Profilbild von Thoronris

Thoronris

Lesejury Profi
offline

Thoronris ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Thoronris über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.05.2017

Ein authentischer Historischer Roman mit Witz, Romantik und Erotik

Eine nächtliche Begegnung
0

Schon von der ersten Seite an hat mich Meredith Duran fesseln können: Historische Romane leben davon, dass die Umstände der Zeit korrekt und trotzdem lebendig eingefangen werden, und genau das gelingt ...

Schon von der ersten Seite an hat mich Meredith Duran fesseln können: Historische Romane leben davon, dass die Umstände der Zeit korrekt und trotzdem lebendig eingefangen werden, und genau das gelingt ihr. Wir werden in die Welt der Industrialisierung geworfen, befinden uns um Ende des 19. Jahrhunderts, in welcher die Unterschiede zwischen Arm und Reich immer größer zu werden drohen. Die Hauptperson Nell ist in jeder Hinsicht ein Kind der Straße, sie hat Dinge gesehen und erlebt, die sie vor ihrer Zeit haben erwachsen werden lassen. Gleichzeitig zeigt Duran in wundervoller Weise, wie die simple Moral der armen Menschen sie für die reiche Oberschicht beinahe naiv wirken lässt. Tatsächlich ist das 18. und 19. Jahrhundert geprägt von der Vorstellung, dass die Oberschicht moralisch völlig verdorben ist, dass die Unterschicht ob ihrer Armut generell keine Chance auf moralischen Anstand hat und dass die Mittelschicht der letzte Hoffnunsgträger für die Tugend ist, aber leider ob der zunehmenden Orientierung an den Normen und Bräuchen der Oberschicht auch zunehmend korrumpiert wird. Auch, wenn das in diesem Liebesroman niemals explizit behandelt wird, spürt man diese Spannungen unterschwellig doch die ganze Zeit - was für eine mehr als authentische Atmosphäre sorgt.

Die beiden Hauptcharaktere Nell und Simon sind zudem für mich vom ersten Moment an liebenswert. Während Nells Leben sich beinahe rund um die Uhr um Fragen des Überlebens dreht, sind solche Sorgen so weit von Simons Welt entfernt, dass er sein Umfeld nur zynisch und mit belächelnder Distanz wahrnehmen kann. Obwohl er sich bewusst ist, wie lächerlich viele der Dinge, die in der Oberschicht normal sind, tatsächlich sind, wird er durch die ganz anderen Lebensumstände von Nell doch aus der Bahn geworfen und zum Reflektieren gezwungen. Auf der anderen Seite erleben wir mit Nell, wie schnell man sich an Reichtum gewöhnen kann, selbst wenn man sein Leben lang in Armut gelebt hat. Eine gefährliche Versuchung, wie sie schnell erkennt.

Die Erotik, die in diesem Liebesroman ebenfalls nicht zu kurz kommt, ist auf eindrucksvolle Weise emotional. Beinahe vom ersten Moment ihrer Begegnung an fühlt sich Simon zu Nell hingezogen - auf ganz menschliche, sexuelle Weise. Gerade weil ihr das affektierte Benehmen fehlt, gerade weil sie so authentisch und damit naiv erscheint, reagiert er auf sie. Auch die Erkenntnis, das körperliche und geistige Stärke einer Frau hervorragend stehen, fördert seine Lust. Nell wiederum verfällt seinem guten Aussehen. Sogar in so grundlegenden Dingen wie Sexualität spiegelt sich ihr Hintergrund der Londoner Unterschicht wieder: Sie weiß sehr genau, was es mit Sex auf sich hat, sie kennt die Gefahren, die einer Frau drohen und geht keineswegs naiv an die Sache heran. Auf der Straße begegnet man Sex überall. Trotzdem ist sie überrascht davon, selbst Lust und Verlangen zu spüren und scheitert im Kampf gegen ihre animalischen Instinkte.

Fazit:
Der Konflikt um Nells Herkunft, um die Anerkennung ihrer Eltern und die Aufnahme in die feine Gesellschaft bieten eine wundervolle Bühne für eine eingehende Charakterstudie, die uns Menschen zeigt, die so tatsächlich zur Zeit der Industrialisierung gelebt haben könnten. Zum Ende hin schwächelt die Geschichte mit einigen unnötigen Wendungen und zu viel Dramatik auf zu wenig Raum - man hätte das weglassen können oder intensiver ausführen müssen - aber das ändert nichts daran, dass dieser historische Liebesroman alle Anforderungen meisterhaft erfüllt. Wer nach einem authentischen Historiengemälde sucht, in dem es gleichzeitig an Witz, Romantik und Erotik nicht mangelt, ist bei Meredith Duran's "Eine nächtliche Begegnung" genau richtig. Und die Übersetzung durch Inka Marter liest sich ebenfalls flüssig und lässt einen vergessen, dass dies ursprünglich auf Englisch verfasst war.

Veröffentlicht am 10.09.2023

Eine andere Welt

Cleopatra und Frankenstein
0

Ich wusste, dass ich mich mit diesem Buch auf ein Experiment einlassen würde, aber wie anders es am Ende war, hat mich doch überrascht.

Der erste Punkt, den potentielle Leser meines Erachtens wissen sollten, ...

Ich wusste, dass ich mich mit diesem Buch auf ein Experiment einlassen würde, aber wie anders es am Ende war, hat mich doch überrascht.

Der erste Punkt, den potentielle Leser meines Erachtens wissen sollten, ist, dass wir nicht nur Cleo und Frank in ihrem Leben begleiten. Die Nebenfiguren erhalten ebenfalls eine Menge Aufmerksamkeit, was mich sehr gefreut hat, aber im ersten Moment sehr überraschend war.

Ich habe erwartet, dass das Buch keine rundum fröhliche Angelegenheit wird, doch bin ich am Ende erstaunt gewesen, wie mutig die Autorin sich mit den Abgründen psychischer Krankheit und Sucht beschäftigt. Diese Darstellungen wirkten auf mich authentisch und tragisch und waren der Höhepunkt des Buches für mich.

Cleo und Frank verstehen einander sehr schnell sehr gut, was ideal für eine Hollywood-Romanze wäre. Aber die Autorin hat sich entschieden, ein realistischeres Bild zu zeichnen. Beide sind ganz eigene Charaktere und wirkten auf mich greifbar und menschlich wie wenig andere Buchfiguren.

Trotzdem konnte mich das Buch am Ende nicht ganz überzeugen. Die Autorin hat viele gute Entscheidungen getroffen und mir einen Blick in eine völlig fremde Welt ermöglicht. Leider hatte ich doch immer mal das Gefühl, dass zu viel Wert auf Stil und "Vibe" gelegt wurde, und darunter manchmal die Charaktere und ihre Entwicklung gelitten haben. Dennoch, wer sich auf dieses Buch einlassen kann, wird hier sehr belohnt.

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 01.08.2023

Solider Krimi, der zum Ende schwächelt

Düstergrab
2

Für mich war "Düstergrab" der Einstieg in die Elbmarsch-Krimireihe, da ich noch keinen der fünf Vorgängerbände gelesen habe. Ich war gespannt, ob die Autorin so einen Quereinstieg ermöglicht, oder ob ich ...

Für mich war "Düstergrab" der Einstieg in die Elbmarsch-Krimireihe, da ich noch keinen der fünf Vorgängerbände gelesen habe. Ich war gespannt, ob die Autorin so einen Quereinstieg ermöglicht, oder ob ich mich zwischen all den Figuren verloren fühlen würde. Jetzt am Ende kann ich sagen, dass ich zwar offensichtlich Hintergrundinformationen vermisst habe, aber dass ich trotzdem nie das Gefühl hatte, etwas nicht verstehen zu können. Die Autorin hat es meisterhaft geschafft, alle wichtigen Eckpunkte zu den schon seit fünf Bänden existierenden Figuren zu liefern, so dass ich mich schnell zu Hause gefühlt habe.

Der Krimiplot selbst ist solide konstruiert. Wir schauen unseren Ermittlern bei sehr klassischer Laufarbeit und Klinkenputzen zu, aber es wird nie langweilig, denn jedes Gespräch, jede Untersuchung bringt uns ein neues Puzzelstück. Gleichzeitig spüren wir die Frustration der Ermittler, dass es nicht so schnell vorangeht, wie sie sich erhofft haben, ohne selbst von fehlendem Tempo frustriert zu werden. Neben dem Hauptplot rund um die Tote im Grab haben wir zudem die Ermittlungen zu einem Attentat. Beides läuft gleichzeitig nebeneinander her, ohne Berührungspunkte zu haben, und trotzdem wirkt weder das eine noch das andere deplatziert. Beide Plotstränge bekommen genügend Zeit und die Ermittler gehen beiden mit gleicher Intensität nach.

Das Buch bleibt bis zum Schluss ein Page-Turner, auch wenn die Auflösung mir nicht so gut gefallen hat. Ich will natürlich nichts verraten, aber ich hatte am Ende das Gefühl, dass es etwas zu schnell ging. Das Tempo war von Beginn an eher langsam, auch wenn viele Dinge passiert sind, aber gerade in der Langsamkeit lag die Stärke, da ich das Gefühl hatte, dass ich Zeit hatte, die Informationen zu verdauen und selbst mitraten zu können. Dass das Tempo zum Schluss plötzlich so angezogen wurde, hat mich etwas rausgeworfen.

Fazit

Der Kriminalroman "Düstergrab" von Romy Fölck besticht durch einen solide konstruierten Plot und ein eingespieltes Ensemble von Charakteren. Obwohl das Erzähltempo eher langsam ist, bleibt es bis zum Schluss spannend und lässt den Leser Seite um Seite verschlingen. Auch für Neueinsteiger in der Reihe ist der Krimi geeignet, da die Autorin es versteht, die Hintergründe aller Figuren ausreichend zu präsentieren. Obwohl der Schluss auf mich etwas übereilt gewirkt hat, war ich rundum mehr als zufrieden mit dem Buch. Wer klassische Krimis mit lokalem Flair und einem großen Cast an Figuren mag, wird hier definitiv nicht enttäuscht!

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Spannung
Veröffentlicht am 28.07.2023

Spannendes Konzept, schwächelnde Umsetzung

Seaside Hideaway – Unsafe
0

Als ich diesen Buch in die Hand genommen habe, war ich sofort von seinem Potential überzeugt: Eine sommerliche Geschichte am Meer, die einen Schuss Suspense mitbringt, weil die Protagonistin mit ihrer ...

Als ich diesen Buch in die Hand genommen habe, war ich sofort von seinem Potential überzeugt: Eine sommerliche Geschichte am Meer, die einen Schuss Suspense mitbringt, weil die Protagonistin mit ihrer Familie im Zeugenschutzprogramm ist, klang nach einem Konzept, das genau mein Ding ist. Dazu kam ein Schreibstil, der modern und locker ist und damit gut zu den jungen Erwachsenen passt. Die ersten 100 Seiten habe ich innerhalb kürzester Zeit verschlungen, weil einfach alles gestimmt hat.

Leider hat das Buch in der Mitte dann deutlich an Fahrt verloren. Obwohl der Schreibstil stark blieb und die Geschichte emotional erzählt wurde, schwächelte die Umsetzung zunehmend. Ich rechne grundsätzlich damit, dass in Geschichten wie dieser bekannte Tropes vorkommen und damit einige Teile vorhersehbar sind – das ist ja gerade der Grund, warum ich Romance immer wieder lesen kann, obwohl die Geschichten nie das Rad neu erfinden. Aber hier mangelte es an einem echten Konflikt, den die Charaktere gemeinsam bewältigen mussten. Beide Protagonisten haben ihr Trauma, das sie größtenteils unabhängig von einander bearbeiten. Das gibt den Figuren Tiefe, aber spätestens nach der Hälfe des Buches gibt es keinen echten Plot mehr, da der erwähnte Konflikt fehlt.

Das Ende ist dann leider rundum vorhersehbar und zu schnell abgehandelt. Nach all der Zeit, die die Autorin sich genommen hat, die Hintergründe der Charaktere aufzubauen und zu erkunden, nach all der Vorarbeit, um einen echten Konflikt aufzubauen, zerfällt alles am Ende in nichts. Ein paar mehr Seiten, um den Protagonisten Zeit zum Atmen zu geben, wären schön gewesen. Gerade auch, weil wir am Ende einen Teaser auf Band zwei bekommen, der noch mehr Spannung verspricht. Wenn die beiden Hauptfiguren sich einen Moment länger mit den externen Bedrohungen befasst hätten, hätte der Teaser mich vielleicht mehr abgeholt.


Fazit

Mit „Seaside Hideaway – Unsafe“ ist Leonie Lastella ein solider Auftakt zu ihrer Dilogie gelungen. Emotional erzählt und mit Charakteren, die sich authentisch anfühlen, verspricht das Buch eine dramatische Geschichte um eine junge Erwachsene im Zeugenschutzprogramm. Leider fehlt es am Ende an einem echten Konflikt und so geht dem Buch in der zweiten Hälfte die Puste aus. Trotzdem empfehle ich das Buch gerade jenen, die nach einer Liebesgeschichte zum Wohlfühlen und Schwärmen suchen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.07.2022

Schwächer als Band 1

Ein Präsident verschwindet
0

Nachdem mir „Die Akte Adenauer“ so gut gefallen hatte, musste ich natürlich auch den Nachfolger über Philipp Gerber lesen, „Ein Präsident verschwindet“. Wieder geht es um reale Geschehnisse, die in einen ...

Nachdem mir „Die Akte Adenauer“ so gut gefallen hatte, musste ich natürlich auch den Nachfolger über Philipp Gerber lesen, „Ein Präsident verschwindet“. Wieder geht es um reale Geschehnisse, die in einen fiktiven Thriller verwoben werden, und wieder war der historische Teil sehr stark. Leider konnte mich der zweite Band aber nicht mehr ganz so begeistern wie der erste.


Geschichtsstunde mit farbenfrohen Figuren

Anders als der erste Band spielt sich in diesem Buch ein Großteil der Geschichte in Berlin ab – sowohl in West- als auch in Ostberlin. Damit ist der Hintergrund schon ein anderer und von Beginn an viel brisanter. Obwohl in den 50er Jahren die allgemeine Bevölkerung wohl noch nicht ahnen konnte, wie sich die Trennung Deutschlands in der Zukunft noch gestalten würde, ist die Anspannung auf jeder Seite mit den Händen zu greifen. Gerber ist dieses Mal auch noch mehr persönlich verwickelt in den Fall, und einige Figuren, die man schon vom ersten Teil kennt, treten auch wieder auf.

Die erste Hälfte des Buches ist stark und wird vor allem dadurch getragen, dass die internen politischen Intrigen zwischen den verschiedenen westdeutschen Organisationen, die den Fall aufklären wollen, durch menschliche Zwiste zu einem Pulverfass werden. Auch wenn Eva Herden im Mittelpunkt des Konflikts zu stehen scheint, hat sie kaum Auftritte, und in meinen Augen macht es den Plot stärker. Das Rätseln über ihre Handlungsmotivation auf der Seite von Gerber im Kontrast zu den offensichtlichen Verdächtigungen seiner Gegenspieler gibt dem historischen Konflikt eine mitreißende, persönliche Note.


Eine schwache zweite Hälfte

Umso enttäuschter war ich, als Eva schließlich selbst auftreten, denken, sprechen und handeln durfte. Hier wurde schnell klar, dass sie erneut praktisch keine agency hat. Interessanterweise hat das in diesem Buch auch Auswirkungen auf Gerber selbst. Obwohl er ein hochintelligenter und durchaus kampferprobter BKA-Ermittler ist, verliert er sich ebenso im Plot wie Eva. Immer wieder hatte ich das Gefühl, dass die Handlungsfreiheit aller Figuren eingeschränkt wurde, um die historischen Umstände darzustellen. Nicht die Motive von Gerber geben dem Plot Richtung, sondern äußere Umstände und weit entfernte Randfiguren.

Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, dass einige dieser Randfiguren – und auch Eva selbst – zwischendrin die Chance bekommen, über ihr eigenes Leben oder ihre Motive zu sprechen. Jedes Mal erscheint dies unnatürlich, ein langer Monolog über die Vergangenheit inmitten einer Szene, die eigentlich Tempo benötigt. Es wirkt ungelenk, als wollte man die ausgearbeitete Biografie der Figuren im historischen Setting noch einmal schnell unterbringen. Entsprechend ist das Ende unbefriedigend, da einerseits immer wieder das Tempo verloren gegangen ist, andererseits und viel schwerwiegender jedoch der Beitrag der Protagonisten zu gering erscheint.


Fazit

Der historische Thriller „Ein Präsident verschwindet“ fängt wie der erste Band stark an, verliert dann aber Richtung und Tempo. Obwohl Philipp Gerber als Ermittlerfigur nach wie vor spannend ist, gehen seine Beiträge zum Plot beinahe verloren vor dem historischen Hintergrund. Wo der erste Band noch wie ein Thriller, der zufällig zur deutschen Geschichte passt, gewirkt hat, nimmt der historische Kontext hier so viel Raum ein, dass die Geschichte selbst darunter leidet. Dennoch hat mir der zweite Band genug gefallen, um mich auf den dritten Teil, der 2023 erscheinen wird, freue.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere