Profilbild von TochterAlice

TochterAlice

Lesejury Star
offline

TochterAlice ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit TochterAlice über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.10.2019

Ihrer Zeit voraus

Die Zeit des Lichts
0


war die Fotografin Lee Miller auf jeden Fall!

Die Amerikanerin startete als Model, das war ihr aber zu wenig - sie wollte die Abläufe erkennen und vor allem bestimmen und hinter der Kamera stehen.

Mit ...


war die Fotografin Lee Miller auf jeden Fall!

Die Amerikanerin startete als Model, das war ihr aber zu wenig - sie wollte die Abläufe erkennen und vor allem bestimmen und hinter der Kamera stehen.

Mit dem Vorsatz, sich beruflich als Fotografin zu etablieren, hob sie ab - nicht geistig, sondern rein körperlich: 1929 siedelte sie um nach Paris, wo der
Bär steppte - meinte sie.

Und für sie war das auch der Fall, denn ihre Begegnung mit Man Ray änderte ihr Leben und ebnete ihr den Weg als Künstlerin. Denn das war sie. Und auch eine ganz besondere Frau.

Dennoch wurde sie - wie in der Zeit üblich - weniger gewürdigt als viele Männer, die teilweise längst nicht so begabt waren wie sie. Wie schmerzhaft!

Ihren Debütroman widmet die amerikanische Autorin Whitney Scharer Lee Miller - und sieht sie aus der Perspektive der Gegenwart, rückt ihre "Zeit des Lichts" sozusagen ins rechte Licht. Aus der Sicht der Frauen von heute wird deutlich, welche Ungerechtigkeit ihr widerfuhr, nicht nur durch Man Ray selbst, sondern auch durch gesellschaftliche Konventionen.

Wir begegnen hier einer wahrhaft interessanten und ausgesprochen mutigen, ja tollkühnen Frau: einer, die in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs bereits befreite Konzentrationslager sah, die noch zu dessen Lebzeiten in Hitlers Badewanne lag (ohne sein Wissen: während er in Berlin im Führerbunker seinen Selbstmord vorbereitete, enterten die Amerikaner bereits sein Haus in München).

Lee Miller - eine Legende. Aber Obacht - Legenden werden geschaffen. Und dies ist die subjektive Sicht einer Autorin, die sich vorrangig auf die Zeit Lee Millers mit Man Ray konzentriert. Mich haben vor allem die erwähnten kurzen Sequenzen zu Lee Millers Zeit als Kriegsreporterin fasziniert - zu wenig gab es davon aus meiner Sicht. Mir fehlte also etwas in diesem Roman - aber andere Leser mögen dies anders bewerten.

Veröffentlicht am 10.10.2019

Überaus verwirrend

Fliege fort, fliege fort
0

Tatsächlich sind die Verhältnisse im beschaulichen Fürth am See überaus verwirrend: denn zunächst hat der Leser mit einer ganzen Riege von Protagonisten zu tun, die quasi an ihm vorbeiflanieren. In einem ...

Tatsächlich sind die Verhältnisse im beschaulichen Fürth am See überaus verwirrend: denn zunächst hat der Leser mit einer ganzen Riege von Protagonisten zu tun, die quasi an ihm vorbeiflanieren. In einem bunten Durcheinander und immer wieder in anderen Zusammenhängen, wobei man rasch erkennt, dass tatsächlich "alles mit allem zusammenhängt".

Denn es gibt verschiedene Ereignisse und Übergriffe, vor allem auf ältere Menschen. Doch statt Hilfe zu holen oder anzuprangern, schweigen sie oder tun es ab. Verharmlosen.

Und dann gibt es eine Entführung - die der kleinen Elvira, einer Maid mit Format. Wie es insgesamt ein Genuss ist, in Hochgatterers Werken über Kinder zu lesen. Da findet er, der nicht nur als Autor, sondern auch als Kinderpsychiater tätig ist, liebevolle, warme, auch heitere Worte - man merkt, dass es ihm Vergnügen bereitet. Das er auf mich übertragen hat!

Doch nicht alles war so klar und eindringlich wie die Elvira-Passagen, knubbelten sich doch zu viele Sujets und zu viele Figuren in diesem schmalen Band. Wobei ich dazu rate, sich an die Herren Raffael Horn, Psychiater und Ludwig Kovacs, Kommissar, zu halten.
Denn wo sie sind, ist das zentrale Sujet nicht weit. Horn und Kovacs nämlich sind alte Bekannte aus "Die Süße des Lebens" und "Das Matratzenhaus", die mit dem vorliegenden Roman eine Art Furth-am-See-Serie bilden. Wer also diese bereits kennt, genießt eine gewisse Vorkenntnis, ja Souveränität. Warum ich sie angesichts des agierenden Kommissars nicht als Krimi bezeichne? Weil er keiner ist - eher eine Art philosophischer Blick auf die Menschen in und um Furth am See und auf ihre Belange. Den Sie nur rezipieren sollten, wenn Sie sich so richtig wach und agil fühlen - ansonsten können Sie gleich wieder von vorne beginnen. Weil die Gedanken und Darlegungen des Paulus Hochgatterer nämlich von einer solchen Dichte sind, dass Sie keine davon verpassen bzw. überlesen sollten!

Veröffentlicht am 04.10.2019

Brüder unter sich

Dreck am Stecken
0

Wenn da nicht der Opa wäre, der ihnen eines Tages quasi zulief. Aber nun, wo die Mutter ihrem Leben ein Ende bereitete, müssen sie alleine klar kommen. Und mit dem Opa. Irgendwie klappt das - obwohl ihr ...

Wenn da nicht der Opa wäre, der ihnen eines Tages quasi zulief. Aber nun, wo die Mutter ihrem Leben ein Ende bereitete, müssen sie alleine klar kommen. Und mit dem Opa. Irgendwie klappt das - obwohl ihr Leben nicht das leichteste ist, machen sie alle etwas daraus, beziehungsweise lassen es machen. Jeder auf seine Art.

Vier Brüder, so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Nach Opas Tod finden sie wieder zu einander - und sich allesamt auf einer überaus merk- und denkwürdigen Beerdigung wieder.

Und dann gibt es noch weitere Informationen, die zeigen: Ja, Opa hatet Dreck am Stecken. Aber er hat es wenigstens kapiert, im Gegensatz zu so einigen anderen!

Ein Familienroman über Zusammenhalt, über das innere Entfernen voneinander - mehr noch über das Zueinanderfinden, über Akzeptanz und Toleranz - wenn auch auf sehr spezielle Art. Denn sind wir nicht alle gewissermaßen speziell?

Diesbezüglich bringt uns Autorin Alexandra Fröhlich klar auf den Boden der Tatsachen zurück - manchmal muss man etwas eigentlich Inakzeptables wagen, bzw. annehmen, um sich bewegen zu können.

Eine Art moderne Räuberpistole: Humor mit beklemmend realistischem historischen Hintergrund. Schießt manchmal über das Ziel hinaus, stellenweise sogar ziemlich weit! Dennoch sehr lesenswert, denn dieser Roman führt uns auf ziemlich spektakuläre Art recht unangenehmen Aspekten deutscher Geschichte zu. Ein Buch, das eine wunderbare Filmvorlage abgeben würde. Für die vier so unterschiedlichen (Halb)Brüder habe ich schon den ein oder anderen Darsteller im Blick - Sie vielleicht auch? Denn hier wird eine Geschichte erzählt, die zum Kopfkino verführt und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich dem jemand entziehen kann!

Veröffentlicht am 03.10.2019

Südafrika und Italien

Gewundene Pfade
0

Wie passt das wohl zusammen? Autorin Irma Joubert setzt mit der Handlung ihres Romans in den 1920er Jahren ein: wir lernen die Südafrikanerin Lettie, Tochter eines Arztes und seiner Frau sowie den Norditaliener ...

Wie passt das wohl zusammen? Autorin Irma Joubert setzt mit der Handlung ihres Romans in den 1920er Jahren ein: wir lernen die Südafrikanerin Lettie, Tochter eines Arztes und seiner Frau sowie den Norditaliener Marco, der in einem kleinen Dorf in den Bergen aufwächst, kennen.

Lettie hat liebevolle Eltern, sieht sich aber früh als graue Maus unter edlen Schwänen - ihren Freundinnen Annabel, Klara und Christine. Während Christine und Klara sie warmherzig in ihrer Mitte aufnehmen, sticht Annabel immer wieder mit spitzen Randbemerkungen tief in Letties wunde Stellen. Und nicht nur in ihre - doch die Jungs sind trotzdem hinter ihr her, ebenso wie hinter Klara und Christine. Lettie jedoch bleibt allein - auch während ihres Medizinstudiums, das sie fern von den anderen absolviert, um danach als Ärzin in ihren Heimatort zurückzukehren und in der Praxis ihres Vaters mitzuarbeiten.

Inzwischen sind die Jahre ins Land gezogen - der zweite Weltkrieg hat die Welt zerstört. Und auch das Leben des Italieners Marco, der zunächst ein behütetes Leben führte, dem Kriegsende jedoch im Konzentrationslager Birkenau entgegensieht. Wie es dazu wohl kommen konnte? Kaum zu glauben, dass er überlebt, wenn auch gerade so - zum Glück! Nicht minder erstaunlich ist es, dass seine Wege über sein Heimatdorf nach Südafrika führen - in Letties Heimatdorf, wo er als Lehrer arbeitet.

Über Umwege finden sie zueiander und gründen eine Familie - doch stets hängen die Folgen des Zweiten Weltkrieges wie dunkle Wolken, die man einfach nicht loswird. Das Schicksal des Paares steht im Zusammenhang von einer reichhaltigen Rahmenhandlung mit zahlreichen Nebenfiguren, mit denen sie erleben, die ihr zeigen, was Freundschaft und Wertschätzung ist und auch ihr starker Glaube nicht nur an Gott, sondern vor allem an die Gerechtigkeit hilft ihnen, sowohl einzeln als auch später als Paar, so manche Situation durchzustehen..

Ich habe schon einige Romane der Autorin Irma Joubert gelesen, doch dies ist der erste, in dem Musik eine große Rolle spielt - sowohl im weltlichen als auch im religiösen Zusammenhang. Eine Überraschung, die ich als sehr gelungen empfinde.

Die Autorin Irma Joubert eröffnet neue Perspektiven, Blickwinkel und Aspekte. Manches wird nicht so vertieft bzw. erläutert, wie ich es mir gewünscht hätte, dennoch habe ich dieses fesselnde Buch nicht aus der Hand legen können. Mitreißend, aufwühlend, ab und an auch überraschend: ein historischer Roman über die Lebenswege besonderer Menschen, der lesenswert ist. Wenn auch ein Glossar und ein spezielles Nachwort für die deutsche Ausgabe, in dem landesspezifische Aspekte erläutert werden, ausgesprochen hilfreich gewesen wäre!

Veröffentlicht am 26.09.2019

Diverse Verquickungen

Der Verein der Linkshänder
0

Ein Krimi, in dem Nesser seine beiden bekannten Serien-Settings ebenso wie die Kommissare beider Reihen - van Veeteren und Barabarotti wie auch deren jeweiliges Umfeld - einbringt - sie ermitteln ...

Ein Krimi, in dem Nesser seine beiden bekannten Serien-Settings ebenso wie die Kommissare beider Reihen - van Veeteren und Barabarotti wie auch deren jeweiliges Umfeld - einbringt - sie ermitteln in einem Fall, der sowohl geographisch als auch chronologisch weite Kreise zieht.

Der "Verein der Linkshänder" wurde in den 1960er Jahren von Schülern in Oosterby nahe Maardam, also im Einzugsgebiet von van Veetering - gegründet und seine Mitglieder tauchen in Verbindung mit einem Fall, der 1991 stattfand, einem Brand, bei dem vier der fünf Anwesenden ums Leben kamen, als Opfer wieder auf. Der fünfte wird als Täter identifiziert, jedoch nicht gefasst.

Nun taucht Jahre später - van Veeteren feiert mit Lebensgefährtin Ulrike dort seinen 75sten Geburtstag bzw. haben sie sich vor drohenden Gratulanten dort versteckt - eine Leiche auf, die alsbald die des fünften Mitglieds identifiziert wird. Sein Tod kann in etwa zur selben Zeit wie der der anderen stattgefunden haben. Folglich war er definitiv nicht der Mörder - aber wer war noch involviert?

Das alles zieht weite Kreise und entwickelt sich - wie es einem Rentner wie van Veeteren geziemt - eher langsam. Daher erahnt der Nesser-gestählte Leser bereits recht früh die ein oder andere mögliche Wendung. Nun, man ist manchmal auf dem Holzweg, aber längst nicht immer und da ich mitnichten die geborene Spürnase bin, gehe ich davon aus, dass andere Leser hier noch lange vor mir wesentlich mehr Ahnung vom konkreten Ausgang hatten.

Der besondere Charme liegt darin, dass der Fall auch nach Schweden führt, wo Barberotti, der Kommissar der zweiten Krimireihe des Autors Nesser und inzwischen verwitwet, ihn in die Finger bekommt. Es folgt seine Reise nach Oosterby und neben weiteren Ereignissen auch ein Zusammentreffen mit van Veeteren.

Hakan Nesser ist einer der Krimiautoren, der es sich ohne weiteres leisten kann, NICHT eine Überraschung nach der anderen aus dem Hut zu ziehen, weil die Lektüre seiner Werke wie die Wiederkehr an einen geliebten Ort ist. Man verzeiht ihm vieles und genießt das Gebotene. Wenn Sie also Nesser-Fan sind, sei Ihnen dieses Werk uneingeschränkt empfohlen - Sie wissen ja, auf was Sie sich einlassen. Wenn das nicht der Fall ist, können Sie es sich ja überlegen. Sagen Sie aber nicht, ich hätte Sie nicht vorgewarnt!