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Veröffentlicht am 20.05.2023

Warmherzige und spannende Lektüre mit einer philosophischen Note

Die unerhörte Reise der Familie Lawson
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Victor Lawon ist ein Mensch, der gemeinsam mit seinem Vater Giovanni, einem Roboter, auf einer abgeschiedenen Lichtung im Wald wohnt. Ebenfalls zur Familie gehören der Staubsaugerroboter Rambo und Schwester ...

Victor Lawon ist ein Mensch, der gemeinsam mit seinem Vater Giovanni, einem Roboter, auf einer abgeschiedenen Lichtung im Wald wohnt. Ebenfalls zur Familie gehören der Staubsaugerroboter Rambo und Schwester Grob, eine robotische Krankenschwester. Obwohl sein Vater es ihm verboten hat, zieht es Victor zusammen mit Rambo und Schwester Grob immer wieder zum nahegelegenen Schrottplatz, wo er nach brauchbaren Teilen für seine Tüfteleien sucht. Eines Tages finden sie dort den stark beschädigten Androiden Tom, den Victor repariert. Kurz darauf kommt es zu einem folgenschweren Zusammentreffen mit Robotern aus der Stadt der elektrischen Träume. Victor macht sich zusammen mit Rambo, Schwester Grob und Tom auf den Weg, um seinen Vater zu retten.

Zu Beginn des Romans nimmt sich der Autor Zeit, den Leser:innen die Familie Lawson ausführlich vorzustellen. Ihre Heimat ist ein Backsteinhaus im Wald, über dem Giovanni in jahrelanger Arbeit diverse Baumhäuser angebracht hat. Giovanni ist ein hochentwickelter Roboter, der für Victor die Vaterrolle einnimmt und ihn beschützt, seit er ein Baby war. Der liebenswerte, etwas naive und neurotische Rambo und die spitzzüngige Schwester Grob, die keine Gnade kennt, solange sie ihr Empathieprotokoll nicht aktiviert, vervollständigen die ungewöhnliche Familie. Ich habe die Charaktere schnell ins Herz geschlossen und ihre unterhaltsamen Dialoge haben mir sehr gefallen.

Durch die Reparatur von Tom erhält die Familie ein weiteres Mitglied, doch nach rund 200 Seiten sind die ruhigen Zeiten vorbei und Victors Leben wird auseinander gerissen. Es folgt eine abwechslungsreiceh Reise, die weiterhin mit tollen Dialogen punkten kann, aber auch bedrohliche Situationen bietet und Geheimnisse aufdeckt, die nachdenklich stimmen. Die Reise ist für Victor mit einer Identitätssuche verbunden rund um die Fragen, was sein Platz als Mensch in einer Welt voller Roboter ist und was ihn von diesen unterscheidet.

Die Geschichte erkundet die Beziehungen zwischen Mensch und Maschine auf ungewöhnliche Weise. Mit fortschreitender Handlung werden die Hintergründe der Welt, in der Victor lebt, klarer und die Dialoge erhalten eine philosophische Note. Mit seinen starken Charakteren, einer lebendigen Welt und der Erkundung komplexer Themen wie Liebe, Vergebung, Akzeptanz und Identität hinterlässt dieses Buch einen bleibenden Eindruck. Es ist eine Lektüre, die zum Nachdenken anregt und den Leser mit einem warmen Gefühl bittersüßer Hoffnung zurücklässt.

Veröffentlicht am 30.04.2023

Magische Ermittlungen im eisigen Wisconsin

Die schlafenden Geister des Lake Superior
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Kimerley Reynolds arbeitet für das FBI und beschäftigt sich mit Fällen, die "Ungewöhnliche Charakteristika" aufweisen, was bedeutet, dass man es hier mit magischen, übernatürlichen Dingen zu tun hat. Ein ...

Kimerley Reynolds arbeitet für das FBI und beschäftigt sich mit Fällen, die "Ungewöhnliche Charakteristika" aufweisen, was bedeutet, dass man es hier mit magischen, übernatürlichen Dingen zu tun hat. Ein Anruf des Ex-Agenten Patrick Henderson führt sie nach Eloise in Nord-Wisconsin, wo er vor Ort genauere Informationen geben möchte. Als Kimberley dort eintrifft muss sie feststellen, dass ein Eistornado eine Schneise der Verwüstung hinterlassen hat und Henderson verschwunden ist. Da der Ort kurz nach ihrem Eintreffen aufgrund des schlechten Wetters von der Außenwelt abgeschnitten wird, muss Kimberley auf sich gestelltt ermitteln.

Inzwischen hat es sich eingebürgert, dass Ben Aaranovitch zwischen seinen Peter-Grant-Romanen eine Story mit einem anderen Protagonisten bzw. einer Protagoniston veröffentlicht. Nach "Der Oktobermann" mit Tobi Winter und "Die Füchse von Hampstead Heath", die mir beide gut gefallen haben, bekommt nun Kimberley Reynolds ihre eigene Story. Fans der Reihe sind ihr in "Ein Wispern unter Baker Street" zum ersten Mal begegnet. Ich war sehr gespannt darauf, welche Einblicke die Story in die magische Welt Amerikas bieten wird.

Gleich nach ihrem Eintreffen in Eloise stellt Kimerley fest, dass dort in der Tat nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Der Meteorologe William Boyd bestätigt ihr, dass es den Eistornado gar nicht hätte geben dürfen und die Nachbarin des verschwundenen Henderson meint geträumt zu haben, wie er von Gestalten mit Geweihen und Schnauzen entführt worden sei. Ben Aaronovitch schafft mit dem durch den Eistornado zerstörten Ort und dem klirrend kalten Wetter eine eindringliche Kulisse für die Geschichte. Kimberley ist eine toughe Protagonistin, die beim Versuch, die Wahrheit aufzudecken, bald ihr Leben riskiert.

Die Handlung nimmt bald an Fahrt auf und hält den Leser mit überraschenden Wendungen in Atem. Zahlreiche Actionszenen und Begegnungen mit dem Übernatürlichen sorgen für Spannung, sodass ich das Buch beinahe in einem Rutsch gelesen habe. Wie auch die anderen Kurzromane hat dieses Buch den Vorteil, dass es sich ohne Vorkenntnisse der Peter-Grant-Romane lesen lässt und daher nicht nur für eingefleischte Fans der Reihe, sondern auch für Neueinsteiger:inenn geeignet ist. Ich kann das Buch jedem empfehlen, der gerne in eine unterhaltsame und spannende Welt voller Absurditäten und Magie eintauchen möchte.

Veröffentlicht am 29.04.2023

Berührender Roman über eine unterirdische Bibliothek im Zweiten Weltkrieg

Die Bibliothek der Hoffnung
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Im Jahr 1944 ist die halb fertig gebaute U-Bahn-Station Bethnal Green in London zu einer Unterkunft für tausende Menschen geworden, die dort Schutz vor den Angriffen aus der Luft suchen. Diverse Freizeitangebote ...

Im Jahr 1944 ist die halb fertig gebaute U-Bahn-Station Bethnal Green in London zu einer Unterkunft für tausende Menschen geworden, die dort Schutz vor den Angriffen aus der Luft suchen. Diverse Freizeitangebote wurden mit der Zeit aufgebaut, so auch eine unterirdische Bibliothek. Die Bibliothekarin Claire Button engagiert sich dort ebenso wie ihre gute Freundin Ruby Munroe und bietet neben der Ausleihe auch eine tägliche Vorlesestunde für Kinder und ein offenes Ohr an. Die Arbeit bietet Claire und Ruby Ablenkung von ihren Verlusten und sie sind voller Engagement für ihre großen und kleinen Besucher bei der Sache. Doch ihr neuer Chef wünscht sich einen intellektueller ausgerichteten Betrieb. Steht dadurch die Zukunft der unterirdischen Bibliothek auf dem Spiel?

Der Roman nimmt seine Leser:innen mit in die dunkle Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die unterirdische Bibliothek in Bethnal Green ist hier ein Hoffnungsschimmer für viele Menschen, die sich mit den Büchern für eine Weile Ablenken können und durch die Gespräche mit Claire und Ruby Rückhalt finden. Kate Thompson beschreibt das Leben der Menschen in der U-Bahn-Station sehr anschaulich. Ich konnte mir gut vorstellen, wie es dort ausgesehen haben muss und wie es sich angefühlt haben muss, in dieser Situation zu leben. Die Charaktere sind liebevoll gezeichnet, besonders Claire und Ruby sind starke und sympathische Frauen, die mich als Leserin schnell für sich gewinnen konnten.

In der Geschichte kommen zahlreiche Konflikte auf, zum Beispiel durch die Pläne des neuen Chefs der Bibliothek oder den gewalttätigen Freund von Rubys Mutter. Claire sucht sich zudem aktiv Herausforderungen, indem sie die zurückhaltende Beatty oder den sich für Gärtnerei interessierenden Sparrow für das Lesen begeistern will. Auch für zarte Liebesgeschichten bleibt Zeit. All das ließ mich mitfiebern und sorgte für Spannung.
Insgesamt ist "Die Bibliothek der Hoffnung" ein sehr berührendes und einfühlsames Buch, dessen Themen zeitlos und universal sind: Die Kraft der Literatur und der Bibliotheken, die Bedeutung von Freundschaft und Zusammenhalt, und die Notwendigkeit von Hoffnung und Entschlossenheit in schweren Zeiten. Eine absolute Empfehlung für alle, die historische Romane und Geschichten über starke Frauen mögen, sowie für Leser:innen, die sich für die Geschichte des 2. Weltkriegs und des Lebens in London während dieser Zeit interessieren.

Veröffentlicht am 23.04.2023

Eine Lektüre, die tief in menschliche Abgründe blicken lässt

Die Insel der Unschuldigen
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Im Jahr 1628 geht die neunjährige Mayken gemeinsam mit ihrem Kindermädchen Imke im holländischen Texel an Bord der "Batavia". Das Ziel der beiden ist die gleichnamige Stadt in Indonesien, wo Maykens Vater ...

Im Jahr 1628 geht die neunjährige Mayken gemeinsam mit ihrem Kindermädchen Imke im holländischen Texel an Bord der "Batavia". Das Ziel der beiden ist die gleichnamige Stadt in Indonesien, wo Maykens Vater lebt, zu dem sie nach dem Tod ihrer Mutter gebracht werden soll. Doch vorher müssen sie eine monatelange Reise überstehen, bei der die Passagiere von Krankheiten heimgesucht werden. Mayken ist sich sicher, dass der unheimliche Bullebak dahintersteckt, ein Monster, auf das sie Jagd machen will.

361 Jahre später wird der neunjährige Gil nach dem Tod seiner Mutter zu seinem Großvater Joss gebracht, der Fischer auf Beacon Island ist, einer kleinen Insel vor der Küste Westaustraliens. Hier leben nur wenige Menschen: Andere Fischer, die Joss allesamt nicht zu mögen scheinen, und Wissenschaftler, die sich für das Wrack der "Batavia" vor der Insel sowie interessieren sowie alles, was sich auf der Insel von den Schiffbrüchigen finden lässt.

Der Roman wird abwechselnd aus der Perspektive von Mayken und Gil erzählt und beginnt jeweils mit ihrem Eintreffen in einer neuen Umgebung: Mayken an Bord der Batavia und Gil auf Beacon Island. Auch wenn die beiden 361 Jahre trennen, so gibt es einige Paralellen zwischen Maykens Erlebnissen im Jahr 1628 und Gils im Jahr 1989: Beide haben viele lange Tage ohne gleichaltrige Spielgefährten vor sich und nutzen ihre Fanatsie, um sich die Zeit zu vertreiben. Dabei üben schaurige Geschichten eine Faszination auf sie aus. Mayken schleicht sich auf die unteren Decks, wo sie verschiedenste Geschichten wie die des Bullebaks aufschnappt, während die Inselbewohner Gil vom Schicksal der Schiffbrüchigen der Batavia erzählen und des Geistes von Little May, der auf der Insel umherstreifen soll.

Die Geschichten bieten den Kindern Ablenkung und Zeitvertreib, während sich ihre eigene Situation zuspitzt. Trotz ihrer kindlichen Unschuld ziehen sie durch ihr Verhalten oder auch nur durch ihre Existenz den Unmut Erwachsener auf sich. Gespannt verfolgte ich ihre Abenteuer. Trotz einiger amüsanter Momente herrscht eine bedrohliche Atmosphäre vor. Das fürchterliche Schicksal von Mayken und der "Batavia" ist durchs Gils Perspektive bekannt, und auch bei ihm baut sich durch das Verhalten der anderen Fischer gegenüber ihm und seinem Großvater eine Drohkulisse auf.

Die Autorin Jess Kidd schafft es, die beiden Handlungsstränge immer wieder auf subtile Weise miteinander zu verweben. Dabei hat sie gelungen historische Fakten mit Fiktion vermischt und daraus eine ergreifenden Geschichte über Verlust, Trauer und Traumata gemacht. Die Lektüre ist keine leichte, sie lässt tief in menschliche Abgründe blicken. Die Schicksale von Mayken und Gil haben mich sehr berührt und den Roman zu einem eindrücklichen Leseerlebnis gemacht, das lange nachklingt.

Veröffentlicht am 15.04.2023

Strukturelle Chancenungleichheit und was man dagegen tun kann

Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte
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Mit ihrem Buch "Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte" richtet sich Mirijam Trunk dem Titel entsprechend an Frauen, die gerade ihre Karriere starten oder sich in den ersten Jahren ...

Mit ihrem Buch "Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte" richtet sich Mirijam Trunk dem Titel entsprechend an Frauen, die gerade ihre Karriere starten oder sich in den ersten Jahren ihrer Berufstätigkeit befinden. Die Autorin selbst hat mit Anfang 30 bereits eine eindrucksvoll Karriere gemacht und ist derzeit Teil der ersten Führungsebene von RTL Deutschland. Sie teilt ihre eigenen Erfahrungen sowie ihre Erkenntnisse aus Interviews mit verschiedensten beruflich erfolgreichen Frauen, klärt auf über strukturelle Chancenungleichheit und gibt praktische Ratschläge, wie man als Frau Hürden überwinden und in der Arbeitswelt erfolgreich sein kann.

Das Buch ist in vier große Abschnitte unterteilt, die sich mit Sprache, Tradition, Netzwerken und Macht beschäftigen. Dabei beschreibt die Autorin, welche systembedingten Hürden Frauen in der Arbeitswelt erwarten und wie von Kindesbeinen an erlernte Verhaltensweisen und Denkmuster einen Einfluss haben. Sie geht dabei sehr offen und ehrlich auf ihre eigenen Erfahrungen ein, ergänzt dieses um die Aussagen ihrer Interviewpartnerinnen und erläutert, was man selbst tun kann, um im Job erfolgreich zu sein und das System aufzubrechen.

Die Autorin vermittelt ihre Ratschläge mit einem klaren Schreibstil, der gut verständlich und nachvollziehbar ist. Sie macht deutlich, dass sie in priviligierten Verhältnissen aufgewachsen ist und ihre Erfahrungen natürlich von denen anderer Frauen unterscheiden. Durch ihre diverse Auswahl der Interviewpartnerinnen gibt sie einen breiteren Blick auf die Themen, dennoch bleibt aus meiner Sicht die Lebensrealität junger weißer Frauen mit Hochschulabschluss im Fokus. Ich selbst habe ein Psychologiestudium abgeschlossen und acht Jahre Berufserfahrung. Viele Punkte lösten bei mir eine hohe Resonanz aus, durch mein Studium kannte ich aber auch schon viele der erläuterten Konzepte.

Es ist wünschenwert, dass alle Personen unabhängig von Geschlecht und Alter ein besseres Verständnis für die angesprochenen Themen aufbauen, weshalb ich dem Buch eine diverse Leserschaft wünsche. Denn Chancengleichheit kann nur erreicht und Diskriminierung vermieden werden, wenn sich alle für strukturellen Wandel einsetzen.