Profilbild von Naraya

Naraya

Lesejury Star
offline

Naraya ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Naraya über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.05.2021

Eine bretonische Affäre

Mittwochs am Meer
0

Maurice lebt in Paris, ist alleinstehend und arbeitet als Insolvenzverwalter. Jeden Mittwoch fährt er deshalb in die Bretagne, um ein kleines Unternehmen zu retten, das vor dem Bankrott steht. Eines Tages ...

Maurice lebt in Paris, ist alleinstehend und arbeitet als Insolvenzverwalter. Jeden Mittwoch fährt er deshalb in die Bretagne, um ein kleines Unternehmen zu retten, das vor dem Bankrott steht. Eines Tages lässt ihm dabei die Rezeptionistin seines Hotels einen Brief und einen Gedichtband zukommen. Maurice, der sich in den letzten Jahren vom Einzelgänger fast schon zum Eremiten entwickelt hat, ist verunsichert. Was will eine Frau wie Dominique mit einem Mann wie ihm?

„Mittwochs am Meer“ ist eine Erzählung von knapp 170 Seiten, die aus der Sicht von Maurice schildert, wie sein Leben sich durch die Begegnung mit einer Frau, die er nie zuvor gesehen hat, völlig unerwartet verändert. Die Sprache ist dabei sehr wohlklingend und poetisch und die Seiten fliegen beim Lesen nur so dahin. Die Beschreibungen der Orte, zum Beispiel des menschenleeren Mont-Saint-Michel nachts um 2 Uhr machen, wie auch Oetkers Aquitaine-Krimis, Lust auf eine Frankreichreise, ein kühles Glas Wein und einen Spaziergang am Meer.

Weniger greifbar waren für mich die beiden Hauptfiguren. Maurice öffnet sich zwar in Gesprächen und erzählt von seiner lieblosen Kindheit und verlorenen Beziehungen, vernachlässigt auf der anderen Seite aber das Unternehmen, das er eigentlich retten soll und riskiert so zahlreiche Arbeitsplätze. Dominique wirkt von Beginn an sehr fordernd, gibt aber nur unwillig mehr von sich selbst preis. Die Anziehung zwischen den beiden scheint vordergründig sexuell zu sein und hier finde ich persönlich den stets gemeinsamen Höhepunkt als Zeichen der Verbundenheit etwas abgegriffen.

Im Verlauf der Handlung steuert die locker-leichte Affäre langsam, aber sicher auf eine Katastrophe zu. Als Leserin hat man schon lange vor Maurice ein ungutes Gefühl, das die zärtlichen Momente zwischen ihm und Dominique bittersüß erscheinen lässt. Das Ende kam für mich sehr plötzlich und ich hätte es so auch nicht vorhergesehen. Man kann sicherlich streiten, ob Alexander Oetker hier das Schicksal etwas überstrapaziert, aber eine spannende Sommerlektüre ist „Mittwochs am Meer“ allemal. Es dürfen gerne noch viele weitere Werke abseits von Krimi und Thriller folgen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.03.2021

Beeindruckend, aber etwas fehlt

Klara und die Sonne
0

Klara ist eine KF, also eine künstliche Intelligenz, die geschaffen wurde, um einem Kind eine Begleiterin und gute Freundin zu sein. Tag ein, Tag aus wartet sie in ihrem Laden darauf, von einer Familie ...

Klara ist eine KF, also eine künstliche Intelligenz, die geschaffen wurde, um einem Kind eine Begleiterin und gute Freundin zu sein. Tag ein, Tag aus wartet sie in ihrem Laden darauf, von einer Familie ausgewählt und mitgenommen zu werden. Als die junge Josie am Schaufenster auftaucht, ist Klaras Hoffnung groß. Doch eines hat sie bereits von der Ladenmanagerin gelernt: Kinder geben viele Versprechen, halten aber die wenigsten von ihnen.

In seinem neuen Roman „Klara und die Sonne“ erzählt der Literaturnobelpreisträger Kazuo Ishiguro die Handlung aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel. Klara ist eine künstliche Lebensform, im Prinzip ein Roboter, der nur für einen Zweck geschaffen wurde. Demzufolge bewegen sich ihre Gedanken nicht in menschlichen Bahnen, besonders Emotionen kann sie nur schwer einschätzen. Im Gegenzug kann sie andere Dinge in jedem Detail wahrnehmen, so zum Beispiel die Stimme und Art zu sprechen, den Gang, ja die ganze Persönlichkeit „ihres“ Kindes – eine Fähigkeit, die andere sich bald zu Nutzen machen wollen.

Dem Autor gelingt es auf beeindruckende Weise, die eigentlich unmenschliche KI und die Menschen in ihrer Umgebung gegenüber zu stellen. Dabei zeigt sich schnell, dass die Definitionen sich verschieben und miteinander verschwimmen. Nicht jedes menschliche Wesen ist ehrlich und hat für Josie nur das Beste im Sinn. Umgekehrt bedeutet Klaras Künstlichkeit nicht, dass sie nicht eine echte Bindung zu „ihrem“ Kind aufbauen und Gefühle wie Enttäuschung und Eifersucht entwickeln kann.

Obwohl ich im Grundsatz von der Handlung und Erzahlweise begeistert bin, fehlt mir am Ende etwas. Möglicherweise liegt das am Verlauf der Geschichte, der mich nicht völlig überzeugen konnte. Oder vielleicht auch daran, dass ich zu keinem der menschlichen Charaktere eine Beziehung aufbauen konnte? Zu Klara gelang das schon eher, aber es ist schwer, am Schicksal einer Figur teilzuhaben, die selbst alles für sie Vorbestimmte so freudig und ergeben hinnimmt. Immerhin gelingt es dem Roman aber, dass ich endlich etwas angehen möchte, was ich mir schon lange vorgenommen habe: weitere Werke von Kazuo Ishiguro zu lesen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.03.2021

Liebesgeschichte zweier Außenseiter

Die Katzen von Shinjuku
0

Yama ist Mitte zwanzig und arbeitet als Fernsehautor. Bisher hat er in diesem Beruf nicht besonders viel erreicht und wird daher von seinem Chef schikaniert. Eines Abends findet er durch Zufall seinen ...

Yama ist Mitte zwanzig und arbeitet als Fernsehautor. Bisher hat er in diesem Beruf nicht besonders viel erreicht und wird daher von seinem Chef schikaniert. Eines Abends findet er durch Zufall seinen Weg in eine Bar namens Karinka in Shinjuku – einem der belebtesten Viertel Tokios. Dort begegnet er einer Reihe seltsamer Gäste sowie der schweigsamen Kellnerin Yume. Nach und nach wird Yama zum Stammgast und erfährt nicht nur mehr über die streunenden Katzen, die stets am Fenster der Bar auftauchen, sondern auch über Yume. Die beiden nähern sich einander an, bis mehrere Ereignisse drohen, die zarten Bande der beiden wieder zu durchtrennen.

Durian Sukegawa gehört eindeutig zu meinen liebsten japanischen Autoren. Sein Roman „Kirschblüten und rote Bohnen“ hat mich sehr berührt und auch in „Die Katzen von Shinjuku“ beweist er, dass er ein Händchen für Charaktere hat. Yama und Yume sind beide Außenseiter und haben es schwer, sich in der Gesellschaft einzufinden. Körperliche Einschränkungen erschweren bei beiden die Lage noch zusätzlich. Während Yama hauptsächlich unter seinem erfolglosen Berufsleben leidet, scheinen Yumes Probleme sich auf etwas Persönliches in ihrer Vergangenheit zu beziehen. Vereint werden die beiden schließlich durch ihre Sorge für die streunenden Katzen des Viertels und ihre Liebe zur Poesie.

Der Autor erzählt unaufgeregt, aber eindringlich die Liebesgeschichte seiner Protagonisten aus dem Blickwinkel vom Yama. Dabei gewährt er auch einen Einblick in japanische Lebenswirklichkeiten wie den immerwährenden Druck im Arbeitsalltag oder die Situation alleinstehender Frauen. Große Teile des Romans gefielen mir dabei grundsätzlich sehr gut, bis die Handlung zu einem späteren Zeitpunkt eine bestimmte Wendung nahm. Mir ist klar, was Durian Sukegawa mit diesem Bruch bewirken wollte und das ist ihm sicherlich auch gelungen. Dennoch kann ich nicht verhindern, dass ich mir einen anderen Fokus gewünscht hätte und auch leicht frustriert über den weiteren Verlauf der Handlung war.

Fazit: Wieder ein schöner Roman aus Sukegawas Feder, aber nicht sein Bester

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.02.2021

Düsterer Abschluss der Trilogie

Abhängigkeit
0

Tove ist inzwischen eine junge Frau und endlich mit dem Verleger Viggo verheiratet. Doch schon kurz nach der Hochzeit beginnt die Unzufriedenheit. Es folgen weitere Ehen, Schwangerschaften, Geburten, aber ...

Tove ist inzwischen eine junge Frau und endlich mit dem Verleger Viggo verheiratet. Doch schon kurz nach der Hochzeit beginnt die Unzufriedenheit. Es folgen weitere Ehen, Schwangerschaften, Geburten, aber auch Abtreibungen. In ihrer dritten Ehe, mit Carl Ryberg, wird Tove schließlich von Betäubungsmitteln abhängig und ihr Leben steuert nach und nach auf eine Katastrophe zu.

Im dritten und finalen Band ihrer Trilogie erzählt Tove Ditlevsen sehr intensiv von ihrem Leben als (Ehe-)Frau, Mutter und Schriftstellerin. Den meisten Raum nimmt dabei wohl die Titel gebende Abhängigkeit ein, die jedoch auch sehr eng mit dem Thema Liebe verknüpft ist. Das besagt im Prinzip schon der Originaltitel „Gift“, was im Dänischen sowohl „Gift“ als auch „Ehe“ bedeuten kann. Toves Sucht und Carls ständiger Nachschub an Drogen scheinen zunächst die Beziehung der beiden zu intensivieren; sie werden unverzichtbar füreinander – darunter leidet jedoch gleichzeitig Toves Verhältnis zu ihrer kleinen Tochter und auch das Schreiben fällt ihr immer schwerer. Als Carls Sorge auf einmal zur psychotischen Obsession wird, begreift Tove, dass sich etwas ändern muss.

Dieser Roman ist sicherlich der düsterste, aber auch ehrlichste Roman der Trilogie. Das mag aufgrund des Themas absolut verständlich sein, dennoch fehlte mir die lustige, sarkastische, etwas naive Erzählstimme der jungen Tove. Stattdessen finden wir eine Protagonistin vor, die ihr Kind (bzw. später mehrere Kinder) vernachlässigt, um sich dem Rausch und vielleicht hin und wieder dem Schreiben hinzugeben. Natürlich ist auch hier wieder die Gesellschaft eine wichtige Komponente in dieser Entwicklung, die Frauen nicht zugesteht, selbstbestimmt zu handeln und zu leben. Dennoch blieb mir Tove in diesem Band ungemein fremd und für manches konnte und wollte ich einfach kein Verständnis aufbringen.

Die Art und Weise, zu erzählen, die Sprache, die Unmittelbarkeit – das alles ist weiterhin fabelhaft, keine Frage. Der Bezug zur Protagonistin ist mir jedoch leider verloren gegangen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.02.2021

Ein leiser Roman über die Kraft der Musik

Der Klang der Wälder
0

Der Tag, an dem der junge Tomura durch Zufall der Arbeit eines Klavierstimmers lauscht, soll sein Leben für immer verändern. Der Klang der Töne löst etwas in ihm aus und so schlägt er ebenfalls den Pfad ...

Der Tag, an dem der junge Tomura durch Zufall der Arbeit eines Klavierstimmers lauscht, soll sein Leben für immer verändern. Der Klang der Töne löst etwas in ihm aus und so schlägt er ebenfalls den Pfad des Klavierstimmers ein, obwohl er selbst kein Instrument spielt und sich mit Musik auch nicht besonders gut auskennt. Rückschläge und Erlebnisse mit unzufriedenen Kunden lassen ihn dabei immer wieder an sich zweifeln, die Angst vor dem Scheitern ist groß. Doch dann lernt er die beiden Schwestern Kazune und Yuni kennen und beginnt zu begreifen, dass technische Perfektion nicht alles ist, was einen guten Stimmer ausmacht.

Natsu Miyashita ist mit „Der Klang der Wälder“ ein leiser, zarter Roman über die Kraft der Musik gelungen. Dass die Autorin selbst das Klavier liebt, ist aus jeder Zeile zu lesen. Von Beginn an verbindet Tomura mit den Tönen die Geräusche des Waldes seiner Heimat. Immer wieder wird er auf diese Emotionen zurückkommen, die ihm letztendlich helfen, sein Handwerk noch besser auszufüllen. Und auch Tomuras Kollegen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, fördern jeder auf seine Weise, seine Begabung – sei es durch liebevolle Ermutigung oder harsche Kritik.

Eine Wende nimmt das Leben unseres Protagonisten jedoch vor allem durch seine Begegnung mit den beiden Schwestern, wobei es vor allem Kazunes Klavierspiel ist, das sein Innerstes anrührt. Von nun an möchte Tomura daher sein Können nutzen, um ihren musikalischen Weg zu unterstützen, doch es warten auch einige Hindernisse auf ihn.

Ich bin froh, dass die Autorin aus der Geschichte keinen Liebesroman gemacht hat – vor allem, da Kazune und Yuni noch Schülerinnen sind. Tomuras Interesse gilt rein dem künstlerischen Potenzial der beiden, was jedoch auch dazu führt, dass die Handlung stellenweise vor sich hinplätschert. Die metaphorisch-bildreiche Sprache, die niedergeschriebene Liebe zur Musik und der sympathische Protagonist tragen den Roman zwar, das „gewisse Etwas“ fehlt bis zum Ende leider. Hier hätte ich mir einfach mehr Tiefe gewünscht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere