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Veröffentlicht am 09.09.2018

Unterhaltsamer Roadtrip mit Schwächen

Blanca
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Blancas Leben besteht aus ständigem Ankommen und Weiterziehen, an keinem Ort hält ihre Mutter es lange aus. Sie verwehrt ihrer Tochter eine richtige Heimat, ein richtiges ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Blancas Leben besteht aus ständigem Ankommen und Weiterziehen, an keinem Ort hält ihre Mutter es lange aus. Sie verwehrt ihrer Tochter eine richtige Heimat, ein richtiges Zuhause. Nach einem weiteren Streit mit ihrer impulsiven, schwierigen Mama reicht es Blanca endgültig. Sie nimmt sich kurzerhand das ersparte Geld und reißt aus. Ihre Reise führt das 15-jährige Mädchen nach Italien. Ihr Ziel: das Haus von Karl und Toni, wo sie in ihrer Kindheit ein wunderschönes Jahr verbracht hat. Doch was in ihrer Planung ein einfacher Trip von A nach B ist, gestaltet sich in der Realität viel schwieriger, Blanca muss Umwege nehmen und lernt dabei viele kuriose und interessante Persönlichkeiten kennen.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Genre: Jugendbuch / Roman
Verlag: Aufbau Verlag
Seitenzahl: 256
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: aus weiblicher Perspektive
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: +/- Es werden keine Tiere gequält oder verletzt, aber eine Frau fängt eine Ente, um sie später zu töten. Blanca hingegen behandelt Tiere sehr gut, streichelt eine Katze und rettet sogar die Würmer aus ihren Kirschen.

Warum dieses Buch?

Für dieses Buch sprach die @Buchkolumne eine große Empfehlung aus, erst dadurch bin ich darauf aufmerksam geworden.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Gleich der erste, etwas verrückt klingende Satz mit seinem humorvollen Unterton hat mir sehr gut gefallen. Auch wenn der Anfang aufgrund der Rückblenden wenig Tempo besaß, dauerte es nur ein paar Seiten, bis ich mich bereits mitten in der Geschichte befand und bereit war, mich mit Blanca auf ihren abenteuerlichen Roadtrip zu begeben.

„Hätte die Auflaufform mich getroffen, wäre alles anders gekommen. Aber ich sprang gerade noch rechtzeitig ins Badezimmer und schlug die Tür hinter mir zu.“ Buchbeginn, E-Book, Position 44

Schreibstil (+/-)

Der Schreibstil von Mercedes Lauenstein ist flüssig und angenehm und schnell lesbar. Auch wenn das Buch eigentlich nicht offiziell als Jugendbuch eingeordnet ist (und es scheint sich tatsächlich irgendwo zwischen Jugendliteratur und Erwachsenenroman zu verorten), so wird die einfache Sprache jungen LeserInnen sicher gefallen. Mir gefielen sowohl Blancas treffende Beobachtungen als auch ihre intelligenten, unkonventionellen, manchmal von jugendlicher Verrücktheit geprägten Reflexionen und Gedanken. Die vielen Bandwurmsätze, meist mit Beistrich verbundene Hauptsätze (Parataxen), spiegeln Blancas Ruhelosigkeit, ihr Nirgends-Ankommen und Nirgendwo-zu-Hause-Sein sehr gut wider. Jedoch haben mich die vielen sprachlichen Wiederholungen, gleichen Satzanfänge und der fehlende Anspruch des Schreibstiles beim Lesen zunehmend gestört. Eine etwas feingeschliffenere Sprache hätte das Buch mit Sicherheit noch besser gemacht.

„Kurze Zeit später lag meine Mutter mit einer Grippe im Bett. Ich fragte sie, ob sie jetzt dran sei mit Sterben. ‚Kann sein‘, sagte sie, ‚es kann immer alles sein, Blanca, daran musst du dich gewöhnen.‘ Sie sah mich mit dramatischem Ernst an und strich mir über den Kopf.“ E-Book, Position 100

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

Im Zentrum der Geschichte steht unter anderem Blancas komplizierte, von Hassliebe geprägte Beziehung zu ihrer impulsiven, intelligenten, nur 16 Jahre älteren Mutter, die sich keinen gesellschaftlichen Konventionen unterwirft und stets erfolglos dem Glück nachjagt. Es ist eine Frau, die ihre Stimmungsschwankungen an ihrem Kind auslässt und immer wieder fragwürdige Erziehungsmethoden anwendet. Blancas Kindheit war schwierig, geprägt von ständigem Umziehen, teilweise litten Tochter und Mutter sogar Hunger. Eines wurde Blanca immer verwehrt: ein Zuhause. Deshalb begibt sich das Mädchen auch auf diese Reise mit dem Ziel, jenen Ort aufzusuchen, der für es am nächsten an eine Heimat herankommt.

Aber auch andere, für Roadtrip-Romane typische Elemente und Themen lassen sich in diesem Buch finden: Es geht um Unabhängigkeit, Erwachsenwerden, Freundschaft, Abenteuer, verrückte Bekanntschaften, verschiedene Lebensentwürfe und das verwegene Sich-alleine-Durchschlagen. Nicht alle Aspekte werden jedoch mit Tiefe behandelt. Auch vor empfindlichen Themen wie Alkohol- und Zigarettenmissbrauch und Beschreibungen von Blancas Liebesleben schreckt die Autorin nicht zurück, meist sind Blancas Partner fast oder sogar tatsächlich doppelt so alt wie sie. Ich muss ehrlich gestehen, dass mich das Verhalten der Männer, die keine moralischen Bedenken haben, ein 15-jähriges Mädchen auszunutzen, echt angewidert hat.

Einige Szenen sind so verrückt, tiefgründig oder einprägsam, dass sie mir mit Sicherheit länger in Erinnerung bleiben werden, vieles werde ich aber leider sehr schnell wieder vergessen haben. Dafür bietet „Blanca“ einfach zu wenig Neues, Innovatives. Zudem hat die Geschichte erstaunlich wenig Handlung. Besonders im letzten Viertel hatte ich das Gefühl, dass ihr die Puste ausging. Mehr größere Höhepunkte, mehr Handlungsstränge und eine gerafftere, klarere Struktur hätten dem Buch mit Sicherheit gutgetan. Zum Schluss: Obwohl das Ende relativ offen ist, finde ich es passend – auch wenn ich gerne gewusst hätte, wie es mit Blanca weitergeht. Viele Fragen bleiben leider unbeantwortet.

Protagonistin (♥)

Blanca ist eine tolle Heldin, die ich schnell ins Herz geschlossen habe. Sie ist liebevoll und komplex gezeichnet, ihre Entwicklungen, Wünsche, Ängste und Träume sind glaubwürdig, ihr Verhalten stets nachvollziehbar. Ich fand es toll, wie mutig und frech sie ist, wie tiefgründig sie die Welt und die Menschen analysiert und wie empathisch sie oft handelt. Bei Rückschlägen habe ich mit ihr gelitten, ihre Hassliebe zur Mutter konnte ich sehr gut nachvollziehen. Oft hat Blanca mir, bei allen Gemeinheiten, die sie ertragen muss, auch sehr leidgetan. Interessant fand ich auch die teilweise synästhetischen Schilderungen – so haben für Blanca Geräusche zum Beispiel auch eine bestimmte Farbe und Form. Stellenweise hat mich Blanca mit ihren kleinen Verrücktheiten, ihren kindlichen Momenten und ihren davongaloppierenden Gedanken an June aus „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ erinnert – wer dieses wundervolle Buch übrigens noch nicht kennt, sollte dies unbedingt nachholen!

„Ich habe für die Schule mal einen Aufsatz mit dem Titel ‚Warum ist alles, wie es ist?‘ geschrieben. Wir sollten über etwas schreiben, das uns beschäftigt. Ich bekam den Aufsatz ohne Bewertung zurück. Die Lehrerin sagte, sie könne einen Aufsatz, der aus zehn Seiten hintereinanderweg geschriebener Fragen bestehe, aber keine einzige Antwort oder auch nur einen einzigen Satz mit Punkt am Ende enthalte, einfach keine Note geben, es tue ihr leid.“ E-Book, Position 677

Nebenfiguren & Beziehungen (+/-)

Die Nebenfiguren hingegen sind nicht alle so gut gelungen. Manche (wie die Mutter) überzeugen mit einer starken Persönlichkeit, mit authentischen Schwächen und Stärken, andere bleiben – wohl auch aufgrund der winzigen Rollen, die sie im Buch spielen – sehr blass und farblos. Besonders gemerkt habe ich das, als sich Blanca an einer Stelle an all die Menschen erinnert, die sie auf ihrer Reise bereits getroffen hat – manche hatte ich schon wieder völlig vergessen.

„Meine Mutter sagt, das ist die große Traurigkeit. Ich hab sie mal gefragt: Welche Traurigkeit? Sie hat gesagt: die des Lebens. Einige haben die, andere nicht. Wenn man sie hat, entkommt man ihr nicht. Man fühlt nur dauernd diese unbestimmte Sehnsucht nach etwas, das nicht zu bekommen ist, und weil diese Sehnsucht unauflösbar bleibt, sammelt sie sich als Traurigkeit im Bauch.“ E-Book, Position 316

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Vor allem die erste Hälfte habe ich, was Spannung und Atmosphäre betrifft, sehr stark gefunden. Ich habe sehr mit Blanca mitgefiebert und war gespannt auf ihr Abenteuer. Die Beschreibungen der italienischen Städte mit all ihren schönen und weniger schönen Seiten, mit ihren vielfältigen Gerüchen und verschiedenen Stadtteilen waren sehr anschaulich und gelungen. Vor allem im letzten Viertel des Buches trat die Geschichte dann leider etwas auf der Stelle, aufgrund der sich wiederholenden Begegnungen mit fremden Menschen erschien mir mancher Abschnitt etwas langatmig. Dieser Eindruck hängt sicher mit dem handlungsarmen Plot zusammen. Ein großer Pluspunkt ist jedoch, dass die Geschichte niemals vorhersehbar ist und so manche unerwartete Wendung bietet.

Feministischer Blickwinkel (+)

Was das Thema Geschlechterrollen betrifft, bin ich insgesamt mit diesem Buch sehr zufrieden. Auch wenn ihre Mutter Blanca hin und wieder unangemessene Tipps zum Umgang mit Männern (und generell Leuten) gibt und auch wenn es ein Beispiel von Slutshaming gibt, so ist Blanca doch eine unkonventionelle, starke, mutige Heldin, die sich nicht in gesellschaftlich verlangte Rollenbilder drängen lässt. Zudem gestaltet Blanca auch ihr Liebesleben selbstbestimmt so, wie es ihr gefällt, ohne sich jemals Vorwürfe dafür zu machen. Auch Blancas Mutter ist eine Rebellin, die für ihre Überzeugungen kämpft und zum Beispiel einfach von zu Hause ausriss, als ihre Ärzte-Eltern sie zu einer Abtreibung zwingen wollten. Das gefällt!

Mein Fazit

„Blanca“ ist ein verrückter Roadtrip, der viele gute Ansätze beinhaltet, der mich aber nicht ganz für sich gewinnen konnte. Der Schreibstil ist einfach, flüssig und angenehm lesbar, enthält interessante Reflexionen einer 15-Jährigen, gelungene Metaphern und anschauliche Beschreibungen der Schauplätze. Leider war mir die Sprache mit ihren vielen Parataxen oft zu einfach und zu wenig anspruchsvoll und enthielt mir zu viele Wiederholungen (z. B. gleiche Satzanfänge). Blanca ist eine liebevoll ausgearbeitete, starke, mutige Protagonistin, die ich sehr mochte, bei den Nebenfiguren blieben leider viele blass und austauschbar. Einige Szenen sind so verrückt, tiefgründig oder einprägsam, dass sie mir mit Sicherheit länger in Erinnerung bleiben werden, andere werde ich aber leider schnell wieder vergessen haben. Viel Neues, Außergewöhnliches bietet die Geschichte nämlich nicht. Insgesamt hätten dem Buch mehr Handlung, mehr Spannung, eine klarere Struktur und mehr Tempo gutgetan, auch wenn ich in manchen Momenten durchaus mitgefiebert habe. „Blanca“ hat mich insgesamt stellenweise wirklich gut unterhalten, konnte mich letzten Endes jedoch nicht ganz überzeugen.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Worldbuilding: 3.5 Sterne
Ausführung: 3,5 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Schreibstil: 3,5 Sterne
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 3 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Spannung: 2-3 Sterne
Ende: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3,5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: +

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3,5 Lilien!

Veröffentlicht am 04.09.2018

Leider sehr enttäuschend, viele Wiederholungen und mir zu religiös & esoterisch

Hochsensibilität und Stress
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Inhalt

Stress kann weitreichende negative Effekte auf unsere psychische und physische Gesundheit haben. Hochsensible nehmen ihn besonders intensiv war und leiden oft auch schneller und stärker darunter. ...

Inhalt

Stress kann weitreichende negative Effekte auf unsere psychische und physische Gesundheit haben. Hochsensible nehmen ihn besonders intensiv war und leiden oft auch schneller und stärker darunter. In diesem Buch gibt die Autorin, die das Wort „Hochsensibilität“ als Erstes für die hochsensible Persönlichkeit verwendet hat, Tipps im Umgang mit Stress und seinen Folgen. Auch Meditationsübungen sind im Buch enthalten.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband, Sachbuch
Verlag: Aurum in Kamphausen Media GmbH
Seitenzahl: 240
Tiere im Buch: - Es werden Tierversuche ohne kritischen Kommentar zitiert. Hier auch wieder meine Empfehlung: Wenn ihr ebenfalls gegen sinnlose, oft grausame Tierversuche seid, schaut bitte beim Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ vorbei, die schon jahrelang engagiert und teilweise sogar schon erfolgreich für Alternativen und für tierversuchsfreie Forschung kämpfen.

Warum dieses Buch?

Da ich selbst hochsensibel bin, machte mich der Titel dieses Buches sofort neugierig.

Meine Meinung

Inhalt & Verständlichkeit (-)

Dem Inhalt dieses Buches stehe ich zwiegespalten gegenüber, auch wenn die Enttäuschung überwiegt. Zuerst jedoch zu den positiven Aspekten: Die Autorin gibt am Beginn und im ersten Teil des Buches einen sehr guten wissenschaftlichen Überblick über das Thema Stress und seine negativen Auswirkungen. Hierbei werden auch vielfältige wissenschaftliche Quellen zitiert, was mit gut gefallen hat. Auch gab es einige sehr spannende Fakten zu entdecken, die mir noch unbekannt waren. Die Meditationsanleitungen und manche Praxistipps fand ich zudem wirklich brauchbar und interessant. Manches werde ich bestimmt einmal ausprobieren. Auf der Website der Autorin gibt es außerdem weitere geleitete Meditationsübungen, die man nutzen kann – allerdings muss man dafür noch ein paar Extra-Euros ausgeben.

Leider hat es jedoch auch viele Dinge gegeben, die mir gar nicht gefallen haben. Ich hätte mir oft schlicht etwas ganz anderes erwartet, vor allem nach dem Lesen des Klappentextes. Ich mochte den wissenschaftlichen Anfang sehr, hoffte darauf, dass detailliert auf die Besonderheiten der HSP (hochsensiblen Persönlichkeit) eingegangen wird und dass ich viele Praxistipps und hilfreiche Erklärungen bekomme, wie ich mit Stress umgehen kann. Leider war das Kapitel über Hochsensibilität viel zu kurz und oberflächlich, es brachte mir fast keine neuen Erkenntnisse. Nach diesem Abschnitt wurde auf das besonders Erleben von HSP (mit allen Tücken) fast gar nicht mehr eingegangen. Die Autorin behandelte nur noch Stress allgemein, hin und wieder wurde noch ein Satz eingeschoben wie (aus dem Gedächtnis wiedergegeben): Das gilt für Hochsensible noch viel mehr. Das war mir leider VIEL zu wenig. Richtig verloren hat mich die Autorin dann, als es richtiggehend esoterisch wurde, auf einmal war (teilweise seitenlang) von Chakren, Energien und sogar von Lichtwesen und Engeln die Rede. Da kam ich leider überhaupt nicht mehr mit. Ich war sehr enttäuscht, als das „Sachbuch“ auf einmal ins Religiöse abdriftete, die westliche mit der östlichen Medizin verglichen und ständig von der Schöpfung gesprochen wurde. Wenn solche Dinge im Zentrum stehen, sollte es darauf im Klappentext zumindest einen Hinweis geben – nur so kann das geeignete Zielpublikum erreicht und nur so können Enttäuschungen (wie meine) verhindert werden. Ich hätte das Buch jedenfalls mehrmals am liebsten abgebrochen.

Beispiele, um meine Argumentation zu untermauern:

„Wir werden sehen, das Leben endet nicht mit dem Tod, und wir werden in vielen Leben und auf vielen Bewusstseinsniveaus weiterleben.“ E-Book, Position 3053

„Um deinen Kopf herum schweben ständig Engel und Lichtwesen, die dir helfen wollen, dem Labyrinth des Geistes zu entkommen. Auch wenn du nicht daran glaubst, kann es nicht schaden, einmal um Hilfe zu bitten.“ E-Book, Position 3155

„Öffne nun dein drittes Auge, einen kleinen Bereich zwischen den Augenbrauen. Es fühlt sich energetisch wie ein Kreis an. Öffne diesen Kreis.“ E-Book, Position 3239

Es gab noch weitere Dinge, die mich nicht überzeugen konnten. Manchmal waren es mir zu viele Vermutungen, zu viel eigene Meinung der Autorin oder zu viel Ausklammern von Tatsachen. Einmal prangert sie an, dass Drogen wie z. B. Zigaretten zu negativ gesehen werden. Könnte das eventuell daran liegen, dass die Hälfte der RaucherInnen an den Folgen stirbt? Dass Rauchen Krebs und viele weitere Krankheiten auslöst, dass es eine immense Gefahr für Schwangere und generell PassivraucherInnen ist? In einer Zeit, in der in Österreich das Rauchverbot in Lokalen im letzten Moment gekippt wurde, wodurch unzählige Tote jährlich in Kauf genommen werden, in einer Zeit, in der viele Menschen für den Schutz von NichtraucherInnen kämpfen müssen, kann ich solch eine Aussage einfach nicht akzeptieren. Genauso gestört hat mich ein Tipp, in dem geraten wird, die Sorgen oder die Wut loszulassen, indem man ein Stoffstier, das symbolisch dafür steht, in einem Fluss davontreiben lässt. Das wäre dann Umweltverschmutzung und absolut nicht akzeptabel!

Auch fand ich, dass die vielen Fallbeispiele, in denen Betroffene von ihren Problemen erzählen, oft viel zu wenig mit dem Haupttext zu tun hatten. Sie haben mich immer wieder aus dem Lesefluss gerissen, waren oft uninteressant, und ich konnte ihnen nur selten etwas abgewinnen. Zusätzlich haben mir die vielen inhaltlichen Wiederholungen nicht gefallen. Ich hatte das Gefühl, dass oft zu viel „herumgeschrieben“ und alles mit Synonymen immer wieder wiederholt wurde. Es schien, als würde versucht, das Buch künstlich zu strecken. Was andere Autorinnen in drei Sätzen abgehandelt hätten, dafür braucht Susan Marletta Hart mindestens 30.

„Natürlich gehören Rauchen, ein Glas Wein oder Bier und sogar diverse Drogen auch zu Gewohnheiten, die uns entspannen. Es wird sehr negativ und verrückt über diese Art von Dingen gesprochen, während es überwiegend Naturprodukte sind, die die Funktion haben, Mensch (und Tier) zu entspannen. Die übertriebene Angst vor und Ablehnung von natürlichen Opiaten […]“ E-Book, Position 2876

Schreibstil (-)

Der Schreibstil ist eigentlich flüssig und leicht verständlich, jedoch verliert er sich auch oft in Wiederholungen. Der Parasympathikus, das Entspannungssystem des Körpers, wird beispielsweise immer und immer wieder erklärt, sodass ich auch hier oft das Gefühl hatte, dass die Autorin versucht hat, das Buch künstlich zu strecken, um auf die geforderte Länge zu kommen, oder aber dass sie ihren LeserInnen überhaupt nichts zutraut. Immer wieder wird genau das Gleiche gesagt, nur eben mit Synonymen oder anderen Formulierungen. Das hat mich während des Lesens leider oft sehr frustriert und genervt. Der Lesespaß ging mir leider im letzten Drittel komplett verloren. Hier trafen zu viele Dinge zusammen, die mich enttäuscht haben.

Geschlechtergerechte Sprache (+/-)

Im Buch wird durchaus teilweise, aber leider nicht durchgehend, gegendert. Hin und wieder verwendet die Autorin geschlechtsneutrale Begriffe wie „Hochsensible“, andere Male wird auf eine geschlechtergerechte Sprache leider vergessen. Das finde ich etwas schade, da ich mir in einem modernen Sachbuch schon erwarte, dass Frauen durchgehend nicht nur mitgemeint, sondern auch sichtbar sind.

Mein Fazit

„Hochsensibilität und Stress“ hat mich insgesamt leider sehr enttäuscht, obwohl mir der erste Teil des Buches gut gefallen hat und obwohl der Schreibstil flüssig und leicht verständlich ist. Das lag zu einem großen Teil daran, dass ich mir etwas ganz anderes erwartet habe. Der Klappentext weist jedoch mit keinem Wort darauf hin, dass in diesem Buch Religiosität, Engel, Lichtwesen und vor allem die östliche Medizin mit ihren Chakren und Energien eine derart große Rolle spielen. Als das Buch ins Esoterische abdriftete, hat es mich leider verloren. Zudem wurde mir nicht genug auf das eigentliche Thema - Hochsensibilität - eingegangen, es finden sich stattdessen eher allgemeine Tipps gegen Stress (auch diese waren mir oft zu wenig konkret). Ich hätte mir einfach insgesamt einen wissenschaftlicheren Überblick über das Thema, mehr neue Erkenntnisse und viele Strategien gewünscht, wie man als hochsensible Person im Alltag mit Stress gesund umgehen kann. Auch die unzähligen inhaltlichen und sprachlichen Wiederholungen haben mir den Lesespaß vermiest. Ich hatte leider oft das Gefühl, dass versucht wurde, das Buch künstlich zu strecken und dass den LeserInnen überhaupt nichts zugetraut wird. Meiner Meinung nach hätte der Klappentext deutlicher auf die im Buch zentralen Themen und Zugänge hinweisen sollen, denn nur so kann das geeignete Publikum gefunden und Enttäuschungen (wie meine) verhindert werden. Aus den genannten Gründen kann ich leider keine Leseempfehlung aussprechen.

Bewertung

Inhalt: 2 Sterne
Verständlichkeit: 3 Sterne
Schreibstil: 2 Sterne
Gendergerechte Sprache: +/-

Insgesamt:

❀❀ Lilien

Dieses Buch erhält von mir zwei enttäuschte Lilien!

Veröffentlicht am 02.09.2018

Wundervolles, berührendes Kinderbuch mit zauberhaften Illustrationen

Als Larson das Glück wiederfand
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Inhalt

Der alte Larson lebt seit dem Tod seiner Frau zurückgezogen in einem großen Haus, das er zu einem finsteren, staubigen Ort verkommen lassen hat. Ohne Lebensfreude bringt er einen Tag nach dem anderen ...

Inhalt

Der alte Larson lebt seit dem Tod seiner Frau zurückgezogen in einem großen Haus, das er zu einem finsteren, staubigen Ort verkommen lassen hat. Ohne Lebensfreude bringt er einen Tag nach dem anderen hinter sich, es scheint, als warte er nur noch auf den Tod. Der neue Nachbarsjunge ändert schließlich alles für Larson: Er übergibt ihm in kindlichem Vertrauen einen Blumentopf mit einem Samen, weil er in den Urlaub fährt. Eigentlich hat Larson überhaupt keine Lust, sich in seinem fortgeschrittenen Alter noch um etwas anderes als sich selbst zu kümmern – doch schließlich gießt er den Samen doch. Mit dem Samen, der langsam wächst, kommt auch die Lebensfreude zurück in Larsons Haus. Eine große Freundschaft und ein neuer, positiver Lebensabschnitt beginnen für den alten Mann.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Altersempfehlung: 5-7 Jahre
Verlag: Ars Edition
Seitenzahl: 40 Seiten
Erzählweise: Figuraler Erzähler
Perspektive: aus männlicher Perspektive
Tiere im Buch: + Es werden keine Tiere verletzt oder getötet. Larson kümmert sich gut um seine Katze. Jedoch an dieser Stelle eine wichtige Info: Im Buch hätte „Katzenmilch“ stehen sollen, denn Katzen vertragen keine normale Milch, da sie unter einer Laktoseintoleranz leiden. Um ihnen und sich selbst als BesitzerIn unangenehmen Durchfall und Bauchschmerzen zu ersparen, sollten die Stubentiger nur spezielle Katzenmilch oder einfach laktosefreie Milch erhalten. Allerdings auch nur als Leckerchen, die Hauptflüssigkeitszufuhr sollte aus Wasser bestehen, da Milch einen sehr hohen Fett- und Milchzuckergehalt aufweist – was zu einer Reihe weiterer Probleme führen kann.

Warum dieses Buch?

Nachdem ich von Martin Widmarks und Emilia Dziubaks letzter Zusammenarbeit, „Linas Reise ins Land Glück“, so begeistert war, führte an dieser Neuerscheinung natürlich absolut kein Weg vorbei. Und obwohl die Erwartungen extrem hoch waren, wurden sie sogar noch übertroffen.

Meine Meinung

Geschichte (♥)

Die Geschichte, die für Kinder zwischen 5 und 7 empfohlen wird (früheres Vorlesen ist aber ohne Zweifel auch möglich), ist wieder absolut bezaubernd, dieses Mal aber viel weniger „unheimlich“ als im letzten Buch. So ist „Als Larson das Glück wiederfand“ auch für sensible Kinder bestens (auch als Gutenachtgeschichte) geeignet, denn sie endet positiv, hoffnungsvoll und beruhigend, was den Kleinen das Einschlafen leicht machen sollte. Insgesamt ist die Story wieder sehr liebevoll ausgearbeitet, dieses Mal wird es emotional und sehr rührend. Ich kann mich nur schwer entscheiden, aber vielleicht gefällt mir „Als Larson das Glück wiederfand“ sogar noch ein bisschen besser als „Linas Reise ins Land Glück“. Es ist wundervoll zu sehen, wie dieser alte, mürrische Mann, der schon vollkommen aufgegeben hat, langsam wieder ins Leben zurückfindet und wie durch einen kleinen Nachbarsjungen wieder Licht und Freude in seinen Alltag zurückkehren.

Die Botschaften und Themen sind vielfältig und tiefgründig: Es geht um Trauer und Einsamkeit und darum, dass es sich lohnt, sich trotzdem wieder auf das Leben einzulassen. Es geht um die Wichtigkeit von sozialen Kontakten und einer Aufgabe im Leben. Vielleicht ermutigt dieses Buch ja nicht nur Kinder, sondern auch den einen oder anderen Elternteil dazu, den griesgrämigen, einsamen alten Nachbarn etwas ins Leben miteinzubeziehen oder einfach einmal auf ein Glas Wein einzuladen. Wer weiß, vielleicht findet man so nicht nur die eine oder andere neue Freundschaft, sondern auch eine große Portion Glück.

Schreibstil (♥)

Auch dieses Mal gibt es am anschaulichen, märchenhaften Schreibstil wieder absolut nichts auszusetzen. Sehr liebevoll, talentiert und dennoch routiniert verbindet der Martin Widmark einfache, altersgemäße, für Kinder verständliche Worte zu einer wunderbaren Geschichte. So nimmt der Autor ohne Frage nicht nur die Kinder, sondern auch ihre VorleserInnen mit auf eine Reise voller Neugier und großer Emotionen. Dieses Mal enthält das Buch weniger Text, der Fokus liegt auf den Bildern, die für sich sprechen. Auch eignet sich die Geschichte gut für jüngere ZuhörerInnen.

Hauptfigur & Nebenfiguren (♥)

Larson gehört zu jenen auf den ersten Blick mürrisch wirkenden Menschen, bei denen man von Anfang an das große Herz hinter der harten Schale erahnen kann. Sofort leidet man mit Larson mit, seine Einsamkeit und Trauer wecken Mitgefühl. Dass Larson eigentlich nur noch auf den Tod wartet und wahrscheinlich unter schweren Depressionen leidet, wird das junge Zielpublikum zum Glück noch nicht in diesem Ausmaß verstehen, aber so werden auch die Eltern beim Lesen mit Sicherheit nicht kaltgelassen. Umso schöner ist es dann zu sehen, wie dieser alte Mann langsam wieder aufblüht! Der kleine Nachbarsjunge und die Katze Johann Sebastian sind charmante Nebenfiguren, die allerdings nur eine kleine Rolle spielen.

Illustrationen (♥)

Das Buch wurde erneut liebevoll und voller Herzblut illustriert. Emilia Dziubaks Illustrationen sind pure Kunst, die kleinere und größere LeserInnen gleichermaßen begeistern und verzaubern wird. Die Bilder wirken stimmungsvoll und märchenhaft und spiegeln Larsons Innenleben perfekt wider. Dieses Mal spielt auch der detaillierte Hintergrund eine große Rolle – das finde ich wundervoll (der oft leere Hintergrund war mein einziger Kritikpunkt beim letzten Buch). Die Farbe der Seiten erinnert an verblichene Bücher, die Illustrationen wirken wie in ein Fotoalbum eingeklebt. „Als Larson das Glück wiederfand“ strahlt viel Gemütlichkeit aus und schafft beim ersten Aufschlagen sofort die richtige (Vor)Lesestimmung.

Text und Bilder greifen erneut so perfekt ineinander, dass ich von der harmonischen Zusammenarbeit von Martin Widmark und Emilia Dziubak wieder vollkommen begeistert bin und mir wünsche, dass sie noch lange nicht damit aufhören, Bücher zu schreiben.

Geschlechterrollen & Vielfältigkeit (+)

Da nur drei Menschen in diesem Buch vorkommen, kann ich an dieser Stelle die Vielfältigkeit nicht kritisieren. Es spielen zwei Männer und eine Frau in der Geschichte eine Rolle, was auch in Ordnung ist (ich würde mir die Geschichte nicht anders wünschen). Geschlechterrollen werden teilweise gebrochen, indem sich der Junge um eine Blume kümmert und indem der alte Mann putzt, kocht und seine Katze verwöhnt. Erneut gibt es hier wieder nichts auszusetzen, was einfach wundervoll ist! Das Autorenduo geht erneut sehr sensibel mit dem Thema um und verzichtet auf jegliche Rollenstereotypen.

Mein Fazit

„Als Larson das Glück wiederfand“ ist wundervolles, märchenhaftes Kinderbuch, das die Großen ebenso verzaubern wird wie die Kleinen. Der Schreibstil ist altersgemäß und anschaulich und die Geschichte emotional, rührend und tiefgründig. Es ist wundervoll zu sehen, wie Glück, Licht und Lebensfreude endlich wieder Einzug in das Leben der mürrischen, traurigen, einsamen Hauptfigur finden. Das Buch verzaubert erneut mit kunstvollen, stimmungsvollen und mit viel Liebe und Herzblut gemalten Illustrationen. Es bleibt zu hoffen, dass Martin Widmark und Emilia Dziubak noch lange nicht aufhören, Bücher zu publizieren! Ich kann dem Lob auf der Buchrückseite nur zustimmen und ergänze: Auch dieses Buch ist wieder ein kleiner Schatz. Wenn mich jemand fragen würde, wie ein rundum perfektes Kinderbuch aussieht, würde ich ihm dieses hier in die Hand drücken. Und er/sie würde es vermutlich abends zu Hause lesen, lieben und nie wieder hergeben.

Das nächste Gemeinschaftsprojekt der beiden Autoren ist für mich erneut Pflichtlektüre. Ich kann es kaum erwarten!

Empfehlung: Uneingeschränkte Leseempfehlung! Lesen, lieben – und nie wieder hergeben.

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Geschichte: 5 Sterne ♥
Ausführung: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 5 Sterne
Personen: 5 Sterne ♥
Illustrationen: 5 Sterne ♥
Vielfältigkeit: ---
Rollenbilder: +
Insgesamt:

❀❀❀❀❀ ♥ Lilien

Dieses Buch erhält fünf verliebte Lilien und ein Herz – und somit den Lieblingsbuchstatus! Dieses Buch wird in der Zukunft sicher einigen Kindern vorgelesen werden. :)

Veröffentlicht am 29.08.2018

Von großen Erwartungen & großen Enttäuschungen

Bad Girls
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Jule Williams ist eine begnadete Schauspielerin. Allerdings ist nicht das Theater ihre Bühne, sondern das reale Leben. Sie lügt, täuscht, besitzt verschiedene Namen ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Jule Williams ist eine begnadete Schauspielerin. Allerdings ist nicht das Theater ihre Bühne, sondern das reale Leben. Sie lügt, täuscht, besitzt verschiedene Namen und Kreditkarten, trägt Perücken und auffälliges Make-up, um sich zu tarnen. Wozu betreibt Jule solch einen Aufwand? Und wer ist sie wirklich?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Genre: Jugendbuch
Verlag: Ravensburger Buchverlag
Seitenzahl: 320
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: aus weiblicher Perspektive,
Kapitellänge: mittel bis kurz, in verschiedene Abschnitte/Episoden geteilt
Tiere im Buch: + Es werden (meines Wissens) keine Tiere verletzt oder getötet. Im Gegenteil: Imogen ist sehr tierlieb, ihr liegt Tierwohl sehr am Herzen.

Warum dieses Buch?

Ich liebe das erste Buch der Autorin, „We were Liars“ (dt. Solange wir lügen), fand es großartig erzählt und konnte davon sowohl überrascht als auch berührt werden. An diesem Buch führte daher kein Weg vorbei.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Der Einstieg hat mir gefallen, auch wenn man sich am Beginn überhaupt nicht auskennt und alles sehr rätselhaft und undurchsichtig ist (das verbessert sich im Laufe des Buches nur geringfügig). Jedoch machten mich die ersten Kapitel sehr neugierig, und ich wollte unbedingt weiterlesen.

„Sie glaubte, dass man sein Herz am besten davor schützte, gebrochen zu werden, wenn man so tat, als hätte man keins.“ Seite 12

Schreibstil (+/-)

E. Lockharts Schreibstil ist auch in diesem Buch wieder flüssig, anschaulich und angenehm. Die Sätze sind für ein Jugendbuch in genau passender Weise komplex – nicht zu einfach, aber auch nicht zu verschachtelt oder kompliziert –, sodass das Zielpublikum sicher Gefallen daran finden wird. Jedoch hat mich ein Aspekt dieses Mal sehr gestört: Die Emotionen blieben vollkommen auf der Strecke, etwas, das ich nach der Lektüre von „We were Liars“ niemals erwartet hätte. Aber so ist es leider, der Schreibstil ist seltsam nüchtern, gibt kaum bis gar keinen Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelt der Hauptfigur. Hier hätte ich mir viel mehr Tiefe und mehr Details gewünscht. Ich denke, dass es auch zum großen Teil an dieser unterkühlten Erzählweise lag, dass ich nicht mitfiebern konnte und dass mich die Geschichte bis zum Schluss nicht fesselte.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

E. Lockhart hat eine sehr ungewöhnliche Erzählweise für ihr Buch gewählt: Sie schildert die Geschichte in insgesamt 18 Kapiteln (die noch einmal in kürzere Episoden unterteilt werden) rückwärts (am Ende gibt es noch ein Abschlusskapitel in der Gegenwart) und deckt so nach und nach die Beweggründe der Heldin und ihre schockierende Vergangenheit auf. Die vielen zeitlichen Sprünge, die eigentlich für Spannung sorgen sollten, lösten bei mir großteils leider Verwirrung, Unverständnis und Langeweile aus. Bis zum Ende wartete ich auf den ultimativen Aha-Effekt, darauf, dass endlich alle Puzzleteile an ihren Platz fallen und auf einmal alles Sinn ergibt. Das Ende wird dann aber so schnell abgehandelt und ist so offen, dass kaum Fragen beantwortet werden, sondern stattdessen viele weitere aufkommen. Die erwartete Belohnung für meine Lese-Mühen kam leider nicht und ich dachte nur: Wozu das alles? Das Durchhalten hat sich meiner Meinung nach leider nicht gelohnt. Wer die Erzählweise allerdings interessant findet, dem kann ich „Tick Tack“ von Megan Miranda nur wärmstens ans Herz legen. Die Autorin erzählt grandios rückwärts und erschafft eine tiefgründige, wendungsreiche Geschichte voller schockierender Enthüllungen und Geheimnisse.

Verstörend war der extreme Gegensatz zwischen der träge dahinplätschernden Geschichte und der immer wieder aus dem Nichts kommenden, ausufernden Brutalität und Gewalt. Grausige Details werden bis ins Detail geschildert, so dass ich zwischendurch immer wieder dasaß und gar nicht glauben konnte, was ich da lese. Als Horror-Liebhaberin fand ich manche dieser Stimmungsumschwünge ehrlich gesagt ziemlich cool. Nur reicht das leider nicht aus, um mich gut unterhalten zu fühlen.

Eines steht bereits nach den ersten Seiten fest: E. Lockhart wagt sich mit diesem Werk in neue Gefilde vor und hat mit „Bad Girls“ definitiv kein zweites „We were Liars“ vorgelegt. Viel eher erinnert die Stimmung im Buch etwas an Agententhriller und Krimis. Ich will nicht zu viel verraten, möchte aber zumindest anmerken, dass die Autorin Themen wie Trauer, Verlust, Freundschaft, Eifersucht und Schuld nicht tiefgründig genug behandelt. Dies hängt wiederum sehr eng mit dem Schreibstil zusammen.

Protagonistin (-)

Zu Jule konnte ich das ganze Buch über keine Verbindung aufbauen, dazu erhielt ich viel zu wenig Einblick in ihr Innenleben, in ihre Motive und Gedanken. Sie wirkte auf mich kühl bis eiskalt, berechnend und skrupellos, viele ihrer Handlungen konnte ich überhaupt nicht verstehen. Meine Sympathie für sie nahm immer weiter ab, bis sie schließlich fast schon in Hass umschlug. Zudem ist Jule extrem blass und oberflächlich beschrieben, sie scheint überhaupt keine Persönlichkeit zu haben, macht keine Entwicklung durch. Daher blieb sie mir die ganze Geschichte über fremd und ihr Schicksal war mir egal. Ich habe die ganze Zeit gerätselt, ob sie eventuell an einer Persönlichkeitsstörung leidet, anders kann ich mir ihr unberechenbares Verhalten nicht erklären. Spannend fand ich jedoch, dass Jule dadurch, dass man sie absolut nicht einschätzen kann, zu einer sehr unverlässlichen Erzählerin wird und dass man ihr zunehmend misstraut. Mit ihren Perücken, Betrügereien und ihrem tarnenden Make-up erinnerte mich Jule übrigens sehr an Letty aus der Serie „Good Behavior“. Wer diese spannende, düstere Geschichte im Noir-Stil noch nicht kennt, sollte ihr unbedingt eine Chance geben.

„[…] sie wusste nicht mehr, welche Form ihr eigenes Ich hatte oder ob es eigentlich gar keine Jule gab, sondern nur eine Reihe Persönlichkeiten, für die sie sich in verschiedenen Situationen ausgab.“ Seite 32

Nebenfiguren & Beziehungen (+/-)

Es gibt nur wenige Nebenfiguren, über die wir leider fast nichts erfahren. Auch hier wäre es sehr von Vorteil gewesen, wenn die Autorin diese besser ausgearbeitet hätte. Die einzige Figur, die ich wirklich greifbar und authentisch fand, war Imogen, die eine schwierige Person mit vielen unschönen Seiten, aber auch Stärken (wie zum Beispiele ihre Tierliebe) ist. Sie wirkte auf mich tatsächlich glaubwürdig und dreidimensional gezeichnet – eine komplizierte junge Frau, die mich fasziniert hat und begeistern konnte.

Spannung & Atmosphäre (-)

Die größte Schwäche des Buches ist die fehlende Spannung. Leider konnte mich die Geschichte bis zum Ende nicht fesseln, ich kam nur sehr langsam voran, und ich habe mich trotz manch unerwarteter Enthüllung sehr durchgequält. Die Geschichte plätscherte oft ereignislos und langweilig dahin, manchmal konnte ich nicht verstehen, warum eine Szene überhaupt erzählt wurde, vieles fand ich unnötig oder schlicht uninteressant. Es kam leider keine Spannung auf, nur selten rätselhafte, geheimnisvolle Atmosphäre, kein Sog, der mich in die Geschichte gezogen hat. Eigentlich bin ich eine Leserin, der polarisierende Bücher (wie dieses) oft sehr gut gefallen, doch dieses Mal wurde ich leider absolut enttäuscht.

Feministischer Blickwinkel (+)

Sehr gefallen haben mir Jules feministische Kommentare und ihre feministische Kritik, die immer wieder im Text auftauchen. So spricht sie beispielsweise die Tatsache an, dass Frauen in Filmen oft nur schmückendes Beiwerk sind und dass sie viel zu selten die taffen Heldinnen in Actionfilmen sein dürfen. Langsam (in einer Zeit, in der Jugendbuchheldinnen wie Tris und Katniss bejubelt werden) wird auch das besser, aber wir haben definitiv noch einen langen Weg vor uns. Einwurf von mir: Genauso gilt das übrigens auch für Videospiele. Frauen sind extrem unterrepräsentiert, und Spiel um Spiel wandere ich als muskelbepackter Mann durch die Gegend. Dann nimmt doch einmal eine starke Frau eine wichtige Rolle ein und sofort wird von misogynen, mittelalterlich eingestellten Männern von übertriebenem Feminismus geredet und davon, dass das Spiel nun sicher nicht (sozusagen als Protest) gespielt wird. Einfach nur lächerlich! Kleiner Reminder: Wir haben das Jahr 2018 und nicht 1118, nur falls das jemandem, zum Beispiel weil er mit einer Zeitmaschine hier gelandet ist (andere Ausreden gibt es nicht!), nicht aufgefallen sein sollte. Ihr seid im falschen Jahrhundert gelandet, geht bitte wieder zurück! Danke!

Prinzipiell bin ich, was die Themen Geschlechterrollen und Genderstereotypen betrifft, sehr zufrieden. Jule und Imogen sind zwei intelligente, starke, emanzipierte Frauenfiguren, die sich von Männern nichts gefallen lassen und sehr selbstbewusst handeln. In der Mitte der Geschichte wird sogar irgendwann ein Mädchen gefragt, ob sie einen Jungen im Gruselkabinett beschützen kann (wenn auch halb im Scherz). Es gibt hier nur wenige negative Punkte: Einmal werden Jungen als „verweichlicht“ beschrieben, einmal wird für eine Frau die maskuline Form („Beschützer“) anstatt der femininen Form („Beschützerin“) benutzt. Es ist deshalb wichtig, dass konsequent die entsprechende Form verwendet und dass gegendert wird, weil Sprache unser Bewusstsein formt und Frauen sichtbar macht. Das sind aber nur kleine Schönheitsfehler, die dem positiven Gesamteindruck, was diesen Aspekt betrifft, keinen Abbruch tun.

„Jule hatte tonnenweise Filme gesehen. Sie wusste, dass Frauen kaum im Mittelpunkt solcher Geschichten standen. Stattdessen waren sie schmückendes Beiwerk, Begleiterin, Opfer oder Angebetete. Meistens existierten sie nur, um dem großartigen weißen hetero Helden auf seiner verf***ten epischen Abenteuerreise zu helfen. Wenn es doch mal eine Heldin gab, wog sie sehr wenig, trug sehr wenig und hatte tolle Zähne.“ Seite 29

„Sie wollten, dass man klein und still war. ‚Lieb‘ war nur ein anderes Wort für ‚wehr dich nicht‘.“ Seite 296

Besorgniserregend finde ich übrigens das hier, es liefert einen weiteren Grund, warum wir uns endlich von starren Geschlechterstereotypen verabschieden müssen:

„‘Studien belegen, dass Mädchen in Schulen, die nach Geschlechtern getrennt sind, emanzipierter entscheiden und viel häufiger wissenschaftliche Fächer belegen. Sie machen sich weniger Gedanken über ihr Aussehen, sind konkurrenzfähiger und haben ein höheres Selbstwertgefühl.‘“ Seite 282

Mein Fazit

Auf große Erwartungen und große Vorfreude folgte eine große Enttäuschung. „Solange wir lügen / We Were Liars“ habe ich absolut geliebt, doch E. Lockhart kann meiner Meinung nach mit ihrem neuen Jugendbuch leider nicht an diese tolle Leistung anknüpfen. Der Schreibstil ist zwar einfach und flüssig, aber gleichzeitig zu nüchtern und emotionslos, die Hauptfigur ist kalt, unsympathisch und blass, weil man keinen Einblick in ihre Gefühls- und Gedankenwelt erhält. Die ungewöhnliche Erzählweise (rückwärts) wurde leider nicht gelungen umgesetzt, sie führte zu Verwirrung und Unverständnis. Trotz einigen sehr gelungenen, unerwarteten Wendungen kam keinerlei Spannung auf, ich habe mich durch das Buch durchgequält, wollte sogar abbrechen und fand am Ende nicht, dass es die Lese-Mühen wert war. Mir fehlte beim offenen Schluss der Aha-Moment, die Belohnung, die Befriedigung – stattdessen erwarteten mich nur viele weitere Fragen. Gefallen haben mir die feministischen Kommentare der Hauptfigur, die viele Dinge zu Recht kritisiert. Insgesamt konnte mich „Bad Girls“ aber leider überhaupt nicht abholen und überzeugen. Das ist sehr schade, ich hätte es mir so gewünscht.

Leseempfehlung: Ich kann hier leider keine Leseempfehlung aussprechen, besonders großen Fans von „Solange wir lügen / We Were Liars“ würde ich abraten, damit sie nicht allzu sehr enttäuscht werden.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 3 Sterne
Worldbuilding: 3 Sterne
Ausführung: 1,5 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Schreibstil: 3 Sterne
Protagonistin: 1 Stern
Nebenfiguren: 2,5 Sterne
Atmosphäre: 2 Sterne
Spannung: 1 Sterne
Ende: 2 Sterne
Emotionale Involviertheit: 1,5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: +

Insgesamt:

❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 1,5 sehr enttäuschte Lilien!

Veröffentlicht am 28.08.2018

Schonungslos ehrlich, aber leider voller frauenfeindlicher Ausdrücke und Slut Shaming

Clean
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Lexi ist reich, ein It-Girl, hat eigentlich alles, wovon Teenager träumen. Doch den Versuchungen, die auf den Partys der Reichen und Schönen lauern, kann sie immer schlechter ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Lexi ist reich, ein It-Girl, hat eigentlich alles, wovon Teenager träumen. Doch den Versuchungen, die auf den Partys der Reichen und Schönen lauern, kann sie immer schlechter widerstehen. Immer mehr verliert sie sich in einem Strudel aus verschiedenen Drogen und Alkohol. Lexis Bruder reicht es irgendwann. So landet Lexi zum ersten Mal in ihrem Leben in einer Entzugsklinik. Sie sträubt sich mit voller Kraft gegen die Einweisung. Denn: Was soll das eigentlich? Lexi ist doch nicht süchtig, sie hat doch nicht die Kontrolle verloren! Oder?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Carlsen
Seitenzahl: 400
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens & Präteritum
Perspektive: hauptsächlich aus weiblicher Perspektive, selten auch aus männlicher
Kapitellänge: mittel bis kurz
Tiere im Buch: + Es werden keine Tiere verletzt oder getötet, im Gegenteil, die im Buch vorkommenden Pferde werden sehr liebevoll behandelt.

Warum dieses Buch?

Der Klappentext klang nach einem ungewöhnlich und interessant. Da ich als angehende Lehrerin immer auf der Suche nach Jugendliteratur bin, die auch ernste Themen angemessen behandelt, wollte ich dieses Buch unbedingt lesen.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Der Einstieg ist mir sehr leicht gelungen. Die Geschichte beginnt mit Lexis Einweisung, in Rückblenden erfahren wir später erst, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Durch diesen direkten Einstieg kommt keine Langeweile auf, zumal Lexis körperlicher und geistiger Zustand echt schockiert.

„Die Nacht zurückspulen. Das Letzte, was ich vor mir sehe, ist das Hotel. […]
Genau. Die blaue Chaiselongue. Eine Nadel.
Scheiße.
Fühlt sich so eine Überdosis an?“ E-Book, Position 29

Schreibstil (+/-)

Prinzipiell ist der Schreibstil flüssig und schnell lesbar. Er ist anschaulich, enthält ein paar Teenager-Weisheiten und vermittelt Gefühle gut. Oft besteht er aus Halbsätzen und Ellipsen, was Jugendlichen sicher gefallen wird. Eines hat mich allerdings am Schreibstil sehr gestört: Die extreme Umgangssprachlichkeit gepaart mit unzähligen Schimpfwörtern (dazu später mehr), einigen Wiederholungen und einer künstlich wirkenden Coolness. Ich kann es nur schwer ertragen, wenn eine Autorin oder ein Autor sich zu sehr bemühen, ihre Protagonistin rebellisch und cool wirken zu lassen. In diesem Buch wirkte das auf mich stellenweise sehr aufgesetzt und es hat mich ehrlicherweise sehr genervt.

„Mich juckt es überall. Ameisen graben einen Tunnel unter meiner Haut.“ E-Book, Position 216

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

Man merkt, dass die Autorin recherchiert hat. Für ein Jugendbuch sind die Beschreibungen von Selbstverletzung, Entzug, Süchten und Sexualität (Selbstbefriedigung von Mädchen wird ebenfalls erwähnt, was mit Sicherheit fortschrittlich ist) erstaunlich schonungslos und tabulos. Ich denke, diese Ehrlichkeit wird dem Zielpublikum gefallen und die Behandlung dieser oft in Jugendbüchern verbotenen, verpönten oder ausgeklammerten Themen wird Faszination und Interesse auslösen. So scheut sich die Autorin keinesfalls zu beschreiben, wie die Protagonistin in den ersten Tagen ihres Entzuges in ihr Bett macht, wie sie sich übergibt und leidet. Dabei werden Schmerzen und Gefühle sehr anschaulich und teilweise mit gelungenen Metaphern beschrieben. Besonders schön und lobenswert finde ich, dass sich die Autorin bemüht, gegen Vorurteile psychisch Kranken gegenüber zu kämpfen und zu zeigen, wie es heutzutage in psychiatrischen Kliniken wirklich gutgeht. Das finde ich besonders in Zeiten, in denen das „verlassene Irrenhaus“ gerne als Schauplatz für Horrorfilme etc. dient (und das ist in Ordnung, solange man weiß, dass heutige Kliniken nichts mehr mit den düsteren, trostlosen Orten aus der Vergangenheit zu tun haben) besonders wichtig. Am Ende des Buches sind Adressen angeführt, an die man sich wenden kann, wenn man Hilfe benötigt – das finde ich sehr wichtig, falls einige Menschen durch den Inhalt des Buches eventuell getriggert werden.

Dennoch finde ich trotz allem, dass manches unlogisch war (z. B. dass die Jugendlichen so oft unbeaufsichtigt waren), dass die Autorin manche Dinge beschönigt oder sogar verharmlost. In einer Rezension wurde das Buch als „Gossip Girl auf Entzug“ beschrieben. Dem kann ich nur zustimmen. Der Schauplatz, die hochmoderne Clarity-Klinik für die Reichen und Schönen, ist paradiesisch und strotzt nur so vor Luxus – ein idyllischer Ort, der den meisten (Sucht)Kranken verwehrt bleiben wird. Zudem hatte ich immer wieder das Gefühl, dass manche Drogen verharmlost werden – und ich rede hier nicht von Cannabis, sondern von Kokain. Ständig wird von den Figuren von „nur ein Näschen Koks“, „es scheien lassen“ etc. geredet. Es gibt hierbei nicht nur Euphemismen für den Konsum, sondern die durchaus gefährliche Droge Kokain wird teilweise auch als harmlos und als „Einstiegsdroge“ dargestellt. Meiner Meinung nach ist das sehr problematisch. Lexis Einsicht kommt zudem recht spät und wird meiner Meinung nach nicht ausführlich genug abgehandelt.

Juno Dawson beschäftigt sich mit Themen wie Sucht, Einsamkeit, Schuldgefühle, Ängste, Selbstverletzung, Essstörungen, Transsexualität und Verantwortung. Im Mittelpunkt stehen auch immer wieder die Probleme, mit denen Betroffene im Alltag konfrontiert sind. Generell hätte ich mir stellenweise mehr Tiefe gewünscht. Obwohl es hier sehr viele gute Ansätze gibt, konnte mich das Buch emotional nicht wirklich mitreißen, ich hätte mir einen genaueren Einblick in Lexis Gefühle und Gedanken und auch mehr Einblick in die Welt ihrer MitpatientInnen gewünscht. Das Ende hat mich zwar nicht vom Hocker gerissen (weil in gewisser Weise zu positiv), aber manche Enthüllungen fand ich durchaus gelungen (z. B. die Kurzgeschichte).

Protagonistin (-)

Mit Lexi konnte ich mich leider überhaupt nicht anfreunden. Ich fand sie auch nach ihrem Entzug noch oft oberflächlich, arrogant, unhöflich und vor allem respektlos und beleidigend anderen gegenüber. Ihre Lästereien waren für mich kaum zu ertragen, vor allem wenn sie sich auf Äußerlichkeiten und das Gewicht mancher anderer Personen bezogen. Ich dachte mir dann immer: Kümmere dich lieber einmal um deine eigenen zahlreichen Probleme, bevor du die über andere lustig machst! Ich fand Lexi auch oft zu gewollt cool, rebellisch und gemein, zudem stimme ich jener Person zu, die geschrieben hat, dass Lexis Charakter zu 80% aus ihrer Sucht besteht. Meiner Meinung nach hat Lexi eigentlich keine richtige Persönlichkeit, sie konnte mich nicht berühren. Lexis Verwandlung, die „Läuterung der Sünderin“, fand ich stellenweise etwas klischeehaft.

Nebenfiguren, Beziehungen & Liebe (+/-)

Die Nebenfiguren haben mir hier schon viel besser gefallen, auch wenn man meiner Meinung nach zu wenig über sie erfährt und sie daher zu oberflächlich bleiben. Dennoch gab es hier viele gute Ansätze, sie hatten eigene Persönlichkeiten und waren teilweise sehr sympathisch. Die Szenen, in denen alle zusammen waren und Spaß hatten, haben mir sehr gefallen und haben mir oft ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Besonders gerne mochte ich Dr. Goldstein, Guy und Kendall. Natürlich habe ich mich gefragt, ob auch bei solch einer Geschichte unbedingt eine Lovestory dabei sein muss, aber ich bin hier (trotz der Prise Insta-Love) nicht so kritisch wie meine MitleserInnen und finde, dass die Liebesgeschichte durchaus gelungen geschrieben wurde.

Spannung & Atmosphäre (-)

Leider konnte mich diese Geschichte, die viele verschiedene Stimmungen von fröhlich über lustig, traurig, wütend bis hin zu verzweifelt abdeckt, über weite Strecken nicht packen. Immer wenn ich dachte, jetzt bin ich ganz in die Geschichte eingetaucht, ab jetzt wird es besser, kam erneut ein Spannungseinbruch. Woran es genau lag, dass ich mich wirklich zwingen musste, weiterzulesen, kann ich nicht ganz festmachen. Einerseits gibt es zwar nur wenig Handlung, andererseits bemüht sich die Autorin sehr, es trotzdem spannend zu machen. Bei mir hat das trotz manch sehr unerwarteter Wendung leider nicht funktioniert – und ich war froh, als das Buch vorbei war.

Feministischer Blickwinkel (-!)

Nun komme ich zu meinem größtem Kritikpunkt, einem Punkt, der dazu führt, dass ich dieses Buch von mir nur 2 Sterne und keine Leseempfehlung (zumindest an Jugendliche) erhalten wird: Das Slutshaming in diesem Buch ist nicht zu ertragen und absolut unverantwortlich. Gerade wenn eine „coole“ Hauptfigur wie Lexi solche Ausdrücke ohne jede Reflexion verwendet, wird das auf das Zielpublikum Auswirkungen haben. Wenn Lexi schon mit Schimpfwörtern um sich schmeißt (was in Ordnung ist, wenn man zeigen will, dass sie ein rebellischer Teenager ist), dann doch bitte nicht mit den frauenfeindlichsten Ausdrücken, die es überhaupt gibt. Auf gefühlt jeder dritten Seite werden Mädchen und Frauen munter als Tussis, Schlam+++, Miststücke und sogar (!) Fo++++ bezeichnet! Hallo? Gleichstellungsauftrag im Jugendbuch? Ist der Autorin klar, wie stark Medien (auch Bücher) uns unterbewusst beeinflussen? Solche Worte sind nicht in Ordnung, weil auch sie Sexismus und die Benachteiligung der Frau am Leben erhalten. Und das führt wiederum beispielsweise zu mehr Gewalt an Frauen. Dass Lexi teilweise auch Männer mit diesen Worten beschimpft (hauptsächlich jedoch schon Frauen), macht es nicht wirklich besser. Nur zur Verdeutlichung einige dieser Momente im Buch, bei denen ich nur dachte, ich lese nicht richtig (Jugendbuch?!):

„‘Jetzt sei keine Fo+++! Ich sitze hier doch bloß ganz friedlich, blöde Pu+++.‘“ E-Book, Position 2433

„‘Ruby, ich entschuldige mich, dass ich so ein Miststück war. Eine richtige Fo+++ war ich.‘“ E-Book, 2046

„Himmel, wir liefen aber auch echter immer rum wie die Schla++++ vom Dienst, damals.“ E-Book, Position 2490

Gespräch zwischen Geschwistern:

„Ich gucke zu ihm hoch und wische ihm eine Träne aus dem Gesicht. ‚Dann heul doch nicht, Riesenpu+++.‘ Ich grinse und er drückt mich noch fester.
‚Oh, ich hab dich vermisst, Fo+++.‘" E-Book, Position 1994

(Die ganz schlimmen Wörter wurden zensiert, damit meine Rezension nicht gesperrt wird.) So schlimm habe ich eine derartige Unsensibilität für sexistische Sprache noch nie in einem Jugendbuch erlebt. Deshalb werde ich mich auch davor hüten, es dem Zielpublikum zu empfehlen. Dass die Autorin ansonsten Frauen auch teilweise als stark, mutig und unabhängig präsentiert, dass auch Jungen weinen dürfen (mit Rotz und allem), hat mir gefallen. Es soll hier natürlich auch gelobt werden.

Mein Fazit

„Clean“ von Juno Dawson war für mich leider eine Enttäuschung. Ich fand die arrogante, lästernde, gewollt coole Protagonistin unerträglich und mochte den umgangssprachlichen Schreibstil nicht. Obwohl die Autorin sich eigentlich sehr bemüht hat, konnte mich die Geschichte nicht richtig fesseln, und trotz mancher unerwarteten Wendung habe ich mich teilweise echt durchgequält. Schön fand ich, dass die Autorin so offen, ehrlich und schonungslos mit den Themen Sucht, psychische Krankheiten und Sexualität umgeht und dass sie gegen Vorurteile und Stigmatisierung anschreibt. Auch wenn ich manches zu beschönigend und verharmlosend, manches zu oberflächlich fand, wird das wichtige Thema über weite Strecken dennoch angemessen behandelt. Die Nebenfiguren haben mir gut gefallen, auch wenn ich hier gerne noch (viel) mehr über sie erfahren hätte. Mein größter Kritikpunkt, der mir auch den Lesespaß absolut vermiest hat, ist die Tatsache, dass in diesem Jugendbuch mit frauenfeindlichen Ausdrücken wie Fo+++, Schla++++, Miststück etc. munter um sich geworfen wird (mehr dazu beim Unterpunkt „Feministischer Blickwinkel“). Ich habe noch nie ein Jugendbuch gesehen, in dem so unsensibel mit dem Thema „sexistische/frauenfeindliche Sprache“ umgegangen wurde. Medien (auch Bücher) beeinflussen unser Unterbewusstsein und solch eine unreflektierte Verwendung dieser Wörter von einer angeblich „coolen“ Heldin wird auf die Zielgruppe Auswirkungen haben. Sexismus wird gefördert, und das wiederum fördert Gewalt an Frauen und Ungerechtigkeiten. Wollen wir wirklich, dass auch unsere Töchter noch in solch einer ungerechten Welt leben? Nein? Dann müssen wir bei den Kindern und Jugendlichen von heute ansetzen und aufhören, Slut Shaming und frauenfeindliche Sprache in (Jugend)Büchern als akzeptabel, lustig oder sogar cool darzustellen.

Leseempfehlung: Ich kann das Buch leider nicht weiterempfehlen, besonders nicht Jugendlichen. Ich bin mir sicher, dass es noch andere Lektüre zum Thema gibt, die von frauenfeindlichen Ausdrücken absieht.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 3 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Ausführung: 2 Sterne
Einstieg: 5 Sterne
Schreibstil: 3 Sterne
Protagonistin: 2 Sterne
Nebenfiguren: 3,5 Sterne
Atmosphäre: 2 Sterne
Spannung: 2 Sterne
Ende: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 2,5 Sterne
Liebesgeschichte: 3 Sterne
Feministischer Blickwinkel: -!

Insgesamt:

❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 2 enttäuschte Lilien!