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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.02.2022

Eine komplizierte Beziehung

Unser wirkliches Leben
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Das Cover ist schemenhaft und sehr einfach gehalten. Nur die Farben rot, schwarz und blau sind vorhanden, und die Gesichter sind anonymisiert. Es gefällt mir nicht besonders, soll aber wohl zum Titel passen.
In ...

Das Cover ist schemenhaft und sehr einfach gehalten. Nur die Farben rot, schwarz und blau sind vorhanden, und die Gesichter sind anonymisiert. Es gefällt mir nicht besonders, soll aber wohl zum Titel passen.
In diesem Roman geht es um die 25-jährige Anna, die in London eine teure Gesangsausbildung zur Opernsängerin absolviert. Sie konkurriert mit vermögenden Kommilitoninnen, die nicht, wie sie, nebenbei arbeiten müssen. Mir gefällt Crimps Einblick in die Welt der Oper, die von einem Kampf um Erfolg und Anerkennung geprägt ist. Sehr realistisch wird auch Annas Wohnsituation beschrieben, in einem möblierten Zimmer, bei schrecklichen Vermietern. Dabei steht die anonyme Großstadt London im Fokus. Anna lernt Max in einer Bar kennen, wo sie abends Jazz singt. In ihrer schwierigen Lebenssituation wird er zu ihrem Rettungsanker, sie verliebt sich in ihn und macht sich zu große Hoffnungen, denn die gelegentlichen Treffen in sehr teuren Lokalen, der Sex in seiner Luxuswohnung, sind für ihn kein Grund für eine stabile, feste Bindung, denn er lebt in Scheidung, arbeitet sehr viel, auch oft im Ausland, und ist physisch und psychisch deswegen ausgelaugt. Er kommt, meiner Meinung nach, in Annas Sicht zu negativ rüber, denn er gibt ihr viel Geld, damit sie nicht mehr arbeiten muss, und bezahlt ihr eine kleine Wohnung. Max meint, dass sich das Studium lohnen muss, sie hingegen interpretiert es als Hinweis zum Aufhören. Anna gerät in eine Schaffenskrise und verliert ihre Stimme. Sie wirft dem 38-jährigen Max vor, nicht zu ihr zu stehen, dadurch kommt es zum Eklat. Allerdings gibt es ein unvorhersehbares, teils offenes Ende, was mir sehr gut gefallen hat.
Crimp schafft Protagonisten, die nicht immer sympathisch sind, somit muss sich der Leser mit ihnen auseinandersetzen. Annas Freundin, Laurie, ist ausgeflippt und beherrschend. Anna selbst ist naiv, emotional und teilweise unreif. Sie versucht, komplett der Mensch zu sein, den Max in ihr sehen will, während dieser unnahbar, aber liebevoll und verständnisvoll rüberkommt. Dieses und die intensive, realistische Sprache, die mit mitreißenden Metaphern durchsetzt ist, dazu die knappen Dialoge, hat mich berührt. Das Werk ist sehr gut konstruiert, ich habe oft Lesepausen zum Nachdenken gemacht und habe mit Interesse die Entwicklung der komplizierten und intensiven Beziehung verfolgt. Ich kann es nur empfehlen, daher 5 Punkte.

Veröffentlicht am 13.02.2022

Very young rich girls in Frisco.

Die Gezeiten gehören uns
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Das Cover mit der stilisierten Küstenlandschaft hat mir gut gefallen.
Die Originalfassung wurde in amerikanischem Englisch geschrieben, und wir tauchen in die Welt der privilegierten Reichen in Sea Cliff, ...

Das Cover mit der stilisierten Küstenlandschaft hat mir gut gefallen.
Die Originalfassung wurde in amerikanischem Englisch geschrieben, und wir tauchen in die Welt der privilegierten Reichen in Sea Cliff, hoch über dem Pazifik, einem Villenvorort von San Francisco, ein. Dort wird der Grundstückswert nach der Aussicht bemessen.
Die Protagonistinnen, zwischen 13 und 14 Jahre alt, gehen auf eine Mädchenprivatschule und haben allgemeingültige Probleme mit dem Erwachsenwerden, jedoch stellt die Autorin typisch amerikanische Verhaltensweisen der “upper class” heraus, nämlich, dass Reichtum, Schein und Sein, Snobismus und Privilegien alles sind. So werden auch die beiden Freundinnen, Eulabee, deren Mutter als Einzige in diesem Viertel arbeitet, und die Millionenerbin, Maria Fabiola, kontrastiv nebeneinandergestellt. Maria ist körperlich frühreif, und, gemäß dem amerikanischen Schönheitswahn, tut sie alles, um zu gefallen, und kann fast jeden mit ihrer Schönheit beeindrucken. Sie leidet unter “Gefallsucht”, möchte auf die Titelseiten der Zeitungen kommen und berühmt werden.
Sie will Eulabee und ihre anderen Freundinnen ausnutzen, indem Sie diese zu Falschaussagen bei der Polizei animiert.
Eulabee hingegen, die nicht in eine Gelddynastie hineingeboren wurde, ist intelligent und kritisch. Deshalb lässt sie sich als Einzige nicht manipulieren, muss jedoch mit Mobbing, Verrat und Ausschluss aus der Peergroup fertig werden. Da sie sich deshalb in einem Ausnahmezustand befindet, gerät sie in die Fänge eines älteren, sehr reichen, Jungen, der sie mit Alkohol gefügig macht. Das hat keinerlei Konsequenzen für ihn, über sie wird jedoch noch schlimmer hergezogen.
Nach einem weiteren Vorfall, der sowohl Maria als auch Eulabee betrifft, wird nur Eulabee der Schule verwiesen. Auch für Maria hat ihr schlimmes Fehlverhalten keinerlei Konsequenzen. Money in a richmans’s world! Auf der staatlichen Schule findet Eulabee dann arbeitsame und solide Freund*innen. Dem Leser wird deutlich, dass Wahrheit und Lüge ein weiteres zentrales Problem ist.
Der Roman ist spannend geschrieben, liest sich leicht und nimmt nach dem ersten Drittel so richtig an Fahrt auf. Die Übersetzung ist geglückt, obwohl mir einige deutsche Termini unklar waren.
Gut gefallen hat mir, dass Eulabee und Maria F. sich mit 50 Jahren zufällig wiedertreffen. Ihr jeweiliger Lebensweg wird beschrieben.
Generell hat mir nicht so gut gefallen, dass Jungen und Mädchen zu stereotyp dargestellt werden. Aber trotzdem noch 5 Punkte

Veröffentlicht am 23.01.2022

Aufstiegsschwierigkeiten in der britischen Klassengesellschaft

Zusammenkunft
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Das Cover mit den runden, grünen Buchsbaumkugeln und dem übergroßen Titel in schreiendem rosa fällt sofort ins Auge und könnte ein Nachobenkommen durch eine schmale Schnittstelle symbolisieren. Auf jeden ...

Das Cover mit den runden, grünen Buchsbaumkugeln und dem übergroßen Titel in schreiendem rosa fällt sofort ins Auge und könnte ein Nachobenkommen durch eine schmale Schnittstelle symbolisieren. Auf jeden Fall kann es auf abstrakte Weise “wachmachen”.
Dieser Roman erzählt von der namenlosen schwarzen afrobritischen Protagonistin, die an ihrer Karriere und somit an ihrem sozialen Aufstieg bis zur Erschöpfung und Selbstaufgabe gearbeitet hat. Überall ist sie mit Rassismus, sozialen Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten in der postkolonialen britischen Gesellschaft, die Profit aus Kolonisierung und Sklaverei gezogen hat konfrontiert. Sexismus beherrscht ihr Leben und die “feindliche Umgebung” am Arbeitsplatz lässt sie verzweifeln, denn ihr Aufstieg in die Londoner Hochfinanz wird von erzkonservativen Mitbürgern durch “affirmative action”, also der Förderung von Diversität, erklärt. Ihr vernichtendes Streben nach Anerkennung bekommt einen Knick, als bei ihr eine schlimme Krankheit diagnostiziert wird, und sie desillusioniert zurücklässt. Sie gerät in eine Krise der Selbstidentifikation, will aber die Kontrolle über lebensnotwendige medizinische Eingriffe hinterfragen.
Die “Zusammenkunft” bezieht sich auf eine Einladung zu einer Geburtstagsparty auf den ererbten Familienlandsitz ihres reichen, weißen Freundes. Dort wird sie einmal mehr mit der britischen Klassengesellschaft konfrontiert, denn das weiße Establishment mit dem “alten” Geld beherrscht das Leben in England.
Zu Natasha Browns Werk mit möglicherweise autobiografischen Zügen, gehört, neben der soziospezifischen Anklage, die dort, nebenbei bemerkt, durchaus auch auf weiße Kinder aus der Unterschicht zutreffen könnte, eine sprachlich herausragende Aufbereitung. Ihr Schreibstil ist nicht linear narrativ, sondern spiegelt den seelischen Ausnahmezustand der Protagonistin wider, indem sie, wie in einem Bewusstwerdungsstrom, einzelne ihrer Gedankenblitze darbietet. Sie erinnert mich an die “Molly Bloom” von James Joyce. Diese moderne Erzähltechnik ist aber nicht jedermanns Geschmack. Auf etwas mehr als hundert Seiten wird in komprimierter Form die Problematik aufgerollt. Das Werk liest sich schnell, regt stark zum Nachdenken an, erfordert also geistige Mitarbeit. Von daher ist ein großer Erfolg in der britischen Mittelschicht zu erklären. Als Englandkenner konnte ich ihre Anklage gut nachvollziehen, jedoch bezweifle ich einen sehr großen Erfolg in Deutschland, eher in den USA.
Ich kann eine gute Leseempfehlung abgeben.

Veröffentlicht am 06.11.2021

Morde im Palast der Queen

Die unhöfliche Tote
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Wie auch schon das Cover des ersten Bandes dieser Cosy Crime Serie (alles in rosa gehalten), sticht das strahlend blaue Cover ins Auge. Man weiß sofort, um wen es sich handelt, denn die Queen trägt meistens ...

Wie auch schon das Cover des ersten Bandes dieser Cosy Crime Serie (alles in rosa gehalten), sticht das strahlend blaue Cover ins Auge. Man weiß sofort, um wen es sich handelt, denn die Queen trägt meistens einfarbige Ensembles vom Hut bis zum Mantel. Der kleine Corgy darf natürlich nicht fehlen. Der Titel gefällt mir nicht besonders gut, aber ein verkaufsfördernder Effekt ist sicherlich einkalkuliert, denn das Kopfkino der Interessenten wird in Gang gesetzt.
Auf dem Hintergrund des nahenden Brexits und der US-amerikanischen Wahlen, ist die Queen “not amused”. Hinzu kommt, dass sie ein verschwundenes Bild bei einer Ausstellung entdeckt, an dem sie aus sentimentalen Gründen sehr hängt. Es ist eher unbedeutend, aber zeigt “Die Britannia” in strahlenden Farben. Die Queen kennt alle ihre 7000 Gemälde ziemlich genau. Somit ist sie sich sicher, dass es sich nicht um eine Kopie handelt. Wie auch schon in Band 1, setzt sie ihre Privatsekretärin Rozie auf die Aufklärung an, denn sie selbst agiert nur im Hintergrund, zieht die Fäden, überlässt die offizielle Detektivarbeit aber den dafür verantwortlichen Polizisten oder Angestellten. Die Handlung wird vielschichtiger, als die Leiche der Haushälterin am Pool des Palastes gefunden wird. Es kommt zu einem weiteren Mord, Drohbriefe und Mobbing unter den Palastangestellten kommen ans Licht, ebenso wie langjähriger Diebstahl.
Die Queen ist sehr sympathisch gezeichnet, und es gefällt mir gut, dass man häufig an Ihren Gedankengängen teilhaben kann. Besonders ist auch ihr Ehemann, Prinz Philip (2016 lebte er ja noch), dargestellt, der mich mit seinen komischen Bemerkungen und seiner ruppigen Art zum Lachen gebracht hat. Aber auch Prinz Charles und einige Höflinge werden leicht, aber mit Sympathie, verspottet.
Vieles wirkt skurril: die Queen seufzt zum Beispiel über die Fledermäuse im Palast und klettert trotz morscher Knie in einem großen Kleiderschrank. Also kommt der britische Humor nicht zu kurz. Alles ist in einem herrlich flüssigen Stil erzählt, sehr unterhaltsam, wobei mich das gut recherchierte Leben am Hofe noch mehr interessiert hat als der Krimifaktor, obwohl es viel Action gibt.
Ein kurzweiliges Buch, welches ich meinen Freunden sehr gerne zu Weihnachten schenken werde. Ein großes Lob auch für den guten Übersetzer.

Veröffentlicht am 31.10.2021

Kampf ums Überleben

Grace – Vom Preisträger des Booker Prize 2023 ("Prophet Song")
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Wir sind im Jahre 1845, dem Jahr der großen Hungersnot in Irland, ausgelöst durch die Kartoffelfäule, denn Kartoffeln sind das Hauptnahrungsmittel der armen Bevölkerung. Mindestens 1 Million Menschen verhungern. ...

Wir sind im Jahre 1845, dem Jahr der großen Hungersnot in Irland, ausgelöst durch die Kartoffelfäule, denn Kartoffeln sind das Hauptnahrungsmittel der armen Bevölkerung. Mindestens 1 Million Menschen verhungern. Ein bis zwei Millionen wandern aus. Das düstere Cover führt geschickt in diese Misere ein.
Auf diesem Hintergrund schneidet Grace Coleys Mutter ihrer 14-jährigen Tochter die Haare ab, steckt sie in Männerbekleidung und zwingt sie, das Haus zu verlassen, um auf Wanderschaft durch Irland zu gehen, da sie alle ihre Kinder nicht mehr ernähren könne. Als Junge sei sie geschützter.
Auf ihrer Odyssee begegnet sie Tausenden Bettlern und Arbeitssuchenden und muss erleben, wie sie der Überlebenskampf Grenzen und Regeln überschreiten lässt. Sie stielt und wird bestohlen, ist am Rande ihrer Willenskraft und lebt wie ein Tier. Wenn es ihr besonders schlecht geht, “redet” sie mit ihrem 12-jährigen Bruder Colly, der zwar nur in ihrem Kopf existiert, ihr jedoch in ihrer Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit Trost spendet und Tipps gibt. Besonders hat mich die Hartherzigkeit der wohlhabenden Leute schockiert. Lynch klagt diese geschickt unterschwellig an!” Grace durchlebt die Hölle, arbeitet in sehr unterschiedlichen Jobs und wandelt sich körperlich zur Frau.
Als die Grenze zwischen Mensch und Tier schwindet, liefert der Autor seitenlange Monologe, basierend auf direkten Assoziationen, die ihre kraftlosen Gedanken verdeutlichen und ihren entglittenen Seelenzustand sehr gekonnt beschreiben. Danach folgen 4 schwarze Seiten, die wohl den Tod symbolisieren sollen, jedoch überlebt Grace auch diese Krise.
Lynchs Erzählweise ist unglaublich intensiv, düster und wuchtig, mit ganz eigenem Rhythmus. Die Atmosphäre wir bestimmt durch Aberglauben und Anspielungen auf irische Mythen und Sagen, die teilweise in den Anmerkungen erläutert werden. Wir werden also in eine ganz andere Welt katapultiert, und auch die detailliert beschriebene Grace mit ihrem Nachgrübeln über die Seele und den Sinn des Lebens finde ich sehr authentisch. Bart, ein Weggefährte und Colly werden sympathisch als kritische Denker dargestellt.
Am Ende des Werkes ist Grace fast 19. Ihr geistiger Ausnahmezustand wird gekonnt auf 4 Seiten beschrieben und gesteht dem Leser eine eigene Interpretation zu.
Das Werk hat mich tief beeindruckt und erschüttert, andererseits hat es mich mit einer sehr speziell dargestellten Thematik konfrontiert, meine Kenntnisse über das Irland der damaligen Zeit vertieft und mich dazu animiert, mehr über dieses mystische Land und seine Geschichte zu erfahren.
Man muss sich auf diesen Roman einlassen, denn er ist keine seichte Urlaubslektüre. Er regt stark zum Nachdenken an und kann nur kritischen Personen empfohlen werden, die eine gewisse Affinität Irland gegenüber zeigen. Meine Erwartungen wurden voll getroffen!
Der Übersetzerin ist eine Meisterleistung geglückt, indem sie das typisch Irische hervorkehren konnte.