich in den Rückblicken in das emotionale Chaos eintauchte, in dem sich ihre beiden Elternteile während des DDR-Aufenthalts befunden haben. Gut gefallen hat mir auch, dass nicht nur das persönliche Schicksal der Familie beleuchtet wird, sondern auch gesellschaftliche Einblicke in die Zeit vor, während und nach der Wende in Ostberlin gegeben werden. Dabei urteilt die Autorin nicht, weder über das Thema Untreue noch im Hinblick auf die DDR, sondern sie lässt die Gefühle und Gedanken der Charaktere für sich sprechen. Ein wirklich berührendes und fesselndes Buch, für das ich eine klare Leseempfehlung ausspreche!