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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.08.2018

Schonungslos ehrlich, aber leider voller frauenfeindlicher Ausdrücke und Slut Shaming

Clean
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Lexi ist reich, ein It-Girl, hat eigentlich alles, wovon Teenager träumen. Doch den Versuchungen, die auf den Partys der Reichen und Schönen lauern, kann sie immer schlechter ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Lexi ist reich, ein It-Girl, hat eigentlich alles, wovon Teenager träumen. Doch den Versuchungen, die auf den Partys der Reichen und Schönen lauern, kann sie immer schlechter widerstehen. Immer mehr verliert sie sich in einem Strudel aus verschiedenen Drogen und Alkohol. Lexis Bruder reicht es irgendwann. So landet Lexi zum ersten Mal in ihrem Leben in einer Entzugsklinik. Sie sträubt sich mit voller Kraft gegen die Einweisung. Denn: Was soll das eigentlich? Lexi ist doch nicht süchtig, sie hat doch nicht die Kontrolle verloren! Oder?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Carlsen
Seitenzahl: 400
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens & Präteritum
Perspektive: hauptsächlich aus weiblicher Perspektive, selten auch aus männlicher
Kapitellänge: mittel bis kurz
Tiere im Buch: + Es werden keine Tiere verletzt oder getötet, im Gegenteil, die im Buch vorkommenden Pferde werden sehr liebevoll behandelt.

Warum dieses Buch?

Der Klappentext klang nach einem ungewöhnlich und interessant. Da ich als angehende Lehrerin immer auf der Suche nach Jugendliteratur bin, die auch ernste Themen angemessen behandelt, wollte ich dieses Buch unbedingt lesen.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Der Einstieg ist mir sehr leicht gelungen. Die Geschichte beginnt mit Lexis Einweisung, in Rückblenden erfahren wir später erst, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Durch diesen direkten Einstieg kommt keine Langeweile auf, zumal Lexis körperlicher und geistiger Zustand echt schockiert.

„Die Nacht zurückspulen. Das Letzte, was ich vor mir sehe, ist das Hotel. […]
Genau. Die blaue Chaiselongue. Eine Nadel.
Scheiße.
Fühlt sich so eine Überdosis an?“ E-Book, Position 29

Schreibstil (+/-)

Prinzipiell ist der Schreibstil flüssig und schnell lesbar. Er ist anschaulich, enthält ein paar Teenager-Weisheiten und vermittelt Gefühle gut. Oft besteht er aus Halbsätzen und Ellipsen, was Jugendlichen sicher gefallen wird. Eines hat mich allerdings am Schreibstil sehr gestört: Die extreme Umgangssprachlichkeit gepaart mit unzähligen Schimpfwörtern (dazu später mehr), einigen Wiederholungen und einer künstlich wirkenden Coolness. Ich kann es nur schwer ertragen, wenn eine Autorin oder ein Autor sich zu sehr bemühen, ihre Protagonistin rebellisch und cool wirken zu lassen. In diesem Buch wirkte das auf mich stellenweise sehr aufgesetzt und es hat mich ehrlicherweise sehr genervt.

„Mich juckt es überall. Ameisen graben einen Tunnel unter meiner Haut.“ E-Book, Position 216

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

Man merkt, dass die Autorin recherchiert hat. Für ein Jugendbuch sind die Beschreibungen von Selbstverletzung, Entzug, Süchten und Sexualität (Selbstbefriedigung von Mädchen wird ebenfalls erwähnt, was mit Sicherheit fortschrittlich ist) erstaunlich schonungslos und tabulos. Ich denke, diese Ehrlichkeit wird dem Zielpublikum gefallen und die Behandlung dieser oft in Jugendbüchern verbotenen, verpönten oder ausgeklammerten Themen wird Faszination und Interesse auslösen. So scheut sich die Autorin keinesfalls zu beschreiben, wie die Protagonistin in den ersten Tagen ihres Entzuges in ihr Bett macht, wie sie sich übergibt und leidet. Dabei werden Schmerzen und Gefühle sehr anschaulich und teilweise mit gelungenen Metaphern beschrieben. Besonders schön und lobenswert finde ich, dass sich die Autorin bemüht, gegen Vorurteile psychisch Kranken gegenüber zu kämpfen und zu zeigen, wie es heutzutage in psychiatrischen Kliniken wirklich gutgeht. Das finde ich besonders in Zeiten, in denen das „verlassene Irrenhaus“ gerne als Schauplatz für Horrorfilme etc. dient (und das ist in Ordnung, solange man weiß, dass heutige Kliniken nichts mehr mit den düsteren, trostlosen Orten aus der Vergangenheit zu tun haben) besonders wichtig. Am Ende des Buches sind Adressen angeführt, an die man sich wenden kann, wenn man Hilfe benötigt – das finde ich sehr wichtig, falls einige Menschen durch den Inhalt des Buches eventuell getriggert werden.

Dennoch finde ich trotz allem, dass manches unlogisch war (z. B. dass die Jugendlichen so oft unbeaufsichtigt waren), dass die Autorin manche Dinge beschönigt oder sogar verharmlost. In einer Rezension wurde das Buch als „Gossip Girl auf Entzug“ beschrieben. Dem kann ich nur zustimmen. Der Schauplatz, die hochmoderne Clarity-Klinik für die Reichen und Schönen, ist paradiesisch und strotzt nur so vor Luxus – ein idyllischer Ort, der den meisten (Sucht)Kranken verwehrt bleiben wird. Zudem hatte ich immer wieder das Gefühl, dass manche Drogen verharmlost werden – und ich rede hier nicht von Cannabis, sondern von Kokain. Ständig wird von den Figuren von „nur ein Näschen Koks“, „es scheien lassen“ etc. geredet. Es gibt hierbei nicht nur Euphemismen für den Konsum, sondern die durchaus gefährliche Droge Kokain wird teilweise auch als harmlos und als „Einstiegsdroge“ dargestellt. Meiner Meinung nach ist das sehr problematisch. Lexis Einsicht kommt zudem recht spät und wird meiner Meinung nach nicht ausführlich genug abgehandelt.

Juno Dawson beschäftigt sich mit Themen wie Sucht, Einsamkeit, Schuldgefühle, Ängste, Selbstverletzung, Essstörungen, Transsexualität und Verantwortung. Im Mittelpunkt stehen auch immer wieder die Probleme, mit denen Betroffene im Alltag konfrontiert sind. Generell hätte ich mir stellenweise mehr Tiefe gewünscht. Obwohl es hier sehr viele gute Ansätze gibt, konnte mich das Buch emotional nicht wirklich mitreißen, ich hätte mir einen genaueren Einblick in Lexis Gefühle und Gedanken und auch mehr Einblick in die Welt ihrer MitpatientInnen gewünscht. Das Ende hat mich zwar nicht vom Hocker gerissen (weil in gewisser Weise zu positiv), aber manche Enthüllungen fand ich durchaus gelungen (z. B. die Kurzgeschichte).

Protagonistin (-)

Mit Lexi konnte ich mich leider überhaupt nicht anfreunden. Ich fand sie auch nach ihrem Entzug noch oft oberflächlich, arrogant, unhöflich und vor allem respektlos und beleidigend anderen gegenüber. Ihre Lästereien waren für mich kaum zu ertragen, vor allem wenn sie sich auf Äußerlichkeiten und das Gewicht mancher anderer Personen bezogen. Ich dachte mir dann immer: Kümmere dich lieber einmal um deine eigenen zahlreichen Probleme, bevor du die über andere lustig machst! Ich fand Lexi auch oft zu gewollt cool, rebellisch und gemein, zudem stimme ich jener Person zu, die geschrieben hat, dass Lexis Charakter zu 80% aus ihrer Sucht besteht. Meiner Meinung nach hat Lexi eigentlich keine richtige Persönlichkeit, sie konnte mich nicht berühren. Lexis Verwandlung, die „Läuterung der Sünderin“, fand ich stellenweise etwas klischeehaft.

Nebenfiguren, Beziehungen & Liebe (+/-)

Die Nebenfiguren haben mir hier schon viel besser gefallen, auch wenn man meiner Meinung nach zu wenig über sie erfährt und sie daher zu oberflächlich bleiben. Dennoch gab es hier viele gute Ansätze, sie hatten eigene Persönlichkeiten und waren teilweise sehr sympathisch. Die Szenen, in denen alle zusammen waren und Spaß hatten, haben mir sehr gefallen und haben mir oft ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Besonders gerne mochte ich Dr. Goldstein, Guy und Kendall. Natürlich habe ich mich gefragt, ob auch bei solch einer Geschichte unbedingt eine Lovestory dabei sein muss, aber ich bin hier (trotz der Prise Insta-Love) nicht so kritisch wie meine MitleserInnen und finde, dass die Liebesgeschichte durchaus gelungen geschrieben wurde.

Spannung & Atmosphäre (-)

Leider konnte mich diese Geschichte, die viele verschiedene Stimmungen von fröhlich über lustig, traurig, wütend bis hin zu verzweifelt abdeckt, über weite Strecken nicht packen. Immer wenn ich dachte, jetzt bin ich ganz in die Geschichte eingetaucht, ab jetzt wird es besser, kam erneut ein Spannungseinbruch. Woran es genau lag, dass ich mich wirklich zwingen musste, weiterzulesen, kann ich nicht ganz festmachen. Einerseits gibt es zwar nur wenig Handlung, andererseits bemüht sich die Autorin sehr, es trotzdem spannend zu machen. Bei mir hat das trotz manch sehr unerwarteter Wendung leider nicht funktioniert – und ich war froh, als das Buch vorbei war.

Feministischer Blickwinkel (-!)

Nun komme ich zu meinem größtem Kritikpunkt, einem Punkt, der dazu führt, dass ich dieses Buch von mir nur 2 Sterne und keine Leseempfehlung (zumindest an Jugendliche) erhalten wird: Das Slutshaming in diesem Buch ist nicht zu ertragen und absolut unverantwortlich. Gerade wenn eine „coole“ Hauptfigur wie Lexi solche Ausdrücke ohne jede Reflexion verwendet, wird das auf das Zielpublikum Auswirkungen haben. Wenn Lexi schon mit Schimpfwörtern um sich schmeißt (was in Ordnung ist, wenn man zeigen will, dass sie ein rebellischer Teenager ist), dann doch bitte nicht mit den frauenfeindlichsten Ausdrücken, die es überhaupt gibt. Auf gefühlt jeder dritten Seite werden Mädchen und Frauen munter als Tussis, Schlam+++, Miststücke und sogar (!) Fo++++ bezeichnet! Hallo? Gleichstellungsauftrag im Jugendbuch? Ist der Autorin klar, wie stark Medien (auch Bücher) uns unterbewusst beeinflussen? Solche Worte sind nicht in Ordnung, weil auch sie Sexismus und die Benachteiligung der Frau am Leben erhalten. Und das führt wiederum beispielsweise zu mehr Gewalt an Frauen. Dass Lexi teilweise auch Männer mit diesen Worten beschimpft (hauptsächlich jedoch schon Frauen), macht es nicht wirklich besser. Nur zur Verdeutlichung einige dieser Momente im Buch, bei denen ich nur dachte, ich lese nicht richtig (Jugendbuch?!):

„‘Jetzt sei keine Fo+++! Ich sitze hier doch bloß ganz friedlich, blöde Pu+++.‘“ E-Book, Position 2433

„‘Ruby, ich entschuldige mich, dass ich so ein Miststück war. Eine richtige Fo+++ war ich.‘“ E-Book, 2046

„Himmel, wir liefen aber auch echter immer rum wie die Schla++++ vom Dienst, damals.“ E-Book, Position 2490

Gespräch zwischen Geschwistern:

„Ich gucke zu ihm hoch und wische ihm eine Träne aus dem Gesicht. ‚Dann heul doch nicht, Riesenpu+++.‘ Ich grinse und er drückt mich noch fester.
‚Oh, ich hab dich vermisst, Fo+++.‘" E-Book, Position 1994

(Die ganz schlimmen Wörter wurden zensiert, damit meine Rezension nicht gesperrt wird.) So schlimm habe ich eine derartige Unsensibilität für sexistische Sprache noch nie in einem Jugendbuch erlebt. Deshalb werde ich mich auch davor hüten, es dem Zielpublikum zu empfehlen. Dass die Autorin ansonsten Frauen auch teilweise als stark, mutig und unabhängig präsentiert, dass auch Jungen weinen dürfen (mit Rotz und allem), hat mir gefallen. Es soll hier natürlich auch gelobt werden.

Mein Fazit

„Clean“ von Juno Dawson war für mich leider eine Enttäuschung. Ich fand die arrogante, lästernde, gewollt coole Protagonistin unerträglich und mochte den umgangssprachlichen Schreibstil nicht. Obwohl die Autorin sich eigentlich sehr bemüht hat, konnte mich die Geschichte nicht richtig fesseln, und trotz mancher unerwarteten Wendung habe ich mich teilweise echt durchgequält. Schön fand ich, dass die Autorin so offen, ehrlich und schonungslos mit den Themen Sucht, psychische Krankheiten und Sexualität umgeht und dass sie gegen Vorurteile und Stigmatisierung anschreibt. Auch wenn ich manches zu beschönigend und verharmlosend, manches zu oberflächlich fand, wird das wichtige Thema über weite Strecken dennoch angemessen behandelt. Die Nebenfiguren haben mir gut gefallen, auch wenn ich hier gerne noch (viel) mehr über sie erfahren hätte. Mein größter Kritikpunkt, der mir auch den Lesespaß absolut vermiest hat, ist die Tatsache, dass in diesem Jugendbuch mit frauenfeindlichen Ausdrücken wie Fo+++, Schla++++, Miststück etc. munter um sich geworfen wird (mehr dazu beim Unterpunkt „Feministischer Blickwinkel“). Ich habe noch nie ein Jugendbuch gesehen, in dem so unsensibel mit dem Thema „sexistische/frauenfeindliche Sprache“ umgegangen wurde. Medien (auch Bücher) beeinflussen unser Unterbewusstsein und solch eine unreflektierte Verwendung dieser Wörter von einer angeblich „coolen“ Heldin wird auf die Zielgruppe Auswirkungen haben. Sexismus wird gefördert, und das wiederum fördert Gewalt an Frauen und Ungerechtigkeiten. Wollen wir wirklich, dass auch unsere Töchter noch in solch einer ungerechten Welt leben? Nein? Dann müssen wir bei den Kindern und Jugendlichen von heute ansetzen und aufhören, Slut Shaming und frauenfeindliche Sprache in (Jugend)Büchern als akzeptabel, lustig oder sogar cool darzustellen.

Leseempfehlung: Ich kann das Buch leider nicht weiterempfehlen, besonders nicht Jugendlichen. Ich bin mir sicher, dass es noch andere Lektüre zum Thema gibt, die von frauenfeindlichen Ausdrücken absieht.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 3 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Ausführung: 2 Sterne
Einstieg: 5 Sterne
Schreibstil: 3 Sterne
Protagonistin: 2 Sterne
Nebenfiguren: 3,5 Sterne
Atmosphäre: 2 Sterne
Spannung: 2 Sterne
Ende: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 2,5 Sterne
Liebesgeschichte: 3 Sterne
Feministischer Blickwinkel: -!

Insgesamt:

❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 2 enttäuschte Lilien!

Veröffentlicht am 29.08.2018

Von großen Erwartungen & großen Enttäuschungen

Bad Girls
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Jule Williams ist eine begnadete Schauspielerin. Allerdings ist nicht das Theater ihre Bühne, sondern das reale Leben. Sie lügt, täuscht, besitzt verschiedene Namen ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Jule Williams ist eine begnadete Schauspielerin. Allerdings ist nicht das Theater ihre Bühne, sondern das reale Leben. Sie lügt, täuscht, besitzt verschiedene Namen und Kreditkarten, trägt Perücken und auffälliges Make-up, um sich zu tarnen. Wozu betreibt Jule solch einen Aufwand? Und wer ist sie wirklich?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Genre: Jugendbuch
Verlag: Ravensburger Buchverlag
Seitenzahl: 320
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: aus weiblicher Perspektive,
Kapitellänge: mittel bis kurz, in verschiedene Abschnitte/Episoden geteilt
Tiere im Buch: + Es werden (meines Wissens) keine Tiere verletzt oder getötet. Im Gegenteil: Imogen ist sehr tierlieb, ihr liegt Tierwohl sehr am Herzen.

Warum dieses Buch?

Ich liebe das erste Buch der Autorin, „We were Liars“ (dt. Solange wir lügen), fand es großartig erzählt und konnte davon sowohl überrascht als auch berührt werden. An diesem Buch führte daher kein Weg vorbei.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Der Einstieg hat mir gefallen, auch wenn man sich am Beginn überhaupt nicht auskennt und alles sehr rätselhaft und undurchsichtig ist (das verbessert sich im Laufe des Buches nur geringfügig). Jedoch machten mich die ersten Kapitel sehr neugierig, und ich wollte unbedingt weiterlesen.

„Sie glaubte, dass man sein Herz am besten davor schützte, gebrochen zu werden, wenn man so tat, als hätte man keins.“ Seite 12

Schreibstil (+/-)

E. Lockharts Schreibstil ist auch in diesem Buch wieder flüssig, anschaulich und angenehm. Die Sätze sind für ein Jugendbuch in genau passender Weise komplex – nicht zu einfach, aber auch nicht zu verschachtelt oder kompliziert –, sodass das Zielpublikum sicher Gefallen daran finden wird. Jedoch hat mich ein Aspekt dieses Mal sehr gestört: Die Emotionen blieben vollkommen auf der Strecke, etwas, das ich nach der Lektüre von „We were Liars“ niemals erwartet hätte. Aber so ist es leider, der Schreibstil ist seltsam nüchtern, gibt kaum bis gar keinen Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelt der Hauptfigur. Hier hätte ich mir viel mehr Tiefe und mehr Details gewünscht. Ich denke, dass es auch zum großen Teil an dieser unterkühlten Erzählweise lag, dass ich nicht mitfiebern konnte und dass mich die Geschichte bis zum Schluss nicht fesselte.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

E. Lockhart hat eine sehr ungewöhnliche Erzählweise für ihr Buch gewählt: Sie schildert die Geschichte in insgesamt 18 Kapiteln (die noch einmal in kürzere Episoden unterteilt werden) rückwärts (am Ende gibt es noch ein Abschlusskapitel in der Gegenwart) und deckt so nach und nach die Beweggründe der Heldin und ihre schockierende Vergangenheit auf. Die vielen zeitlichen Sprünge, die eigentlich für Spannung sorgen sollten, lösten bei mir großteils leider Verwirrung, Unverständnis und Langeweile aus. Bis zum Ende wartete ich auf den ultimativen Aha-Effekt, darauf, dass endlich alle Puzzleteile an ihren Platz fallen und auf einmal alles Sinn ergibt. Das Ende wird dann aber so schnell abgehandelt und ist so offen, dass kaum Fragen beantwortet werden, sondern stattdessen viele weitere aufkommen. Die erwartete Belohnung für meine Lese-Mühen kam leider nicht und ich dachte nur: Wozu das alles? Das Durchhalten hat sich meiner Meinung nach leider nicht gelohnt. Wer die Erzählweise allerdings interessant findet, dem kann ich „Tick Tack“ von Megan Miranda nur wärmstens ans Herz legen. Die Autorin erzählt grandios rückwärts und erschafft eine tiefgründige, wendungsreiche Geschichte voller schockierender Enthüllungen und Geheimnisse.

Verstörend war der extreme Gegensatz zwischen der träge dahinplätschernden Geschichte und der immer wieder aus dem Nichts kommenden, ausufernden Brutalität und Gewalt. Grausige Details werden bis ins Detail geschildert, so dass ich zwischendurch immer wieder dasaß und gar nicht glauben konnte, was ich da lese. Als Horror-Liebhaberin fand ich manche dieser Stimmungsumschwünge ehrlich gesagt ziemlich cool. Nur reicht das leider nicht aus, um mich gut unterhalten zu fühlen.

Eines steht bereits nach den ersten Seiten fest: E. Lockhart wagt sich mit diesem Werk in neue Gefilde vor und hat mit „Bad Girls“ definitiv kein zweites „We were Liars“ vorgelegt. Viel eher erinnert die Stimmung im Buch etwas an Agententhriller und Krimis. Ich will nicht zu viel verraten, möchte aber zumindest anmerken, dass die Autorin Themen wie Trauer, Verlust, Freundschaft, Eifersucht und Schuld nicht tiefgründig genug behandelt. Dies hängt wiederum sehr eng mit dem Schreibstil zusammen.

Protagonistin (-)

Zu Jule konnte ich das ganze Buch über keine Verbindung aufbauen, dazu erhielt ich viel zu wenig Einblick in ihr Innenleben, in ihre Motive und Gedanken. Sie wirkte auf mich kühl bis eiskalt, berechnend und skrupellos, viele ihrer Handlungen konnte ich überhaupt nicht verstehen. Meine Sympathie für sie nahm immer weiter ab, bis sie schließlich fast schon in Hass umschlug. Zudem ist Jule extrem blass und oberflächlich beschrieben, sie scheint überhaupt keine Persönlichkeit zu haben, macht keine Entwicklung durch. Daher blieb sie mir die ganze Geschichte über fremd und ihr Schicksal war mir egal. Ich habe die ganze Zeit gerätselt, ob sie eventuell an einer Persönlichkeitsstörung leidet, anders kann ich mir ihr unberechenbares Verhalten nicht erklären. Spannend fand ich jedoch, dass Jule dadurch, dass man sie absolut nicht einschätzen kann, zu einer sehr unverlässlichen Erzählerin wird und dass man ihr zunehmend misstraut. Mit ihren Perücken, Betrügereien und ihrem tarnenden Make-up erinnerte mich Jule übrigens sehr an Letty aus der Serie „Good Behavior“. Wer diese spannende, düstere Geschichte im Noir-Stil noch nicht kennt, sollte ihr unbedingt eine Chance geben.

„[…] sie wusste nicht mehr, welche Form ihr eigenes Ich hatte oder ob es eigentlich gar keine Jule gab, sondern nur eine Reihe Persönlichkeiten, für die sie sich in verschiedenen Situationen ausgab.“ Seite 32

Nebenfiguren & Beziehungen (+/-)

Es gibt nur wenige Nebenfiguren, über die wir leider fast nichts erfahren. Auch hier wäre es sehr von Vorteil gewesen, wenn die Autorin diese besser ausgearbeitet hätte. Die einzige Figur, die ich wirklich greifbar und authentisch fand, war Imogen, die eine schwierige Person mit vielen unschönen Seiten, aber auch Stärken (wie zum Beispiele ihre Tierliebe) ist. Sie wirkte auf mich tatsächlich glaubwürdig und dreidimensional gezeichnet – eine komplizierte junge Frau, die mich fasziniert hat und begeistern konnte.

Spannung & Atmosphäre (-)

Die größte Schwäche des Buches ist die fehlende Spannung. Leider konnte mich die Geschichte bis zum Ende nicht fesseln, ich kam nur sehr langsam voran, und ich habe mich trotz manch unerwarteter Enthüllung sehr durchgequält. Die Geschichte plätscherte oft ereignislos und langweilig dahin, manchmal konnte ich nicht verstehen, warum eine Szene überhaupt erzählt wurde, vieles fand ich unnötig oder schlicht uninteressant. Es kam leider keine Spannung auf, nur selten rätselhafte, geheimnisvolle Atmosphäre, kein Sog, der mich in die Geschichte gezogen hat. Eigentlich bin ich eine Leserin, der polarisierende Bücher (wie dieses) oft sehr gut gefallen, doch dieses Mal wurde ich leider absolut enttäuscht.

Feministischer Blickwinkel (+)

Sehr gefallen haben mir Jules feministische Kommentare und ihre feministische Kritik, die immer wieder im Text auftauchen. So spricht sie beispielsweise die Tatsache an, dass Frauen in Filmen oft nur schmückendes Beiwerk sind und dass sie viel zu selten die taffen Heldinnen in Actionfilmen sein dürfen. Langsam (in einer Zeit, in der Jugendbuchheldinnen wie Tris und Katniss bejubelt werden) wird auch das besser, aber wir haben definitiv noch einen langen Weg vor uns. Einwurf von mir: Genauso gilt das übrigens auch für Videospiele. Frauen sind extrem unterrepräsentiert, und Spiel um Spiel wandere ich als muskelbepackter Mann durch die Gegend. Dann nimmt doch einmal eine starke Frau eine wichtige Rolle ein und sofort wird von misogynen, mittelalterlich eingestellten Männern von übertriebenem Feminismus geredet und davon, dass das Spiel nun sicher nicht (sozusagen als Protest) gespielt wird. Einfach nur lächerlich! Kleiner Reminder: Wir haben das Jahr 2018 und nicht 1118, nur falls das jemandem, zum Beispiel weil er mit einer Zeitmaschine hier gelandet ist (andere Ausreden gibt es nicht!), nicht aufgefallen sein sollte. Ihr seid im falschen Jahrhundert gelandet, geht bitte wieder zurück! Danke!

Prinzipiell bin ich, was die Themen Geschlechterrollen und Genderstereotypen betrifft, sehr zufrieden. Jule und Imogen sind zwei intelligente, starke, emanzipierte Frauenfiguren, die sich von Männern nichts gefallen lassen und sehr selbstbewusst handeln. In der Mitte der Geschichte wird sogar irgendwann ein Mädchen gefragt, ob sie einen Jungen im Gruselkabinett beschützen kann (wenn auch halb im Scherz). Es gibt hier nur wenige negative Punkte: Einmal werden Jungen als „verweichlicht“ beschrieben, einmal wird für eine Frau die maskuline Form („Beschützer“) anstatt der femininen Form („Beschützerin“) benutzt. Es ist deshalb wichtig, dass konsequent die entsprechende Form verwendet und dass gegendert wird, weil Sprache unser Bewusstsein formt und Frauen sichtbar macht. Das sind aber nur kleine Schönheitsfehler, die dem positiven Gesamteindruck, was diesen Aspekt betrifft, keinen Abbruch tun.

„Jule hatte tonnenweise Filme gesehen. Sie wusste, dass Frauen kaum im Mittelpunkt solcher Geschichten standen. Stattdessen waren sie schmückendes Beiwerk, Begleiterin, Opfer oder Angebetete. Meistens existierten sie nur, um dem großartigen weißen hetero Helden auf seiner verf***ten epischen Abenteuerreise zu helfen. Wenn es doch mal eine Heldin gab, wog sie sehr wenig, trug sehr wenig und hatte tolle Zähne.“ Seite 29

„Sie wollten, dass man klein und still war. ‚Lieb‘ war nur ein anderes Wort für ‚wehr dich nicht‘.“ Seite 296

Besorgniserregend finde ich übrigens das hier, es liefert einen weiteren Grund, warum wir uns endlich von starren Geschlechterstereotypen verabschieden müssen:

„‘Studien belegen, dass Mädchen in Schulen, die nach Geschlechtern getrennt sind, emanzipierter entscheiden und viel häufiger wissenschaftliche Fächer belegen. Sie machen sich weniger Gedanken über ihr Aussehen, sind konkurrenzfähiger und haben ein höheres Selbstwertgefühl.‘“ Seite 282

Mein Fazit

Auf große Erwartungen und große Vorfreude folgte eine große Enttäuschung. „Solange wir lügen / We Were Liars“ habe ich absolut geliebt, doch E. Lockhart kann meiner Meinung nach mit ihrem neuen Jugendbuch leider nicht an diese tolle Leistung anknüpfen. Der Schreibstil ist zwar einfach und flüssig, aber gleichzeitig zu nüchtern und emotionslos, die Hauptfigur ist kalt, unsympathisch und blass, weil man keinen Einblick in ihre Gefühls- und Gedankenwelt erhält. Die ungewöhnliche Erzählweise (rückwärts) wurde leider nicht gelungen umgesetzt, sie führte zu Verwirrung und Unverständnis. Trotz einigen sehr gelungenen, unerwarteten Wendungen kam keinerlei Spannung auf, ich habe mich durch das Buch durchgequält, wollte sogar abbrechen und fand am Ende nicht, dass es die Lese-Mühen wert war. Mir fehlte beim offenen Schluss der Aha-Moment, die Belohnung, die Befriedigung – stattdessen erwarteten mich nur viele weitere Fragen. Gefallen haben mir die feministischen Kommentare der Hauptfigur, die viele Dinge zu Recht kritisiert. Insgesamt konnte mich „Bad Girls“ aber leider überhaupt nicht abholen und überzeugen. Das ist sehr schade, ich hätte es mir so gewünscht.

Leseempfehlung: Ich kann hier leider keine Leseempfehlung aussprechen, besonders großen Fans von „Solange wir lügen / We Were Liars“ würde ich abraten, damit sie nicht allzu sehr enttäuscht werden.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 3 Sterne
Worldbuilding: 3 Sterne
Ausführung: 1,5 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Schreibstil: 3 Sterne
Protagonistin: 1 Stern
Nebenfiguren: 2,5 Sterne
Atmosphäre: 2 Sterne
Spannung: 1 Sterne
Ende: 2 Sterne
Emotionale Involviertheit: 1,5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: +

Insgesamt:

❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 1,5 sehr enttäuschte Lilien!

Veröffentlicht am 21.07.2022

Ich bereue es, dieses Buch gelesen zu haben!

Der Kuss der Lüge
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Prinzessin Lia soll aus politischen Gründen einen Prinzen heiraten, den sie noch nie gesehen hat. Im letzten Moment zieht sie die Reißleine und flüchtet. In der Taverne, ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Prinzessin Lia soll aus politischen Gründen einen Prinzen heiraten, den sie noch nie gesehen hat. Im letzten Moment zieht sie die Reißleine und flüchtet. In der Taverne, in der sie daraufhin als Schankmädchen arbeitet, lernt sie 2 Männer kennen, die sie sofort faszinieren. Was sie nicht weiß: Einer davon ist der abgewiesene Prinz, der seine Braut sucht, der andere ist ein Assassine, der ausgeschickt wurde, um sie zu töten…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 von 3
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Ich-Erzählerin, Präteritum
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive
Kapitellänge: mittel

Tiere im Buch: - Fische werden gefangen, Würmer werden gegessen, Pferde werden gequält, schwer verletzt und getötet.
Content Note / Inhaltswarnung: Tod von Menschen, Tod von Tieren, Blut, Erbrechen, (sexualisierte) Gewalt (gegen Frauen), Misogynie, Sexismus
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Hu++, M+ststück, Schabracke, Dirne, Weib

Warum dieses Buch?

Ich habe mir das Buch vor einigen Jahren gekauft, weil ich den Klappentext einfach genial fand und nur Gutes darüber gehört hatte! Dann verstaubte es lange in meinem Regal – und im April wurde dann in meiner Instagram-Story für dieses Werk als Leserunden-Buch (gemeinsam mit @miss.pageturner.de) abgestimmt.


Rezension


Das hat mir gefallen…

Feminismus (4 Sterne)

Eine feministische Analyse lässt mich insgesamt zufrieden zurück. Die Geschichte besteht den Bechdel-Test und im Buch gibt es viele starke, intelligente, kompetente Frauen, die sich nichts gefallen lassen – was in dieser patriarchalisch geprägten Welt nicht immer leicht ist. Einen Punkt Abzug gibt es für die toxische Männlichkeit, also dafür, dass der Großteil der Männer grob, ungehobelt, aggressiv und klischeehaft „männlich“ ist und dass Frauen (auch Lia) ständig von ihnen belästigt und bedroht werden.

„Sie hatte Angst. Ich habe gesehen, wie die Krüge in ihrer Hand zitterten, aber ihre Angst konnte sie nicht aufhalten.“ Seite 116


Das lässt mich zwiegespalten zurück…

Atmosphäre (3 Sterne)

Gut gefallen haben mir die atmosphärischen Beschreibungen der Natur und Umgebung – auch wenn sie mir oft zu sehr ausuferten.

„Man wird uns jagen“, sagte ich. „Man wird ein Kopfgeld auf mich aussetzen.“ Seite 38


Das hat mir nicht gefallen:

Schreibstil (2 Sterne)

Eigentlich begrüße ich es, wenn Jugendliteratur etwas komplexer geschrieben ist und ihrem Zielpublikum etwas zutraut. Leider nehmen die vielen unnötigen Beschreibungen von Banalitäten und unwichtige Details so viel Tempo raus und machen den Schreibstil sooo zäh und träge, dass es kaum auszuhalten war! Bei Reisen wird fast jeder Tag einzeln beschrieben – und wenn noch so wenig passiert. In Momenten größter Spannung ist noch genug Zeit für ein paar Nebensätze über die Natur oder dafür, zu schildern, was alle anwesenden Leute gerade im Hintergrund so treiben. Ich wundere mich nur, dass nicht auch noch jeder einzelne Toilettengang beschrieben wurde – hoffentlich haben wir da jetzt nichts Wichtiges verpasst…

„Es kann Jahre dauern, bis ein Traum Gestalt annimmt. Es dauert nur einen Sekundenbruchteil, um ihn zu zerschmettern.“ Seite 327

Idee / Geschichte / Themen / Umsetzung (1 Stern für die Grundidee)

Konnte das Buch halten, was der geniale Klappentext und der Hype versprechen? Nein! Aber hat das Lesen wenigstens trotzdem Spaß gemacht? Auch nein! Aber hat es sich wenigstens gelohnt, dass ich mich bis zum bitteren Ende durchgequält habe? Ebenfalls nein! Ich habe dieses Buch nicht genossen, sondern durchgearbeitet wie ein Lehrbuch, damit ich endlich mitreden kann, denn Lesen ist ja eine Kulturtechnik und hat damit auch eine soziale Komponente.

Kurz: Ich bereue es, dieses Buch gelesen zu haben und kann den Hype leider überhaupt nicht nachvollziehen! Habe ich vielleicht ein anderes Buch als alle anderen gelesen? Das wäre die einzige Erklärung, die mir einfällt. Doch was war an „Der Kuss der Lüge“ überhaupt so schlimm?

1. Das Worldbuilding ist quasi nicht vorhanden, denn die erfundene Welt bleibt vage, nicht greifbar und „generisch“, wirkt lieblos hingeklatscht und so uninspiriert, dass auch ein Bot sie erschaffen haben könnte – aus Elementen, die scheinbar aus anderen Büchern (mit besseren Weltenentwürfen) entnommen (um nicht zu sagen zusammengeklaut) wurden. Entweder, der Autorin selbst fehlten beim Schreiben jegliche Begeisterung und Leidenschaft für ihre fiktionale Welt oder es ist ihr einfach nicht gelungen, diese an uns lesende Menschen weiterzugeben. Der Lesespaß hielt sich jedenfalls ins Grenzen.

2. Der Plot ist ebenfalls so dünn und fadenscheinig, dass er ohne Lupe kaum erkennbar ist. Es ist nicht nur so, dass die Geschichte einfach langsam ins Rollen käme (damit könnte ich umgehen), sondern eher so, dass sie ÜBERHAUPT NIE ins Rollen kommt! Dieses Buch ist so voller irrelevanter Details und Schilderungen des Alltags als Schankmädchen, dass man es fast schon als Fachbuch fürs Kellnern betrachten könnte. Die schockierendsten Wendungen werden in den Händen dieser Autorin zu den lahmsten Nicht-Ereignissen, was – zugegebenermaßen – auch eine besondere Gabe ist. Jedenfalls wurde auf diese Weise jeder Ansatz von Spannung erfolgreich im Keim erstickt.

3. Thematisch stehen Erwachsenwerden, die Emanzipation von den Eltern, der Konflikt zwischen Gesellschaft (und ihren Erwartungen) und Individuum, Magie, Freundschaft und Liebe im Mittelpunkt, aber alles davon wird so oberflächlich abgehandelt, dass es mich nicht gefesselt, ja, ab einem gewissen Punkt nicht einmal mehr interessiert hat. Dieses Buch, seine Geschichte, seine Magie, seine Welt, seine Figuren – das alles war und ist mir absolut egal.

4. Besonders schmerzhaft und enttäuschend ist für mich, wie mit dem großen Potential der grandiosen Grundidee umgegangen wurde: Das Potential wurde nämlich genommen, in eine Küchenmaschine gegeben, kleingehäckselt und dann den Abfluss runtergespült. Autsch!

Alles, was ich jetzt noch tun kann, ist, euch zu warnen: Wenn ihr nach den ersten 100 Seiten abbrechen wollt, dann BITTE tut es einfach und quält euch nicht (wie ich) bis zum Ende durch. Es lohnt sich einfach nicht und eure Lebenszeit ist ja auch begrenzt – und ihr solltet sie nicht an dieses langweilige Buch verschwenden! Ob ich noch einmal ein Buch von der Autorin lesen würde? Unter gewissen Umständen bestimmt! Zum Beispiel, wenn mir jemand sehr viel Geld bietet, ich plötzlich meine masochistische Seite entdecke oder mir jemand eine Pistole an die Schläfe hält.

Protagonistin & Figuren (2 Sterne)

Die gesamte Persönlichkeit der Protagonistin ist „starke Jugendbuchheldin“ und passt bequem auf einen Teelöffel. Lia ist so nichtssagend, so austauschbar, so ohne Ecken und Kanten, dass es unmöglich ist, mit ihr mitzufiebern und mitzuleiden. Im Gegenteil, ihr Schicksal war mir egal. Ein paar der Nebenfiguren fand ich gelungen, aber auch hier bleiben die meisten Charaktere blass. Besonders schlimm war das bei den zwei Männern, von denen sich Lia angezogen fühlt. Beide sind genau gleich gutaussehend und gleich mysteriös; ich konnte sie nur an der Haarfarbe auseinanderhalten – und das ist wirklich traurig.

Liebesgeschichte (1 Stern)

Dementsprechend distanziert stand ich auch der Liebesgeschichte gegenüber, die mich überhaupt nicht erreichen und berühren konnte, sondern die ich nüchtern und emotionslos verfolgte. Schlussendlich war es mir egal, mit wem Lia zusammenkam, weil für mich beide Männer gänzlich uninteressant und kaum unterscheidbar waren.

Spannung (0 Sterne)

Das Spannung im Buch ist wie eine Sternschnuppe: Zuerst wartet man stundenlang vergeblich, dann zeigt sie sich 2 Sekunden lang – und bevor man es richtig realisiert, ist sie auch schon wieder verschwunden. In der ganzen langatmigen, stinklangweiligen Geschichte war kein Spannungsbogen erkennbar. Zum Glück kann man nicht an Langeweile sterben, sonst wäre ich wohl nicht mehr da.


Mein Fazit

„Der Kuss der Lüge“ hat mich auf ganzer Linie enttäuscht. Dieses Werk (= seine Welt, sein Plot, seine Figuren, seine Lovestory, sein Spannungsbogen) ist zu schlecht, um es zu lieben (oder auch nur zu mögen), aber gleichzeitig war es mir zu egal und ließ mich zu kalt, um es leidenschaftlich zu hassen – weswegen ich sehr unbefriedigt zurückbleibe. Dieser Fantasyroman eignet sich sehr gut als Gewicht (z. B. wenn man Blätter pressen möchte), als passiv-aggressives Geschenk für insgeheim verhasste Arbeitskolleg·innen, als nicht verschreibungspflichtiges Schlafmittel und als Folterinstrument – eine Leseempfehlung gibt es von mir aber nicht!


Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 1 Stern
Umsetzung: 1 Stern
Worldbuilding: 0 Sterne
Einstieg: 2 Sterne
Ende: 1 Stern
Schreibstil: 2 Sterne
Dialoge: 2 Sterne
Figuren: 2 Sterne
Spannung: 0 Sterne
Wendungen: 2 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 0 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 4 Sterne
Einzigartigkeit: 0 Sterne

Insgesamt:

❀ Stern

Dieses Buch bekommt von einen enttäuschten Stern!

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