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Nilchen

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.06.2022

Wie kommen wir noch klar mit unserer Welt mit ihren vielen Krisen?

Wie wir die Welt sehen
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Ronja von Wurmb-Seibel hat im Frühjahr 2020 als ganz persönliche Bewältigungsstrategie im ersten Lockdown zu Covid begonnen diese Texte zu schreiben. Zunächst für sich, für einen engen Kreis, nach und ...

Ronja von Wurmb-Seibel hat im Frühjahr 2020 als ganz persönliche Bewältigungsstrategie im ersten Lockdown zu Covid begonnen diese Texte zu schreiben. Zunächst für sich, für einen engen Kreis, nach und nach entwickelte sich die Idee das ganze in ein Buch zu gießen. Fertig wurde es dann in einer anderen Krise als die Taliban in Afghanistan die Macht übernahmen.
Dieses Buch ist eine Ansicht darauf, dass Nachrichten uns permanent negativem ohne Lösungsansatz aussetzen. Es beschreibt wie der Titel verrät: „Wie wir die Welt sehen“ – erklärt uns Leser:innen wie beispielsweise „danger of a single story“ auf uns einwirkt und wie die Medien von Hause aus getrimmt sind Nachrichten zu präsentieren. Sie möchte nicht, dass Menschen wegschauen, eher ins Tun kommen um der Hilf-und Machtlosigkeit etwas entgegenzusetzen.
Ronja von Wurmb-Seibel plädiert für einen konstruktiven Journalismus. Wir sollen nicht die Augen verschließen, nein, ganz im Gegenteil unabhängiger Journalismus bringt uns die Welt näher und soll uns die vielen Krisen dieser Erde deutlich machen: Kriege, Rassismus, Ungleichheit, Klimakatastrophe und und und ABER eben auch mit Lösungen, andere Perspektiven aufmachen.
Sie bringt das mit der prägnanten Formel: „Scheiße+x“ auf den Punkt. Krise erörtern und einen Hoffnungsschimmer, einen neue Denkansatz oder was auch immer positives es zum Thema gibt mit liefern. Das über den Tellerrand schauen, best practise Beispiele aus anderen Ländern, Städten, Orten der Welt einfließen lassen. Eben konstruktiv.
Das alles hat sie in dieses leicht lesbare, bereichernde Buch gepackt. Nach der Lektüre schaute ich anders Nachrichten, versuchte Quellen zu erschließen, die diesen konstruktiven Journalismus leben. Mir hat es eine interessante neue Perspektive gegeben. Vor allem spannend, weil sie selbst in Afghanistan lebte und Journalistin ist und somit genau weiß wie der Hase läuft und weiß wo man Ansätzen muss um aus der Negativspirale raus zu kommen.
Ich freue mich auf diesen konstruktiven Journalismus 2.0!

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Veröffentlicht am 28.06.2022

Reihenhausfeminismus in die Ecke gestellt

Who Cares!
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Mirna Funk spaltet die Gemüter. Sie wird heiß geliebt und zugleich genauso passioniert gehasst. Warum? Ich denke, weil sie klar ihre starke Meinung vertritt und gerne noch mal nachtritt um zu provozieren. ...

Mirna Funk spaltet die Gemüter. Sie wird heiß geliebt und zugleich genauso passioniert gehasst. Warum? Ich denke, weil sie klar ihre starke Meinung vertritt und gerne noch mal nachtritt um zu provozieren. Zum Aufrütteln, vielleicht bei machen auch zum Wachrütteln. Und vor allem für all die Frauen, die im Strudel der Debatten so manches Mal lieber die Ohren zu klappen. Sie pocht auf Selbstbestimmung und das Buch ist im Grunde ein Arschtritt für die Ausreden-Fraktion.

„Wir sind das System, in dem wir leben. Deswegen haben wir auch täglich Einfluss auf dieses System, in dem wir leben. Wir halten es aufrecht, wir verändern es, passiv oder aktiv.“ (S. 100)

Bei mir hat sie natürlich alleine wegen des Jahrgangs (1981) und ihrer Geburtsstadt (Berlin) ein Stein im Brett. Aber auch bei aller Liebe zu ihrer Grundüberzeugung, bin ich nicht immer und nicht ganz ihrer Meinung – muss ich auch nicht. Wie beispielsweise ihr Christentum bashing fand ich unnötig bei der Kürze des Textes, denn es fehlte da noch ein wenig Unterfütterung. Spannend ist es definitiv. Auch die ständigen Anglizismen haben mich irgendwann genervt, wenn die so im Text aufpoppten – come on – das kann du doch viel besser! Unnötig, denn dass sie eine lässige Braut ist, die ihr Selbstbewusstsein auf der Zunge trägt wird auch so deutlich. Chapeau, denn wir brauchen noch viel mehr solcher starken Frauen.
Das Buch ist klein und schmal, eine Essaysammlung zu den Themenblöcken Karriere, Liebe, Sex, Geld, Kinder & Körper. Sie selbst steht bei jedem Tex tim Vordergrund, es sind keine abstrakten Gedankenmodelle. Es ist ihre persönliche Lebensanalyse gepaart mit reflektierten Theorien. Wie da so ein kluger Gedanke auftaucht, dass Bindung nicht mit Anhängigkeit im Einklang funktioniert. Das hallt nach und bereichert. Besonders gut hat mir zum Schluss das versöhnliche Nachwort gefallen.
Sie polarisiert mit ihren Standpunkten und ihrer flapsigen irritierenden Art. Es gibt aus meiner Sicht genauso viele kluge Textstellen wie unnötige Ausführungen, aber aus Liebe zur Diversität. Bitte leben und leben lassen!!! Mich hat es gut unterhalten, bestärkt und gefreut, dass hier wieder sehr deutlich eine Frau ihre Meinung sagt.

„Mein Text hat nur ein Ziel, und das ist, daran zu erinnern, dass wir Frauen, entgegen allen Behauptungen, frei, autonom und unabhängig sind.“ (S. 105)

Fazit: Egal wie man zu der Meinung von Mirna Funk steht die hier im Buch niedergeschrieben ist, dieses Buch schreit nach der eigenen Meinung! Habt bitte eine Meinung und lasst uns in einen sinnvollen Dialog treten! Seit aktiv an der Gestaltung unserer Gesellschaft beteiligt und seit Teil des Entscheidungsprozesses statt nur zu Jammern.

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Veröffentlicht am 28.06.2022

Tief gefallen – mit oder ohne Aufprall?

Von hier betrachtet sieht das scheiße aus
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„Am Abgrund gibt es oft einen guten Ausblick. Wenn es vor einem nach unten geht, bedeutet das, dass man aktuell recht weit oben ist. Aber auch, dass man fallen kann. Das Fenster ist offen, unsere Welt ...

„Am Abgrund gibt es oft einen guten Ausblick. Wenn es vor einem nach unten geht, bedeutet das, dass man aktuell recht weit oben ist. Aber auch, dass man fallen kann. Das Fenster ist offen, unsere Welt klein und die Nacht alt.“ (S. 252)
Max Osswald kann schreiben, so viel steht 100%ig fest, nicht alle werden von seiner Lebensweisheit in derbem Tonfall begeistert sein, der immer auch eine Spur Humor an Board hat, aber lasst es euch gesagt sein: Es lohnt! Mir hat es super gut gefallen und ich hoffe, dass ‘Von hier aus betrachtet sieht das scheisse aus’ nicht sein einziger Roman bleiben wird.
Auf welchen Inhalt treffen wir hier mit diesem rotzigen Titel? Wir treffen auf Ben, der seinen besten Freund mit Anfang 20 verlor, da er sich vom Hochhaus stützte und nun landet Ben selbst 6 Jahre später in einer Lebenskrise und hat drastische Pläne. Er will sich umbringen, hat aber nicht die Courage es selbst zu machen und er engagiert einen Hitman um es in 50 Tagen geschehen zu lassen zu einem unbekannten Zeitpunkt.
„Unser Handeln wird angetrieben von Sehnsüchten, Triebe, Begehren, Wünschen. Man will, will, will. Ich wollte, wollte, wollte. Bis ich mich fragte, wieso. Und darauf keine Antwort fand.“ (S. 218f)
Aus dieser Idee entspinnt sich eine irre Geschichte, die viele Themen angeht: Was will ich vom Leben? Was ist ein erfülltes Leben? Bin ich offen mich treiben zu lassen? Ist Lebensstruktur ein Gefängnis oder ein angstminimierendes Gerüst? Und all diese doch recht elementaren Fragen an das Leben ist in diese makabre wie bissige Geschichte gewickelt. Lasst euch nicht abschrecken vom Todesthema. Es gibt Struktur und einen roten Faden, aber die Bilder links und rechts der Reise machen den Roman aus. Es wird gelebt, geliebt und gesponnen. Eine schöne Ablenkung vom Alltag.
„Es ist immer besser, etwas Schönes zu erfahren, dass irgendwann endet, als von vornherein darauf zu verzichten, weil es endet oder enden könnte. Alles endet. Und ja, am Ende ist es sowieso egal. Am Ende bleibt sowieso nichts. Am Ende ist das Ergebnis dasselbe. Aber man lebt ja nicht für das Ende, sondern für das Zwischendrin.“ (S. 328)
Erwähnenswert ist noch, dass der Roman fast ausschließlich in München spielt und einiges Bekanntes auftaucht!

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Veröffentlicht am 24.06.2022

Gelsenkirchen unter der Lupe

Lenin auf Schalke
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Wissen Sie welche Stadt gemeint ist, wenn es da heißt: „Stadt der tausend Feuer“? Wenn man dieser Frage nachschiebt, dass man auch gut und gerne „Stadt der tausend Kneipen“ sagen könnte heute, dann lichtet ...

Wissen Sie welche Stadt gemeint ist, wenn es da heißt: „Stadt der tausend Feuer“? Wenn man dieser Frage nachschiebt, dass man auch gut und gerne „Stadt der tausend Kneipen“ sagen könnte heute, dann lichtet sich das Dunkel und wir sind angekommen. Ganz unten. In einer Stadt, die es schafft alle Ranglisten anzuführen: Ärmste Stadt Deutschland, Stadt mit der höchsten Arbeitslosigkeit und dem geringstes Pro-Kopf-Einkommen Deutschland. Gewonnen hat diese Titel: Gelsenkirchen.
Einst der glorreiche Ort der Kohle, die alle Lampen der BRD zum glühen brachte, heute im Abstiegskampf und das nicht nur beim identitätsstiftenden Schalke.
Der Schweriner Autor Gregor Sander machte sich also auf in die tiefste westdeutsche Provinz, nahm viele Skurrilität, Begegnungen und Orte auf und schrieb dann diese fiktive (!) Erkundungsreise. Der Autor war vor Ort und natürlich ist es ein Abbild des Erlebten, aber eben kein dokumentarisches erzählen.
Er gibt uns den Ossi-Blick auf den marodesten Ort Deutschland im Westen. Sander erkennt dort ungute Strukturen wie den Rechtsruck in der Gesellschaft und das Gefühl abgehängt zu sein, aber auch den unendlichen Lokalpatriotismus, die Liebe zur Heimat, die man von außen nur auf den 2. Blick verstehen kann, denn die Menschen sind voller sympathischer Selbstironie und überschätzen sich keineswegs.
Das Buch ist stellenweise witzig, aber hat immer den notwenigen Ernst, die Lage zu erkennen und zu reflektieren. Aus der sanierten Ost-Sicht auf einen Fleck Deutschland im Westen zu schauen, macht das ganze besonders spannend. Der Blick ist unverstellt, ohne Vorurteile und immer sinnierend. Schön auch, dass der Dialekt durchklingt (sicher ein Vorteil, wenn man das Hörbuch zum Buch genießt!)
Fazit: Trauen Sie sich erst mit diesem Stück Literatur Gelsenkirchen zu nähern, um dann im zweiten Schritt den Ommas, den Schalke-Fans und den Malochern selbst zu begegnen. Sehr gelungenes Buch!

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Veröffentlicht am 23.06.2022

Ein Buch für Kunstliebhaber, die gerne hinter die Kulissen schauen

Frühling wird es sicher wieder
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David Hockney ist Meister seines Faches und das ist die Kunst. Der 1937 geborene Brite ist besonders für seine Malerei bekannt, aber er fühlt sich auch in anderen Kunstformen zu Hause. Er ist einer DER ...

David Hockney ist Meister seines Faches und das ist die Kunst. Der 1937 geborene Brite ist besonders für seine Malerei bekannt, aber er fühlt sich auch in anderen Kunstformen zu Hause. Er ist einer DER Künstler schlechthin, wurde doch eines seiner bekanntesten Werke für 90,3 USD versteigert im Jahre 2018.
Nun liegt dieses umfassende Buch „Frühling wird es sicher wieder“ vor, dass sich damit beschäftigt wie Hockney nach seinem 80. Geburtstag Ruhe auf Land wollte um vor allem die Natur aufsaugen. Es wurde die Normandie. In einem alten Bauernhause lies er sich ein Atelier einrichten. Hockney widmete sich dem Frühling. Hier wollte er Bäume blühen sehen und die Vielfalt der Natur aufsaugen. Er wollte genau beobachten, malen, studieren wie die Welt erwacht und wieder erblüht. Covid-19 verstärkte die Situation dann 2020 und er blieb in der Normandie.
Martin Gayford der den Text dieses umfassenden Buches schrieb, kennt Hockney schon länger und die beiden verbindet eine tiefe Freundschaft. Man spürt dem Text diese Nähe nach und macht es umso faszinierender wie offen hier viele Gespräche und Austausche wiedergegeben wurden.
‚Frühling wird es immer wieder‘ ist kein Kunst-Bildband. Es ist ein Buch über eine Lebensperiode des Künstlers mit dem Fokus diesen herrlichen Frühling zu malen. Das Werk enthält natürlich auch etliche Abbildungen von Hockneys Werken und Bilder des Künstlers (142 Abbildungen), aber diese sind eher klein, was auch dem Format des Buches geschuldet ist und sind nicht der Fokus. Im Mittelpunkt steht der Text, der künstlerische Diskurs.
Da ich nicht im Kunst-Betrieb stecke und wie die meisten eine Außenstehende bin mit viel Faszination für die Bilder Hockneys hat mir dieses Buch gerade viele vergnügliche Lesestunden bereitet. Bekommt man doch hier einen echten Einblick und ich war hinterher noch mehr begeistert!

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