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Veröffentlicht am 21.02.2018

Toller Auftakt

Die Chroniken von Azuhr - Der Verfluchte
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Prolog: ein gieriger Kaufmann hat eine Ladung pestverseuchter Seide gekauft und an den Hafenkontrollen vorbei in die Stadt Arbora schmuggeln lassen. Der Erzpriester Lucio muss eine folgenschwere Entscheidung ...

Prolog: ein gieriger Kaufmann hat eine Ladung pestverseuchter Seide gekauft und an den Hafenkontrollen vorbei in die Stadt Arbora schmuggeln lassen. Der Erzpriester Lucio muss eine folgenschwere Entscheidung treffen.

Die eigentliche Handlung setzt 53 Jahre später ein. Der jetzige Erzpriester Nandus hat drei Söhne, doch keiner davon genügt wirklich seinen Ansprüchen. In seinen jüngsten Sohn Milan setzt Nandus dennoch große Hoffnungen und fordert ihn daher sehr. Doch mit der strengen Erziehung und Ausbildung weckt er Widerstand und Trotz in Milan, der sich dagegen wehrt, dass sein Vater ihm seinen Lebensweg quasi vorschreibt. Milan heckt einen Plan aus, um seinen Vater zu demütigen, doch es läuft nicht ganz so ab, wie er sich das vorstellt. Dabei macht er die Bekanntschaft von Felicia, einer geheimnisvollen jungen Frau, die ihre ganz eigenen Gründe hat, gegen Erzpriester Nandus zu intrigieren. Doch stehen die beiden deswegen auf derselben Seite? Welche Seiten gibt es überhaupt und welche von ihnen – wenn überhaupt eine – ist im Recht?

Diese Fragen stellen sich im Verlauf der Geschichte, ebenso wie es erste Antworten gibt. Doch diese sind nicht allgemeingültig, denn immer wieder kommen neue Sichten und Informationen hinzu, so dass der Leser die Lage neu bewerten muss – genauso wie die Protagonisten. Wer hier Freund und wer Feind ist, wer Gut und wer Böse… das ist meist eine Frage des Standpunkts und nicht in Stein gemeißelt, denn die Figuren sind wunderbar komplex und überraschen so immer wieder.

Auch die Handlung bietet eine große Vielschichtigkeit und Spannung. Der Prolog ließ mich erst einmal kurz fassungslos zurück, der Einstieg in die Haupthandlung fiel mir dennoch erstaunlich leicht, denn auch wenn es vielleicht am Anfang viele Figuren und unklare Verhältnisse gibt, entwirrt sich das dann doch recht schnell. Dafür baut die Handlung dann stetig ihre Komplexität auf, aber immer so, dass man als Leser gut folgen kann. Tausend kleine Details und immer wieder unglaublich schöne und kluge Sätze machen das Lesen zu einem absoluten Vergnügen und ich konnte das Buch irgendwann gar nicht mehr aus der Hand legen.

Es handelt sich um den Auftaktband einer Trilogie, so dass am Ende dieses ersten Teils natürlich noch längst nicht alle Fragen beantwortet sind, aber es endet nicht mit einem fürchterlichen Cliffhänger, sondern an einem guten Zwischenpunkt – dennoch würde ich lieber heute als morgen weiterlesen und freue mich schon sehr auf die Fortsetzung im Herbst 2018!

Veröffentlicht am 19.01.2018

Tief beeindruckende Geschichte

Die Vergessenen
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Manolis Lefteris ist Besitzer eines Autohauses in München. Doch nebenbei erledigt er für einen guten alten Freund immer wieder auch andere Aufträge. Aktuell soll er einen Mann namens Chris beschatten, ...

Manolis Lefteris ist Besitzer eines Autohauses in München. Doch nebenbei erledigt er für einen guten alten Freund immer wieder auch andere Aufträge. Aktuell soll er einen Mann namens Chris beschatten, der seinerseits auf der Suche nach Unterlagen ist und ihm diese abnehmen, sobald er sie gefunden hat. Um was es geht und was in diesen Unterlagen steht, wird Manolis nicht gesagt und normalerweise fragt er auch nicht groß nach, denn er vertraut seinem Auftraggeber. Doch bald kommt ihm diese Geschichte merkwürdig vor. Alles scheint mit einer alten Frau zusammenzuhängen, Kathrin, der Tante von Chris. Und mit ihrer Vergangenheit. Auch ihre Nichte Vera beginnt, Nachforschungen anzustellen.

Den Inhalt zu beschreiben, fällt mir hier sehr schwer, denn das Buch ist äußerst vielschichtig und die Familienverhältnisse der Protagonisten muss man erst einmal durchschauen. Eigentlich sind es 3 Hauptfiguren, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird:

Zum einen Manolis, Sohn einer Deutschen und eines Griechen, Autohändler und Problemlöser, mit einem schrecklichen Familienschicksal, das sein Vater, ein griechischer Einwanderer, ihm schon in sehr jungen Jahren aufgebürdet hat und das Manolis somit schon sein Leben lang verfolgt.

Vera, die sich gefangen fühlt in ihrem Job als Redakteurin einer Frauenzeitschrift, obwohl sie doch eigentlich lieber wieder in ihr eigentliches Ressort, Politik und Geschichte, zurückwill. Aber der Stempel Lifestyle hängt ihr nun an und macht es ihr schwer. Als ihre Tante einen Schlaganfall hat, entdeckt sie in ihrer Wohnung ein Foto, das Kathrin in Krankenschwesterntracht vor einer Heilanstalt während der NS-Zeit zeigt. Warum hatte Kathrin diese Zeit nie erwähnt?

Die dritte Protagonistin ist ebendiese Kathrin, deren Geschichte in der Vergangenheit langsam aufgerollt wird. Hat sie sich an der Ermordung von behinderten und kranken Menschen während des Nationalsozialismus beteiligt?

Ellen Sandberg, alias Inge Löhnig, verknüpft hier mehrere Handlungsfäden und Schicksale aus Gegenwart und Vergangenheit miteinander. Zum einen geht es um Verbrechen der Wehrmacht in Griechenland, zum anderen um das Thema Euthanasie im Dritten Reich. Es geht um Rache, Gerechtigkeit, Schweigen und Aufarbeitung. Während sich in der ersten Hälfte des Buches erst so langsam die Zusammenhänge herauskristallisieren, gibt es in der zweiten Hälfte, als man eigentlich denkt, man hätte jetzt alles durchschaut, noch diverse Überraschungen, so dass die Geschichte bis zum Ende absolut fesselnd bleibt!

Beide Themen sind grausam und schockierend, der Umgang der Justiz mit ihnen frustrierend. Auch dies wird entsprechend thematisiert und spielt eine große Rolle, insbesondere für Manolis. Den fiktiven Geschichten hier im Buch liegen reale Ereignisse zugrunde, das macht es umso bedrückender. Ich habe schon viele Romane aus der NS Zeit gelesen, aber so tief hat mich schon lange keiner mehr berührt. Keine leichte Lektüre für nebenbei, aber wer bereit ist, sich auf diese düsteren Kapitel der Vergangenheit einzulassen, wird mit einer ungemein spannenden und tief beeindruckenden Geschichte belohnt, die zumindest bei mir noch lange nachhängen wird.

Veröffentlicht am 02.01.2018

Viel mehr als ein Kinderbuch!

FAYRA - Das Herz der Phönixtochter
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Anna-Fee ist 12 Jahre alt und gerade mit ihren Eltern in eine Wohnung in einem alten Herrenhaus gezogen. Fee ist zunächst wenig begeistert von dem Umzug. Ihre Mutter verhält sich komisch, der Hausmeister ...

Anna-Fee ist 12 Jahre alt und gerade mit ihren Eltern in eine Wohnung in einem alten Herrenhaus gezogen. Fee ist zunächst wenig begeistert von dem Umzug. Ihre Mutter verhält sich komisch, der Hausmeister des Anwesens ist ein unfreundlicher Kauz und überhaupt ist irgendetwas an diesem Haus merkwürdig! Ist es nur ein Alptraum oder sieht Fee wirklich, wie eine der Marmorstatuen von der Front des Hauses sich bewegt?
Zum Glück ist da noch Fees Freundin Nelly, die im Gegensatz zu Fee kein bisschen ängstlich ist, ihrer Freundin aber auch bedingungslos glaubt, als diese ihr erzählt, was sie nachts gesehen hat. Die beiden beschließen, sich das genauer anzusehen. Im verbotenen Park hinter dem Herrenhaus stoßen sie auf ein verstörtes Mädchen. Obwohl die Fremde zunächst sehr abweisend ist und ihre Geschichte eher rätselhaft klingt, nehmen Fee und Nelly sie unter ihre Fittiche, verstecken und versorgen sie und kommen so nach und nach dahinter, was es mit ihr auf sich hat. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht mehr verraten, um das Miträtseln bei der Lektüre nicht zu verderben.

Ich liebe die Bücher von Nina Blazon und freue mich über jede Neuerscheinung. Die angegebene Altersempfehlung „ab 10 Jahren“ kann mich da auch nicht schrecken, obwohl ich dieser Zielgruppe natürlich längst entwachsen bin und auch keine Kinder im passenden Alter habe. Aber das ist bei diesem Buch völlig egal, denn es passt wirklich nicht nur in die Schublade „Kinderbuch“, sondern ist meiner Meinung nach ein echtes All-age-Buch!

Viele unerwartete Wendungen halten Tempo und Spannung hoch – ich könnte mir vorstellen, dass die Handlung an mancher Stelle für Kinder ab 10 sogar zu komplex und vielschichtig ist, aber da ich keine Kinder habe, unterschätze ich diese vielleicht auch.

Wunderschön ausgearbeitet sind wie immer die Figuren und ihre Entwicklung und vor allem das Thema Freundschaft in ganz verschiedenen Facetten.
Wer vielschichtige, zauberhafte Phantastik-Bücher mag, sollte hier unbedingt zugreifen!

Veröffentlicht am 02.01.2018

Hart und anders als erwartet

Der Stier und das Mädchen
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Zwei junge Frauen reisen durch Island. Sie haben eine Autopanne mitten im Nirgendwo. Nur ein einsamer Bauernhof ist in der Nähe. Doch dort finden sie eine entsetzliche Szene vor: zwei bestialisch zugerichtete ...

Zwei junge Frauen reisen durch Island. Sie haben eine Autopanne mitten im Nirgendwo. Nur ein einsamer Bauernhof ist in der Nähe. Doch dort finden sie eine entsetzliche Szene vor: zwei bestialisch zugerichtete Tote. Und dann hören sie Geräusche…

Nach diesem Prolog war dem Buch meine Aufmerksamkeit schon mal sicher. Doch noch dachte ich an einen der üblichen skandinavischen Krimis, eine düstere Geschichte mit einem kaputten Polizeibeamten, etc. Die Handlung entwickelt sich dann jedoch völlig anders als erwartet. Auf verschiedenen Zeitebenen erfahren wir nach und nach, wer die Toten auf der Farm sind und wie es zu dem Blutbad gekommen ist. Dabei spielen die Ermittler kaum eine Rolle, denn der Fokus der Erzählung liegt auf den Kindern der Hofbesitzer, Hanna und Oskar und ihren Schicksalen.
Dabei scheut der Autor nicht davor zurück, Gewalt, Drogen und Misshandlungen ausführlich zu beschreiben und zu schildern. Nichts für zartbesaitete Leser!

Wenn man damit aber kein Problem hat und sich erst einmal an den sprunghaften und abgehackten Stil gewöhnt hat, wird das Buch immer fesselnder. Ich zumindest konnte es ab einem gewissen Punkt nicht mehr aus der Hand legen, nachdem ich endlich erste Vermutungen anstellen konnte, wie die verschiedenen Zeitebenen zusammenpassen und was eventuell passiert sein könnte. Auch wenn vieles durchaus nicht zimperlich geschildert wird, fand ich vor allem die psychologische Wirkung in vielerlei Hinsicht noch härter und schlimmer.

Von mir eine Empfehlung für LeserInnen mit guten Nerven und der Bereitschaft, sich auf eine Geschichte einzulassen, die sich ganz anders entwickelt, als die Buchbeschreibung und die ersten Seiten glauben lassen!

Veröffentlicht am 05.04.2017

Einfach zauberhaft

Madame Cléo und das große kleine Glück
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Cléo - mit vollem Namen Cléopatre Aglaide Victorine de Pierret-Monchouaris, doch wer kann das schon aussprechen? - ist 75 und lebt allein in einer Berliner Altbauwohnung. Sie ist schon lange Witwe, hat ...

Cléo - mit vollem Namen Cléopatre Aglaide Victorine de Pierret-Monchouaris, doch wer kann das schon aussprechen? - ist 75 und lebt allein in einer Berliner Altbauwohnung. Sie ist schon lange Witwe, hat kaum Freunde und wenig Kontakt zur Außenwelt, finanziert ihren Lebensunterhalt mehr schlecht als recht mit Französisch-Unterricht, wobei ihre Schüler alle eher fremdsprachlich minderbegabt sind. Doch sie kommt zurecht und ist relativ zufrieden mit ihrem Leben. Bis eines Tages eine Haussanierung und eine daraus resultierende Mieterhöhung angekündigt wird. Nun muss sich Madame Cléo Sorgen machen, dass sie ihre Wohnung nicht mehr bezahlen kann und ausziehen muss. Sie beschließt, ein Zimmer unterzuvermieten. Die ersten Kandidaten sind schrecklich, doch dann tauchen Adamo und Mimi auf. Der junge Italiener und seine Tochter sind neu in Berlin und wirbeln Cléos Leben gehörig durcheinander. Als Mimi dann auch noch einen Rucksack voller Geld findet, ergeben sich unerwartete Möglichkeiten!

Cléo war früher ein Model im Atelier von Coco Chanel und bis heute ist diese ihr großes Idol und so fällt immer wieder die Frage: was hätte Mademoiselle dazu gesagt?
Mimi ist ein bezauberndes Kind, sehr klug und weise für ihr zartes Alter und voller Interesse für alles Mögliche. Durch sie bekommt Cléo einen neuen Blick auf die Welt und umgekehrt bringt Cléo Mimi viel bei.

Das Buch liest sich wie ein Märchen und ist voller kleiner Weisheiten. Manches kann man sich so in der Realität nicht vorstellen, aber im Buch passt es alles zusammen und ergibt so eine wunderschöne Geschichte voller herzerwärmender Szenen.