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Veröffentlicht am 12.03.2019

Back to the roots

Die Frauen der Villa Fiore 1
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Wirtschaftsprüferin Giulia Massarini tut etwas, das sie sich nicht hat träumen lassen: sie kehrt heim. Aus New York. Zu ihren Wurzeln in der Toscana, nämlich auf das elterliche Weingut. So sehr sich ihre ...

Wirtschaftsprüferin Giulia Massarini tut etwas, das sie sich nicht hat träumen lassen: sie kehrt heim. Aus New York. Zu ihren Wurzeln in der Toscana, nämlich auf das elterliche Weingut. So sehr sich ihre Mutter Manuela, die ihrerseits aus Deutschland, aus einer Winzerfamilie an der Mosel stammt, über ihre Rückkehr freut, so reserviert reagiert Vater Lorenzo. Er hat nämlich ihren Weggang vor vielen Jahren nicht gut geheißen und kann sich seinen Triumph über ihr Scheitern, der ausgesprochen gehässig ausfällt, nicht verkneifen.

Dabei braucht Giulia doch Liebe und Zuwendung, da sie von ihrem Verlobten betrogen wurde - sowohl in der Liebe als auch finanziell. Er war ihr Chef und hat ihr eine Pleite "zugeschustert". So sehr sich Giulia über die Gesellschaft der Mutter und der beiden jüngeren Schwestern Bianca und Milena freut, so schwierig wird die Situation mit ihrem Vater. Während sie sich gerne einen Überblick über die Finanzen des elterlichen Betriebes, zu dem neben dem Weingut noch ein Restaurant, das ihre Schwester Bianca betreibt und Stallungen, für die Milena, die Jüngste im Bunde, zuständig ist, verschaffen würde, hat ihr Vater für sie eine Position in der Weinherstellung vorgesehen. Und zwar zunächst unter dem temporär für ihn tätigen Önologen, den Amerikaner Paul Reed. Der Giulia zunächst ziemlich auf die Nerven geht.

Doch es gibt auch weitere "Störfaktoren": direkt nach Giulias Rückkehr erleidet Kellermeister Alfredo einen Unfall - und es bleibt nicht bei diesem einen Unglück.

Sehr, sehr merkwürdig, das alles...

Was steckt der ganzen Geschichte? Und kann Giulias 90jährige Großmutter, die genauso bärbeißig ist wie ihr Vater, ihr einen Hinweis (oder sogar mehrere?) geben? Ich habe begeistert und gespannt gelesen, mit Giulia gehofft und gelitten und war ganz traurig, als das Buch ausgelesen war.

Constanze Wilken hat einen wunderschönen Spannungsroman geschrieben, in dem auch Atmosphäre und Herz eine große Rolle spielen. Die Protagonistin Giulia ent- und verliebt sich zugleich - ersteres bezieht sich auf ihren Verlobten Phil, der ihr übel mitgespielt hat und das zweite auf ihre Heimat, die Toscana: es ist eine wiedererwachte Liebe in nie gekanntem Umfang. Und es ist ja bekannt, dass eine Gegend, in der man sich pudelwohl fühlt, zu weiteren Emotionen führt. Ich habe mich auch gleich mitverliebt - in den Landstrich, wohlgemerkt - und könnte mir gut vorstellen, dass es mich in einem meiner nächsten Urlaube dort in die Gegend verschlagen wird.

Wobei ich das nach der Lektüre jedes ihrer Bücher sage - die spielen nämlich alle in eindrucksvollen, liebevoll beschriebenen Landschaften! Ich glaube, ich sollte vorsichtig anfragen, ob die Autorin für einen saisonalen Nebenjob zur Verfügung steht, nämlich als meine private Reiseplanerin.

Und vielleicht kann dann der nächste Toscana-Roman schon mit ins Gepäck, es soll nämlich eine Trilogie werden. Dieses war der erste Band. Gottseidank!

Veröffentlicht am 10.03.2019

Ein modernes Heldenepos

Makarionissi oder Die Insel der Seligen
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Ein modernes Heldenepos mit griechischem Einschlag hat Vea Kaiser verfasst, das aus meiner Sicht locker mit den "alten" mithalten kann. Die Autorin ist eine moderne junge Frau und hat folglich zeithistorische ...


Ein modernes Heldenepos mit griechischem Einschlag hat Vea Kaiser verfasst, das aus meiner Sicht locker mit den "alten" mithalten kann. Die Autorin ist eine moderne junge Frau und hat folglich zeithistorische Themen aufgenommen, die beiden hier in neun Gesängen besungenen Helden haben sich somit eher modernen Herausforderungen - solchen den 20. und 21. Jahrhunderts zu stellen, nicht den klassischen, mit denen es einst Homers Ilias zu tun bekam. Und es geht um Helden mit Macken - mit Schwächen und Fehlern, aber gerade das macht sie so glaubhaft und so verehrungswürdig.

Es ist eine Familiensaga mit allem drum und dran, die Vea Kaiser hier vorlegt, eine mit einem Helden und einer Heldin, einem liebenswerten Lebenskünstler der besonderen Art und einer ganz speziellen Furie: Lefti und Eleni, so heißen die beiden, Cousin und Cousine sind sie, die gegen Ende des 2. Weltkriegs das Licht der Welt erblicken und für kurze Zeit auch Mann und Frau, aber nur, weil ihre Großmutter das so wollte. Nach ihrer Hochzeit verschlägt es sie nach Hildesheim und da trennen sich ihre Wege schon recht bald. Für Lefti geht es nach St. Pölten in Österreich, Furie Eleni landet erst nach einer langen, mehrjährigen Tour durch verschiedene Länder auf der griechischen Insel Varissi. Die Familiengeschichte dieses so ungleichen - zeitweiligen - Paares wird hier ganz wunderbar aufgerollt und so lernt der Leser eine Reihe weiterer faszinierender Charaktere, meist aus der näheren und weiteren Verwandtschaft unserer beiden Helden kennen.

Köstlich, absolut köstlich und leckerer als die delikatesten Makkaroni (mit denen der Titel aber nichts zu tun hat) ist dieses wunderbar kluge, unterhaltsame, empathische, originelle witzige und absolut authentische Buch über diese zwei Menschen aus dem fiktiven nordgriechischen Örtchen Varitsi, ihren Wünschen, Hoffnungen, Zwängen, Ideen, Lösungen - und das Altern.

Vea Kaiser schreibt nicht wie die alten Griechen, sondern wie eine junge, quicklebendige Österreicherin und so gerät ihr Heldenepos nicht pompös und nahezu beängstigend bombastisch, sondern vielmehr warmherzig, witzig, spritzig und sehr stimulierend. Ich habe eine solche Autorin in der deutschsprachigen Literatur bislang noch nicht erlebt, für mich steht sie eher in der Tradition von John Irving, was Originalität, Stil. Leichtigkeit und eine ganz besondere, sehr angewandte Art von Weisheit anbelangt.

Viel kluges Wissen, aber noch mehr Herz ist in dieses wunderbare Buch, das ich jedem empfehle, der noch zwei Hände zum Halten bzw. zwei Ohren zum Hören (es liegt auch als Hörbuch vor) hat - man erschließt sich definitiv neue Welten! Es ist unglaublich, dass ein so junger Mensch wie Vea Kaiser so anrührend über das Alter und das Älterwerden schreiben, Verständnis für unterschiedliche Generationen entwickeln kann. Dies ist aus meiner Sicht ein ganz besonderes, inhaltlich gesehen durchaus globales Kleinod der deutschsprachigen Literatur, das man hegen und pflegen und mit Literaturpreisen nur so bombardieren sollte!

Veröffentlicht am 10.03.2019

Landstreicher(in) Gottes

Mit Gott durch dick und dünn
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"Mit Gott durch dick und dünn": selten hat ein Buchtitel besser gepasst, denn die Autorin ist in ihrem Leben tatsächlich IMMER mit Gott gegangen, will sagen: sie ist ihm gefolgt. Denn Corrie ten Boom hatte ...

"Mit Gott durch dick und dünn": selten hat ein Buchtitel besser gepasst, denn die Autorin ist in ihrem Leben tatsächlich IMMER mit Gott gegangen, will sagen: sie ist ihm gefolgt. Denn Corrie ten Boom hatte einen direkten Draht zu Gott - sowohl in Form einer Zwiesprache als auch durch Empfang von Botschaften, Weisungen und Fingerzeigen.

Corrie ten Boom war eine Frau, die viel gelitten hat, nicht zuletzt im Konzentrationslager der Nationalsozialisten - sie verlor ihre Schwester in Ravensbrück während der gemeinsamen Internierung. Das ist nur ein Beispiel - es gab viele, viele dunkle Momente im Leben von Corrie ten Boom, die ursprünglich Uhrmacherin war. Doch die meisten Wege ist sie als Botschafterin Gottes in den verschiedensten Missionen gegangen, Missionen, die sie rund um die Welt führten und die sie oft ohne große Vorbereitungen startete - im vollsten Vertrauen zu Gott.

Dieses Gottvertrauen verließ den "Landstreicher Gottes", wie sie sich selbst bezeichnet, nicht einmal in den dunkelsten Stunden, denn sie hat - zumeist im Nachhinein - stets erfahren - manche würden sagen: interpretiert - wozu das ein oder andere Leid erforderlich war.

Corrie ten Boom schreibt klar und gradlinig, dabei durchaus unterhaltsam. Ein Buch, das nicht nur zum Alleine-Lesen verführt, sondern gerade auch für Diskussionen geeignet ist, bspw. im Rahmen des Konfirmandenunterrichts oder diverser Gesprächskreise in Gemeinden ebenso wie im Religionsunterricht der Schulen. Es lohnt sich für einen jeden, diese ganz besondere Frau kennenzulernen!

Veröffentlicht am 03.03.2019

Ein eindringlicher und aufschlussreicher Spaziergang an den Ufern der Seine

An den Ufern der Seine
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Spannender als jeder Roman ist die vorliegende Publikation zu den "magischen" Jahren von Paris zwischen 1940 und 1950.

Es war durchgehend keine einfache Zeit, die mit einer der schwärzesten ...

Spannender als jeder Roman ist die vorliegende Publikation zu den "magischen" Jahren von Paris zwischen 1940 und 1950.

Es war durchgehend keine einfache Zeit, die mit einer der schwärzesten Phasen, die Frankreich je durchlebte, begann: nämlich mit Vichy-Frankreich; der mehrere Jahre währenden Besatzung durch das nationalsozialistische Deutschland, in der das selbständige politische Leben Frankreichs quasi stillgelegt war. Man achte auf das Wörtchen "quasi": denn es entstand eine rührige Gegenbewegung, die Resistance, angeführt vom späteren französischen Präsidenten Charles de Gaulle, bis dahin ein Niemand.

Die Künstler und Kulturschaffenden jener Zeit, die im vorliegenden Band im Vordergrund stehen, ignorierten zum Teil die Politik - soweit das mit leeren Mägen und in kalten Räumen (wenn überhaupt vorhanden) möglich war, engagierten sich in der Resistance oder versuchten, sich irgendwie durchzuschlängeln. Einige kollaborierten auch ganz offen - mehr oder weniger, was ihnen natürlich zeitweise enorme Vorteile verschaffte, später allerdings Kritik, Ächtung oder auch den Tod einbrachte.

Was daran so magisch war? Nun, zum Teil sicher der Umstand, das trotz widriger, teilweise widrigster Umstände eine brodelnde Kreativität herrschte, die ihresgleichen suchte und aus mehreren Quellen genährt wurde: einmal dem Zusammenhalt, der in vielen Kreisen, die manches Mal zu einem zusammenschmolzen, herrschte. Dann der Umstand, dass Paris heil blieb, auch wenn die Wehrmacht vor ihrem Rückzug bereits Sprengsätze gelegt hatte. Und natürlich das Phänomen der Gleichheit, das für kurze Zeit geherrscht hatte. Ein Abglanz davon blieb und zog bspw. den afroamerikanischen Autor Richard Wright 1946 in die Stadt. Er blieb, weil er erlebte, was er aus den Staaten nicht kannte: man sah bzw. akzeptierte ihn als Amerikaner, seine Hautfarbe spielte keine Rolle.

Das sind ein paar kleine Puzzlesteine, die die Frage nach der Besonderheit von Paris in diesem einen Jahrzehnt zwar nur unzulänglich, aber doch teilweise beantworten. Sicher kann jeder Leser dieses erfüllenden Buches einen eigenen speziellen Aspekt, der ihm aufgefallen ist, hinzufügen.

Wieder und wieder ergriff mich Bewunderung für die Autorin Agnès Poitier: wie nur hatte sie diese ganzen Details herausfinden können? Das Wissen, das in diesem Buch gebündelt ist, ist einfach unglaublich. Doch man sollte darauf gefasst sein, dass sie Meinung bezieht - unabsichtlich sicher, doch als Konsequenz ihrer Recherchen sicher nicht zu vermeiden. So kommt bspw. Gerhard Heller, der für die Literaturpolitik der deutschen Besatzungsmacht in Frankreich war und mit dem als Bewunderer der französischen Kultur einiges geregelt werden konnte, von ihr als relativ liberal dargestellt - so, wie er sich selbst wohl sah. In anderen Schriften wird er um einiges strenger beurteilt. Doch dies ist ein Umstand, der aus meiner Sicht überhaupt nicht störend ist, man sollte sich seiner nur bewusst sein.

Insgesamt ist dieser Band, dieser durchaus ausführliche Spaziergang an den Ufern der Seine, ein ganz besonderes Kleinod, ein Kunstwerk für sich, das ich jedem, der Frankreich liebt, ans Herz lege!

Veröffentlicht am 01.03.2019

Willis letzter Wille

Rückwärtswalzer
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Willi ist tot: er stirbt, nachdem der Leser ihn bereits kennen- und lieben gelernt hat, aber (noch) nicht weiß, warum nicht nur seine Frau, die jüngste der drei in diesem Roman zentral agierenden ...

Willi ist tot: er stirbt, nachdem der Leser ihn bereits kennen- und lieben gelernt hat, aber (noch) nicht weiß, warum nicht nur seine Frau, die jüngste der drei in diesem Roman zentral agierenden Schwestern, nämlich Hedi, darauf besteht, ihm seinen großen Wunsch zu erfüllen und ihn auf seinem letzten Weg in seine Heimat Montenegro zu begleiten. Nein, auch die beiden älteren Miri und Wetti, beide um die Siebzig, legen größten Wert darauf, mitzufahren und zwar mangels finanzieller Ressourcen im Auto statt im Rahmen einer offiziellen Überführung. Im Auto, das chauffiert wird vom gemeinsamen Neffen Lorenz, der fünften Hauptfigur des Romans neben Willi und den Schwestern, für ihn Tanten (ein im Buch sehr häufig vorkommender Begriff). Lorenz durchläuft aus meiner Sicht die größten Veränderungen aller im Roman vorkommender Charaktere und das sind insgesamt weiß Gott nicht gerade wenige. Wir begleiten die Protagonisten längst nicht nur auf diesem Weg und erfahren so einiges, nicht nur den Grund der Verbundenheit aller drei Tanten mit Willi.

Auf den neuen Roman der Autorin habe ich gewartet, seit ich "Makarionissi" aus der Hand gelegt habe und jede Seite, jeder Satz, ja jedes einzelne Wort hat meine Geduld aufs Tausendfache belohnt. Vea Kaiser schreibt mit einer Leichtigkeit, die ihresgleichen sucht, auch über schwere und schwerste Themen wie Tod und Verlust. Ihr Stil ist immer durchtränkt von etwas Frechem, aber auf eine unglaublich warmherzige und liebevolle Art. Etwas amüsiert Wienerisches.

Es ist einmal mehr ein Familienroman geworden, einer, der die Familie mit all ihren Auswüchsen, Widersprüchen, Irrwegen und Streitigkeiten mit großer Liebe darstellt, einer Liebe, die jedes Mitglied einbezieht, auch wenn es noch so große Abwege geht wie bspw. Onkel Gottfried, der nicht nur das Popscherl seiner Gattin Mirl liebt, sondern auch (fast) jedes andere, dem er so begegnet im Laufe des Tages. Zudem widmet sich Vea Kaiser auch der kleinsten Nebenfigur mit großer Sorgfalt, ohne sich dabei in Kleinigkeiten zu verlieren, wobei großartige Passagen wie "In der Bibel hieß es, der Teufel rieche nach Schwefel. Die Verfasser hatten Tante Christl nicht kennengelernt." (S.225) entstanden sind.

Vor allem aber erstaunt mich, dass die Autorin, die selbst gerade erst die Dreißig überschritten hat, einer lange vor ihr geborenen Generation (derjenigen, die im Zweiten Weltkrieg, kurz davor und danach zur Welt kamen) eine derartig uneingeschränkte Liebe und Achtung und vor allem ein unendliches Verständnis entgegenbringt.

Nur Vea Kaiser schafft es, Vergleiche wie "Hedis ehemals harmonisches Zuhause glich einem Nebenschauplatz des Balkankrieges" (S. 338) zu ziehen. Oder auch, kulturhistorische Hinweise auf Beerdigungsrituale gewisser Kulturen zu geben: "Und alle Männer, an denen der Sarg vorbeigetragen wurde, hatten sich aus Respekt vor dem Toten an die Hoden gefasst. Weil der Tod und das Leben zusammengehörten...."(S.398)

Interessant fand ich auch das Vorhandensein zweier Themen im Roman, die sich wie ein roter Faden hindurchziehen: nämlich Bären und die Stadt Wien. Leidenschaftliche Leser werden sofort erkennen, worauf ich hinauswill, nämlich auf den Bezug zu John Irving und zu seinem Roman "Hotel New Hampshire", meinem absoluten Lieblingsroman aller Zeiten. Seit zig Jahren. Bisher. Denn "Rückwärtswalzer" kann ihm absolut das Wasser reichen. Was aber nicht bedeutet, dass ich zum absoluten Leseglück unbedingt Bären und Wien brauche. Glaube ich jedenfalls.