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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.12.2021

Kann Literatur die Augen öffnen?

Every (deutsche Ausgabe)
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Wieder einmal versucht Dave Eggers sich sozialkritisch den sozialen Medien zu nähern und schrieb die Fortsetzung zu „Der Circle“. Der Circle hat mich zum damaligen Zeitpunkt stark beeindruckt und auch ...

Wieder einmal versucht Dave Eggers sich sozialkritisch den sozialen Medien zu nähern und schrieb die Fortsetzung zu „Der Circle“. Der Circle hat mich zum damaligen Zeitpunkt stark beeindruckt und auch überzeugt. Da viele Parallelen zum aktuellen Stand vorhanden waren. Nun benennt sich „The Circle“, da es Imageprobleme gibt und heißt nun als noch größerer Konzern „Every“. Das ist aber auch schon die aktuellste Gemeinsamkeit bei der man Dave Eggers eine fast hellseherische Gabe zuspricht.
In diesem Roman schleust sich Delaney Wells in den Konzern ein und will ihn in die Knie zwingen indem sie schlechte und rufschädigende Apps erfindet wie eine Lügendetektor-App. Das heißt Apps, die ihr so Absurd vorkommen, dass sie keiner nutzen will. Dummerweise gehen ihre Schüsse meist nach hinten los.
Dave Eggers verweigert sich selbst die sozialen Medien zu nutzen und ist kein sehr rechercheafiner Autor und das merkt man diesem dystopisch wirkenden Roman an. Es ist eine Melange aus Kritik an der gegenwärtigen Situation und zugleich ein Versuch es in die Zukunft düster voranzudenken. In Teilen gelungen, in andere weniger.
Andererseits ist ihm gelungen der Leserschaft vor Augen zu führen was Soziale Netzwerke mit uns machen. Dieses ständige Bewerten mit Likes und Herzen, es kann wie eine Spirale eskalieren und die normalen Umgangsformen komplett aushebeln. Bewerten ist zur Währung geworden. Eine Welt im Umbruch erweckt das Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle, dass mit großen Tech-Konzernen auf vielfältige Weise gestillt werden kann. Aber was ist der Preis den die Menschheit bezahlt? Mit Freiheit.
Dave Eggers hat wieder einen kritischen Roman geschrieben der die Giganten der Tech-Industrie in Beschuss nimmt und uns ein wenig die Augen öffnet was aus unserer komplexen menschlichen Interaktion geworden ist. Auch wenn es in Teilen zu lange Beschreibungen der Apps gibt, liest der Roman sich spannend und gut.

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Veröffentlicht am 22.11.2021

Komplexer als zunächst gedacht!

Ohne Schuld
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Wieder einmal ein Kriminalroman, der mehr ist als nur aus einem zu lösenden Fall besteht. Denn wer nur nach der Suche auf Unterhaltung und rasante Handlung ist, wird hier nicht glücklich. Auch ich war ...

Wieder einmal ein Kriminalroman, der mehr ist als nur aus einem zu lösenden Fall besteht. Denn wer nur nach der Suche auf Unterhaltung und rasante Handlung ist, wird hier nicht glücklich. Auch ich war zunächst etwas enttäuscht, weil es etwas schleppend voran ging und viele Dinge, dann doch wiederholt werden. Ja, hier hätte man von den knapp 540 Seiten ruhig auch noch mal 50 Seiten streichen können. Mich hat es ehrlicherweise erst nach 100-120 Seiten gepackt, dann aber richtig. Zum einen der Fall, das liegt auf der Hand, aber auch die Ermittler in ihrer ureigenen Dynamik. Das kann Charlotte Link wirklich großartig!
‚Ohne Schuld‘ ist der dritte Band der Kate Linville & Caleb Hale-Reihe. Kate Linville ist kurz davor die Stelle zu wechseln zur North Yorkshire Police und eigentlich im Umzugsstress und soll nun auch noch das Wochenende relaxen, weil ihre Kollegen ihr zum Abschied ein Wellnesswochenende geschenkt haben. Nun gut, sie packt ihren guten Kumpel Colin ein und es geht mit dem Zug los. Aber dann wird genau in diesem Zug eine Frau von einem Verrückten verfolgt und will sie erschießen. Gleichzeitig ist Caleb Hale gefordert, weil ein überforderter Familienvater sich mit seiner Frau und den beiden Kindern eingeschlossen hat und die Situation droht zu eskalieren. Außerdem folgt ein dritter Handlungsstrang, der unsere Nerven zusätzlich drangsaliert.
Was mir vor allem gut gefallen hat, ohne zu viel zu verraten, dass es nicht immer die gleichen vorhergesehene Wendungen nimmt, sondern das Leben eben einem manches Mal übel mitspielt.
‚Ohne Schuld‘ war mein erster Roman von Charlotte Link und ich greif sicher auch bei anderen ihrer Krimis zu, aber sie landet nicht in meinen persönlichen TOP 10.

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Veröffentlicht am 27.10.2021

Abgefahrene Lektüre

Das neue Herz
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Die Skandinavier:innen sind ja bekannt dafür gerne mal Neues auszuprobieren und landen oft einen Nerv. Lina Wolff macht genau das aus meiner Sicht, denn dieser ganze Roman ist wie ein Ritt. Als ob wir ...

Die Skandinavier:innen sind ja bekannt dafür gerne mal Neues auszuprobieren und landen oft einen Nerv. Lina Wolff macht genau das aus meiner Sicht, denn dieser ganze Roman ist wie ein Ritt. Als ob wir reiten lernen und bis zum Galopp alles an einem Tag durchziehen – es wird immer schneller. Nach der Lektüre klappen wir das Buch zu und sind geplättet!
Wir begeben uns mit einer blockierten Schriftstellerin nach Madrid, die Reißaus nimmt um wieder schreiben zu können. Sie nimmt einen Job an in dem sie einen Dementen pflegt. Auch trifft sie auf einen Mann, der ihr eine Geschichte liefern will, wenn sie ihn aufnimmt für ein paar Tage. Und hier nimmt die Geschichte Anlauf auf den Abgrund. Denn die Story, die er zu erzählen hat, ist inklusiver alter Nonne schon grenzwertig und es geht danach noch turbulenter weiter.
Abstrus geht es rund. Klar, Lina Wolff schöpft ihre Möglichkeiten aus und gibt den Frauen alle Macht in die Hand und spinnt ihre Fäden. Hier darf man aus meiner Sicht nicht vergessen, dass es ein Roman ist: Fiktion die überzeichnet. Fiktion, die auslebt was das Leben vielleicht nicht zu bieten hat. Fiktion, die andere Welten aufmacht.
Daher ist auch der Titel „Das neue Herz“ hier gut getroffen á la neue Runde neues Glück. Es gibt aufeinander folgende Veränderungen, die wie Spiralen immer enger werden. Aus meiner Sicht gutgeschrieben und abgefahren spannend. Aber in der Tat kein leichter Stoff und nicht was für die breite Mitte. Fände ich auch schade, wenn es nur noch weichgespülte Literatur gäbe.
Wer immer noch nicht weiß ob es was sein könnte: Es sind knappe 270 Seiten, die lesen sich schnell weg, kein dicker Schinken. Also, auf in ein Abenteuer der besonderen Art!

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Veröffentlicht am 26.10.2021

Eine Liebe im Wandel der Zeitenwende

Kairos
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Katharina und Hans sind ein Paar. Hans ist Schriftsteller im Kreis seinesgleichen und weit über 50. Er trifft auf die weitaus jüngere Katharina, die erst 19 Jahre alt ist als sie sich 1986 verlieben. Er ...

Katharina und Hans sind ein Paar. Hans ist Schriftsteller im Kreis seinesgleichen und weit über 50. Er trifft auf die weitaus jüngere Katharina, die erst 19 Jahre alt ist als sie sich 1986 verlieben. Er genießt die Privilegien dieser Zeit in intellektuellen Kreisen und das macht sie sich zu Nutze um sich Wissen zu erschließen – sie genießt das intellektuelle Kapital das zu damaliger Zeit rar war. Denn es ist die Zeit der DDR, aber der Bruch naht, denn es ist bereits das Ende der DDR eingeläutet. Wir erleben mit ihrer Beziehung das Ende der DDR mit. Nicht nur politisch geht die DDR den Bach runter, auch ihre private Zweisamkeit wird aus den Angeln gehoben. Es steht zwar die Paarbeziehung im Vordergrund der Geschichte, aber auch das zeitgeschichtliche Portrait der Wendezeit aus DDR-Perspektive ist bereichernd geschrieben.
Dieser Roman von Jenny Erpenbeck mit dem sinnbildlichen Titel ‚Kairos‘ ist zum einen ein gelungenes historisches Werk mit Blick auf die Zeit der Wiedervereinigung und illustriert gekonnt die Beziehung der beiden vor dieser Kulisse. Kairos, der günstige Zeitpunkt, den man nicht verpassen sollte. Ich interpretiere es im Sinne der weiblichen Protagonistin, die den Augenblick genutzt hat und sich mit Hans zu liieren um für sich eine vorteilhafte Situation zu schaffen, die mit veränderten Verhältnissen wieder kippt.
(Ost)Berlin ist in diesem Buch großartig in Szene gesetzt. Es erschließt sich mir wie eine neue Welt, die ich nie kennengelernt habe, bin ich doch im anderen Teil der Stadt groß geworden.
Mir hat der Roman gut gefallen, es lass sich stringent und gut. Ob und wieweit hier die DDR und ihr Ende in seiner Dramaturgie richtig dargestellt wurde, maße ich mir kein Urteil an, denn ich habe zwar die Wende erlebt, aber aus westlicher Sicht und als Kind.
Fazit: Nicht von der Alter Mann-Junge Frau-Beziehung irritieren lassen, dieser Roman kann so viel mehr!

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Veröffentlicht am 19.08.2021

Es ist nie zu spät oder irgendwann ist der Zug abgefahren?

Das Archiv der Gefühle
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Keine 200 Seiten umfasst diese Geschichte eines skurrilen Mannes, eines Archivars, der leider seinen Job verlor als Papierarchivar im Pressehaus und nun im Haus seiner verstorbenen Mutter sein eigenes ...

Keine 200 Seiten umfasst diese Geschichte eines skurrilen Mannes, eines Archivars, der leider seinen Job verlor als Papierarchivar im Pressehaus und nun im Haus seiner verstorbenen Mutter sein eigenes Archiv pflegt. Wir sind alle Teil einer bestimmten Bubble, aber er – namenlos – lebt so ganz in seiner eigenen Welt, seiner Phantasie. Wirklich kurios! Nur eines bringt den Mann aus dem Konzept und das ist Franziska, seine Jugendliebe, die in der Zwischenzeit eine große Karriere hingelegt hatte unter dem Pseudonym Fabienne. Sie taucht wieder in seinem Leben auf und stellt alles auf den Kopf. Es geht so weit, dass er sein geliebtes Archiv, seine Traumwelt in die er sich zurückzog vom echten Leben im wahrsten Sinne auf den Müll kippt und sich öffnet.
Peter Stamms Roman ‚Das Archiv der Gefühle‘ ist leise erzählt, die Charaktere gut skizziert, kein Wort zu viel, keines zu wenig. Ein melancholischer Unterton bestimmt das Erzählen und koloriert das Geschehen in gedämpfte Farben. Sehr stimmig und überzeugend zeigt Stamm die Besinnung eines Mannes und deutet an, dass es nie zu spät ist für jeglichen Sinneswandel.
Fazit: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!

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