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Veröffentlicht am 17.12.2017

Erste und Letzte Tage

Der erste Tag vom Rest meines Lebens
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Lorenzo Marone - "Der erste Tag vom Rest meines Lebens" - Pendo
Neapel, Italien
Dottore Cesare Annuntiata ist 77 Jahre alt und sagt, er hätte 73 Jahre davon verplempert.
Seit seine Frau Caterina gestorben ...

Lorenzo Marone - "Der erste Tag vom Rest meines Lebens" - Pendo
Neapel, Italien
Dottore Cesare Annuntiata ist 77 Jahre alt und sagt, er hätte 73 Jahre davon verplempert.
Seit seine Frau Caterina gestorben ist, wohnt er allein, die Kinder sind längst flügge.
In dem Mehrfamilienhaus gibt es noch mehr gestrandete Seelen, die das Leben aussortiert hat.
Die ehemalige Lehrerin, die aus ihrer Wohnung ein Katzenasyl gemacht hat. Der freundliche Marino, der seit vielen Jahren sein Appartement nicht mehr verlassen hat, der Tod seiner Frau bremste ihn in seiner Lebenslust aus.
Als ein junges Ehepaar einzieht und es öfter "scheppert", beschließen die drei Rentner der Frau zu helfen, die hübsche Emma läuft ihnen einfach zu oft mit großer Sonnenbrille herum.
Ihr Plan, einem Manöver gleich.
Cesare besitzt mehr Mut und Kaltschnäuzigkeit, als ihm gut tut. Sein Leben lang kam er damit durch, er kann es einfach nicht gut sein lassen, dabei könnte es ihn seine spröden Knochen kosten.
Seine Tochter Sveva - mit der er sich gerne zankt - ist eine erfolgreiche Anwältin, doch mit ihm gewinnt sie keinen Streit. Sein Sohn Dante ist Galerist, seit Cesare ihn in einem korallenroten Hemd gesehen hat, erwartet er sein "Outing" stündlich. Cesare liebt seine Kinder und es dauert lange, bis er es ihnen sagt.
Cesare resümiert und ist mit "seinen" Lesern gnadenlos ehrlich, er verschönt seine Missetaten nicht. Er bereut so einige Seitensprünge, am meisten die, die es nicht gab..
Der alte Herr ist noch rüstig und es steht ihm frei, wie er seiner Einsamkeit den Schwung nimmt, er hat eine Freundin, die an Warmherzigkeit kaum zu überbieten ist.
--
Cesare ist ein sympathisches Schlitzohr, der ein wahrer Verwandlungskünstler ist, wenn es gilt, sich und andere aus einer brenzligen Situation herauszuflunkern. Ob Polizeipräsident a.D. oder 3 Sterne-General, Cesare hat ein unerschöpfliches Repertoire.
Ein charmanter Kotzbrocken, den irgendwie die Weisheit am Kragen packt. Cesare zeigt, dass es ohne den Ernst des Lebens keine Freude geben kann.
Ein Roman, der für Lachfältchen und feuchte Augen sorgt. Liebenswert und spannend.
Cesare vor großartiger Kulisse:
"Von jedem Punkt Neapels aus sieht man das Meer - und den Vesuv.."

Ein herrliches Buch! "Cesare" hat mein Herz erobert!
Bitte mehr davon! Da capo!

Autor: Lorenzo Marone

Veröffentlicht am 17.12.2017

Gespenster

Geister
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Nathan Hill - Geister - PIPER

Der Literaturprofessor Samuel Anderson öffnet ein Zeit und Schaufenster zur amerikanischen Pop und Subkultur, aber auch zu einer Nation, die Begeisterung mit Verdrängung ...

Nathan Hill - Geister - PIPER

Der Literaturprofessor Samuel Anderson öffnet ein Zeit und Schaufenster zur amerikanischen Pop und Subkultur, aber auch zu einer Nation, die Begeisterung mit Verdrängung verbindet, einem Volk, das sämtliches Recht von seiner Großartigkeit ableitet, einer Menschenschicht der Extreme, die trotz allem, oder gerade deswegen, sich immer wieder neu erfindet.
Anderson ist spielsüchtig, 40h pro Woche ist er im Internet und verausgabt sich und sein Budget, dadurch wandelt sich der gesunde Ernährungsplan in Käse-Nachos. Dort aber, ist er der Held, der die Drachen tötet, im richtigen Leben foltert er unmotivierte Studenten mit Hamlet. Seine Schüler sind so dreist, nur zu erscheinen, um ihr Punktekonto zu füllen und geben gekaufte Arbeiten ab. Als er eine Studentin durchfallen lässt, bearbeitet sie ihn mit 1000 Ausreden, ihr Erfindungsgeist ist bewundernswert und liefert eine bestaunenswerte Erkenntnis: Amerika - das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wer gut mogelt, kommt damit durch.
Fast, als würde allein diese Befähigung, ein A im Zeugnis rechtfertigen.
Der unerschütterliche Glaube an die Lüge, heiligt sie.

Der Tag ist noch nicht zu Ende und Samuel bekommt einen Anruf aus einer Chicagoer Anwaltskanzlei. Seine Mutter, die er seit 20 Jahren nicht gesehen hat, soll ein Attentat auf einen Politiker verübt haben. Sie hat den republikanischen Präsidentschaftskandidaten beschimpft und mit Steinchen beworfen.

Der ganz normale Wahnsinn - crazy, as usual!
Die Katastrophendichte in diesem Gesellschaftsroman türmt sich stratosphärisch. Von den 68er Demos bis zu Occupy Wall Street.
Unterhaltsam, informativ, zynisch, spannend, erkenntnisreich und ganz und gar zu glauben. Alles ist wahr!

Es ist nur ein kleiner Schritt, von der Erde zum Mond, aber ein großer Sprung, vom wilden Westen, zur Zivilisation.

Dieses Buch hätte Norman Mailer gut gefallen, der zB mit seinem "Epos der geheimen Mächte" ein großartiges Kolorit des kalten Krieges verfasste.
Der deutsche Titel: "Gespenster".

Veröffentlicht am 04.12.2018

Glastraum

Schloss aus Glas (Filmausgabe)
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Jeanette Walls - Schloss aus Glas

"Jeannette Walls ist ein glückliches Kind: Ihr Vater geht mit ihr auf Dämonenjagd, holt ihr die Sterne vom Himmel und verspricht ihr ein Schloss aus Glas. Was macht ...

Jeanette Walls - Schloss aus Glas

"Jeannette Walls ist ein glückliches Kind: Ihr Vater geht mit ihr auf Dämonenjagd, holt ihr die Sterne vom Himmel und verspricht ihr ein Schloss aus Glas. Was macht es da schon, mit leerem Bauch ins Bett zu gehen oder in Nacht-und-Nebel-Aktionen den Wohnort zu wechseln."

Die Kinder der Familie Walls sind glücklich, denn sie leben ein ungezähmtes Leben, trotz Pappkartonbetten und flüchtigen Wohnwechsel, schlafen im Auto, Nomadenleben, schafft es Rex Walls dank seiner Phantastereien, als Held dazustehen. Doch die Kinder werden älter und seine Versprechungen bleiben dieselben. Die Mutter ist eine Träumerin, die lieber ihrer Kunst fröhnt, als den Kindern etwas zu Essen zu kochen, vielleicht auch, weil nicht immer etwas davon da ist. Es ist auch keine Seltenheit, dass die kleine Tochter am Herd steht oder die Kinder sich in einem Salatfeld sattessen. Doch nichts geht über dieses freie und wilde Leben. Die Walls halten sich für die reichste Familie der Welt, was sie miteinander haben ist das beste und was sie nicht haben brauchen sie nicht. Doch irgendwann glauben die Kinder nicht mehr daran, dass ihnen die Sterne gehören, die ihnen ihr Vater "geschenkt" hat.

Der Bestseller dieser wahren und ungewöhnlichen Lebensgeschichte wurde verfilmt. Hochkarätig besetzt mit Naomi Watts, Brie Larson und Woody Harrelson.

Auch das Buch zum Film kann mit dem Original mithalten, es ist spannend, tragisch, atmosphärisch, mal schön - mal traurig.

Veröffentlicht am 04.12.2018

Alle Zeit

All die Jahre
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J. Courtney Sullivan - All die Jahre

Boston, 1957-2009

In Irland ist es Tradition, das der Hof des Vaters an den ältesten Sohn übergeht, ob er sich eignet oder nicht, das wirft Charlies Lebensplan durcheinander, ...

J. Courtney Sullivan - All die Jahre

Boston, 1957-2009

In Irland ist es Tradition, das der Hof des Vaters an den ältesten Sohn übergeht, ob er sich eignet oder nicht, das wirft Charlies Lebensplan durcheinander, denn der alte Quinlan will sich zur Ruhe setzen. Sein Bruder Peter erbt den elterlichen Betrieb.
Und so kommt es, das Charlie mit seiner Verlobten Nora und deren Schwester Theresa nach Amerika auswandert.
Charlie hat eine Tante in Boston und vorerst wohnen sie in ihrer Pension.

Klamme Kindheitserinnerungen an Irland, viele Namen und ebenso viele Schicksale.
Die Armut der Familien, die Alkoholsucht der Männer, bigotte Priester, und Mütter, die auf dem Sterbebett immer die gleiche Bitte an ihre Älteste haben und die Verantwortung über die Jüngsten weitergeben.
"Nora, versprich mir, dass du auf deine kleine Schwester Theresa aufpasst.."
Der letzte Wunsch ihrer Mutter, gut auf Theresa aufzupassen, hindert sie fast ihr eigenes Dasein zu gestalten.
Noras Herz ist gewebt aus Verzicht und Vernunft, Theresa ist ein Wildfang und fordert das Leben heraus.
Theresa hatte schon immer ein Faible für heilige Frauen, die mit Schwert und Feuer der Gerechtigkeit genüge tragen. Aus diesem Grund wollte sie Nonne werden.
Doch dann entdeckt sie die Jungs, Rock´n Roll und Tanzlokale. Theresa schleicht sich nachts raus und trifft sich mit dem "schönsten Mann der Welt", er sieht aus wie Clark Gable. Das er verheiratet ist, findet sie leider viel zu spät heraus, sie ist im 4.Monat schwanger. So landet sie doch im Kloster, St. Mary´s, das Haus der unbefleckten Empfängnis, beherbergt viele dieser unglücklichen Damen. Nach der Geburt findet sofort eine Adoption statt, Gott verzeiht und das Leben kann weitergehen.

Noras Herz kommt einfach nicht zur Ruhe, wenn sie in Theresas traurige Augen sieht.
Charlie und Nora heiraten und geben dem kleinen Patrick ein neues Zuhause.

"Mögest du immer einen Blick haben für die Sonne,
die durch dein Fenster fällt;
und nicht für den Staub, der auf ihnen liegt."
Irisches Sprichwort

Generationsroman über die Liebe und das Band, welches sie teilt, dicht und atmosphärisch.
Wunderschöne einfache Sprache, ein Pageturner durch die Jahrzehnte. Stereotype Charaktere und überraschende Schicksalspfade runden diesen außergewöhnlichen Familienroman ab. Ein dramatisches, aber stilles Leseereignis.

Veröffentlicht am 30.09.2018

Skandal mit Butler

Ich war Diener im Hause Hobbs
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Verena Rossbacher - Ich war Diener im Hause Hobbs

"Es war Christian, der Diener der Zürcher Anwaltsfamilie Hobbs, der den Toten im Gartenpavillon neben der blutbespritzten Chaiselongue fand. Jahre später ...

Verena Rossbacher - Ich war Diener im Hause Hobbs

"Es war Christian, der Diener der Zürcher Anwaltsfamilie Hobbs, der den Toten im Gartenpavillon neben der blutbespritzten Chaiselongue fand. Jahre später blickt er zurück und versucht zu verstehen, wie es zu der Katastrophe kommen konnte."

Zürich, ein Skandal
Die Familie Hobbs sucht über eine Agentur einen Butler, das Ehepaar und ihre Kinder bewohnen eine feudale Villa, der Hobbsche Zwillingsbruder bewohnt den Pavillion.

Niemand sieht ihn - er sieht alles. Aus einem toten Winkel heraus beobachtet er seine Arbeitgeber, die Anwaltsfamilie Hobbs aus Zürich. Er verfolgt jedes noch so kleine Geschehen seiner Herrschaft. Diese gibt sich aber auch nicht sonderlich viel Mühe diskret zu sein. Gibt es einen Disput, so wird Christian Teil des Mobiliars, das er gerade befeudelt. Er lebt diesen Mikrokosmos.

In seiner Eigenschaft als Butler entwickelt er eine Art funktionelle Neugier. Die Profession, eines Dieners, der Schränke und Schubladen mit seinen Blicken und weißbehandschuhten Händen liebkost. Jedes Seidenhöschen wird an seinen Platz gerückt, die zarten Stoffe nach Farbe und Saison sortiert. Da ist es auch fast normal, dass er die Temperaturkurve seiner Herrin kontrolliert und sie mit ihrem Schokoladenbestand vergleicht. Hat er alles richtig berechnet, ist Nachwuchs unterwegs, doch der Terminkalender von Herrn Hobbs schließt die Möglichkeit aus.
Es sei denn..
Könnte es sein, dass Frau Hobbs dem Atelier im Pavillon einen "Besuch" abstatttete, während ihr Mann auf Geschäftsreisen war? Irgendwann kommt der Tag, an dem er früher als abgesprochen nach Hause kommt..

Wieder zurück in seiner Heimat Feldkirch, schreibt Christian eine Biografie der Katastrophe, die blutbespritzte Chaiselongue, die sich für immer in seine Netzhaut gebrannt hat, rekonstruiert er die Jahre, die untennbar mit seiner Jugend verbunden sind. Erinnerungen an eine unbeschwerte Zeit, Sommer, See, Hesse und Gespräche über Frauen und ihre Locken. Christian schwelgt in trockener Fantasie und wünscht, das sich damals die Grenze vom Beruflichen zum Privaten nie vermischt hätte. Butler zu sein bedeutet Distanz und diese zerbrach..

Zuerst bekommt man gar nicht mit, dass es eine Erzählung ist, die gerade niedergeschrieben wird. Nach und nach öffnen sich die "Türen" der Erkenntnis.
Nichts, was gesagt wird, wird "fallengelassen", zufällig erscheinende Ereignisse, ergeben einen Sinn. Die Erzählung kreist den Kern der Geschichte ein.
Wie ein sorgsam gewebtes Spinnennetz, führt ein Faden zum anderen, keiner darf fehlen. Es braucht ein paar Kapitel, bis es "Klick" macht - ebenso viele, wie beabsichtigt, man wird herangeführt. Der geduldige Leser wird mit einer spannenden Geschichte belohnt, die keineswegs "schlampig" oder "einfach" ist.
Akribisch wird man in diesem Gesellschaftsgemälde mit Generationseffekt wie in einem Labyrinth festgehalten.
Eine Besonderheit, man verliert die Zeit in diesem Roman, kann sie nicht einschätzen. man dnkt es liegt 100 Jahre zurück, bis dann die Beatles, Pilates und die Spitzhacken Manolo Blahniks erwähnt werden. Das alles und noch viel mehr verbindet sich zu einem kafkaesken Kleindrama.
Verena Rossbacher hat ein Händchen für absurde Literatur, ein Roman, der "komische Sachen" mit seinen Lesern veranstaltet. "Ich war Diener im Hause Hobbs" eröffnet eine neue Nische. Ein tolles Buch aus dem Kiepenheuer&Witsch-Verlag.
Gute und empfehlenswerte Unterhaltung!

"Ein Butler ist die feierliche Zeremonie eines Einzelnen."
Unbekanntes Zitat