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Veröffentlicht am 25.10.2021

"Immer mit der Ruhe"!

Herren der Lage
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"Herren der Lage" von Castle Freeman erschien im Hanser-Verlag (HC; gebunden, 2021) und der relativ schmale Roman hat es wirklich in sich: Ich kannte den Autor noch nicht, werde jedoch nach dem Genuss ...

"Herren der Lage" von Castle Freeman erschien im Hanser-Verlag (HC; gebunden, 2021) und der relativ schmale Roman hat es wirklich in sich: Ich kannte den Autor noch nicht, werde jedoch nach dem Genuss von "Herren der Lage" (im Original 'Children of the Valley') und übersetzt von Dirk van Gunsteren) nach weiteren Werken des Autors Ausschau halten...


Lucian Wing, der "Abreger" und Meister der Deeskalation, ist der Sheriff von Cardiff im amerikanischen Vermont und hat es in seinem Job eher mit "Dämlichkeiten" namens Mr. Bud Weiser oder Mr. Jim Beam zu tun als mit groben kriminellen Machenschaften. Sein Credo ist "Immer mit der Ruhe!", bis eines Tages ein halbseidener Anwalt namens Armentrout auftaucht, der im Motel, in dem Clemmie, Lucian's Ehefrau, als stellvertretende Geschäftsführerin arbeitet, unter ganz anderem Namen abgestiegen ist: Er "beauftragt" Wing, die Stieftochter Pamela seines Arbeitgebers Mr. Lord im Tal zu finden, die ausgerissen ist. Die Belohnung durch den reichen Mr. Lord soll stattlich ausfallen: Wing mag allerdings keine Aufträge von Menschen, die verschiedene Namen haben und auch von Leuten, die ihn finden wollen....


So macht sich Lucian selbst ein Bild und fährt nach dem Alarm von Mrs. Truax in deren Waldgebiet, wo er zwei Teenager vorfindet, die dort campieren: Pamela und Duncan verstecken sich vor den Schergen des Mr. Lord, und dies aus gutem Grund. Der weitere Verlauf dieses köstlich zu lesenden Romans mit Krimielementen wird nun von weiteren Verstecken für Pammy und Duncan bestimmt, wobei Wing dem halbseidenen Anwalt und dessen Kumpanen, die auch gerne mal zerstörerisch zu Werke gehen, immer einen Schritt voraus sein muss. Diese Situation soll so lange anhalten, bis die Mutter von Pamela auftaucht, die sich gerne in der Welt herumtreibt und im Jet Set lebt, sich mit reichen Gönnern (und Ehemännern wie Lord) umgibt, die Provinz und das Hinterwäldlerische jedoch verabscheut (weshalb sie die Verlobung mit Addison, dem Schwiegerpapa von Lucian Wing, damals löste)...


Der Schreibstil von Freeman ist einfach nur köstlich: In wenigen Worten und fast slapstickhaft sowie mit bissigem, schrägem und schwarzem Humor lässt er Wing im Stile eines Western noir zu Höchstform auflaufen: Erteilt Seitenhiebe in die amerikanische Gesellschaft, die in den 60ern gerne mit der Familienkutsche am Wochenende von einem (schäbigen) Motel zum nächsten fuhr, um dann späer lieber zu Hause zu bleiben und fernzusehen...

Die Dialoge sind allesamt zum Schmunzeln und besonders köstlich fand ich jene zwischen Lucian und seiner Ehefrau Clemmie, die gewisse "Dinge" und Zusammenhänge voraussehen kann.


Man lernt Wingate kennen, den früheren Chef und Sheriff, der nun im Altenheim sitzt, sich redlich fithält und nicht davon lassen kann, überall dort aufzutauchen, wo er Arbeit wittert; Big John, einen wilden Keiler, der später Lucian aus einer brenzligen Situation retten sollte und Tierschützer, die trotz gegensätzlicher Ansichten (in Person von Cola, dem Schrottplatzhändler) und Millie, der Aktivistin, sich doch menschlich annähern sollten. Auch Addison, der Schwiegervater von Wing, fand ich absolut köstlich. Ob es die "hinterwäldlerische" Kleinstadtgemeinschaft schaffte, Pamela vor ihren Widersachern zu verstecken und was tatsächlich hinter dieser Geschichte steckt, muss jeder selbst herausfinden:


Ich hatte jedenfalls ebenso wie Addison viel Spaß an der Geschichte, deren letzten Seiten ich nur noch schmunzelnd las.


Fazit:


Ein sympathischer Sheriff mit dem Herz am rechten Fleck löst einen "haarigen" Fall im "Hinterland" der USA: Schräg, bissig, witzig, komisch und auch kritisch, in die (gesellschaftliche) Tiefe gehend! Von mir eine ganz klare Leseempfehlung und 4,5 Sterne!

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Veröffentlicht am 02.09.2021

3 Frauen verschiedener Generationen auf 1 Hof - Selbstverwirklichung vs. Erwartungshaltungen

Wildtriebe
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"Wildtriebe" von Ute Mank erschien (HC, geb.,2021) im dtv-Verlag und entführt den Leser auf den "Bethches-Hof" in Hessen, den die im Roman alt gewordene Großbäuerin Lisbeth Ende des 2. Weltkrieges erbte, ...

"Wildtriebe" von Ute Mank erschien (HC, geb.,2021) im dtv-Verlag und entführt den Leser auf den "Bethches-Hof" in Hessen, den die im Roman alt gewordene Großbäuerin Lisbeth Ende des 2. Weltkrieges erbte, da ihre Brüder gefallen waren. In die Rolle der Bauersfrau hineingewachsen, arbeitet sie an der Seite ihres Mannes Karl zeitlebens auf dem Milchbauernhof und übernimmt alle traditionellen Rollen klaglos, die auf einem Hof für sie anfallen.

Als Sohn Konrad Marlies heiratet, kommt damit eine neue Frau auf den Hof, die von nun an "Bethches-Marlies" ist. Beide Frauen spüren, dass es nicht leicht sein wird, miteinander auszukommen: Während Lisbeth so aufgewachsen ist, sich alles von den älteren Frauen (und der Mutter) abzugucken, macht Marlies trotz aller Bemühungen vieles anders, was zuweilen für Zündstoff sorgt. Marlies möchte mehr vom Leben als eine Bäuerin sein; diese Rolle liegt ihr nicht wirklich: Während Lisbeth ganz selbstverständlich in diese Rolle und ihre Aufgaben hineinwuchs, hat Marlies das Bedürfnis, einen Ausgleich zu haben: So macht sie den Jagdschein und später lernt sie, Traktor zu fahren. Sie hilft mit, wo sie kann, unterstützt ihren Mann Konrad, aber möchte auch ins Modehaus zurückkehren, wo sie vor ihrer Heirat gearbeitet hat.

Nach einigen Jahren (auch wann sich Nachwuchs einstellt, mochte Marlies nicht dem Zufall überlassen, sondern dann, wann sie es für richtig hielt) kommt Tochter Joanna auf die Welt: Einige Zeit ist das Verhältnis von Marlies und Lisbeth ein wenig entspannter, doch Freundinnen werden sie nie. Joanna wächst heran und macht nach dem Abitur erst einmal ein soziales Jahr; sie fliegt nach Afrika und sollte später innerlich und äußerlich verändert zurückkommen: Sie wollte mit ihren Freunden die Realschule besuchen, während ihre Mutter sie zum Besuch des Gymnasiums drängte, da sie "ja immer nur ihr Bestes" wollte...

In diesem Roman, der die HauptprotagonistInnen sehr sensibel ausleuchtet und für so manches Kopfschütteln beim Lesen sorgt, geht es um Traditionen, die von der älteren Lisbeth aufrecht erhalten werden wollen; um Selbstbestimmtheit und sich anpassen; um Erwartungshaltungen und tradierte Rollenvorstellungen, die sich nicht nur auf dem Land - aber eben auch dort - in den letzten 70 Jahren für Frauen sehr gewandelt haben:

Während Lisbeth niemals eine andere Wahl hatte, als Bäuerin zu werden, den Hof weiterzuführen "so wie es immer war" und nach Jahren der Kinderlosigkeit doch noch hofft, Mutter zu werden, bestimmt Marlies diesen Zeitpunkt selbst: Setzt sich über die unausgesprochene Erwartungshaltung der Großeltern hinweg, um ihnen dann doch noch Joanna als Enkelkind zu präsentieren: Diese geht jedoch ihren ganz eigenen Weg, auf den Marlies schon längst keinen Einfluss mehr hat. Hier tat mir die Mutter etwas leid, da sich zwischen Joanna und ihrer Großmutter Lisbeth eine engere Bindung offenbarte als dies zwischen Marlies und Joanna der Fall war: Ihre Beziehung empfand ich als eher unterkühlt mit wenig Nähe und Offenheit. Gegen Ende des Romans stimmen diese "emotionalen Proportionen" jedoch wieder und vielleicht hat Joanna ihrer Mutter unbewusst geholfen, "den Weg frei zu machen, um sich selbst zu entfalten"?

Die Dialoge fand ich sehr interessant wie auch den geradlinigen, schnörkellosen Schreibstil von Ute Mank, der mir gut gefallen hat: Ich bin sicher, dass sich hier viele Frauen in Lisbeth, in Marlies oder auch in Joanna wiederfinden, da auch ein Stück Zeitgeschichte transparent gemacht wird: Was für unsere Großmütter undenkbar schien, ist heute absolut möglich; z.B. ein Kind auch ohne einen Vater aufzuziehen.

Etwas bedauert habe ich, dass die männlichen Protagonisten Karl, Konrad und auch der Knecht Alfred, der zeitlebens auf dem Hof gearbeitet hat, im Dunkeln blieben: Hier ging es mehr um die Sicht der Frauen, auch die Beziehungen betreffend: So wird z.B. klar, wie sehr sich Marlies und Konrad bereits auseinanderlebten, als sie zusammen den leeren Kuhstall ausfegen; es ist eher ein sich-aus-dem-Weg-gehen als ein "aufeinander zugehen". Hier litt ich eher mit Konrad, dessen Lebensinhalt der Bethches-Hof eben auch war und der fortan in der Fabrik arbeitete als die - dennoch verständliche - Reaktion von Marlies teilen zu können: Das Fehlen der Kühe bedeutete für sie auch eine Erleichterung, eine positive Veränderung...

Das Leben auf einem Hof (damals ohnehin und heute sicher ebenso) unterliegt ganz eigenen Gesetzen, die naturbedingt von den Tieren und den Arbeiten "diktiert" werden. Nicht jeder ist für solch' ein Leben geschaffen, dem ich (als Enkelin eines Landwirts) sehr großen Respekt entgegenbringe und dessen "Aura" ich durch eine Freundin, deren Eltern einen 400 Jahre alten Hof in der Pfalz hatten, ich selbst kennenlernen durfte. Die Autorin hat auch Sozialkritik anklingen lassen: Viele Milchhöfe wurden durch die EU-Gesetze sanktioniert, wenn sie zu viel Milch produzierten und viele haben aufgrund der schlechten Bezahlung der Landwirte ihren Betrieb aufgeben müssen, da es sich einfach nicht mehr rentierte. Sehr traurig, wie ich finde.

Ich fand besonders Lisbeth sehr authentisch und mochte sie; ebenso wie Marlies, die meiner Generation angehört und deren analytische Gedanken ich oft sehr klug und richtig fand

"Aussuchen können musste man es sich, was man werden wollte. Frei darüber entscheiden" (S. 110)

Ein schönes Abschlussbild "krönt" diesen sehr lesenswerten Roman um drei Frauen, die ihre typischen Generationskonflikte hier auf dem Bethches-Hof austragen: Großmutter und Enkelin sitzen einträchtig auf der Bank und Lisbeth sieht den Bethches-Hof, auf dem es nun keine Kühe mehr gibt, mit ganz anderen Augen, "so, als hätte sie ihn noch nie zuvor gesehen".
Gerne empfehle ich "Wildtriebe" weiter; viele Frauen aller Generationen werden sich in ihm teilweise wiederfinden - und sich angesprochen fühlen. (Und ausser Generationskonflikten trägt der Roman eine Menge Potential in sich, aufzuzeigen, wo die verschiedenen Generationen auch durchaus voneinander lernen können - und es auch tun!).
4,5 * von mir und Leseempfehlung

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Veröffentlicht am 25.08.2021

Flucht voller Hoffnung: Spannend, abenteuerlich, dramatisch!

Die Straße der Hoffnung
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Bei "Die Straße der Hoffnung" von Felicity Whitmore (erschienen tb 2021 bei dtv) handelt es sich um Band 2 der Trilogie um "Die Frauen von Hampton Hill" (Untertitel).

Nach dem Lesen von "Der Faden der ...

Bei "Die Straße der Hoffnung" von Felicity Whitmore (erschienen tb 2021 bei dtv) handelt es sich um Band 2 der Trilogie um "Die Frauen von Hampton Hill" (Untertitel).

Nach dem Lesen von "Der Faden der Vergangenheit", Bd. 1 der Trilogie, war ich sehr gespannt, wie es mit Melody (Gegenwart) und Abigail (Mitte 19. Jhd; England und Oregon, Amerika) weitergeht. Übrigens würde ich empfehlen, mit Bd. 1 zu beginnen, auch wenn dies nicht unbedingt notwendig ist. Der zweite Teil hat mich wiederum sehr gut unterhalten und mir fast noch einen Tick besser gefallen als der erste Band:

Die Staatsanwältin Melody Stewart hat eine alte Villa geerbt: "Abigail's Place" und verschollen geglaubte Tagebücher einer Vorfahrin gefunden, deren Spuren sie nun verfolgt:

Abigail, Lady von Mahony, musste England mit ihrem Geliebten, Oliver Rashleigh, verlassen, um einem Todesurteil zu entfliehen. Mit neuer Identität eines Gönners, der von der Unschuld Olivers weiß, überqueren sie den Ozean und treffen (1842) in New York ein: Unterwegs begegneten sie dem Schriftsteller Charles Dickens, der wie Abigail gegen soziale Ungerechtigkeiten ist. In NY müssen sie jedoch feststellen, dass sich der Dichter täuschte, da auch hier soziale Probleme zu finden sind. Sogleich hat Abigail eine Idee, wie diesem Notstand abgeholfen werden könnte. Leider übersieht sie bei ihrem sozialen Engagement, dass sich jemand an ihre Fersen heftete, der von besessener Liebe zu ihr entflammt ist. Von nun an beginnt eine abenteuerliche Flucht ins Landesinnere, wobei sich Abigail und Oliver einem Treck anschließen, um den Verfolger endlich hinter sich zu lassen: Wird dieses Vorhaben gelingen?
Ebenezer, Abigails Sohn, nimmt nach einiger Zeit der Trauer die Geschäfte von Hampton Mill auf und auch er hat so manches Abenteuer durchzustehen, das für die damalige Zeit nicht ungefährlich ist. Auch Uman, ein Konkurrent, will Ebenezer als Schwiegersohn sehen und sich - berechnend wie er ist - langfristig Hampton Mill einverleiben, um sein eigenes Unternehmen noch zu vergrößern.

Melody erhält eines Tages einen Brief aus Oregon und es stellt sich heraus, dass es noch eine leibliche Verwandte gibt, die sie zu sich einlädt: Louise, 92 und Besitzerin eines Hauses, das sie Abigail vererben will, nachdem sie das Tagebuch ihrer gemeinsamen Urahnin Abigail gelesen hat: Wird Melody das Erbe antreten? Und wie wird sich die Beziehung zu Dan Rashleigh entwickeln, der ihren Enthusiasmus, das Schicksal Abigails enthüllen zu wollen, nicht absolut mit Melody teilt?

Felicity Whitmore schreibt sehr gute Unterhaltungsliteratur, oftmals wie auch hier mit historischen Bezügen, die mit Familiengeheimnissen, hier auch sozialer Ungerechtigkeit, Liebe, krankhafter Besessenheit, Flucht und Neubeginn zu tun hat: Diese Themen verarbeitet die Autorin so gekonnt und einfühlsam, dass der Leser praktisch an den Zeilen hängt und die Dramatik sowie auch eine hohe Authentizität immer gegeben ist. So wachsen einem Melody und besonders die mutige, starke und kämpferische Abigail sehr ans Herz. Die zwei Zeitebenen, in denen die Geschichte spielt, erhöhen hierbei ebenfalls noch die spannenden Handlungsstränge. In diesem Band gefiel mir die zweite Hälfte des Romans noch besser, so dass es mir nicht möglich war, ihn zur Seite zu legen: Hochspannend und dramatisch sowie sehr abenteuerlich, da Abigail vielen Gefahren ausgesetzt ist und eine Reise in einem Treck gen Westen in Amerika anno 1843 nicht eben ungefährlich war. Wohin wird die Reise sowohl Abigail als auch Melody weiter führen? Hier muss man sich wohl noch bis Februar 1922 (ET Band 3) gedulden....

Fazit:

Ein spannender, atmosphärischer, abenteuerlicher und dramatischer Teil der Trilogie, der mir sehr gut gefallen hat und den ich gerne weiterempfehle: Wer Familiengeheimnisse, authentische Figuren und Handlungen sowie eine Reise ins 19. Jahrhundert gerne mag, ist hier gut beraten, die Trilogie von Felicity Whitmore zu lesen: Der Unterhaltungswert ist großartig! Daher gibt es von mir 4,5 * Ich freue mich bereits auf den 3. und letzten Teil (Die Heimat des Herzens).

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Veröffentlicht am 04.07.2021

Gleich zwei Cold-Cases in einem gewohnt spannenden Krimi für Karen Pirie

Ein Bild der Niedertracht
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"Ein Bild der Niedertracht" von Val McDermid erschien (TB, brosch.) 2021 in deutscher Übersetzung von Kirsten Reimers im Droemer Knaur-Verlag. Vorausschicken möchte ich, dass ich die Karen-Pirie-Reihe ...

"Ein Bild der Niedertracht" von Val McDermid erschien (TB, brosch.) 2021 in deutscher Übersetzung von Kirsten Reimers im Droemer Knaur-Verlag. Vorausschicken möchte ich, dass ich die Karen-Pirie-Reihe (Spezialistin für Cold Cases in der kleinen Historic Case Unit - HCU) der schottischen Queen of Crime u.a. Werke der Autorin sehr überzeugend finde und seit Jahren ein Fan von McDermid bin; demzufolge freute ich mich auf Bd. 6 der Reihe und - wurde nicht enttäuscht. Ganz im Gegenteil:

Worum geht's?

An einem eiskalten Wintermorgen holen Fischer im Firth of Forth ihren ersten Fang ein: Wie sich herausstellt, finden sie eine Leiche statt Fischen im Netz, bei der es sich um den Bruder eines seit 2 Jahren verschwundenen schottischen Politikers handelt. Selbst Karen Pirie konnte damals kein Licht ins Dunkel bringen. Wird es ihr dieses Mal gelingen, den Fall aufzuklären und wie hängen beide Ereignisse miteinander zusammen?

Zur gleichen Zeit findet die Schwester einer verunfallten Frau in Perth bei der Wohnungsauflösung der Toten eine skelettierte Leiche in einem alten VW-Camper: Hier muss Karen ihr Netzwerk, das aus der Kollegin und Freundin, der Knochenforensikerin River Wilde besteht und im anderen Falle der genialen und ebenso sympathischen, mit Keksen bestechlichen Tamsin; ihres Zeichens digitale Forensikerin nutzen und zu Rate ziehen; als Leser verfolgt man die interessanten Ergebnisse der zusammenarbeitenden Frauen, die Rätselhaftes zu Tage fördern.

Es handelt sich hier um zwei Cold Cases, die Karen fast zeitgleich lösen will und die ihr aufgrund der Netze von Lügen und Intrigen alles abverlangen. Man begleitet sie nach Paris und Caen, wo der Ermordete, der im Wasser gefunden wurde und als James Auld identifiziert werden kann, gefunden wurde. Wie sich herausstellt, war er eine Reihe von Jahren in der französischen Fremdenlegion, um in Schottland dem unerträglichen Verdacht aus dem Wege zu gehen, er habe seinen eigenen Bruder ermordet (was man ihm de facto jedoch nie nachweisen konnte). Karen spricht in der Hoffnung auf neue Ermittlungsergebnisse und Hinweisen mit den Mitgliedern seiner Jazzband und seiner Freundin in Caen. Begleitet wird sie hierbei durch DS Daisy Mortimer, die die Mitarbeit in der HCU derart fasziniert, dass sie beschließt, sich dorthin versetzen zu lassen. Da sich der "Minzdrops" Jason, der sich einmal unerschrocken zeigte, eine Weile mit gebrochenem Bein in einer Klinik befindet, unterstützt die sympathische und kluge (aber ewig in Karens Auto krümelnde) Daisy Karen nach eigenem Befinden sehr gut. (Der "Hundekuchen" ACC Ann Markie, fies, kalt und die HCU am liebsten auflösend wie immer auftretend, muss mit säuerlichem Abnicken diesem Vorhaben später beipflichten).

Die Ermittlungspfade führen die beiden Frauen nicht nur nach Frankreich, sondern später auch nach Irland, wo in einer Galerie in Dublin so einige Fäden zusammenzulaufen scheinen: Einen kurzen Ausflug in die politisch unruhige Zeit Irlands (IRA, Bombenattentate) gewährt uns McDermid auch noch und empfiehlt irische Krimis, um die Hintergründe dieser konfliktreichen Zeit besser zu verstehen (diese Empfehlung ist bei mir auch abgespeichert).

Die Autorin schreibt gewohnt spannend und schlüssig, durchaus kritisch (Sozialkritik und auch den Brexit betreffend) und unterhält mit anhaltendem Spannungsbogen und vielen Verwirrspielen ihre Leser auf hohem Niveau: Der Plot ist sehr stimmig, doch in keiner Weise vorhersehbar, da es von ungeahnten Wendungen nur so wimmelt. Das Sahnehäubchen sind auch kleine humorvolle - und zuweilen feministische Einlagen, die den Stil dieser genialen Autorin ebenfalls ausmachen und mir sehr gefallen.

Fazit:

Val McDermid kann auch in ihrem 6. Band der Reihe um die sympathische Spezialistin Karen Pirie absolut überzeugen. Wer gute Kriminalromane, die atmosphärisch, kritisch und mit überzeugenden authentischen Figuren und anhaltender Spannung gerne liest, dem sei die Reihe mehr als empfohlen. Die Autorin steht für unterhaltsame, jedoch äußerst niveauvolle Kriminalliteratur - nicht nur für Schottlandfans! Von mir (die sich bereits auf den nächsten Fall der HCU um Karen Pirie sehr freut!) gibt es daher 4,5* und eine absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 05.06.2021

Das Portrait einer starken - und humorvollen Frau

Sturmvögel
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"Sturmvögel" von Manuela Golz erschien (2021, HC) im Dumont-Verlag und das Cover, das auf den Geburtsort einer kleinen Nordseeinsel von Emmy, der 86jährigen Hauptprotagonistin des Romans, hinweist, gefällt ...

"Sturmvögel" von Manuela Golz erschien (2021, HC) im Dumont-Verlag und das Cover, das auf den Geburtsort einer kleinen Nordseeinsel von Emmy, der 86jährigen Hauptprotagonistin des Romans, hinweist, gefällt mir ausnehmend gut. Das gleiche gilt auch für die Zeilen, die sich zwischen den beiden Buchdeckeln verbergen:

1907-1994

Emmy wird als ältestes Kind von Janne und Andries Peterson auf einer kleinen, kargen Nordseeinsel geboren. Im Verlauf des Romans erfahren wir, wie hart und dennoch auch glücklich das Leben einer Familie vor über 100 Jahren dort gewesen sein muss: Andries gehört zu den letzten Walfängern und heiratet Janne, die recht mittellos ist, den Hof jedoch mittels (möglichst männlicher!) Nachkommen sichern hilft: Nach Emmy kommen jedoch noch zwei weitere Töchter auf die Welt und der einzige Sohn wird tot geboren. Für Janne eine Katastrophe, die sie völlig aus der Bahn wirft. Nach dem Tod der Mutter verliert Emmy auch ihren Vater und nach den Gepflogenheiten der Insel werden die Kinder in alle Himmelsrichtungen abgegeben: Die Jüngste wird adoptiert und Emmy, fast 14, muss nun für sich selber sorgen und ihre Kindheit endet mit der Fahrt nach Berlin, wo sie in den wilden 20er Jahren ihren Dienst als Hausmädchen einer gutbürgerlichen Familie antritt.
Dort lernt sie Hauke kennen, der ihr das Schwimmen beibringt, sie ausführt und ihr "sein" Berlin zeigt, das auch den Besuch von Variétés nicht ausschließt. Die beiden heiraten, zum Entsetzen seiner Mutter Charlotte, die sich eine "gute Partie" (besonders in finanzieller Hinsicht) für ihren Sohn wünschte und bekommen 3 Kinder: Hilde, Otto und Tessa, die Jüngste wurde 1945 geboren....

Eines Tages findet Hilde, die älteste Tochter von Emmy, alte Schriftstücke und Grundbucheinträge im Keller ihrer Mutter, um die sie sich vorwiegend kümmert und Otto, dessen Trödelladen mehr schlecht als recht läuft und der immer finanziell am Abgrund steht, nimmt sich der Sache gerne an: Tessa hingegen ist erst einmal nicht bereit, die Geschwister in dem Ansinnen zu unterstützen, was sich hinter den Akten verbergen mag...

Zum einen lernen wir Emmy als junge Frau kennen; die couragiert ist, stets nach vorne blickt und voller Humor sowie Lebenslust steckt, zum anderen sehen wir die 86jährige, noch sehr rüstige und agile Emmy, die sich nun doch einigen Geheimnissen ihres Lebens stellen will und muss, denn sie hat nicht mehr allzuviel Zeit dazu...

Der Roman spielt auf mehreren Zeitebenen und gibt Einblicke in die Welt von damals: In die Zeit der beiden Weltkriege; der Weltwirtschaftskrise und der Nachkriegszeit. Obgleich Emmy und Hauke sehr unterschiedlicher Natur sind, ist er doch zur Stelle, als sie seine Hilfe braucht. Auch Marianne, die Hebamme, die alle Kinder von Emmy half, zur Welt zu bringen, ist eine interessante Figur und sehr gute Freundin, die mit ihr durch dick und dünn geht. Am Romanende spielt auch sie eine Rolle, als es um das Eröffnen des Testaments und den Gang zum Notar geht: Wie wird Marianne entscheiden, was mit dem Brief ihrer Freundin zu tun ist?

Eine weitere Figur ist Anni, die ebenso wie Emmy früh ihre Eltern verlor und von Emmy und Tessa großgezogen wird: Sie studiert Sozialarbeit und hier fand sich leider ein Klischee, das mir weniger gut gefiel; denn es ist unrichtig, dass "alle Kinder, die fremdplatziert werden und in einem Heim aufwachsen, nach und nach vor die Hunde gehen, aus der Bahn geworfen werden" (S. 150). Richtig aber ist eher, dass man "im Jugendamt als Mitarbeiter Kindern weniger helfen kann, als sie zu verwalten". Aus diesem Grunde habe ich selbst mich auch nie in einem Jugendamt bewerben wollen, sondern war lieber in der offenen Kinder- und Jugendarbeit beschäftigt.

Inwiefern es wichtig ist, dass auch Anni bei der Notarsitzung eingeladen ist, muss der Leser selber erfahren. Auch gibt es noch andere "Geheimnisse" zu lüften, die mich persönlich nicht überraschten, jedoch in das Gesamtbild des Romans passten. Die Autorin schreibt sehr gefühlvoll und durch den atmosphärischen Sprachstil kann man sich das Leben Emmys in den verschiedenen Lebensphasen sehr gut vorstellen und sie gedanklich begleiten: Das grausamste Vorkommnis war für mich, als die Geschwister als Kinder getrennt wurden und ich habe es bedauert, dass die beiden anderen Mädchen mit keiner Silbe mehr erwähnt wurden. Inspiriert wurde diese Geschichte durch das Leben der Großmutter der Autorin, wodurch sehr vieles authentisch wirkt.

Fazit:

Ein warmherziges Portrait einer starken Frau, die ihren Humor und auch ihre Liebesfähigkeit selbst in schwierigsten Lebenssituationen nie verlor und zugleich auch das Portrait eines politisch bewegten 20. Jahrhunderts. Gerne empfehle ich "Sturmvögel" weiter und vergebe 4,5 Sterne.

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