Profilbild von Paperboat

Paperboat

Lesejury Star
offline

Paperboat ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Paperboat über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.02.2023

Großartiges Debüt der Autorin!

Emilia und der Junge aus dem Meer
0

Die kleine Emilia, genannt Lämpchen, lebt mit ihrem Vater Augustus zusammen im Leuchtturm. Die beiden führen ein entbehrliches, einsames Leben. Dem Vater fehlt ein halbes Bein, darum geht seit Jahren schon ...

Die kleine Emilia, genannt Lämpchen, lebt mit ihrem Vater Augustus zusammen im Leuchtturm. Die beiden führen ein entbehrliches, einsames Leben. Dem Vater fehlt ein halbes Bein, darum geht seit Jahren schon Emilia abends hoch, zündet das Leuchtfeuer an und morgens hoch, um es zu löschen. Den beiden fehlt vor allen Dingen eine Mutter, die auch Emilia hieß, weshalb Lämpchen zu ihrem Spitznamen gekommen ist, denn der Verlust der Mutter für Lämpchen und der Frau für Augustus ist nach wie vor groß. Zwischen Vater und Tochter gibt es keine Zuneigung, dennoch weiß Lämpchen irgendwie, dass ihr Papa sie liebt, auch wenn er ihr das nie zeigt. Darum verliert das Mädchen sich auch häufig in Tagträumen.
So auch eines Tages, als sie sich unbedingt dran erinnern wollte, dass sie dringend noch Streichhölzer kaufen muss – sie hatte es vergessen. Aber das Licht im Leuchtturm muss immer brennen, und so macht sie sich während eines aufkommenden Sturms auf zum Krämerladen, um eine Packung Streichhölzer zu kaufen. Der Sturm entfaltet sich während der Diskussion der Krämersfrau, die für Lämpchen nicht erneut anschreiben will. Durch das Eingreifen des netten Krämers kommt sie dann doch endlich weg, aber draußen tobt der Sturm nun sehr. Lämpchen schafft es gerade so heil nach Hause, die Streichhölzer jedoch sind verloren. Und es kommt wie befürchtet: Das Licht im Turm bleibt aus und ein Schiff läuft auf den Felsen in der Bucht auf. Die Obrigkeiten machen Augustus für den Schaden verantwortlich und sperren ihn im Turm ein, damit er die Schulden abarbeitet. Lämpchen indessen wird in das gefürchtete Schwarze Haus geschickt, von dem Gerüchte besagen, dass ein Monster darin hausen soll.
Traurig lebt Lämpchen sich in dem schmuddeligen Haus ein bei Martha, die den Haushalt führt, ihrem Sohn Lennie und Nick, der sich um den Garten kümmert. Ihre Neugier treibt Lämpchen eines Tages ins Turmzimmer des Schwarzen Hauses, wo sie auf das leibhaftige Monster trifft: Einen Meerjungen. Er ist in einem bedauernswerten Zustand, weil die Bewohner des Hauses sich nicht zu ihm trauen. Edward, wie der Meerjunge heißt, stellt sich als der Sohn des Admirals vor, dem das Schwarze Haus gehört. Marthas Mann, der ihn vorher liebevoll versorgt hat, ihm Lesen und Schreiben, Geografie und vieles andere beigebracht hat, ist kurz vor Lämpchens Ankommen im Schwarzen Haus nämlich verstorben. Martha ist froh, dass Lämpchen von sich aus erklärt sich künftig um Edward, den sie zu seinem Ärgernis nur Fisch nennt, zu kümmern. Die beiden Kinder stellen fest, dass sie beide etwas gemeinsam haben, denn auch Edward hat die Mutter verloren. Die Lämpchen und Fisch werden Freunde.
Eines Tages kehrt von einer langen Seereise der Admiral nach Hause. Er bringt die neu entsandene Harmonie im Hause völlig durcheinander, was Entscheidungen nach sich zieht, die alle betreffen...

„Emilia und der Junge aus dem Meer“ war für mich wirklich eine tolle Geschichte. Es ist nicht nur eine Märchengeschichte, die an Hans Christian Andersens kleine Meerjungfrau denken lässt, sondern es sind ernste Themen in ihr verarbeitet. Unausgesprochene Liebe beherrscht viele der Charaktere, so dass sie zu einem einsamen Leben verdammt sind, weil sie sich nicht trauen ihre Zuneigung den Menschen zu bekunden, die sie innig lieben. Darum, anders zu sein, geht es. Lämpchen hat zwar eine herzliche Art, wird aber durch ihre Armut von den Dorfbewohnern ausgegrenzt und von ihrem Vater, der seinen Schmerz lieber im Schnaps ertränkt, wenig wahrgenommen; innerliche Zwiesprache mit ihrer Mutter offenbart dem Leser, wonach Lämpchen sich sehnt. Fisch wird durch den Willen seines Vaters einen normalen Jungen als Sohn zu haben, in eine Rolle gepresst, die ihn seinen meerischen Ursprung verleugnen lässt. Und Lennie, der Sohn der Haushälterin, wird durch seine geistige Zurückgebliebenheit, ständig unterschätzt, obwohl viel mehr in ihm steckt. Geselligkeit finden die Ausgestoßenen nur untereinander wie die „Freak-Show“ auf dem Jahrmarkt deutlich macht.

Ich kann mir gut vorstellen, dass gerade jüngere Leser (das Buch wird für eine Altersklasse ab 10 Jahren empfohlen) ein bisschen elterliche Begleitung gebrauchen könnten, weil es an manchen Stellen doch ein wenig melanchonisch macht. Aber auch ansonsten ist es eine sehr schöne Geschichte – und das nicht nur dadurch, dass die Rollenverteilung der Meerjungfrau einmal umgedreht wurde.
Ich hoffe, Annet Schaap schreibt auch weiterhin solche schönen Bücher! Ich werde die Autorin auf jeden Fall weiter verfolgen.

Veröffentlicht am 06.05.2024

LGBTQIA+-Endzeit-Story

Wranglestone
0

Wranglestone ist eines der letzten Reservate, in denen die verbliebenen Menschen einigermaßen sicher leben können. Seit die Welt von den sogenannten Ruhelosen überrannt wurde, Infizierten in einem zombiegleichen ...

Wranglestone ist eines der letzten Reservate, in denen die verbliebenen Menschen einigermaßen sicher leben können. Seit die Welt von den sogenannten Ruhelosen überrannt wurde, Infizierten in einem zombiegleichen Zustand, gibt es nicht mehr viele Orte wie diesen.
Als einziger hat Peter bisher nie das Festland betreten. Sein gesamtes Leben hat er auf den kleinen Inseln des Lake Wranglestone verbracht. Der sensible Jugendliche beschäftigt sich lieber mit häuslichen Aufgaben und gibt sich gerne der Schwärmerei für Cooper hin. Cooper ist ein richtiger Cowboy, dessen Aufgabe es ist, große Herden von Ruhelosen von Wranglestone fernzuhalten, indem er sie auf die große Ebene nahe des Sees treibt.

Nach einem Zwischenfall, der die Gemeinschaft von Wranglestone bedroht, ist für Peter jetzt die Zeit gekommen, herauszufinden, wie die wahre Welt jenseits der Inseln aussieht. Dabei kommt er Cooper nahe, der Peters Gefühle erwidert. Die beiden Jungen erfahren von der Liebe, die sie schon seit langer Zeit füreinander empfinden, jedoch nie ausgesprochen haben. Eine Liebe, die in einer Welt voller Zombies auf eine Probe von - im wahrsten Sinne - Leben und Tod gestellt wird.

Ich habe ein bisschen gebraucht, um wirklich in die Geschichte von Wranglestone einzutauchen. Das kann aber auch an einer Leseflaute liegen, die ich momentan bei mir erahne. Die Welt, in der Peter, Cooper und die Bewohner:innen von Wranglestone leben, hat mich als The-Walking-Dead-Fan sehr fasziniert. Die beiden Jungs sind ein äußerlich ungleiches, im Herzen aber sehr harmonisches Paar. Auf jeden Fall eine coole LGBTQIA+-Endzeit-Story!

Veröffentlicht am 18.02.2024

Ein kleines bisschen Dystopie

Ziemlich zappenduster
0

Lisas Familie erlebt natürlich genau dann den Stromausfall des Jahrhunderts, als Lisas Vater mit einkaufen dran war. Mit den väterlichen Einkaufskünsten sitzt die Familie nun mit lediglich zwei Flaschen ...

Lisas Familie erlebt natürlich genau dann den Stromausfall des Jahrhunderts, als Lisas Vater mit einkaufen dran war. Mit den väterlichen Einkaufskünsten sitzt die Familie nun mit lediglich zwei Flaschen Mineralwasser zu Hause und wartet darauf, dass der Strom wieder anspringt. Für Lisas Bruder ist der Blackout besonders schwer zu ertragen, denn natürlich funktioniert weder das Internet noch kann er mit seinem Smartphone Videos für seinen YouTube-Kanal drehen. Während Lisas Vater seiner typischen Mal-schauen-was-kommt-Art glaubt, dass sich der Strom schon bald wieder einschalten wird, erkennt ihre Mutter die Gefahr einer aufkommenden Panik in der Bevölkerung, in der keiner mehr sicher ist. Und tatsächlich tauchen bald Plünderer auf, gegen die sich die Familien des Mehrfamilienhauses wehren müssen.

Das Fazit, das dieses Buch hinterlässt: Bereite dich vor. Lisas Papa ist ein Meister der Verdrängung, schwankt von der Zuversicht, dass die Regierung den Stromausfall schon bald behoben haben wird, zwischen Schuldzuweisungen, wer dafür verantwortlich ist und Verzweiflung darüber, eben nicht im Mindesten vorbereitet zu sein. In dem Chaos aus fehlender Heizung, fehlendem Wasser und kaum Nahrungsmitteln bewahrt Lisa sich nicht nur Zuversicht, sondern hält vor allem Ausschau danach, wer Hilfe braucht und von wem man welche erhalten kann.

Veröffentlicht am 18.02.2024

Eine besondere Ausdrucksform

fancy immigrantin
0

Fancy Immigrantin. Was ist eine Fancy Immigrantin? Hatice Açıkgöz unterscheidet zwischen Fancies, Menschen mit Migrationshintergrund; und Basics, der (weißen) Dominanzgesellschaft angehörig, manche davon ...

Fancy Immigrantin. Was ist eine Fancy Immigrantin? Hatice Açıkgöz unterscheidet zwischen Fancies, Menschen mit Migrationshintergrund; und Basics, der (weißen) Dominanzgesellschaft angehörig, manche davon fähig zu lernen (auch von diesem Buch), andere (wie die AfDoofies) eher nicht.
Açıkgöz Tagebuch liest sich nur insofern chronologisch, als dass sie darin prägende Ereignisse/Erlebnisse/Erfahrungen aus ihrem Leben aufgereiht hat. Deutsche Kulturübernahme à la Wallah, Bodyshaming, Hanau, unterstellte Identitätsdefizite aus der eigenen Community, Halle. Aus einer mehrfachen Marginalisierung heraus schreibt sie dieses poetische Tagebuch, das sie – anders als ihre anderen Werke – politisch verstanden wissen möchte.
Nicht nur ein poetisches, nicht nur ein politisches, sondern auch ein persönliches Tagebuch, dessen letzte Seite beim Zuklappen aussieht, als würde sie mir winken und viel Glück wünschen dabei, über das Gelesene nachzudenken.

Veröffentlicht am 25.12.2023

Eine Welt ohne Männer?

Die andere Hälfte der Welt
0

Als Dr. Amanda Maclean im Krankenhaus drei Männer mit Fieber behandelt, die alle kurz nacheinander sterben, ist ihr schnell klar, dass sie es mit dem Beginn einer Pandemie zu tun hat. Ihre bedrohliche ...

Als Dr. Amanda Maclean im Krankenhaus drei Männer mit Fieber behandelt, die alle kurz nacheinander sterben, ist ihr schnell klar, dass sie es mit dem Beginn einer Pandemie zu tun hat. Ihre bedrohliche Entdeckung teilt sie der Gesundheitsbehörde mit, doch Amandas Warnung bleibt ungehört, und dann ist es zu spät. Das Virus, das nur Männer befällt, durchdringt innerhalb kürzester Zeit die schottische Bevölkerung und breitet sich über die Landesgrenzen hinaus aufs Festland und auf der ganzen Welt aus.
Die folgenden Wochen und Monate werden von Angst, Tod und Trauer beherrscht. Die Zivilisation versinkt im Chaos, und doch waren Frauen für sich nie so sicher, denn sie können zwar (Über-)Trägerinnen des Virus sein, selbst aber nicht daran sterben. Auf der Suche nach abgelegenen Orten, an denen Männer die tödliche Pandemie auszusitzen vermögen, brächten sie sich in Lebensgefahr, wenn sie Frauen zu nahe kämen. Vergewaltigungen und Plünderungen, wie sie es sonst gäbe, bleiben so aus. Doch auch wenn die Frauen nicht am Virus sterben können, so haben sie Väter, Brüder, Partner, Söhne und Enkel, die sie durch das Virus verlieren können.
In Episoden wird die Pandemie aus der Sicht verschiedener Frauen erzählt. Frauen, die bereits wissen, dass ihre Männer und Jungen erkranken werden. Jede dieser Frauen durchlebt auf ihre Weise einen Verlust. Und nach der Zeit der Trauer gilt es, die Zivilisation wieder aufzubauen. Frauen müssen männlich konnotierte Rollen und Berufe übernehmen, alle müssen einen staatlich verortneten Beitrag leisten.

Bei dieser gesellschaftlichen Dystopie komme ich gar nicht umhin, Parallelen zur Covid-Pandemie zu ziehen. Doch genauso denke ich an die Frauen im und zum Ende des Zweiten Weltkrieges, die ob der vielen im Krieg gebliebenen Soldaten, welche die Wirtschaft am Leben und das Land wiederaufbauen mussten. Ein interessantes Gedankenspiel, diese männervernichtende Pandemie.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen, auch wenn ich zeitweise Probleme dabei hatte, mir all die Frauen und ihre Beziehungsgeflechte zu merken. Manche Stelle hätte gekürzt werden können, bei manchen Charakteren hätte ich gerne länger verweilt. Auf jeden Fall gibt es von mir eine Leseempfehlung!