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Veröffentlicht am 02.09.2019

Eine unverhoffte Reise, die mich begeistern konnte

Washington Black
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George Washington Black, genannt Wash, ist seit seiner Geburt auf einer Zuckerrohrplantage in Barbados ein Sklave. Im Jahr 1830 ist er elf Jahre alt und hat die Plantage noch nie verlassen. Doch dann stirbt ...

George Washington Black, genannt Wash, ist seit seiner Geburt auf einer Zuckerrohrplantage in Barbados ein Sklave. Im Jahr 1830 ist er elf Jahre alt und hat die Plantage noch nie verlassen. Doch dann stirbt sein bisheriger Master und mit seinem Nachfolger erleben die Sklaven eine neue Dimension der Gewalt. Die Dinge ändern sich für Wash, als der Bruder seines Besitzers ihn als Gehilfen für seine Forschungen einspannt. Christopher Wilde ist besessen von der Idee eines Wolkenkutters, den er vom nächstgelegenen Berg aus starten will. Nach einem verhängnisvollen Zwischenfall brechen die beiden überstürzt gemeinsam auf. Für Wash beginnt damit ein völlig neues Leben, das aufregend ist, ihn aber auch mit Fragen nach seiner Identität konfrontiert.

Der Roman ist aus der Sicht des achtzehnjährigen Wash geschrieben, der auf die letzten sieben Jahre zurückblickt, in denen sich für ihn alles geändert hat. Man erhält einige Einblicke in das harte Leben auf der Plantage und die wachsende Verzweiflung der Sklaven mit dem Einzug des neuen Masters. Einige beschließen sogar, der Gewalt durch Selbstmord zu entfliehen in der Hoffnung, in der Heimat wiedergeboren zu werden. Wie lange Wash unter diesen Bedingungen überlebt hätte? Das wird man nicht erfahren, denn stattdessen wird ausgerechnet er, ein gewöhnlicher Feldsklave, der Assistent eines Forschers.

Mit einer schnörkellosen Sprache gibt Wash Einblicke in sein Leben und gut konnte ich seinen Argwohn nachvollziehen, als er plötzlich als dem Bruder seines Besitzers assistieren soll. Ist dies vielleicht ein noch schlimmeres Schicksal als die Arbeit auf dem Feld? Doch Christopher, genannt Titch, ist kein Freund der Sklaverei. Er behandelt ihn gut und bringt ihm sogar etwas lesen und rechnen bei. Das heißt jedoch noch lange nicht, dass Titch Schwarze als den Weißen ebenbürtig sieht - ein Thema, das von Wash im Laufe der Zeit immer wieder reflektiert wird.

Das Cover verrät bereits, dass sich die Handlung nicht nur auf der Plantage abspielen wird. Die Grausamkeit der Sklaverei wird dem Leser deutlich gemacht, sie nimmt aber nur einen kleinen Teil der Handlung ein. Schnell geht es um Titchs Forschungen am Wolkenkutter und das Verhältnis zu seinem Bruder. Wash legt ein zeichnerisches Talent an den Tag, mit dem er Titch beeindrucken kann. Der Beginn der Reise kommt schließlich überraschend. Plötzlich muss rasch eine Entscheidung getroffen werden und schon ist Wash in der Luft. Doch es läuft ganz und gar nicht nach Plan.

Wohin es Wash verschlagen wird sollte jeder Leser selbst herausfinden. Er findet sich an völlig unterschiedlichen Orten auf verschiedenen Kontinenten wieder. Dabei stehen verschiedene Themen im Fokus: Seine Beziehung zu Titch, die Angst, von seiner Vergangenheit eingeholt zu werden und vor allem die Frage, was er aus seinem Leben machen kann und will. Auch Liebe und Verlust spielen im späteren Verlauf eine wichtige Rolle.

Mir hat Wash als kluger Charakter, der von seiner Erfahrung als Sklave tief geprägt ist, sehr gut gefallen. Ihn auf seinem Abenteuer hinaus in die Welt zu begleiten hat mir großen Spaß gemacht. Er ließ mich durch seine Augen blicken, die viel Wundersames entdecken und ihn staunen lassen. Immer wieder gibt es aber auch Momente, die nachdenklich stimmen, denn als ehemaligem Sklaven steht Wash nicht jede Tür offen. Ein absolut gelungener Roman über eine unverhoffte Reise in die Freiheit, der mich sehr begeistern konnte und den ich deshalb uneingeschränkt weiterempfehle!

Veröffentlicht am 01.09.2019

Ein Roman, der berührt und nachdenklich stimmt

Das Licht ist hier viel heller
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Maximilian Wenger steckt in einer Krise: Seine Frau hat ihn aus dem Haus geworfen, die Scheidung läuft, und seine zwei Kinder kommen ihn jedes zweite Wochenende in seiner Junggesellenbude besuchen, die ...

Maximilian Wenger steckt in einer Krise: Seine Frau hat ihn aus dem Haus geworfen, die Scheidung läuft, und seine zwei Kinder kommen ihn jedes zweite Wochenende in seiner Junggesellenbude besuchen, die nur dank der Hilfe seiner Schwester halbwegs präsentabel ist. Früher war er ein gefeierter Schriftsteller, doch seine letzten Werke waren Ladenhüter, und auch von seiner neuesten Idee hält sein Agent nicht viel.

Wengers siebzehnjährige Tochter Zoey steht kurz vor dem Schulabschluss. Für ihren Vater ist klar, dass sie Jura studiert, und ihre Mutter will sie in ihrem Lifestyle-Unternehmen unterbringen. Beides passt überhaupt nicht zu ihr und ihr Wunsch ist ein ganz anderer. Doch den äußert sie nicht, es würde vermutlich eh niemand zuhören. Als sie Briefe findet, die ihr Vater gelesen hat, obwohl sie an seinen Vormieter adressiert sind, wird auch sie neugierig. Die emotionalen Briefe bringen beide ins nachdenken – ihre Reaktionen darauf sind jedoch gänzlich verschieden.

Der Max Wenger, den der Leser zu Beginn des Buches kennenlernt, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Er trauert den glanzvollen Zeiten hinterher, als sein Name die Bestsellerlisten schmückte und er überall ein gern gesehener Gast war. Nun steigert er sich immer tiefer hinein in sein persönliches Leid, zelebriert sein Scheitern geradezu. Bei mir kam jedoch kein Mitleid für ihn auf, denn in seiner Welt dreht sich alles nur um ihn. Das wird umso deutlicher, wenn man sein Verhalten durch Zoeys Augen betrachtet.

Zoey ist ein „Rich Kid“, wie sie selbst sagt. Materiell hat es nie an irgendetwas gemangelt, doch emotional hat sie keinen Draht zu ihren Eltern. Ihre Mutter will sie in eine Miniaturausgabe ihrer selbst verwandeln, und für ihren Vater war sie schon immer hauptsächlich jemand, der ihn beim Schreiben stört. An ihrem kleinen Bruder Spin hängt sie hingegen sehr. Doch selbst ihn hat sie nicht in die Pläne eingeweiht, die sie seit einiger Zeit schmiedet. Zoeys Sprachstil ist sarkastisch und trotzig. Schnell merkt man, dass sie sich nach außen hin stark gibt und damit ihre verletzliche Seite bewusst verbirgt.

Zwischen den Kapiteln sind hochemotionale Briefe einer unbekannten Absenderin abgedruckt, die sie Wengers Vormieter geschickt hat. Ich war neugierig, ob man mehr über die Hintergründe der Briefe erfährt und was für Auswirkungen sie haben. Während Wenger immer tiefer abstürzt und sich dabei einige skurrile Szenen ereignen, baut sich Zoey im Stillen erste Brücken in die Freiheit. Doch dann kommt es zu einem einschneidenden Ereignis.

Von Beginn an hatte das Buch mich, und die Entwicklungen gingen mir zunehmend unter die Haut. Wenger wirkt lange wie der Inbegriff des ignoranten und selbstgefälligen alten weißen Mannes, ist schließlich aber auch für Überraschungen gut. Zoey als junge Frau will endlich ihren Eltern entfliehen und in die Welt hinaus. Dabei macht sie eine hässliche Erfahrung, bei der sie überlegen muss, wie sie damit umgehen kann und will. Wie kann sie sich ausdrücken? Mit wem kann sie offen sprechen? Auch der sensible Spin, der noch eine Weile länger an Schule und Elternhaus gebunden ist, sucht nach einem Weg, zu äußern, was in ihm vorgeht.

„Das Licht ist hier viel heller“ beschäftigt sich mit wichtigen Themen, die inzwischen zum Glück kein Tabu mehr sind und für die weiter sensibilisiert werden sollte. Es ist eine Geschichte über das Erwachsen werden und bleiben und von der Suche nach einem Platz in der Welt. Es berührt, macht nachdenklich und konnte mich durchgehend fesseln.

Veröffentlicht am 31.08.2019

Warum steht sie da oben?

Der Sprung
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Felix ist Polizist in Thalbach und verhält sich nach Ansicht seiner schwangeren Freundin Monique in letzter Zeit seltsam. Statt Zeit mit ihr zu verbringen zieht er sich zurück und baut funktionierende ...

Felix ist Polizist in Thalbach und verhält sich nach Ansicht seiner schwangeren Freundin Monique in letzter Zeit seltsam. Statt Zeit mit ihr zu verbringen zieht er sich zurück und baut funktionierende Elektrogeräte heimlich auseinander und wieder zusammen. Maren ist in ihrer Beziehung mit Hannes zunehmend unglücklich, denn nach zwölf gemeinsamen Jahren ist er durch seinen neuen Fitness- und Gesundheitswahn wie ausgetauscht. Und Finn ist fasziniert von seiner neuen Freundin Manu, die so anders ist als alle anderen, über die er aber kaum etwas weiß. Als er sich auf einer Kurierfahrt durch einen Menschenauflauf aus Polizei und Schaulustigen drängen muss stellt er erschrocken fest, dass er die Person kennt, die oben auf dem Dach steht und Ziegelsteine wirft.

Zu Beginn des Buches lernt man eine Vielzahl an Menschen kennen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Mit jedem von ihnen verbringt der Leser nur wenige Seiten, doch der Autorin gelingt es schnell, bei mir den Wunsch zu wecken, mehr zu über sie erfahren. Da ist zum Beispiel noch Theres, die mit ihrem Mann Werner einen kleinen Laden betreibt, der immer schlechter läuft. Egon hat sein Hutgeschäft schon aufgeben müssen und arbeitet jetzt in einer Schlachterei. Und Henry ist obdachlos und verdient sich ein paar Münzen, indem er Sinnfragen in der Innenstadt verkauft.

Der Schreibstil ist sehr einfühlsam, wodurch ich mich den Charakteren schnell nah fühlte. Ich entwickelte ein aufrichtiges Interesse für ihr Schicksal. Einige sind sympathischer als andere, doch mit der Zeit begann ich zu verstehen, was sie antreibt und zu ihren Entscheidungen bringt.

Ein Rätsel bleibt jedoch die Frau auf dem Dach. Warum steht sie dort oben? Die Polizei ist schnell da und bringt die ganze Kavallerie mit, Schaulustige versammeln sich. Aber verängstigt sie das nicht mehr, als dass es hilft? Diese Frage stellt sich so mancher, auch Polizist Felix, der mit seinen Fragen nicht zu ihr durchdringen kann. Davon will der Hauptkommissar aber nichts hören.

Und so bleibt die Frau erst einmal auf dem Dach und nimmt damit Einfluss auf das Leben zahlreicher anderer Menschen. Auf diese wirkt sich das Geschehen in ganz verschiedener Weise aus. Jeden von ihnen begleitet man eine Weile und erfährt unterhaltsame, berührende und nachdenklich stimmende Dinge. Die Wege zahlreicher Charaktere überschneiden sich durch die Ereignisse in überraschender Weise und mit der Zeit ergibt sich daraus ein immer vollständigeres Bild der Gesamtsituation.

Insgesamt ist „Der Sprung“ von Simone Lappert ein bittersüßer Roman, der mich packen konnte und mit einer großen Bandbreite an Charakteren und Emotionen in Berührung brachte. Große Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 25.08.2019

Ein Buch übers Heimkehren, Zurückblicken und Neuanfänge planen

Es wird Zeit
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Mit der Asche ihrer Mutter im Gepäck macht sich Judith auf den Weg in ihre Heimat Jülich bei Aachen. Dort trifft sie nach einem misslungenen Versuch sich zu verstecken ihre ehemals beste Freundin Anne ...

Mit der Asche ihrer Mutter im Gepäck macht sich Judith auf den Weg in ihre Heimat Jülich bei Aachen. Dort trifft sie nach einem misslungenen Versuch sich zu verstecken ihre ehemals beste Freundin Anne wieder. Die beiden haben zwanzig Jahre nicht miteinander geredet. Zwanzig Jahre, in denen Judith in Wedel bei Hamburg einen Kompromiss-Mann geheiratet und mit ihm drei Kinder großgezogen hat, ohne je darüber zu sprechen, was damals überhaupt passiert ist. Jetzt bietet sich Judith und Anne die Gelegenheit, ihre Freundschaft vorsichtig wieder aufleben zu lassen. Doch Anne ist schwer krank und weiß nicht, wie lange ihr noch bleibt. Als dann auch noch Judiths Jugendliebe Heiko auftaucht und manche Dinge nicht länger verheimlicht werden können ist es für sie an der Zeit, sich zu fragen, wie es weitergehen soll.

Das Buch beginnt mit einer skurrilen Szene, die mich ins Schmunzeln brachte: Seit Jahren fürchtet sich Judith davor, ihre ehemals beste Freundin wiederzutreffen, und nun liegt sie bei ihrer Begegnung auf einem Grab zwischen zerbrochenen Engeln, weil sich ihr Versteck als unzureichend erwiesen hat. Judith ist eine sympathisch unperfekte Person, bei der ein Besuch in der Heimat so einiges in Bewegung setzt.

Schnell erhält man als Leser einen groben Überblick. Judith ist vor zwanzig Jahren in den Norden verschwunden und hat alle alten Kontakte gekappt, nur um eine Ehe einzugehen, die sie als Kompromiss bezeichnet und bei der augenscheinlich keine romantische Liebe im Spiel ist. Nun sind die drei Kinder aus dem Haus, weshalb sie bis zur Urnenbeisetzung ihrer Mutter eine Weile in Jülich bleiben kann. Die Frage, was damals überhaupt passiert ist, steht dabei als Elefant im Raum.

Bevor es darauf Antworten gibt taucht man jedoch im Nu ein in eine ganze Reihe turbulenter Ereignisse. Zum Beispiel findet sich Judith plötzlich mit ihrem besten Freund Erdal und Anne in einem Schweigekloster wieder, nur um bald festzustellen, dass Regeln dazu da sind, gebrochen zu werden. Erdal bringt als emotionaler und expressiver Charakter Schwung und eine große Portion Humor in die Geschichte.

Durch die Nachricht von Annes Krebserkrankung erhält der Roman eine nachdenkliche Note. Das Thema spielt eine wichtige Rolle, dominiert die Handlung aber nicht, sodass die Stimmung nie gänzlich kippt. Für den Moment freuen Judith und Anne sich über das Wiederaufleben der Freundschaft, doch die Ungewissheit, wie lange sie noch Zeit miteinander verbringen könnten, ließ mich das Geschehen mit einem lachenden und einem weinenden Auge verfolgen.

Judith kommentiert ihre aktuelle Lebenssituation als knapp vor dem 50. Geburtstag stehende Frau, deren Kinder aus dem Haus sind und die mit ihren Bifokallinsen mehr schlecht als recht sieht, mit sarkastischen Ton. Immer wieder bringt sie Dinge überaus treffend auf den Punkt. In der persönlichen Reflektion und beim gemeinsamen Schwelgen in Erinnerungen mit Anne erfährt man auch immer mehr über Judiths altes Leben vor ihrem Weggang. Schließlich gelangt sie an den Punkt, an sie die Wahrheit aussprechen muss. Nach und nach werden Geheimnisse gelüftet, die vieles in neuem Licht erscheinen lassen und mich bis zum Schluss überraschen konnten.

„Es wird Zeit“ ist ein Roman voller verrückter Zufälle und amüsanter Ereignisse, bei dem vieles anders kommt als gedacht. Aber auch ernste Töne werden angeschlagen rund um Annes Erkrankung und die Frage, ob die Zeit gekommen und die Kraft vorhanden ist, sein Leben grundlegend zu ändern. Der Roman richtet sich vor allem an Frauen im Alter der Protagonistin, also rund um die 50. Aber auch mich konnte die Geschichte unterhalten und ins Nachdenken bringen.

Veröffentlicht am 27.07.2019

Intrigen, Geheimnisse und Verschwundene

Die Spiegelreisende 2 - Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast
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Orphelias Identität als Thorns Verlobte ist am Hof von Faruk enthüllt. Jetzt muss sie den Familiengeist dazu bewegen, sie unter seinen Schutz zu stellen, damit sie bis zur Hochzeit überlebt. Denn am Hof ...

Orphelias Identität als Thorns Verlobte ist am Hof von Faruk enthüllt. Jetzt muss sie den Familiengeist dazu bewegen, sie unter seinen Schutz zu stellen, damit sie bis zur Hochzeit überlebt. Denn am Hof gibt es zahlreiche Personen, die ihr nach dem Leben trachten und von denen eine gerade erst Thorns gesamte Familie bis auf seine Tante Berenilde ausgelöscht hat. Auf ihren Vorschlag, sich mit der Eröffnung eines Museums nützlich zu machen, ernennt Faruk sie jedoch zur Vize-Erzählerin des Hofes - eine Position, die der leisen Orphelia abwegig erscheint. Doch sie hat keine Wahl und muss Faruk und dem Hof etwas bieten, um in Sicherheit zu sein. Der Hochzeitstermin rückt unterdessen näher und Thorn lässt sich kaum blicken, während ihre Familie sich angekündigt hat. Die Lage spitzt sich weiter zu, als Orphelia Drohbriefe erhält und andere Personen am Hof, die ähnliche Schreiben erhalten haben, spurlos verschwinden.

Die Handlung dieses zweiten Bandes führt die Ereignisse des Vorgängers nahtlos weiter. Orphelia befindet sich gemeinsam mit ihrer Tante Roseline und Thorns Tante Berenilde, die ein Kind von Faruk erwartet, auf dem Weg zu einer Audienz beim Familiengeist. Sie benötigen den Schutz von Faruk dringend, um nicht aus Neid oder strategischen Überlegungen hinterrücks ermordet zu werden.

Im ersten Band habe ich den Familiengeist Faruk zwar schon kennengelernt, doch erst jetzt erfährt man mehr über ihn. Er ist extrem vergesslich, weshalb er stets von einem Gedächtnishelfer begleitet wird und die Dinge entscheidend sind, die er sich in sein Merkheft notiert. In dieses schreibt er auch den Preis, den er Orphelia für den gewährten Schutz nennt: Sie soll als Vize-Erzählerin in Aktion treten. Eine echte Herausforderung für die zurückhaltende Persönlichkeit, die ihre Stimme nicht gern erhebt.

Orphelias Bewegungsfreiheit ist nun nicht mehr so stark eingeschränkt, sodass ich an ihrer Seite den wundersamen Mondscheinpalast ausführlicher erkunden konnte. Die Autorin beschreibt diesen mit großer Kreativiät, an jeder Ecke wartet eine neue Überraschung. Bald wird es jedoch wieder ernst für die Spiegelreisende, denn ihr Auftritt im Theater steht an und Botschafter Archibald kontaktiert sie, weil einer seiner Gäste spurlos verschwunden ist.

Die Frage nach dem Verbleib der Verschwundenen ist ein spannender Handlungsstrang, welcher der Geschichte einen guten Rahmen gibt. In der Zwischenzeit dreht sich die Handlung um zahlreiche Fragen, auf die man stückweise Antworten erhält und durch die ein gutes Tempo erhalten bleibt: Können Orphelia und Berenilde ihre Plätze am Hof verteidigen? Warum ist Faruk so besessen von seinem Buch? Welche geheime Agenda verfolgt Thorn? Und wie wird Orphelias Familie auf das Leben am Pol reagieren? Es gab viele unterhaltsame und schöne Momente, aber auch Rückschläge, die mich um die liebgewonnenen Charakteren bangen ließen. Diese Sorge stellt sich als berechtigt heraus, denn die Autorin ist nicht zimperlich und auch diesmal müssen einige ihr Leben lassen.

Im zweiten Teil des Buches gibt es einen vorübergehenden Wechsel des Schauplatzes, der durch das Cover schon angedeutet wird. Dieser Tapetenwechsel hat der Geschichte gut getan und ich habe die Zeit außerhalb des Mondscheinpalastes genossen. Was zuerst wie eine Verschnaufpause wirkt führt bald ganz neuen Herausforderungen, und schließlich holt das bisher Erlebte die Charaktere schnell wieder ein. Zum Ende hin wird es richtig brenzlig und ich konnte das Buch kaum mehr aus der Hand legen. Es gibt so manchen Aha-Moment und zahlreiche Antworten werden geliefert, die zum Teil aber auch neue Fragen aufwerfen. Im Gegensatz zum ersten Band ist das Ende recht abgeschlossen, doch die offenen Fragen wecken schon jetzt meine Vorfreude auf den nächsten Band. Mir hat dieser zweite Band deutlich besser gefallen als sein Vorgänger.

Insgesamt ist „Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast“ ein lebhaft erzähltes Fantasy-Abenteuer mit einem intriganten Hof, schillernden und gefährlichen Illusionen, mysteriösen Charakteren und einer sympathischen Protagonistin.