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Veröffentlicht am 17.10.2018

Honolulu King in den Niederlanden

Honolulu King
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Hardy Hardy - ja, er heißt wirklich so und hat diesen Namen einer Laune seines Vaters zu verdanken - kommt aus Indonesien, hat aber den Großteil seines Lebens in den Niederlanden verbracht. Und doch erinnert ...

Hardy Hardy - ja, er heißt wirklich so und hat diesen Namen einer Laune seines Vaters zu verdanken - kommt aus Indonesien, hat aber den Großteil seines Lebens in den Niederlanden verbracht. Und doch erinnert sich der 80jährige Tag für Tag an die Grauen, die seiner Familie im Zweiten Weltkrieg zuteil wurden - aus seiner Sicht waren stets Japaner die Schuldigen und er will mit diesem ganzen volkn nie mehr was zu tun haben.

Dabei lebt er eigentlich ein schönes Leben - in jungen Jahren war er Frontmann, der "Honolulu Kings", die mit hawaiianischer Musik - sein Ein und Alles - recht erfolgreich waren. Er hat mit Christina die Liebe seines Lebens, eine üppige indonische Schönheit geheiratet und führt einen gutbesuchten indonesischen Imbiss. Seine beiden besten Freunde - sie sind derselben Abstammung wie er - sind immer an seiner Seite: früher als Mitglieder der Band, heute als Mitarbeiter des Imbiss. Und auch seine Enkelin Synne, die ihren Opa heiß und innig liebt, arbeitet dort mit und würde überhaupt alles für Hardy tun.

Doch Christina ist inzwischen dement - sie lebt in einem Heim und erkennt ihren Mann gar nicht mehr. Aswani, die gemeinsame Tochter, will von seiner Vergangenheit nichts wissen - sie interessiert sich weder für die Kassetten, auf denen ihr Vater Berichte von Zeitzeugen aufgenommen hat, noch für seine Empfindungen.

Wobei es auch wirklich nicht einfach ist mit ihm. Ebenso wenig wie mit Synne, die wiederum ihre Mutter nicht versteht. Auch wenn dieser Roman Hardy Hardy in den Mittelpunkt stellt, spiegelt er das Miteinander - oder vielmehr Gegeneinander - der Generationen, das alles andere als einfach ist. Ebenso wie das gegenseitige Verständnis der Kulturen. Denn Hardy will unbedingt von den Niederländern als einer der ihren akzeptiert werden und geht dafür einen durchaus gefährlichen Weg. Synne ist dabei, sich selbst aufzugeben - nicht minder gefährlich.

Ein Roman, der in mir einen Wirbel unterschiedlicher Gefühle auslöste, der durchaus auch mal polarisierte, mich auf die ein oder andere Seite zog. Jeder Charakter wird hier ebenso schonungslos wie mitfühlend dargestellt, die Autorin schreibt warmherzig und rachdurstig zugleich. Ein Buch, das mich wanken und schwanken ließ, dann aber doch wieder auf seine Seite zog. Ein mutiges Buch, in dem kein Blatt vor den Mund genommen wird - gleich mehrere Tabus der Gesellschaft Westeuropas werden wieder und wieder gebrochen.

Die Geschichte eines Leidenden (stellenweise gar mehrerer Leidender) - nicht immer logisch und nachvollziehbar, aber so ist das Leben!

Veröffentlicht am 16.10.2018

Hinterbliebene eines Verurteilten

Die Witwe
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Das ist Joan, die Witwe von Glen, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam – nach einigen sehr harten Jahren, die das Ehepaar zu überstehen hatte und in denen es an Grenzen stoßen musste, die man niemandem ...

Das ist Joan, die Witwe von Glen, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam – nach einigen sehr harten Jahren, die das Ehepaar zu überstehen hatte und in denen es an Grenzen stoßen musste, die man niemandem wünscht: Glen wurde nämlich der Entführung eines kleinen Mädchens verdächtigt, das vier Jahre zuvor verschwand und nie wieder auftauchte. Obwohl Indizien und Hinweise immer wieder zu ihm führten, wurde er letztendlich – nach längerer Untersuchungshaft – freigesprochen. Und sein windiger Anwalt handelte für ihn eine saftige Wiedergutmachung aus – doch aus ihrem Umfeld, aus der Gesellschaft insgesamt war das Paar jahrelang ausgestoßen, stigmatisiert, sie wurden wie Aussätzige behandelt – verurteilt eben.

Die britische Autorin Fiona Barton, eine ehemalige Journalistin, behält in ihrem Buch den ihrer Zunft eigenen Berichtsmodus der Reportage, des Interviews bei: sie lässt verschiedene Seiten zu Wort kommen, immer wieder: Glens Ehefrau Jean, einen Polizeiermittler, eine Journalistin – beide hatten über Jahre immer wieder mit dem Fall zu tun – vereinzelt auch andere, vor allem die alleinerziehende Mutter des entführten Mädchens Bella. Eine Geschichte, die sich einerseits schwerfällig entwickelt – wie es halt auch im realen Leben der Fall ist. Es gibt Rückschläge, andere Hinweise – und immer wieder fällt der Blick auf Glen, auf den Verdächtigen, aus verschiedenen Perspektiven. Ein netter Typ ist er nicht, nein wirklich nicht. Schmierig, würden viele sagen – ich auch. Doch auch andere schmierige Herrschaften kreuzen den Weg des Lesers, dazu die undurchsichtige Witwe, die anderen Akteure – Fiona Barton hat ihrem Personal viel Aufmerksamkeit geschenkt und durch die Zeichnung ihrer Figuren gelingt es ihr immer wieder, den Leser in andere Richtungen zu lenken, Neues aufzuzeigen.

Faszinierend, teilweise jedoch auch ziemlich anstrengend. Ein Buch, das durchaus lesenswert, allerdings auch starker Tobak ist, gerade weil vieles darin so alltäglich erscheint. Und gerade das macht es so schockierend. Auch wenn man – ich zumindest – die ein oder andere Länge, die ein oder andere Ungereimtheit zu überstehen hat. Eine Lektüre, die keine Entspannung bringt, sondern eher harte Arbeit bedeutet. Doch solche mit einem lohnenswerten Ergebnis.

Veröffentlicht am 16.10.2018

Komplexe Zusammenhänge auf Rügen

Krähennest
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Komplexe Zusammenhänge auf Rügen und zwar sowohl im Bereich der Ermittlungen als auch im privaten und beruflichen Leben der Kommissare: komplizierte Lebensmodelle, Beziehungen mit Zündstoff sowohl auf ...

Komplexe Zusammenhänge auf Rügen und zwar sowohl im Bereich der Ermittlungen als auch im privaten und beruflichen Leben der Kommissare: komplizierte Lebensmodelle, Beziehungen mit Zündstoff sowohl auf privater als auch auf beruflicher Ebene, eigenwillige, ja zerrissene Charaktere: all das gibt es hier zuhauf und wer es lieber harmonisch mag, der sollte nicht zu diesem Buch greifen.

Ich hingegen mag Charaktere mit Zündstoff und kann gut damit leben, dass es in Serien keine eindeutigen Sympathieträger gibt: So ist es hier für mich einfach, mich mit dem - nicht immer - leitenden Ermittler Luka Kroczek und seiner etwas chaotischen Kollegin Conny - sie geht noch am ehesten als Sympathieträgerin durch - anzufreunden und ihnen auf ihren nicht gerade glatten Wegen zu folgen.

Ein Kopf wird nämlich gefunden - und woanders der dazugehörige Korpus. Grauenvoll genug, denn Lukas Lebensgefährtin Teresa ist als Chefin des Toten eindeutig involviert. Eine weitere Leiche macht alles noch komplizierter, zeigt jedoch auch neue Zusammenhänge auf.

Rügen, so scheint es, ist ein Pflaster für Einzelgänger oder zumindest für den schwierigeren Typus Mensch, denn dieser findet sich geballt in diesem spannenden Krimi von Klara Holm, die sich der Herausforderung stellt und meisterliche Personenbeschreibungen liefert,so dass die Figuren ganz klar das Highlight dieser Serie sind. Es sind zwar ein wenig zu viele, um sie alle hinreichend würdigen zu können, wodurch es teilweise etwas unübersichtlich wird.

Dennoch ein packender und vielschichtiger Krimi, wobei das im Rückentext angepriesene Lokalkolorit aus meiner Sicht nicht bzw. unzureichend vorhanden ist. Stört mich überhaupt nicht - nur sollte es dann nicht erwähnt werden. Der Schwerpunkt in diesem Krimi liegt eindeutig auf den komplexen und originellen Mordfällen und auf der Zusammensetzung des Personals.

Ich jedenfalls bin gut Freund geworden mit dem Kommissariat Bergen auf Rügen - naja, vielleicht nicht mit dem gesamten Team, aber da hat die Autorin mit ihrer vielschichtigen Personenbeschreibung Schuld. Man sieht, ich bin ganz im Krimi-Modus und suche selbst eine Schuldige für meine Empfindungen. So sollte es sein - und daher freue ich mich auf weitere Morde auf Rügen und auf die Ermittlungen des Bergener Teams!

Veröffentlicht am 16.10.2018

Mit Herz und unkonventioneller Lebenseinstellung

Ein ganzes halbes Jahr
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geht hier Lou ans Eingemachte und versucht, den Tetraleptiker Will von seiner Entscheidung, aufgrund seiner ausweglosen Situation Selbstmord zu begehen, abzubringen.
Lou und Will: ein ungleiches Paar. ...

geht hier Lou ans Eingemachte und versucht, den Tetraleptiker Will von seiner Entscheidung, aufgrund seiner ausweglosen Situation Selbstmord zu begehen, abzubringen.
Lou und Will: ein ungleiches Paar. Hat Lou ihr Leben lang in der kleinen englischen Touristenstadt und im Schoße ihrer liebenswerten und auf ganz besondere Art und Weise einnehmenden Familie verbracht, so war Will bis zu seinem Unfall ein reicher, begehrenswerter, nicht unbedingt aber liebenswerter Typ, der viel gearbeitet hat, durch die Welt gereist ist und sich das vom Leben genommen hat, was er wollte. Um ihre ständig abgebrannte Familie ernähren zu können, nimmt Lou den gutbezahlten Job als seine Gesellschafterin an ... und findet sich in vielerlei Hinsicht in einer vollkommen neuen und anderen Welt wieder.

So anrührend und originell das Buch ist, hier jagt ein Klischee das andere: die beiden müssen sich erstmal zusammenraufen, Lou begeht in der "reichen" Welt ein Fettnäpfchen nach dem anderen. Besonders unglaubwürdig war für mich Lous Umfeld: wer kann von einer 27jährigen - die Handlung spielt fast in der Jetzt-Zeit, im Jahre 2009 - erwarten, dass sie als Hauptverdienerin einer ganzen Familie bestehend aus Eltern, Großvater und nicht zuletzt jüngerer, schlauerer, studierwilliger Schwester mit unehelichem Sohn agiert. Genau das tut aber Lous Familie und scheint es als ganz selbstverständlich aufzufassen.

Trotz dieser kleinen, von mir so empfundenen Störungen habe ich das Buch mit großem Genuss gelesen und habe mit Lou mitgelitten und gelacht. Ein wenig ist die Handlung wie ein modernes Märchen aufgebaut - ein Aschenputtel der Arbeiterklasse betritt ein neues Umfeld, verändert dieses komplett, wobei aber auch sie selbst sich in diesem ändert. Das kann man mögen oder auch nicht, fest steht, dass die britische Autorin Jojo Moyes nicht nur in ihrem Heimatland Großbritannien, sondern europaweit einen Nerv berührt hat. Zu empfehlen für Leser, die Emotionen lieben, aber ernste und auch kontroverse Themen nicht scheuen und bereit sind, sich auf solche einzulassen.

Veröffentlicht am 15.10.2018

Noch lange nicht am Ende

Schnee in Amsterdam
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sind Stella und Gerry, ein in Glasgow lebendes irisches Ehepaar, auch wenn beide längst das Rentenalter erreicht haben. Doch haben beide noch Wünsche und Vorstellungen, die ihr noch bevorstehendes Leben ...

sind Stella und Gerry, ein in Glasgow lebendes irisches Ehepaar, auch wenn beide längst das Rentenalter erreicht haben. Doch haben beide noch Wünsche und Vorstellungen, die ihr noch bevorstehendes Leben betreffen.

Und wie es sich auf einer Kurzreise nach Amsterdam herausstellt, driften diese ganz schön weit auseinander, was vor allem mit einem Gelübde zusammenhängt, das die gläubige Stella vor vielen Jahren geleistet hat und von dem ihr Mann bisher nichts ahnte.

Es ist ein verlängertes Wochenende, das beide - jeden auf seine Art - an ihre Grenzen führt und damit endet, dass auch Gerry ein Gelübde ablegt, allerdings ein ganz anders geartetes.

Ein Roman über den Herbst, nicht jedoch über das Ende des Lebens. Neuorientierung und andere Perspektiven - das kann es tatsächlich in jedem Alter geben, wie der Autor Bernard MacLaverty in seinem ruhigen, doch weder stillen noch ereignislosen Roman aufzeigt. Nein, im Gegenteil, hier wird deutlich, dass gerade das Innenleben der Menschen voller Aufruhr sein kann und dass sich Ehepaare auch nach langen Jahren noch überraschen können. Beziehungsweise einander dann erst richtig kennenlernen.

Oder auch dann erst bereit sind, ihre eigenen Wünsche zu kommunizieren und in Verbindung damit die des anderen anzuhören.

Ein Roman, der polarisieren kann, wenn man sich wie ich besonders gut in einen der beiden Partner hineinversetzen kann. Was aus meiner Sicht aber nicht schadet, denn es ist dennoch eine vollkommen andere Welt, in der Stella und Gerry leben. Gottseidank, muss man sagen, denn das, was hinter ihnen liegt, möchte ich nicht erlebt haben.

Ein Roman, in einer schönen, einfühlsamen Sprache geschrieben, versehen mit zahlreichen - ja, beinahe zahllosen - Literaturverweisen, die sich wunderbar in den Text hineinfügen. Wäre der Inhalt nicht so schmerzhaft - und stellenweise auch ein bisschen langatmig - könnte man durchaus von einem Lesegenuss sprechen.