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Veröffentlicht am 04.09.2022

Erschütternder historischer Rückblick

Denk ich an Kiew
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'Bring einfach den heutigen Tag hinter dich und hoffe, dass es morgen besser wird' (S. 70), das Leitmotto, das für beide Handlungsstränge passend ist.
Dieser Roman hat mich immer wieder im Lesen einhalten ...

'Bring einfach den heutigen Tag hinter dich und hoffe, dass es morgen besser wird' (S. 70), das Leitmotto, das für beide Handlungsstränge passend ist.
Dieser Roman hat mich immer wieder im Lesen einhalten lassen, weil ich die geschichtlichen Informationen erstmal verarbeiten musste. Vom Holodomor hatte ich bisher noch nie gehört und war schockiert über diese dramatischen Exzesse des Stalinismus. Wieso wird dieses Thema im Schulunterricht nicht behandelt? Der Autorin zolle ich großen Respekt für die intensiven Recherchen und die Verarbeitung dieser Hintergründe in ihrem Roman.
Inhaltlich geht es um ein Dorf in der Nähe von Kiew, wo die Schwestern Katja und Alina wohlbehütet aufwachsen. Sie verstehen sich gut und haben sich ausgerechnet ein Brüderpaar der Nachbarschaft als zukünftige Bräutigame ausgeguckt. Es ist die Zeit, in der Stalin die Kollektivierung der Landwirtschaft rücksichtslos vorantrieb, unter anderem in der Ukraine. Wohlhabende Bauern, die Kulaken, wurden enteignet und entweder getötet oder deportiert. Den Bauern wurde während dieses Schreckenregimes die gesamte Existenzgrundlage genommen und es gab eine schlimme Hungerkatastrophe, der Millionen zum Opfer fielen. Auf dieser Zeitebene spielt die Handlung, die mich sehr berührt hat und die ich mit steigender Aufmerksamkeit verschlungen habe.
Die andere Handlungsebene findet Jahrzehnte später statt, als Cassie, die vor kurzem ihren Mann bei einem Autounfall verloren hat, mit ihrer Tochter Birdie zu ihrer Großmutter in Illinois zieht und dort ein altes Tagebuch entdeckt. Die Großmutter hat ukrainische Wurzeln, möchte aber über ihre Vergangenheit nicht sprechen, die Erinnerungen sind zu schmerzhaft, doch die alte Frau verhält sich zunehmend merkwürdig....Birdie ist durch den Verlust ihres geliebten Vaters stumm geworden, aber im Haus ihrer Uroma blüht sie immer mehr auf....
Dieser zweite Handlungsstrang konnte mich nicht überzeugen, die Geschehnisse erscheinen mir zu konstruiert und vorausschaubar. Bereits auf Seite 52, als der Feuerwehrmann Nick zum ersten Mal erwähnt wird, war mir klar, dass sich da eine Liaison mit Cassie entwickeln wird, auch wenn sie ihm zunächst großes Misstrauen entgegenbringt, was auch übertrieben und unpassend war. Ich konnte auf dieser Ebene nicht wirklich Mitgefühl entwickeln, ganz anders als auf der Vergangenheitsebene. Schade!
Außerdem gefällt mir die Kommunikation zwischen Cassie und ihrer Familie nicht, sie klingt nicht natürlich, sondern irgendwie gestelzt. Wer redet denn so mit seinen Familienangehörigen? Vielleicht liegt es auch an der Übersetzung.
Dieser Roman konnte mich überzeugen, auch wenn die Zeitebene der Gegenwart nicht sehr ansprechend war, denn ich habe meinen geschichtlichen Wissenshorizont erweitert und werde sicher noch länger damit beschäftigt sein.

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Veröffentlicht am 24.08.2022

Etwas zu viel Angela

Mutterherz
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Dies ist der 13. Band der Rizzoli & Isles Reihe und bietet wie gewohnt spannende Unterhaltung.
Im Prinzip geht es hier um zwei verschiedene Ermittlungsebenen, wobei die Suche nach dem Mörder der Krankenschwester ...

Dies ist der 13. Band der Rizzoli & Isles Reihe und bietet wie gewohnt spannende Unterhaltung.
Im Prinzip geht es hier um zwei verschiedene Ermittlungsebenen, wobei die Suche nach dem Mörder der Krankenschwester Sofia Suarez im Mittelpunkt steht. Sofia war allseits beliebt und hilfsbereit, ein Raubmord ist auszuschließen, wo also liegen die Motive? Rizzoli tappt lange Zeit im Dunklen, wobei sie regelmäßig von ihrer Mutter Angela gestört wird, die sich in ihrer Nachbarschaft als Hobby-Detektivin betätigt. Denn im Haus schräg gegenüber ist ein Ehepaar eingezogen, das sich entgegen der Norm verhält, und Angela Rizzoli ist sicher, dass hier Gefahr im Verzug ist.
Diese Passagen mit Angela nehmen leider sehr viel Platz ein und lassen das Hauptgeschehen bisweilen in den Hintergrund treten. Diese Szenen sind zwar amüsant, gehen in meinen Augen aber mehr in Richtung Klamauk, was mich in einem Thriller stört. Die Situationskomik ließ mich zwar öfters schmunzeln, aber irgendwie fühlte ich mich im falschen Programm.
Der Hauptfall dagegen war spannend, hatte knifflige Ermittlungen zu bieten und einen verzwickten Plot, logisch gut durchdacht. Alles wurde am Ende zu meiner Zufriedenheit zusammengeführt und erklärt. Auf dem Weg dorthin gab es spannende Cliffhanger, überraschende Wendungen und Sackgassen. Alles nach meinem Geschmack, denn man konnte gut miträtseln. Der Nebenfall dagegen war weniger realistisch und gleichzeitig vorausschaubar. Schade!
Der Schreibstil ist sehr angenehm zu lesen und lässt den Leser in die Welt der Handlung abtauchen, da alle wichtigen Details Erwähnung finden. Der Spannungsaufbau setzt direkt am Anfang ein, als eine Studentin auf ihrem Heimweg verfolgt wird. Auch das Privatleben der Hauptprotagonisten wird beschrieben, genau im richtigen Maß, ohne in einen Liebesroman auszuarten.
Alles in allem hatte ich eine gute und spannende Lesezeit, etwas gemindert durch die ausgedehnten Angela-Szenen. Deshalb vergebe ich 4 von 5 Sternchen.

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Veröffentlicht am 24.07.2022

Leben unter dem Einfluss von Monet

Blanche Monet und das Leuchten der Seerosen (Ikonen ihrer Zeit 6)
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Blanche Hoschedé lernt als Elfjährige in ihrem angesehenen Pariser Elternhaus Claude Monet kennen und verfällt augenblicklich seinem Malstil. Ihr größtes Bestreben ist seitdem, Malerin zu werden. Monet ...

Blanche Hoschedé lernt als Elfjährige in ihrem angesehenen Pariser Elternhaus Claude Monet kennen und verfällt augenblicklich seinem Malstil. Ihr größtes Bestreben ist seitdem, Malerin zu werden. Monet erkennt ihr Talent, fördert dies aber nur indirekt.
Kurz nach dem Kennenlernen setzen für die Familie Hoschedé turbulente Zeiten ein, denn Blanches Vater ist bankrott. Für Claude Monet ist es selbstverständlich, dass er die Familie, die Paris verlassen muss, bei sich aufnimmt, obwohl er selbst unter sehr ärmlichen Bedingungen lebt. Die folgenden Jahre werden bestimmt von großen finanziellen Nöten und familiären Schicksalsschlägen. Für mich außerdem eine sehr interessante Wiederspiegelung der damaligen Zeit. Nebenbei wird auch deutlich, wie schwer es für die Impressionisten war, ihren Kunststil populär zu machen.
Hatte ich zunächst gedacht, Blanche sei eine starke Frau, die sich der männlichen Dominanz der damaligen Zeit entgegenstellt, so musste ich meine Meinung korrigieren. Ich empfinde sie als sehr fürsorglich und sozial, sie setzt sich für das Lebensglück anderer ein und handelt oft selbstlos, aber letztendlich ordnet sie sich unter, um nicht zu verlieren. Besonders ihrer Mutter und Monet gegenüber gibt sie sich unterwürfig und verzichtet auf ihr persönliches Glück. Das hat mich enttäuscht.
Sehr imponiert hat mir dagegen Camille Monet, die trotz ihrer schlimmen Krankheit eine enorme Stärke ausstrahlt und selbst auf dem Sterbebett noch Hoffnung und Trost vermittelt. Claude Monet hingegen ist für mich ein kleiner Tyrann, der dominant und rücksichtslos Entscheidungen für die Familie trifft. Alles muss sich um ihn und seine Zufriedenheit drehen.
Das Buch ist interessant und zum Teil auch spannend zu lesen, wobei mich gelegentliche Zeitsprünge etwas irritiert haben. Der klare und unkomplizierte Schreibstil lässt den Leser in der Zeit des späten 19. Jahrhunderts versinken, wo sich eine ganz andere Welt auftut. Auch die Ohnmacht der Frauen dieser Zeit wird deutlich, Gefühle hatten der Zweckdienlichkeit zu weichen.
Ich kann das Buch jedem Leser empfehlen, der bereit ist, sich auf bemerkenswerte Personen und ihren Lebenslauf einzulassen, auch wenn dieser unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen abläuft.

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Veröffentlicht am 10.07.2022

Lügengeflechte

Dunkle Tiefen
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Hauptprotagonistinnen in diesem Psychothriller sind drei Schwestern, die sich seit 20 Jahren aus dem Weg gegangen sind, denn damals kam ihre jüngste Schwester ums Leben, und das Leben war nicht mehr wie ...

Hauptprotagonistinnen in diesem Psychothriller sind drei Schwestern, die sich seit 20 Jahren aus dem Weg gegangen sind, denn damals kam ihre jüngste Schwester ums Leben, und das Leben war nicht mehr wie sonst.
Jeden Sommer verbrachte die Familie früher in einem Cottage an der englischen Steilküste, wo die Schwestern so einiges erlebten, was oftmals in Streitereien endete. Nun haben alle drei eine Weihnachtseinladung erhalten, in das Cottage ihrer Kindheit. Dort hat sich nicht viel verändert, und die Schwestern schwelgen zunächst in Erinnerungen. Das Unheil nimmt seinen Lauf, als sich herausstellt, dass man nicht weiß, wer nun eigentlich die Einladungen verschickt hat.
Schnell kommen Streit, Misstrauen und Schuldzuweisungen zurück. Als Leser weiß man nicht, welcher Schwester man vertrauen kann und wer sich nur in Intrigen verstrickt. Eine unangenehme Gruppendynamik lässt eine fesselnde Spannung entstehen, da man unbedingt wissen möchte, was damals wirklich passiert ist und wozu das aktuelle Treffen arrangiert wurde. Es fiel schwer, einen Lesestopp einzulegen.
Regelmäßig werden Perspektivwechsel durchgeführt, so dass wir auch in die Zeit vor 20 Jahren Einblick erhalten. Nach und nach setzt sich so ein Puzzle aus Informationen zusammen, die den Leser miträtseln lassen, was damals nun wirklich passierte.
Das alles hat mir sehr gut gefallen. Ohne Action-Szenen wird nur durch Kommunikation und Information ein spannendes Netz aus Schuld und Geheimnissen aufgebaut, das man unbedingt näher beleuchten möchte. Leider wurde nicht alles vollkommen beleuchtet und einiges erschien realitätsfern.
Trotzdem hat das Buch mich fesselnd unterhalten und sich als tiefgründige Lektüre herausgestellt. Ich spreche somit eine klare Leseempfehlung aus.

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Veröffentlicht am 26.06.2022

Dystopie mit Realitätsbezug

Das U-Boot
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Ein außergewöhnliches Buch, nicht nur vom Inhalt her, denn es überrascht zunächst mit einem schönen Farbschnitt. Das sieht richtig gut aus!
Nun zur Handlung: Die beiden Hauptprotagonisten in diesem Buch ...

Ein außergewöhnliches Buch, nicht nur vom Inhalt her, denn es überrascht zunächst mit einem schönen Farbschnitt. Das sieht richtig gut aus!
Nun zur Handlung: Die beiden Hauptprotagonisten in diesem Buch kennen einander zunächst nicht. Da ist auf der einen Seite die junge Israelin Leah, die als Soldatin ihren Dienst auf einem U-Boot leistet, und auf der anderen Seite der Araber Tarik, der im Gazastreifen lebt und einen geheimen Tunnel für die Hamas baut. Beide Schicksale kreuzen sich, nachdem sich eine immense Katastrophe ereignet, deren Ursprung unbekannt ist, die aber sehr bedrohliche Auswirkungen hat.
Ab ungefähr der Mitte des Buches wird es richtig spannend, da konnte ich das Buch kaum noch weglegen. Man möchte unbedingt wissen, was passiert ist und wie es weitergeht. Ein tosender Lärm unter Wasser, Abbruch des Funkkontakts, herumschwimmende Container - das sind nur ein paar Beispiele, die die Spannungskurve hochschnellen lassen. Die Auflösung des Geschehens ist zwar dystopisch, hat aber für mich durchaus einen ernsten Realitätsbezug, der immer wieder im Hintergrund deutlich wird.
Man merkt, dass der Autor intensive Recherchen betrieben hat, besonders was die Leistungsfähigkeit und die Technik moderner U-Boote angeht. Alles wird lesertauglich gut erklärt, was leider bisweilen langatmig erscheint. Aber auch in anderen Bereichen habe ich Einblicke gewonnen, die mir zuvor fremd waren, z.B. der Alltag einer Marinesoldatin.
Einige existentielle Gedanken des Buches haben mich sehr nachdenklich gestimmt, wenn es zum Beispiel um das Miteinander von Mensch und Tier geht oder um den rücksichtslosen Umgang des Homo Sapiens mit seiner Umwelt. Das hat mich sehr angesprochen.
Was mir nicht so gut gefallen hat, ist die lange Vorgeschichte, bevor endlich die bereits im Klappentext angekündigte Katastrophe passiert. Da wird ausführlich beschrieben, wie Leah ihren Freund kennenlernt oder wie ein Übungsmanöver mit dem U-Boot abläuft, wie Tariks Sohn sich politisch engagiert oder seine Frau ärztlich behandelt wird, während der Leser wartet, dass endlich das Desaster passiert.
Alles in allem ein empfehlenswertes Buch, das mich in weiten Teilen positiv überrascht hat.

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