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Veröffentlicht am 28.04.2024

Spannender Krimi mit Verbindung zur Morandi Brücke

Azzurro mortale
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Kaum erhält Commissario Vito Grassi Besuch von seiner Frau und seinem Sohn in seinem geerbten Rustico in Levanto, wird in Corniglia - dem kleinsten Dorf der Cinque Terre - eine Leiche angeschwemmt. Grassi, ...

Kaum erhält Commissario Vito Grassi Besuch von seiner Frau und seinem Sohn in seinem geerbten Rustico in Levanto, wird in Corniglia - dem kleinsten Dorf der Cinque Terre - eine Leiche angeschwemmt. Grassi, der zunächst als einziger von Mord ausgeht, beginnt zu ermitteln und stößt bald auf Verbindungen zum Einsturz der Morandi-Brücke in Genua vor sechs Jahren ....

Wohingegen inzwischen viele Deutsche Autoren Urlaubskrimis schreiben und ihre Leser*Innen an viele wunderschöne Orte, an denen grausame Verbrechen geschehen, entführen, überzeugt nun der italienische Autor Andrea Bonetto mit einer Krimi-Reihe, die an der bilderbuchhaften Kulisse des Cinque Terre angesiedelt ist. Der zweite Band "Azzurro Mortale" lässt sich auch ohne Kenntnis des ersten FAlles problemlos lesen - allerdings habe ich große Lust bekommen, dieses Manko zu schließen.

Bonetto überzeugt zunächst einmal mit dem gewählten Setting und fängt den Charme der malerischen Landschaft, des Essens und der Kultur des Cinque Terre ein.

Der gut zu lesende Schreibstil ist geistreich und humorvoll, die Geschichte hat einen guten Spannungsbogen, der mit vielen Wendungen und immer neuen Details über eine wilde Verfolgungsjagd zu einer überraschenden Lösung kommt.

Besonders gut gefällt es mir, wenn Bücher aufsehenerregende Ereignisse aus der Vergangenheit aufgreifen und diese wieder ins Bewusstsein rufen sowie Skandale aufdecken. Hier hat der Autor gut recherchiert über den Einsturz der maroden Autobahnbrücke 2018, der Morando-Brücke in Genua, mit der nicht zuletzt auch der Benetton-Konzern in Verbindung gebracht wird. In einem Nachwort gibt der Autor hierzu auch weitergehende Informationen.

Die Hauptfigur des Commissario Vito Grassi ist mehrdimensional; authentisch und mit Ecken und Kanten; und wenngleich ich auch nicht immer mit seinen Handlungen einverstanden bin, möchte ich den liebenswerten Commissario sehr. Seine privaten Probleme sind erfrischend anders als die immer wieder in Krimis auftauchenden Alkoholprobleme und das Einzelgängertum der Ermittler und lenken keinesfalls von der eigentlichen Handlung ab.

Bemerkenswert ist, dass Bonetto viele selbstbewusste, starke Frauen Grassi zur Seite stehen, wie Toni, seine Mitbewohnerin im Rustico, seine junge Partnerin Marta Ricci oder die strenge Questorin Dies hatte ich so nicht erwartet und gibt weitere Pluspunkte!

Ich freue mich, diese tolle Reihe entdeckt zu haben und bereits jetzt auf die Fortsetzung und den nächsten Fall des Commissario Grassi!

PS: Ein besonderes Schmankerl ist das Rezept für "Testaroli", die älteste Pasta Italiens, die ich sofort nachmachen musste!

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Veröffentlicht am 07.04.2024

Reise nach Neapel

Caffè Sospeso
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Der Franzose Jacques ist seiner großen Liebe nach Italien nachgereist; von ihr enttäuscht, bleibt er in Neapel hängen, bezieht Quartier über dem Café Nube, wo er fortan täglich an einem Tisch sitzend schreibt ...

Der Franzose Jacques ist seiner großen Liebe nach Italien nachgereist; von ihr enttäuscht, bleibt er in Neapel hängen, bezieht Quartier über dem Café Nube, wo er fortan täglich an einem Tisch sitzend schreibt und zeichnet und das Leben um ihn herum verfolgt. Verbunden sind die unterschiedlichsten Episoden durch eine lokale Besonderheit der neapolitanischen Kultur, dem "caffé sospeso", dem Brauch, außer dem eigenen Kaffee auch einen weiteren Kaffee zu bezahlen. Dieser Kaffee wird vom Barista notiert und auf Nachfrage an einen Bedürftigen ausgeschenkt. Und so sind es Geschichten über Gebende und Nehmende, Aufbrechende und Ankommende, Glücklich und Enttäuschte - und immer Liebende.

Die französische Roman-, Theater- und Drehbuchautorin Amanda Sthers erzählt in ihrem warmherzigen Roman aus der Sicht eines Mannes von dessen Beobachtungen, wobei man ihr die "männliche Sichtweise" in jeder Beziehung abnimmt. Wie auf einer Theaterbühne erscheinen vor dem Zuschauer Jacques all die Schauspieler im neapolitanischen Café Nube und führen ihre Episoden vor. Es versteht sich von selbst, dass dem Leser dabei einige Erzählungen näher sind als andere, doch jede ergibt ein Teil des Ganzen und keine ist zu viel. Durch Jacques Augen lernen wir Neapel und seine Bewohner immer besser kennen und im Verlauf wächst auch der Erzähler immer mehr ans Herz. Über allem liegt ein Hauch von Nostalgie und Wärme und die verschiedensten Figuren werden voller Liebe beschrieben, oft auch mit einem gewissen Augenzwinkern.

Dieses unglaublich charmante Buch muss man einfach lieben!

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Veröffentlicht am 03.04.2024

Der Versuch, nicht Greifbares greifbar zu machen

Die Vermesserin der Worte
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Die junge Autorin Ida Hermann leidet unter einer Schreibblockade. An sich und ihren Fähigkeiten zweifelnd, nimmt sie auf der Suche "nach ihren Worten" - und weil ihr das Geld ausgeht - eine Stelle als ...

Die junge Autorin Ida Hermann leidet unter einer Schreibblockade. An sich und ihren Fähigkeiten zweifelnd, nimmt sie auf der Suche "nach ihren Worten" - und weil ihr das Geld ausgeht - eine Stelle als Haushaltshilfe bei der wortkargen und harschen Ottilie Selig an. Die beiden vordergründig so verschiedenen Frauen verbindet allerdings die Liebe zu Worten und zur Literatur, und Ida stellt sich die Frage, ob man Fantasie und Worte messen kann? Beim Putzen des "papiernen Anwesens" stößt sie auf immer mehr persönliche Dinge der alten Dame und erzählt dieser sodann ihre eigene Geschichte, um die Lücken zwischen den Worten zu füllen und gegen das Vergessen anzukämpfen.....

Die deutsche Autorin Katharina Seck ist ihren Lesern bekannt als Autorin von Fantasy-Romanen, insbesondere durch die ab 2022 erscheinenden "Dunkeldorn-Chroniken". Ihre Leidenschaft nach Büchern und Worten bringt sie nun mit "Der Vermesserin der Worte" zum Ausdruck und es verwundert kaum, dass auch dieser Roman durchaus ein phantastisches Element enthält: die Waage, mit der sich Worte vermessen lassen, "um nicht Greifbares greifbar" zu machen.

Katharina Seck erzählt sanft und warmherzig die Geschichte zweier starker Frauen, die - entgegen aller Widerstände - mutig ihren Weg gehen und die die Liebe zur Literatur verbindet, ohne dabei auch nur in die Nähe von Kitsch zu geraten. Mit sanftem, poetischem Schreibstil und den philosophischen Fragen hat mich dieses Buch vollumfänglich in seinen Bann gezogen, und zwar trotz oder gerade weil die Entwicklung der Figuren und der Handlung vorhersehbar waren und die Erzählweise dadurch in den Vordergrund rückte.

Das Thema "Demenz" mit seinen furchtbaren Auswirkungen wird realistisch, aber behutsam dargestellt; und auch andere schwierige Angelegenheiten wie Einsamkeit, enttäuschte Erwartungen, Misstrauen und weitere werden empowernd behandelt.

Die Hauptfiguren Ida und Ottilie, aber auch die Postboten Theobald und Matthias sind so liebevoll beschrieben, dass man sie einfach ins Herz schließen muss. Sie sind greifbar mit ihren Problemen und Sorgen und entwickeln sich im Laufe der Geschichte immer weiter.

Die zahlreich verwendeten Metaphern, die aussagekräftigen Kapitelüberschriften ("Die Reise zu einem papiernen Anwesen", "Eine Frau aus Lavendel und Staub" usw.) verbunden mit hübschen Vignetten tragen ebenfalls zum Lese-Genuss bei.

"Die Vermesserin der Worte" hat mich tief berührt und hallt noch lange nach. Meine Empfehlung (nicht nur für Buchmenschen):
Unbedingt lesen!

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Veröffentlicht am 17.03.2024

1849. Maiaufstand und Frauenbewegung

Das Opernhaus: Rot das Feuer
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Dresden 1849. Luise hat sich arrangiert in ihrer lieblosen Ehe mit dem angesehenen Komponisten Adam Jakobi; Freude bereitet ihr nur die angenommene Tochter Annette. Eine zufällige Begegnung mit ihrer einst ...

Dresden 1849. Luise hat sich arrangiert in ihrer lieblosen Ehe mit dem angesehenen Komponisten Adam Jakobi; Freude bereitet ihr nur die angenommene Tochter Annette. Eine zufällige Begegnung mit ihrer einst großen Liebe, dem inzwischen als festangestellten Kulissenmaler tätigen Christian, zwingt sie zu Entscheidungen.... Währenddessen bahnt sich die Dresdner Mairevolution an, bei der auch viele Mitglieder der Semper-Oper zum Kampf bereit sind. Und auch die Frauenbewegung nimmt immer mehr Fahrt auf ....

Die Bestseller-Autorin Anne Stern legt mit "Das Opernhaus: Rot das Feuer" nun den zweiten Band ihres Dresden Epos' rund um die Dresdner Oper vor, der fast nahtlos an den ersten Band anknüpft und in dem nicht nur das Schicksal der berühmten Semper-Oper, sondern auch das Los der schon lieb gewonnenen Figuren rund um das Opernhaus und der Familie Spielmann im Mittelpunkt stehen.

Die Historikerin hat wieder hervorragend recherchiert und führt ihre Leser abermals in das 19. Jahrhundert; es gelingt ihr meisterhaft, ein Bild der damaligen Gesellschaft, der sozialen Verhältnisse und vor allem der Rolle der Frau zu zeichnen. die zu dieser Zeit den Männer absolut untergeordnet war und sich den Wünschen ihres Ehemannes zu fügen hatte. Im Mittelpunkt steht wieder Luise, die zwar inzwischen in Soireen auftreten darf, jedoch nicht komponieren, die gefangen ist in einer lieblosen Ehe und sich sogar von ihrem Ehemann gängeln, schlagen und vergewaltigen lassen muss ohne sich wehren zu dürfen, sowie ihre jüngere Schwester Barbara, die sich mehr und mehr in der Frauenbewegung engagiert und deren Rädelsführerinnen kennenlernt. Und so erlebt der Leser hautnah die Deutsche Geschichte und nimmt Anteil an den Geschicken und dem Geschehen.

Neben den fiktiven Figuren, die hervorragend gezeichnet sind, finden sich auch reale Personen in der Handlung wieder wie der Kapellmeister der Dresdner Oper, Richard Wagner, und ihr Erbauer, Gottfried Semper, die ebenfalls in der Mairevolution mitmischten, sowie Louise Otto-Peters die den Allgemeinen Deutschen Frauenverein gründete oder auch Friedrich-Wilhelm IV., der durch die Ablehnung der Kaiserkrone die Revolution auslöste. Besser kann Geschichte nicht veranschaulicht werden!

Gleichwohl Luise und Christian den Mittelpunkt der Handlung bilden, handelt es sich um keine kitschige Liebesgeschichte; verdeutlicht werden an ihnen und ihren Freunden und Verwandten aber die Sitten und Einstellungen sowie die Gedanken, Hoffnungen und Träume der Menschen zu dieser Zeit.

Anne Stern erzählt ihren Roman bildgewaltig in schöner Schreibweise; auch baute sich eine gewisse Spannung auf.
Und auch, wenn dieser Teil einen gewissen Abschluss findet mit der Niederschlagung des Aufstandes und einer neuen Wendung im Hause Jakobi, kann ich die Fortführung der Geschichte und das weitere Schicksal der vertrauten Figuren kaum erwarten.

Ein Plan Dresdens um 1849, zeitgenössische Briefe und ein ausführliches Nachwort der Autorin runden dieses Buch ab.


Die Liebe der Autorin zur Musik, ihre professionelle Recherche der Deutschen Geschichte und ihre Blickpunkt auf die Frauenrechte machen ihr Werk zu etwas Besonderem, das ich uneingeschränkt weiterempfehlen kann.

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Veröffentlicht am 10.03.2024

Das herabgewürdigte Genie

Das verborgene Genie
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Rosalind Franklin (1920-1958), Engländerin aus wohlhabendem, angesehenem jüdischen Haus, wollte nicht in die Fußstapfen ihrer Familie treten und Charity-Arbeit leisten, sondern ihr Leben der Wissenschaft ...

Rosalind Franklin (1920-1958), Engländerin aus wohlhabendem, angesehenem jüdischen Haus, wollte nicht in die Fußstapfen ihrer Familie treten und Charity-Arbeit leisten, sondern ihr Leben der Wissenschaft widmen. Als Spezialistin für Röntgenstrukturanalyse geht die promovierte Wissenschaftlerin gegen den ausdrücklichen Wunsch ihres Vaters zunächst als Forscherin nach Paris, kehrt dann aber zurück nach London ans King's College, wo sie unter unklaren Aufgabenverteilungen Röntgenbeugungsdiagramme zur Erforschung der DNA anfertigt und die Doppelhelixstruktur derselben erkennt. Doch sie muss gegen den permanenten Widerstand der anderen Forscher ankämpfen, gegen Ausgrenzung, Sexismus, mangelnde Anerkennung und schließlich Sabotage und Diebstahl - und so erhalten schließlich lediglich die Forscher James Watson und Francis Crick die wissenschaftliche Anerkennung und den Nobelpreis für das Modell der Doppelhelixstruktur, die Franklin entdeckt hatte.

Marie Benedict studierte zunächst Geschichte und Kunstgeschichte, bevor sie auch ein Rechtsstudium erfolgreich abschloss. Seit 2016 verfolgt die US-amerikanische Benedict ein Projekt, in welchem sie in historischen Biografien die besonderen Leistungen von Frauen thematisiert und diesen so posthum Gerechtigkeit zukommen lässt. Mit der Romanbiografie "Das verborgene Genie", dem fünften Band aus ihrer Reihe "Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte" widmet sie sich der Forscherin Rosalind Franklin, die durch ihre Forschungen zur Doppelhelixstruktur unserer DNA entscheidend die Weltgeschichte mit geprägt hat, der jedoch nicht die ihr zustehende Anerkennung zuteil wurde, sondern ihr Name in Vergessenheit geriet und stattdessen nur die Männer geehrt wurden.

Marie Benedict hat auch für diesen Band wieder ausgezeichnet recherchiert und orientiert sich bei der Schilderung von Franklins Geschichte eng an den Aufzeichnungen von Benedicts Freundin Anne Sayre.

Der Schreibstil ist überaus flüssig und ansprechend, so dass sich die Seiten quasi von selbst umblätterten; und der Wettlauf in der Erforschung der DNA liest sich fast wie ein Krimi. Die Romanbiografie ist in der Ich-Perspektive geschrieben, so dass sich Franklins Gedanken und Einstellungen sehr gut nachempfinden lassen. Da ihr Leben sich um ein hochkomplexes Wissenschafts-Thema rankte, finden sich natürlich auch etliche Fachbegriffe und Erläuterungen in diesem Buch, die meiner Meinung nach aber so gehalten sind, dass auch der Laie zumindest nachvollziehen kann, worum es geht. Und auch die Verwendung französischer Ausdrücke zu Franklins Pariser ZEit hemmen den Lesefluss nicht.
Leider findet diese Romanbiografie aufgrund der Verhaltensweisen der männlichen Wissenschafts-Welt, aber auch durch Franklins frühen Tod aufgrund ihres sorglosen Umgangs mit der Röntgenstrahlung ein trauriges Ende.

Da Franklin ihr Leben voll und ganz ihren Forschungen widmete, finden sich auch nur begrenzte Schilderungen ihres Privatlebens. Doch ihre Leidenschaft und ihr Charakter sowie ihr wissenschaftliches Genie kommen voll und ganz zum Ausdruck. Eine bemerkenswerte Frau, die mit diesem Buch endlich die Aufmerksamkeit erhält, die sie verdient!

Ein Nachwort der Autorin rundet "Das verborgene Genie" ab, das mich begeistert hat und das ich uneingeschränkt weiterempfehlen kann!

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