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Veröffentlicht am 11.01.2019

Toll geschrieben, sympathische Protagonisten - aber etwas überfrachtet

Das Gift der Propheten
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In Gelnhausen im Main-Kinzig-Kreis erstatten zwei Teenager nacheinander Anzeige, je gegen einen katholischen und einen evangelischen Pfarrer. Der eine wird der körperlichen Gewalt beschuldigt, der andere ...

In Gelnhausen im Main-Kinzig-Kreis erstatten zwei Teenager nacheinander Anzeige, je gegen einen katholischen und einen evangelischen Pfarrer. Der eine wird der körperlichen Gewalt beschuldigt, der andere sexueller Verfehlungen. Doch irgendetwas kommt den ermittelnden Polizisten seltsam vor – aber wer würde einen derartigen Aufwand treiben wollen und sogar Computer manipulieren?
Gleichzeitig ermittelt der frisch zum Kriminaldirektor beim BKA beförderte Christoph Caspari, Doktor der Psychologie, ebenfalls im Main-Kinzig-Kreis gegen einen Kinderpornoring und kann mit Marcel Nick den Hauptverdächtigen verhaften. Doch wie kann dieser fliehen? Casparis Lebensgefährtin Clara Frank, selbst Pfarrerin, steht währenddessen ihrem beschuldigten Amtskollegen in Gelnhausen bei. Bald wird alles viel verworrener und das Paar Caspari-Frank ist wieder mittendrin.

In diesem vierten Fall, den der schreibende evangelische Pfarrer Matthias Fischer um seine Protagonisten Christoph Caspari und Clara Frank geschrieben hat, geht es um Sekten und Kinderpornographie. Letzteres wird hier nicht im Detail beschrieben – eher hört jemand etwas durch eine Wand oder sieht ein völlig verstörtes Kind mit blauen Flecken, zu meiner üblichen Warnung für Sensible. Wie üblich gefällt mir der Schreibstil und die Personen sind mir längst ans Herz gewachsen. Also ein tolles Buch?

Ich mache hier größere Einschränkungen. Zum einen kennt jeder dieses Buch- und Filmklischee von getrennten unabhängigen Ermittlungen, die im Verlauf sich als mitnichten unabhängig herausstellen. Naja – wie wahrscheinlich ist das, beziehungsweise: hätte eines der Verbrechen nicht gereicht? Mir ist das zu viel. Ich frage mich außerdem, wie viele vorher unbekannte und neu hinzukommende Kinder eine Familie noch haben kann. Und welche Mutter macht Hundespaziergänge und läuft munter herum, während sie mit ihrem entführten Kind erpresst wird? Wie viele Liebespaare können sich in einem Team noch bilden? Dazu der berühmte Hollywood-Star, natürlich. Das ist alles etwas arg dick aufgetragen, aber immer sehr charmant erzählt. Da ich in der Region wohne, wird auch der fünfte Band seinen Weg zu mir finden. Ich wünschte mir nur eher weniger Testleser als vielmehr ein professionelleres Lektorat (von weiterhin deutlichen Schwächen in der Rechtschreibung, die man nicht unter Flüchtigkeitsfehler werten kann, abgesehen wie dass oder das).

Dennoch: nur 3 Sterne.

Das Personal:
Doktor Christoph Caspari – Psychologe, Kriminalist – beim BKA. Wird zu Beginn befördert zum Kriminaldirektor.
Seine Mutter Pia, sein Vater Werner
Seine Schwester Iris, Schwager Benny
Seine schwedische Schwester Johanna
Seine Ex-Frau Elke
Sohn Lukas, mit Elke zusammen, 1. Klasse
seine Lebensgefährtin/Verlobte Clara Frank. Ohne deren frühere halbe Stelle als Gemeindepfarrerin, immer noch mit halber Schulpfarrstelle
wohnend auf Gehöft zwischen Wagenborn (wo soll das sein) und Waldensberg (das gibt es)

Christophs Team:
• Tina Hergenrath
• Mario Bartoldi – Tina und Mario sind ein Paar
• Jin Jang Fang (eine Art chinesische "Austausch-Polizistin seit dem Vorband - ihre Existenz hier ist ein Spoiler für diesen)
• Gernot Schneider (Witwer, die Kinder wohnen nicht bei ihm, seine Untermieterin wird Jin Jang)
• Andreas Sommer
• Erich Fuchs
• Svenja Bauer
• Wolfgang Jung

Gelnhausen
Polizeirat Heinz Bertram, Leiter des Polizeireviers
Jürgen Jungmann, Stellvertreter und Schwiegersohn

Veröffentlicht am 27.11.2018

Von Liebe und Obsession

Schwesternmord
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Stell‘ dir vor, du kommst nachts heim von einer beruflichen Veranstaltung, verspätet, im Jetlag, und vor deinem Haus ist die Straße gesperrt, Blaulicht, viele Polizeifahrzeuge, entsetzte Nachbarn. Aber ...

Stell‘ dir vor, du kommst nachts heim von einer beruflichen Veranstaltung, verspätet, im Jetlag, und vor deinem Haus ist die Straße gesperrt, Blaulicht, viele Polizeifahrzeuge, entsetzte Nachbarn. Aber bei den Nachbarn ist nichts passiert. Dann darfst du erfahren, dass in dem Auto vor deiner Haustür eine Frau sitzt. Erschossen. Und die – sieht aus wie du! So geht es los in dem, was sich als richtiger Pageturner für mich erwies, wenn auch mit einigen Einschränkungen zu Logik und Plausibilität. Es geht übrigens nicht um dich oder mich, die heimgekehrte Frau ist Dr. Maura Isles, Gerichtsmedizinerin. Und sie ermittelt mit der Polizistin Jane Rizzoli zusammen.

Das Buch ist Band 4 der Serie, ich hatte die anderen nicht gelesen, was problemlos ging trotz der mehrfachen Erwähnung eines vorigen Falls. Nach einem zu Beginn nur Verwirrung stiftenden Prolog, der sich später selbstverständlich nahtlos einfügt, ist der Leser gleich mittendrin und bleibt es auch. Die Nacht wurde kurz für mich – sehr spannend, sehr mitreißend. Irgendwie war ich dennoch direkt im Anschluss schon heimgesucht von dem unguten Gefühl, es sei „zu viel“ des Guten. Das sind zu viele Zufälle, die nötig sind, damit der ganze Fall erst möglich wurde. Da bekommen Kriminelle ein Kind, das weit weg von diesen aufwächst, seine Eltern nie kennenlernt, und zielsicher einen Job auf Seiten des Gesetzes wählt (das Kind des Tierquälers wäre analog dann Tierschützer usw., ganz zufällig). Und ein Fall bringt genau diese Leute zusammen (und nein, das ergibt sich hier nicht wirklich logisch, nicht, wenn man den Ursprung der Kratzer kennt).

Bis dahin jedoch ist die Handlung wirklich spannend, wie die „Königin der Toten“ (S. 41) Maura Isles und ihre im 8. Monat schwangere Polizisten-Kollegin Jane Rizzoli (ja, die USA und der deutsche Mutterschutz haben wenige Berührungspunkte) ermitteln. Maura misstraut bald ihrem ganzen Umfeld, dafür steht sie emotional zwischen gleich zwei Männern, noch dazu einer ein Priester, der andere ein überengagierter Cop in dem Fall. Außerdem wirft die Handlung noch Fragen dazu auf, wodurch bestimmt wird, wer wir sind, durch unsere Gene oder durch unsere Sozialisation, und mit welchem Wissen wir leben können.

Ich schwanke zwischen 3 und 4 Sternen. Spannend, ja, aber die Plausibilität? Außerdem bin ich gerade im Frust zu „NOCH eine Serie??“. Ich runde genervt 3,5 Sterne ab zu 3 für „Schwesternmord“ (passt nicht, niemand ermordet seine Schwester – aber das Original „Body Double“ ist auch nicht so prickelnd).

Kleiner Nachtrag zu der Fernsehreihe:
Wenn ich das zusammenbekomme, ist der Fernsehcharakter der Ärztin eher fast zwanghaft koordiniert, gebildet, beherrscht – in die Nähe gesetzt zu dem beliebten Serien-Typus des Asperger-Autisten. Die Buch-Pathologin darf hingegen fluchen und kippt Drinks in doch reichlicher Frequenz. Außerdem ist sie schwarzhaarig. Die Herkunftsfamilie ist deutlich anders angelegt (ich meine, ein Mafia-Vater oder so?, deshalb wurde sie zur Adoption freigegeben von ihrer charakterlich ähnlichen Ärztin-Mutter, ich grübele gerade).
Die Buch-Rizzoli ist früh verheiratet und halt schwanger. Im TV ist sie eher Beziehungs-Chaot, auch spielt ihre Familie auf dem Bildschirm eine große Rolle.

Veröffentlicht am 27.11.2018

„Was ist so falsch daran, wenn einer rauswill aus’m Dreck?“

Der Platz an der Sonne
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S. 478 „Was ist so falsch daran, wenn einer rauswill aus’m Dreck?“

Nichts. Erst mal.

In Europa ging alles den Bach runter, in einer alternativen Entwicklung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs (warum ...

S. 478 „Was ist so falsch daran, wenn einer rauswill aus’m Dreck?“

Nichts. Erst mal.

In Europa ging alles den Bach runter, in einer alternativen Entwicklung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs (warum und wie, wird erklärt). Afrika ist reich (warum und wie, aus all den Überresten der Kolonialzeit, der Zersplitterung - wird nicht erklärt). Josua Brenner lebt in Berlin - er ist Ich -Erzähler und schreibt auf, wie sein Leben in Berlin verlief, bis er dort genug hatte.

Die Realität sieht unter anderem so aus: Wir kaufen in Europa vom Geflügel die zarten Teile, den Rest schaffen die Erzeuger gerne billig nach Afrika. Keine Chance für die heimischen Landwirte dort. Wir wollen Fisch - also wird mit riesigen Pötten vor Afrika gefischt und die heimischen Fischer müssen für immer weniger immer weiter raus. Wir schaffen da unseren Computerschrott hin, unsere Altautos (o.k., es gibt keine afrikanischen Autohersteller meines Wissens - aber wir diskutieren hier Schadstoffe und schaffen den Schrott weiter in die Welt??). Für Touristen wird in armen Ländern eine Parallelwelt geschaffen mit einheimischem Personal, aber nicht gerade betrieben von einheimischen Firmen. Dazu die Ausbeutung von Rohstoffen und seltsame "Entwicklungshilfe", die meist eher Subventionierung der jeweiligen Industrie der Länder ist, aus denen die Hilfe kommt.

Also sind "wir" nicht so ganz unbeteiligt daran, dass die Menschen z.B. in Afrika nicht gut leben können sprich: an den Flüchtlingsströmen.

Solche Hintergründe finde ich im Roman nicht - das halte ich aber für wichtig, es soll ja wohl eine Darstellung sein, die Afrika und Europa quasi vertauscht, uns den Spiegel vorhält.

„Was ist so falsch daran, wenn einer rauswill aus’m Dreck?“

Naja - im Buch haben nur die Schlepper etwas von dem Bestreben, aus dem Dreck heraus zu wollen. In der Realität immer auch die, aber sicher ebenso Organisationen, die Eingliederungs- und Sprachkurse anbieten, Privatleute, die teils Schrottwohnungen für Flüchtlinge herrichten, Obstplantagen im Süden mit Zuständen, die eher Sklaverei sind (ich rede NICHT von den freiwilligen Helfern). Keine Sprachkurse, keine Wohnungen sind auch keine Alternative. Aber so eine "Industrie" gab es schon mal, als man mit Verschrottungsprämien die Autoindustrie stützte (die haben das so in die Preise eingerechnet, dass man da ohne Verschrottung besser kein Auto kaufte) oder als man die Selbständigkeit förderte (Ich-AG, Gründungs-irgendwas - jede Menge Kurse rings um die Ämter, privat, aber quasi mit Job-Garantie). Ich finde die Ausbeutung gut dargestellt, aber längst noch nicht detailliert genug. Es gibt Leute, die haben ein Interesse daran, dass es Flüchtlinge gibt - das ist deren Geschäftsmodell!

Für mich ist das Asylrecht unanfechtbar - es wurde nach WWII so geschaffen, weil Juden, die aus Deutschland flohen, häufig nirgendwo angenommen wurden.

Im Buch geht es um Migration ohne Verfolgung - Torkel zeigt auf, wie mies die Ausnutzung unterwegs ist. Einverstanden - dagegen. Ich hatte vorher schon eine Reportage von der Behandlung von Flüchtlingen auf Obstplantagen im europäischen Süden gesehen - das ist Sklaverei, es gibt da nicht im Ansatz ausreichend Bekämpfung. Aber noch wichtiger wäre die Bekämpfung von Fluchtursachen. Was soll denn passieren, wenn primär die jungen Männer gehen? Wie sollen die am Ziel wirklich "ankommen"? Es gibt jetzt schon in Europa, im Osten, ganze Gegenden, da haben die Eltern im "Westen" Arbeit und die Kinder werden von Großeltern erzogen (in Afrika gab es das bislang "nur" bei AIDS-Waisen - wohin führt das noch "obendrauf"?). Mit wem verhandeln unsere Regierungen in Ländern mit Korruption, wegen "der Stabilität"? Wie sollte Entwicklungshilfe stattfinden? Brauche ich T-Shirts für 2,-? Deutschland vergreist, braucht Fachkräfte - also ein "Brain-Drain" in den Herkunftsländern und noch mehr Fluchtgründe? Gegen das elendige Absaufen im Mittelmeer freie Flüge - und dann ist das Geschäftsmodell der Schlepper vielleicht Erpressung, "ich beschieße eure Flüge oder ihr zahlt", ähnlich der Piraterie vor Afrikas Küsten?

(und nein, eine Lösungsidee habe ich nicht - nur Baby-Schritte, wie ein Verbot des Verkaufs von Kleiderspenden und Altkleidern nach Afrika oder die Fischerei zu verhindern, die Kleinfischern die Lebensgrundlage entzieht und eine Aufstockung von Entwicklungshilfe, ECHTE Unterstützung statt Hilfe von oben herab)

Ich kann mich darüber hinaus insofern nicht mit Josua identifizieren, weil ich seinen Weggang nicht nachvollziehen kann (gefühlt hat der Autor so etwas geahnt und deshalb den Unfall mit Todesfolge eingebaut - interessant, dass der später unwichtig gewesen zu sein scheint). Josua wollte in Berlin mit den großen Hunden bellen - und musste dafür das Beinchen heben. Schutzgelderpressung kann einem Gaststättenbetreiber wohl leider auch heute begegnen, oder Anwohner klagen ihn zu. Der wäre ebenso im "realen" Deutschland verdammt naiv an die Sache herangegangen. Ich schaffe es nicht, mich in "seine Schuhe" zu stellen.

Also: "guter Ansatz" (netter Ansatz, so weit hinunter würde ich nicht gehen). Ich fand die Flüchtlingsthematik in "Exit West" von Mohsin Hamid besser angedacht, geschickter im Fabulieren von Möglichkeiten, Wirkungen, Gefahren, Ideen. Mir geht Torkler nicht weit genug zu den Ursachen (gut ist hier "Das Meer" von Fleischhauer, allerdings eher ökologisch, nur zum Teil zu den Menschen), er geht mir nicht weit genug zu den Begleitumständen, der Bekämpfung von Flucht zuungunsten einer gewissen Naivität, die rein auf Sympathie abzielt. Herrje, muss man wirklich begründen und aufbauen wie im Buch, dass/damit man Sympathie, Mitgefühl mit jemandem empfindet, der alles hinter sich lässt, sein Leben riskiert? Mit einer Lösungsidee hatte ich auch nicht gerechnet, aber mit irgendetwas, was mir noch neu war. Der vorgehaltene Spiegel ist mir zu stumpf.

Guter Ansatz, nicht ausreichend gut etwas daraus gemacht. 3 Sterne

Veröffentlicht am 31.08.2018

Verunsichert und durch alle Betten

Das Leben des Vernon Subutex 1
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„Vernon war von zwanzig bis fünfundvierzig Plattenverkäufer gewesen. Auf seinem Gebiet waren Stellenangebote noch seltener, als wenn er im Kohlebergbau gearbeitet hätte.“ S. 8. Das Internet hat seine Einkommensbasis ...

„Vernon war von zwanzig bis fünfundvierzig Plattenverkäufer gewesen. Auf seinem Gebiet waren Stellenangebote noch seltener, als wenn er im Kohlebergbau gearbeitet hätte.“ S. 8. Das Internet hat seine Einkommensbasis ausgelöscht. Ein wenig hält er sich noch über Wasser mit dem ebay-Verkauf von Platten und dadurch, dass sein alter Kumpel Alex Bleach ihm die Miete bezahlt. Nach Alex‘ Tod verliert Vernon die Wohnung.

Vernon schlief sich früher durch die Betten aller Frauen, jetzt schläft er sich durch Klappcouches, Gästebetten, die Betten einsamer Frauen, kommt bei Freunden unter, Freunden von Freunden, couchsurfing in Paris. „Wenn du über vierzig bist, duldet dich Paris in seinen Mauern nur noch als Eigentümerkind, der Rest der Bevölkerung setzt seinen Weg anderswo fort.“ S. 17

Kein Buch für Personen, die empfindlich hinsichtlich der Sprachwahl sind: es taucht wohl jede Bezeichnung für Geschlechtsorgane und Geschlechtsverkehr auf, für Drogen und Drogenkonsum. Nur einiges ist eher harmlos: „Männer ihres Alters stoßen sie ab, ihre Eier hängen herunter wie sklerotische Schildkrötenköpfe.“ S. 54 (Emilie). Wollte ich darüber nachdenken?

Das Buch ist der erste Band einer Trilogie über Vernon Subutex, hätte aber genausogut „Alex Bleach“ im Titel haben können, den unter Drogeneinfluss ertrunkenen Freund, den natürlich auch die Freunde kannten, bei denen Vernon unterkommt, ehemalige Bandmitglieder, ehemalige Geliebte, Branchenkontakte, Kokser, Rechte, Transsexuelle, Enttäuschte. Die Geschichten reihen sich aneinander wie in einem Episodenroman mit Vernon und Alex als Bindeglieder – und mit den Bandaufnahmen von Alex, deren Existenz Begehrlichkeiten weckt. Somit ist das dann eine Geschichte (die Suche nach den Bändern) in Geschichten (von Vernon und Alex) in vielen Einzelgeschichten (von Xavier, Emilie, Céleste, Laurent Dopalet, Sylvie, Lydia Bazooka,…..), die alle auch wieder Berührungspunkte haben.

Sprachlich gibt es einiges – teils mit viel Vulgarismen, dann wieder poetisch „Jede Erinnerung ist vermint. Eine Decke, die er sorgfältig über der Angst ausgebreitet hatte, rutscht weg – sie berührt die Haut.“ S. 91 Das Thema, dass nur die Kinder (und Schwiegerkinder) reicher Eltern sich das Leben in Paris leisten können, zieht sich durch’s ganze Buch und langweilte mich dadurch etwas (da bekommt wirklich kaum jemand sein Leben aus eigener Kraft hin, vielleicht noch Alex, der sich aber für seinen Reichtum schämte, oder die Hyäne, von Beruf Internet-Troll).

Häufig fand ich überraschend treffsichere Bemerkungen, wie zu Sélim: „Die Französische Republik hatte ihm vorgegaukelt, wenn er sich ihre universelle Kultur zu eigen machte, würde sie ihn wie all ihre Kinder mit offenen Armen aufnehmen. … Aber auch mit Hochschuldiplom sind die Araber die Kanaken der Republik geblieben… .“ S. 257 Das wirkt nicht spezifisch französisch, höchstens in den speziellen Institutionen, Filmen, Moden; es gibt seeeeehr viel name dropping, ich schwöre, in fünf Jahren kann das selbst ein Franzose nur mit Mühe alles zuordnen.

Die Perspektive wechselt fortwährend zwischen Vernon und seinen Gastgebern, dabei wiederholt sich das Motiv, dass zwei Personen (gerne ein Paar) ein und dieselbe Situation durchaus unterschiedlich erleben können. Über Paarbeziehungen kommt da nichts Positives heraus. Am meisten beeindruckt hat mich der Abschnitt mit Patrice: eine Frau schreibt so über einen Mann, der seine Frau verprügelt, dass er mir überraschend und gegen meinen Willen sympathisch wurde.

Insgesamt bin ich mir nicht so sicher, um was es im Buch geht, in Paris kann man nur als reicher Erbe leben und selbst das gibt keine Sicherheit? Das Ende (nicht der Schluss) ist eine Frechheit. Schreibstil und Inhalt wechseln gut mit sinnentleert. Ich habe hier Band 2 stehen.

3 Sterne.

Veröffentlicht am 31.07.2018

Zeitverschiebung

Vier Tage in Kabul
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23. August 2014. Die schwedische Kriminalkommissarin Amanda Lund, 35, soll in Nordafghanistan eine internationale Einsatztruppe aufbauen, als Beraterin des afghanischen Truppenkommandanten, als sie ein ...

23. August 2014. Die schwedische Kriminalkommissarin Amanda Lund, 35, soll in Nordafghanistan eine internationale Einsatztruppe aufbauen, als Beraterin des afghanischen Truppenkommandanten, als sie ein Anruf ihres schwedischen Chefs Bill Ekman erreicht: zwei Mitarbeiter der Botschaft sind verschwunden. Da man eine Entführung befürchtet, soll die als Sonderermittlerin und Unterhändlerin ausgebildete Amanda vor Ort in Kabul tätig werden. Doch der schwedische Botschafter Sven Leijonhufvud erschwert die Aufgabe, indem er nur spärlich mit Informationen herausrückt. Er scheint zu lügen…dann gelingt es Amanda, den Chauffeur der zwei Mitarbeiter zu finden (auch schön: angeblich zwei Menschen wurden entführt – NEIN: DREI). Parallel dazu wird in der schwedischen Heimat eine Leiche gefunden, das Justiz- und das Außenministerium mischen sich ungewöhnlich stark ein und die afghanische Polizei scheint ganz eigene Ziele zu verfolgen. Besteht für die Vermissten noch Hoffnung?

Autorin Anna Tell ist Politologin und Kriminalkommissarin, sie hat über 20 Jahre Polizei- und Militärerfahrung in Schweden und im Ausland. Vor allem kann sie gut Charaktere beschreiben, ich konnte mir das „Personal“ des Buches gut vorstellen, mochte die Protagonisten und wollte wissen, wie es mit ihnen weitergeht; es soll dieses der Auftakt einer Reihe sein. „Vier Tage in Kabul“ übernimmt den Titel (Fyra dagar i Kabul) und das Cover des schwedischen Originals, das 2017 erschien. Der Leser ist quasi in Echtzeit bei den vier Tagen in Kabul (und Schweden) dabei. Das gefiel also. Auch das Verhalten der Politik im Sinn von „es kann nicht sein, was nicht sein darf“ erscheint leider sehr plausibel.

Was mir missfiel: Ungereimtheiten, Überflüssiges, einiges.
Amanda sei am 10. Juli 1980 geboren, es ist August 2014 (diverse Polizeiberichte) und sie sei 35. Ich zähle 34?
Amanda bemerkt diverse Sicherheitslücken in der Botschaft: keine Sicherheitsübungen, Fenster werden geöffnet, Freizeitverhalten ist risikobehaftet, es wird aber kein Sicherheitstraining angeregt? In einer Gefährdungssituation?
Amanda ist Unterhändlerin, die Serie heißt „Unterhändlerin“, aber das kommt praktisch nicht zum Tragen – sie agiert als Sonderermittlerin, wäre doch auch ein Reihentitel? Die kurzen Andeutungen in z.B. den Unterhaltungen mit dem Botschafter (wann „nett“ sein, wann Druck) machen jedoch durchaus Appetit auf mehr. Viele der Bücher von Dania Dicken setzen Verhandlungstaktiken deutlich besser in Szene.
Da stellt eine Frau fest, sie ist schwanger, gut, denn sie wünscht sich Kinder. Dennoch lebt sie von Kaffee, Koffeintabletten, es gibt Alkohol und sie begibt sich mehrfach in Lebensgefahr.
Recht früh gibt es ein Kapitel aus der Sicht eines lange namenlosen Afghanen, ab da weiß der Leser eigentlich fast alles zu den (meisten) Hintergründen. Warum nur? Mit dem zweiten Handlungsstrang hält sich die Autorin da zurück, aber es ist ja so modern geworden, Handlungen auch aus Opfer- und Tätersicht geschildert zu bekommen.
Und: nicht jeder Mitarbeiter einer Botschaft ist Diplomat, die Putzfrau beispielsweise bestimmt nicht. Da weckt der Klappentext hier den falschen Eindruck.

Bill darf Rechenschaft ablegen – und der Leser darf die Namen aller lesen, die vor ihm sitzen. Aller zehn, wobei eigentlich nur Teljer relevant ist? Ich kann mit Sätzen umgehen wie „Bill wurden alle Namen genannt“, ich will die nicht auch alle lesen.
Überhaupt, es gibt etliche Namen, auch viele Abkürzungen, NDS (der afghanische Nachrichtendienst), IED (improvised explosive devices), FRAU (der schwedische Nachrichtendienst),…eine kurze Liste bitte, gerade auch für Nicht-Schweden. Ich lerne ja gerne etwas dazu, aber da hier nur mit Begriffen um sich geworfen wird, wäre die Liste ausreichend. Erkenntnisse über Afghanistan? Weniger. Da eher Khaled Hosseini. Aber neu war mir, wie stark das schwedische Afghanistan-Engagement ist. Das hätte gerne genauer werden können, meinetwegen als Anhang.

Spannung naja geht so, gut zu lesen, inhaltlich teils nicht zufriedenstellend, angenehme Hauptpersonen. 3 Sterne, aber der Folgeband kommt ja auch erst in über einem Jahr.