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Veröffentlicht am 05.07.2021

Der verlorene Osten

Raumfahrer
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Das ist die tiefste sächsische Provinz, wo es kaum mehr was Schönes zu sehen gibt - keine sensationelle Altstadt wie in Dresden oder auch im niederschlesischen Görlitz, das nun auch ein Teil ...

Das ist die tiefste sächsische Provinz, wo es kaum mehr was Schönes zu sehen gibt - keine sensationelle Altstadt wie in Dresden oder auch im niederschlesischen Görlitz, das nun auch ein Teil Sachsens ist, keine umwerfende Landschaft wie im Erzgebirge.

Nein, Jan und sein Vater wohnen in einer absolut trostlosen Kleinstadt, in der es nichts gibt, bald auch kein Krankenhaus mehr. Und damit auch keine Arbeit mehr für Jan, der dafür zuständig ist, die Kranken zu nicht notwendigen Untersuchungen und Behandlungen zu bringen, die das Krankenhaus dann abrechnen kann. Nein, es ist wirklich nichts los in dieser unglaublich abgelegenen Stadt; hier wird der Begriff der Einsamkeit, der Abgeschiedenheit noch einmal neu definiert.

Es geht nicht nur um Jan, einem Kind der Nachwendezeit, sondern auch um die Familie Kern - ein alter, hilfloser Mann aus dieser Familie quatscht Jan im Krankenhaus an und meint, dass seine Familie was mit der von Jan zu tun hatte. Oder Jans Leute den Kerns sogar etwas schuldig sind?

Jan begreift das ganz und gar nicht, es trägt nur dazu bei, dass er sich noch einsamer und vergessener fühlt. Auch wenn die Kerns offenbar was mit dem berühmten Georg Baselitz zu tun haben. Nein, tot ist der nicht, aber im Westen und taucht auch nicht mehr auf im Osten.

Eine eindrucksvolle Geschichte, aus der jedoch Jan, die Hauptfigur, an vielen Stellen ausgeklammert bleibt. Das ist natürlich so gedacht, es ist kein Zufall, dass sich in dieser abgeschiedenen Stadt selbst die Einwohner noch vergessen fühlen. Und dann erwartet man von ihnen noch, mit einer alten Schuld fertig zu werden? Oder haben sie das, wie vieles andere, auch falsch verstanden?

Ein Roman über die Reste der DDR, dem, was eigentlich keiner mehr wollte. Ein sicher sehr kraftvoller Roman, der mich trotz seiner starken Botschaft nicht so bedingungslos erreichen und fesseln konnte wie andere Romane zu diesem Thema. Bspw. "Die Glasschwestern" von Franziska Hauser oder auch "Die Gespenster von Demmin" von Verena Keßler.

Veröffentlicht am 26.06.2021

Etwas vom Leben

Ein Junggeselle zum Verlieben
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haben sowohl Willow als auch George - beide Mitte 50 . Wenn auch auf völlig unterschiedliche Art und Weise. Kennengelernt haben sich die beiden über Melissas Enkel Collin, der Georges Schüler war - bis ...

haben sowohl Willow als auch George - beide Mitte 50 . Wenn auch auf völlig unterschiedliche Art und Weise. Kennengelernt haben sich die beiden über Melissas Enkel Collin, der Georges Schüler war - bis zu seinem Abitur, das zeitgleich mit Georges sehr frühem Eintritt ins Rentenalter stattfindet.

Sie scheinen völlig unterschiedlich zu sein: Willow ist der flippige Typ, auch ihre Eltern waren schon Hippies. Sie malt und hat eine Galerie eröffnet, in der sie nicht nur eigene Werke ausstellt. Zudem erzieht sie ihren mittlerweile fast erwachsen gewordenen Enkel quasi seit seiner Geburt.

Bei George Emerson hingegen scheint die Zeit stehengeblieben zu sein - das Haus des Junggesellen ist eingerichtet wie vor 70 Jahren - was die alleinstehenden Frauen der Umgebung allerdings nicht davon abhält, hinter ihm her zu sein. Denn George ist aufmerksam und liebenswert, auch mit seinen Schülern kam er gut zurecht.

Es ist ein wundervolles und durchaus intelligentes Buch, in dem es um grundlegende Werte sowie die Wertschätzung gegenüber anderen Menschen geht. Mit Toleranz, Offenheit und Wärme kommt man ganz schön weit und die gläubige Willow schafft es sogar, dem atheistischen George einen Zugang zu Gott zu öffnen. Schafft sie vielleicht auch mehr?

Ein warmherziger Roman, der fast an mir vorbeigegangen wäre und zwar war das dem etwas betulichen deutschen Titel geschuldet. Auf Englisch heißt es "Courting Mr. Emerson" - eine geniale Anspielung auf den umworbenen George und dessen Verehrung für seinen Namensvetter, den amerikanischen Philosophen und Atheisten Ralph Waldo Emerson. Schon dieser macht deutlich, dass hinter diesem Roman eine Menge Symbolik steckt.

"Ein Junggeselle zum Verlieben": das klingt hingegen ziemlich altbacken, mein Mann dachte sogar, ich würde jetzt einen Kitschroman lesen. Nachdem ich ihm den gesamten Inhalt erzählt habe, hat er seine Meinung geändert!

Veröffentlicht am 14.06.2021

Dr. Siri auf einem internationalen Event

Dr. Siri und die Spiele der Rattenfänger
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Moskau 1980: aufgrund des Boykotts vieler westlicher Staaten werden die sozialistischen Bruderstaaten, darunter natürlich auch Laos, ganz besonders gepempert.

Siri wird die Ehre zuteil, medizinischer ...

Moskau 1980: aufgrund des Boykotts vieler westlicher Staaten werden die sozialistischen Bruderstaaten, darunter natürlich auch Laos, ganz besonders gepempert.

Siri wird die Ehre zuteil, medizinischer Berater der laotischen Mannschaft zu werden´ Natürlich mit allem Zipp und Zapp, wie es sich gehört. Und das will er genießen, hat er doch zusammen mit seiner Gattin Madame Daeng die Trickkiste ausgepackt, damit dies gelingt.

Obwohl eigentlich nur koschere und zigmal überprüfte "Sportler" mitfahren dürfen, kommt schon bald der Verdacht auf, dass ein Mitglied der laotischen Delegation nicht derjenige ist, für den er sich ausgibt...

Wenn man - wie ich - diese Spiele kritisch aus der Ferne beobachtet hat, ist dies ein köstlicher Spaß, bei dem mir nur manchmal die ständige Tollpatschigkeit des laotischen Teams auf die Nerven ging. Ansonsten ist Dr. Siri erfrischend schräg und unterhaltsam wie eh und je!

Veröffentlicht am 13.06.2021

Eine Kämpferin

Sturmvögel
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Das war Emmy zeitlebens - und sie ist es noch in hohem Alter. In tiefer Armut auf einer Nordseeinsel aufgewachsen, hat sie das Schicksal schon früh nach Berlin verschlagen - und zwar als Dienstmädchen. ...

Das war Emmy zeitlebens - und sie ist es noch in hohem Alter. In tiefer Armut auf einer Nordseeinsel aufgewachsen, hat sie das Schicksal schon früh nach Berlin verschlagen - und zwar als Dienstmädchen. Ihre jüngeren Geschwister wurden anderweitig untergebracht und sie sah sie niemals wieder - das war damals eben so.

Emmy arrangierte sich sehr gut bei der neuen Herrschaft, zumal sie in der Köchin gleich von Beginn an eine Vertraute hatte.

Eine eigene Familie gründete sie auch, auch das war nicht gerade leicht: sie hatte sich sozusagen hochgeheiratet, was mehr oder weniger dem Zufall geschuldet war - dennoch wurde es ihr zeitlebens vorgehalten, vor allem von der Schwiegermutter, für die das ein unglaublich beschämender Zustand war.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stand sie ohne Mann, aber mit drei Kindern da und so langsam relativierte sich das alles mit den Ständen und den Schichten.

Und Emmy blieb, was sie zeitlebens gewesen war: bodenständig, eine gute Menschenkennerin - und denen, die es nötig hatte, war sie immer bereit, unter die Arme zu greifen. Aber eines kam gar nicht infrage: sich wie eine Weihnachtsgans ausnehmen zu lassen.

Deswegen sollte ein Teil ihrer Kinder auch ganz schön ins Staunen kommen, als es um die Verteilung der Besitztümer ging.

Ein spannender Roman, in dem es aus meiner Sicht teilweise zu verwegen zugeht. Aber oft ist das Leben ja um einiges überraschender als jeder Roman - daran musste ich immer wieder denken in diesem Roman, der die Stärke der Frau feiert.

Nicht jeder Frau natürlich, sondern nur der, die Herz und Verstand an der richtigen Stelle hat. Das wird in vorliegendem Roman immer wieder und in jeder Generation deutlich!

Veröffentlicht am 10.06.2021

Emanzipation im wilden Westen

Zu Befehl, Frau Doktor!
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Hand aufs Herz: der Wilde Westen des späten 19. Jahrhunderts ist nicht gerade als Hort der Emanzipation bekannt. Nein, ganz im Gegenteil: Frauen mussten gerettet werden, waren Hausmütterchen, Bedienstete ...

Hand aufs Herz: der Wilde Westen des späten 19. Jahrhunderts ist nicht gerade als Hort der Emanzipation bekannt. Nein, ganz im Gegenteil: Frauen mussten gerettet werden, waren Hausmütterchen, Bedienstete oder Halbseidene, die im Saloon oder gleich im Bordell arbeiteten.

In vorliegendem Roman begegnen wir der Ärztin Josephine Burkett, Doc Joe genannt, die es zu einer eigenen Praxis in einer texanischen Kleinstadt und zu einigem Ansehen gebracht hat. Von einem Hausmütterchen ist bei ihr nichts zu spüren, statt dessen geht sie nicht zimperlich mit schwierigen Patienten und vor allem: mit deren Begleitung um.

Eines Tages landen bei ihr auch vier "Hangers Reiter", eine Vereinigung von vier ehemaligen Soldaten unter Hauptmann Matthew Hanger, die nach etlichen traumatischen Erlebnissen nicht mehr töten (bzw. nur im Notfall), sondern helfen will - als eine Art Söldner für die gute Sache, womit sie sich bereits einen Ruf gemacht haben.

Da einer von seinen Männer bei einem Einsatz schwer verletzt wurde, landet Matthew Hanger bei Jo, nichts ahnend, dass es sich bei ihr um eine attraktive Frau handelt. Obwohl beide nicht gerade als sanfte Wesen bezeichnet werden können, kommen sie sich etwas näher - und bald schon braucht Jo die Unterstützung von "Hangers Reitern".

Es handelt sich dabei um eine Sache, die mit ihrem leichtsinnigen Bruder - strengere Gemüter würden ihn durchaus auch als nichtsnutzig bezeichnen - zu tun hat. Diese wird heftiger als erwartet und bald schon geraten Jo und die Reiter in ziemliche Schwierigkeiten.

Doch sie vertrauen auf Gottes Hilfe!

Ich liebe die Romane der Autorin, da sie ein Herz für Frauen hat und ihre Darstellung der weiblichen Charaktere in ihren meistenteils mit 19. Jahrhundert spielenden Romanen eine durchaus ungewöhnliche ist. Bei ihr stehen die Frauen aus unterschiedlichen Gründen und in den verschiedensten Situationen stets ihren Mann.

All das wird in spannende Geschichten mit viel Charme und noch mehr Humor verpackt, wobei letzterer im zweiten Teil des vorliegenden Romans leider etwas knapp ausfiel.

Dennoch habe ich ihn wieder mit Freude gelesen und mit Genuss ein paar Stunden im wilden Westen verbracht. Ja, Karen Witemeyer vermag das Thema "Emanzipation im Wilden Westen" auf luftig-leichte Art, dennoch mit Tiefgang rüberzubringen!