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Veröffentlicht am 29.04.2024

Reread

Schattenspringer
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Daniela Schreiter ist Autistin. Um es sich und ihrer Umwelt mit den Erklärungen einfacher zu machen, hat sie ihre Sicht auf die Welt als Comic umgesetzt. Dabei betont sie immer wieder, dass das nur ihre ...

Daniela Schreiter ist Autistin. Um es sich und ihrer Umwelt mit den Erklärungen einfacher zu machen, hat sie ihre Sicht auf die Welt als Comic umgesetzt. Dabei betont sie immer wieder, dass das nur ihre Sicht ist und jeder Autist verschieden - doch in vielen Punkten können ihr andere Betroffene sicher zustimmen.

Da mein Exemplar leider spurlos verschwunden ist, habe ich es mir nun nachgekauft und nochmal gelesen.



Betrachten wir kurz meine Kurzrezension von 2014 zum Thema:

Das ist kein Textbuch, sondern ein Comic darüber, wie die Autorin als Autistin ihre Welt wahrnimmt - als kleines Alien versucht sie tapfer, die seltsamen Verhaltensweisen von Menschen (z.B. vornerum nett sein, hintenrum lästern) zu verstehen und die täglichen Herausforderungen des Alltags zu meistern.

Ein superniedliches Buch über das Anders-Sein und welche Schwierigkeiten Autisten erleben. Auch wenn ich meines Wissens nach keine Autistin bin, konnte ich mich doch in einigen Punkten wiederfinden (höre ich ein Amen, dass Telefonate widerwärtig sind?!).



10 Jahre später und ich lese eine Autismus-Biografie nach der anderen... mmm. Ich bin gespannt, wo das noch hinführt.

Insgesamt immer noch eine großartige und spielerische Einführung in das schwierige Thema, jemand anderem sein Gehirn erklären zu wollen.

Veröffentlicht am 15.01.2024

Irre!

Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle
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"Agatha Christie meets Und Täglich Grüßt das Murmeltier"



Die Hauptperson dieses Buches, aus deren Sicht wir alles erleben, erwacht eines Tages in einem Körper, der nicht der ihre ist, hat keinerlei ...

"Agatha Christie meets Und Täglich Grüßt das Murmeltier"



Die Hauptperson dieses Buches, aus deren Sicht wir alles erleben, erwacht eines Tages in einem Körper, der nicht der ihre ist, hat keinerlei Erinnerungen und muss den noch stattfindenden Mord an der Tochter des Herrenhauses aufklären. Das Problem - bzw. der Vorteil -: Er wacht jeden Tag im Körper eines anderen Hausgastes auf und kann so den Tag aus allen Perspektiven erleben. Als wären ein fremder Körper und ein Mord nicht genug Probleme, versucht auch noch jemand, ihn umzubringen.



"Dieser Tag wird sich acht Mal wiederholen und Sie werden ihn durch die Augen acht verschiedener Wirte sehen.

(...)

Wenn ich Sie wäre, dann würde ich mich ein wenig beeilen. Sobald Sie eine Antwort haben, bringen Sie sie um elf Uhr abends zum Ufer des Sees, zusammen mit Ihren Beweisen."



Wow, was für ein absolut irrer Trip! Dieses Buch ist mir wegen dem abstrusen englischen Titel aufgefallen, der es leider nicht ganz aufs deutsche Cover geschafft hat. Wie das umgekehrte R des Autors auf dem Cover ist auch der Inhalt dieses Romans völlig abgedreht.

Wenn wir schon beim Cover sind: In der untersten Treppenstufe wird dieses Machwerk nüchtern als "Kriminalroman" betitelt, was meiner Meinung nach eine viel zu enge Schublade für diesen Irrsinn ist. Es ist mindestens ein Fantasykrimi, mit all dem Körpergetausche und den Hintergründen, aber keine High Fantasy und auch nicht wirklich Urban Fantasy. Es wird zwar am Ende einiges aufgeklärt, was da vor sich geht, aber nicht genug, um dem Leser ein Bild von der Welt zu geben, in der es spielt.

Zwischendurch tauchen immer wieder fast lyrische Sätze und Passagen auf, die so gar nicht in das Bild des schnöden Krimis passen wollen:



"Zeit vergeht. Ich kann unmöglich sagen, wie viel. Es ist nicht diese Art von Zeit."



Um dem Leser bei all dem Gewusel etwas zu helfen, ist der Vorsatz als Landkarte des Anwesens gestaltet, so kann man alle Schritte nachverfolgen. Auf der ersten Seite erhält man auch eine Einladung zu dem Ball mit einer Personenübersicht - so ist man dem Erzähler manchmal einen Schritt voraus, aber nie für sehr lange.



Wie ihr vielleicht merkt, bin ich noch total geplättet und völlig geflasht von diesem Leseerlebnis. Wer mich kennt, weiß, dass das dritte Bild oben eigene Aussagekraft hat: Je mehr Pagemarker, umso besser. Die Lektüre hat mir richtig Spaß gemacht und ich konnte es auf der Arbeit kaum abwarten, endlich weiterlesen zu können!

Falls ihr also Zeit und Muße habt, euch auf dieses Abenteuer einzulassen, dann tut es! Sonst lese ich ein Buch einfach und lasse alles auf mich zukommen, doch hier macht wahnsinnig Laune, hin und her zu blättern, mitzurätseln und eigene Ideen zu entwickeln.



"Wut ist greifbar, sie hat ein gewisses Gewicht. Man kann mit den Fäusten darauf einschlagen. Doch Mitleid ist ein Nebel, in dem man sich nur verirren kann."

Veröffentlicht am 15.01.2024

Wunderschön

Briefe vom Weihnachtsmann
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Ein Geständnis: Eigentlich mögen wir hier Tolkien gar nicht richtig. Ich liebe Mittelerde und seine Kreativität, ganz zu schweigen von dem Sprachwahnsinn und den Oxford-Bezügen. Doch Adam und ich haben ...

Ein Geständnis: Eigentlich mögen wir hier Tolkien gar nicht richtig. Ich liebe Mittelerde und seine Kreativität, ganz zu schweigen von dem Sprachwahnsinn und den Oxford-Bezügen. Doch Adam und ich haben beide versucht, "Herr der Ringe" zu lesen und sind beide wegen dem langwierigen Schreibstil dabei eingeschlafen. Aber: Wenn man Tolkien davon abhalten könnte zu schwafeln, beispielsweise, weil er sich dem Format eines kurzen Briefes anpassen muss, wäre das doch ideal, oder? Glücklicherweise veröffentlichte die Hobbit Presse zum 25-jährigen Jubiläum dieses Jahr eine besonders hübsche Sonderausgabe von Tolkiens "Briefe vom Weihnachtsmann", eine Zusammenstellung all der Briefe, die Tolkien beinah jedes Jahr seinen Kindern schrieb. Sogar Illustrationen gab es dazu und die Briefumschläge und die Briefmarken hat er auch bemalt! Wie das mit der Zustellung funktionierte, hat bis heute niemand herausgefunden.

Faszinierenderweise haben die Kinder scheinbar immer brav geantwortet - auch wenn es im Lauf der Jahre, wenn die Kinder langsam erwachsen wurden, immer weniger wurden. 1943 kam dann schließlich der letzte Brief, als die kleine Priscilla 14 war.



Insgesamt befinden sich in dieser umwerfend schönen neuen Ausgabe im roten Schuber, mit glitzernden Foliensternen auf dem Cover und richtiger Briefmarke, von 1920 bis 1943, 32 Briefe - mal vom Weihnachtsmann, mal vom Polarbär und mal vom hilfreichen Elfensekretär geschrieben. Eine fast perfekte Anzahl, um sich bereits ab November jeden Abend auf Weihnachten einzustimmen. Die liebevolle Gestaltung (von den Illustrationen abgesehen gibt es außerdem unterschiedliche Handschriften für alle Beteiligten und Geheimschriften!), die herzigen Inhalte, das umwerfend schöne Äußere und natürlich die weihnachtliche Gesamtstimmung ergeben das perfekte Geschenk - auch für eine*n selbst ;)



Zwei Hinweise:

~ Die Kinder sind John, Michael, Christopher und Priscilla.

~ Am besten hört man nach dem lustigen Gedicht von 1938 auf zu lesen, denn sonst erfährt man, dass dem Weihnachtsmann wegen "dem schrecklichen Krieg" die Geschenkvorräte ausgehen und seine Elfenboten bei der Geschenkübergabe sehr lange nach vertriebenen Menschen suchen müssen und dass die Bücher der Autorin, die sich die kleine Priscilla gewünscht hat, leider alle verbrannt wurden. Und dann muss man heulen und schläft schlecht.



"Mára mesta ni véla tye ento, ya rato nea."

(Nein, ich bin nicht auf der Tastatur eingeschlafen, das ist arktisch!)

Veröffentlicht am 15.01.2024

Irre

Willkommen in Night Vale
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Wo fängt man da am Besten an... also: Mitten in der Wüste der USA gibt es eine kleine Stadt namens Night Vale in der die Uhren anders ticken und überhaupt alles nicht ganz so "normal" ist wie im Rest der ...

Wo fängt man da am Besten an... also: Mitten in der Wüste der USA gibt es eine kleine Stadt namens Night Vale in der die Uhren anders ticken und überhaupt alles nicht ganz so "normal" ist wie im Rest der Welt. Zum Beispiel gibt es Engel, an die man aber nicht glauben darf. Auch der Glaube an Berge wird nicht unterstützt.

In dieser Stadt lebt Jackie, die Besitzerin einer Pfandleihe. Eines Tages bekommt sie einen Zettel verpfändet, auf dem "King City" steht und kann ihn nicht mehr aus der Hand legen. Sie wirft ihn weg, verbrennt ihn, aber er taucht immer wieder in ihrer Hand auf.

Am anderen Ende der Stadt lebt Diane, die ihren Sohn Josh (der ein Teenager ist und daher täglich seine Form ändert) vermisst. Und auch sie findet einen Zettel...

Gemeinsam machen sich die beiden auf, das Geheimnis von King City zu ergründen. Aber wie kommt man in eine Stadt, zu der keine Straße führt? Wo findet man Informationen in einer Stadt, die jegliches Denken verbietet? Wie findet man einen Jungen, der jede erdenkliche Form angenommen haben könnte?



Es ist verrückt, es ist völlig abgedreht und es ist einfach fabelhaft. 2012 als Podcast gestartet, hat Night Vale inzwischen internationale Aufmerksamkeit in der Nerdgemeinde erlangt, nicht zuletzt, weil der örtliche Radiomoderator und sein Lebensgefährte das Hauptthema bei Fanfictions sind.

Für alle, die sich jetzt denken: "Da versteh ich ja eh nix!" kann ich Entwarnung geben: ich bin kein großer Freund von Podcasts und habe sie mir vorher nicht angehört, und ich habe alles verstanden. Naja, das was man nicht versteht tut man sowieso als weiteren Tropfen auf den verrückten Stein ab. Da der Podcast genauso unaufgeregt und nüchtern ist, wie das Buch geschrieben wurde, fällt es etwas schwer, zuzuhören, man muss sich wirklich konzentrieren (zumal er auch nur auf englisch ist). Aber das ist das Gute an dem Buch: man kann jeden Satz direkt nochmal lesen und wenn man ihn dann immer noch nicht versteht, dann ist es halt der Irrsinn, der Night Vale grundsätzlich innewohnt.



Ich sage auf der Startseite, dass ein Buch nur 5 Blätter erhält, wenn es mich wirklich umgehauen hat. Das hat Night Vale: es fühlt sich an, wie "Der Club der nackten Wahrheiten", ein Buch, das ich heute noch gerne lese. Ich habe letztes Jahr im Februar gesagt, "September" ist das beste Buch, das ich 2015 lese und ich sage heute, "Night Vale" ist jetzt schon das beste Buch 2016.

Und am Ende ergeht es einem wie Jackie: man kann dieses Buch einfach nicht mehr aus der Hand legen. Entschuldigt mich, ich muss einen Podcast hören gehen.



"Wie soll man herausfinden, ob man schüchtern ist, wenn man nie Zeit hat, neue Leute kennenzulernen?"



"Die Vorstellung, sich zu verlieben, war für Jackie so fern wie die Vorstellung, später einmal berühmt zu werden oder ein Schloss zu besitzen oder sich Mufflonhörner wachsen zu lassen. Das alles sind erreichbare, realistische Ziele, doch indem sie sie zu schieren Fantasien erklärte, sparte sie sich die Mühe, sie erreichen zu müssen."

Veröffentlicht am 15.01.2024

Wunderschön

BiblioStil: Vom Leben mit Büchern
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Nina Freudenberger, Sadie Stein und die Fotografin Shade Degges besuchten 32 in Kennerkreisen bekannte Persönlichkeiten und deren Privatbibliotheken. Keine öffentlichen Büchereien, die die finanziellen ...

Nina Freudenberger, Sadie Stein und die Fotografin Shade Degges besuchten 32 in Kennerkreisen bekannte Persönlichkeiten und deren Privatbibliotheken. Keine öffentlichen Büchereien, die die finanziellen Mittel haben, alles hübsch einzurichten und aufzustellen oder Buchhandlungen, die alles im richtigen Licht präsentieren. Nein, private Kollektionen, in alle Ritzen des Hauses gestapelt, in Kleiderschränken gehortet, in Küchenkabinetts versammelt. Authentisch, real und ungemein bekannt, wenn ich mich beim Tippen in meinem Bücherstapel-Chaos so umsehe...

Seht nur all die Post-Its! Gelb für tolle Fotos, Blau für Recherche und Orange für Zitate. Nicht immer dieselben Buch-Ansichten von den schönsten und größten und tollsten (die natürlich super Reisetipps abgeben, versteht mich nicht falsch - aber hier konnte selbst ich von vorne bis hinten Neues entdecken!) Besonders Highlight waren für mich die Sammlungen von Coralie Bickford-Smith, die mit ihren Penguin Classic Covern Bekanntheit erlangte und deren Belegexemplare nebeneinander einfach umwerfend schön sind (mein Mann dreht mir den Hahn zu, wenn ich die jetzt auch noch sammele...), sowie Sylvia Beach Whitman - denn jede*r Bibliophile kennt die Kultbuchhandlung "Shakespeare & Co." in Paris, aber wer weiß schon, wie es bei Sylvia privat aussieht? Ich jetzt!



Für alle Sammelwütigen ein richtiger, großformatiger und durchgehend bebilderter Schatz mit viel zu hübschen Bildern, viel zu wenig Text und somit viel zu kurzer Lesedauer. Und mit viel zu vielen Inspirationen - ich will auch eine Schaukel in meiner Bibliothek!!



"Dieses Buch widmet sich nicht unerschwinglichen Bibliotheken und perfekt gestylten Häusern. Stattdessen geht es um die Fähigkeit von Büchern, Geschichten zu erzählen - im wörtlichen wie im übertragenen Sinne."