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Veröffentlicht am 08.09.2018

Aufwühlender als jeder Krimi

Loyalitäten
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ist dieser Roman, in dem es um ein Kind geht, das dringend gerettet werden muss, nämlich um Théo. Noch keine dreizehn ist er und schon jetzt ist Alkohol seine einzige Rettung. Denn er trägt eine ...

ist dieser Roman, in dem es um ein Kind geht, das dringend gerettet werden muss, nämlich um Théo. Noch keine dreizehn ist er und schon jetzt ist Alkohol seine einzige Rettung. Denn er trägt eine schwere Last bzw. sogar mehrere: seine Eltern sind geschieden und wechseln kein Wort mehr miteinander. Und wollen auch nichts über einander hören.

So fällt es Théo leicht, das Versprechen, das er seinem Vater gegeben hat, zu halten. Doch er ist nicht der Einzige, von dem Loyalität verlangt wird: er fordert diese ebenso von seinem gleichaltrigen Freund Mathis, der auch sein Trinkkumpan ist und dadurch mit ihm in einem Boot sitzt.

Mathis`Mutter wird hellhörig, ebenso die Klassenlehrerin der beiden Jungen und beide agieren, bzw. reagieren, doch nicht eindringlich genug.

Ein Alltagsereignis ist es, auf das Autorin Delphine de Vigan ihre Romanhandlung aufbaut - leider. Die Tragödie um ein Kind, um seine Umgebung, die nicht hinschaut. Bzw. nicht genau genug hinschaut, sich nicht einmal vorstellen kann, was für Lasten dieses Kind, der Junge Théo, bereits schultern muss. Und selbst zu wenig Gehör findet, zu wenig Unterstützung, um wirklich einschreiten zu können.

Ein Roman, der dazu einlädt, nein: dringend aufruft, hinzuschauen, nicht vorbeizugehen, wenn man eine Ahnung, ein ungutes Gefühl hat. Auf der anderen Seite zeigt die Autorin aber auch auf, wie schwer es manchmal ist, sich an der richtigen Stelle zu positionieren, sich einzumischen. Ein Buch, das für mich ein etwas zu abruptes Ende hat. Doch eigentlich passt es zum Roman wie die Faust aufs Auge, ist es doch ein weiterer Aufschrei!

Veröffentlicht am 01.09.2018

Vermisstensuche im großen Stil

Evie Blackwell - Tote Spuren
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Ermittlerin Evie Blackwell wird Teil eines Teams, das Cold Cases aufdecken soll, nämlich ältere Fälle, die nicht aufgelöst werden konnten. Hier geht es um Vermisste: Evie ist zusammen mit ihrem Kollegen ...

Ermittlerin Evie Blackwell wird Teil eines Teams, das Cold Cases aufdecken soll, nämlich ältere Fälle, die nicht aufgelöst werden konnten. Hier geht es um Vermisste: Evie ist zusammen mit ihrem Kollegen David in Chicago eingeteilt und hat die Aufgabe, eine vermisste Collegestudentin zu finden, die vor etwa zehn Jahren verschwand. Ihr Kollege hingegen sucht nach einem Detektiv mittleren Alters - doch wieder und wieder kommen sie aufeinander zu und helfen einander, ergänzen sich gegenseitig.

Dann ein kleiner Durchbruch: kann es tatsächlich sein, dass diese Fälle, die überhaupt keine Ähnlichkeit haben, in irgendeiner Form zusammenhängen?

Ein interessanter und ungewöhnlicher Krimi, der von der Einbettung der Fälle in einen größeren Zusammenhang, von der Bedeutung der Gemeinschaft - in diesem Falle der Gemeinschaft der Ermittler - lebt.

Aber auch vom Privatleben seiner Protagonisten. Evie und David sind beide in ähnlichen Beziehungen, die jedoch jeweils gerade an einer Schwelle angelangt sind, wo eine Entscheidung nötig ist. Evie zögert, den Heiratsantrag ihres Freundes Rob anzunehmen, den sie sehr mag.

David hingegen hat seinen Antrag bereits gemacht und er ist angenommen worden: von der schönen und charismatischen Maggie, einer erfolgreichen Sängerin. Doch David hat durch ein extremes Erlebnis zum christlichen Glauben gefunden und Maggie kann ihm auf diesem Weg nicht folgen, obwohl sie es nur zu gerne möchte. Doch ihre Zweifel sind zu groß.

Gerade diese Elemente, die Diskussionen um den christlichen Glauben, machen dieses Buch, das ansonsten ein typischer Krimi ist, in dem es auch mal etwas härter zugeht, zu etwas ganz besonderem.

Allerdings wirkt er auf mich stellenweise zu ausschweifend, gerade zu Beginn auch viel zu kleinteilig - da wird jeder winzigste Arbeitschritt von Evie und auch von David aufgeführt, was mich ganz nervös gemacht hat. Doch keine Sorge, das legt sich nach den ersten Kapiteln - dann allerdings tritt eine ganze Reihe von Charakteren auf, die eine sehr kleine Rolle haben und für die Weiterentwicklung der Kriminalfälle eigentlich unbedeutend sind, was mich sehr verwirrt und stellenweise durcheinander gebracht hat.

Insgesamt jedoch ein spannender und facettenreichen Krimi abseits der ausgetretenen Pfade!

Veröffentlicht am 30.08.2018

Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühn?

Römisches Fieber
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Das fragte Goethe in seinem berühmten Gedicht 1795 und in den folgenden Jahrzehnten verstanden das viele Künstler: allem voran Schriftsteller und Maler folgten ihm nach Italien, vor allem Rom war das Ziel ...

Das fragte Goethe in seinem berühmten Gedicht 1795 und in den folgenden Jahrzehnten verstanden das viele Künstler: allem voran Schriftsteller und Maler folgten ihm nach Italien, vor allem Rom war das Ziel der Sehnsüchte. Dort hatte sich Anfang des 19. Jahrhunderts eine regelrechte Künstlerkolonie gebildet.

Der junge Autor Cornelius Lohwaldt, Verfasser der schwärmerischen Ode "Germania" hatte das Glück, dass der bayerische König auf ihn aufmerksam wurde und ihm ein Stipendium für ein Jahr in dieser Stadt vergab. Cornelius - ein ziemlich eingebildeter Kerl - kam allerdings bereits unterwegs ums Leben - er ertrank im Gardasee, was den jungen Franz Wercker, aus mehreren Gründen auf der Flucht aus Deutschland, veranlaßte, dessen Identität anzunehmen.

Ein Unterfangen, das monatelang von Erfolg gekrönt war - Franz führte als Cornelius Lohwaldt im Vergleich zu seiner vorherigen Situation ein Leben in Saus und Braus und verfasste sogar einen Roman, der viel diskutiert wurde.

Doch dann erschien die mißtrauisch gewordene Isolde Lohwaldt - Cornelius`Schwester in der Stadt...

Ein farbig gestalteter Künstlerroman, dem reale Fakten zugrunde liegen , in die der Autor Christian Schnalke gekonnt Franz Werckers Geschichte einbettet. Ein historischer Roman der etwas anderen Art, einer, der vor allem Lesern, die sich für Kunst und Literatur interessieren, Freude bereiten wird. Ein Roman, in dem viele interessante Fakten enthalten sind, in dem die Stadt Rom aus meiner Sicht jedoch ein wenig im Hintergrund bleibt - ich hätte mir hier mehr Atmosphäre gewünscht.

Statt dessen kommen Liebhaber von Ränken und Intrigen auf ihre Kosten. Ich habe es sehr genossen, dass es dem Autor gelang, nie kitschig zu werden, nie auch nur in die Nähe eines Konsalik oder auch von Iny Lorentz zu geraten.

Insgesamt ein ausgesprochen lesenswertes Buch, das durch sein eher ungewöhnliches Setting nicht so rasch vergessen werden kann!

Veröffentlicht am 27.08.2018

Eine Art Endzeitroman

Hier ist noch alles möglich
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Von der Bibliothekarin zur Nachtwächterin wird die Protagonistin auf eigenen Wunsch, insgesamt scheint sie ein isoliertes Leben aufnehmen zu wollen. Oder aber die zwischenmenschlichen Kontakte auf ein ...

Von der Bibliothekarin zur Nachtwächterin wird die Protagonistin auf eigenen Wunsch, insgesamt scheint sie ein isoliertes Leben aufnehmen zu wollen. Oder aber die zwischenmenschlichen Kontakte auf ein Minimum und nur auf die Personen, die mit ihrem Arbeitsbereich zusammenhängen oder -hingen, zu belassen. Denn die Fabrik, in der sie ihre isolierte Tätigkeit aufnimmt und auch ihre Zelte aufschlägt, ist in der Abwicklung begriffen.

Es ist Einsamkeit, die dem Leser auf jeder Seite des Romans entgegenschlägt, jedoch keine traurige Isolation, sondern vielmehr ein selbst gewähltes - und sehr selbstbestimmtes - Format.

Die Protagonistin und ihr Kollege haben einen Auftrag: nämlich den Wolf zu fassen oder zumindest zu finden, der eines Abends vom Koch gesichtet wurde. Doch ist es tatsächlich ein Wolf - hat das Wort für den Koch dieselbe Bedeutung wie für die anderen? Sind Worte allgemeingültig oder individuell. In diese und ähnliche Richtungen gehen die Gedanken der Protagonistin, die zudem von merkwürdigen Skizzen und Auflistungen begleitet werden, die alles oder nichts bedeuten könne.

Die Schicksale der Figuren sind auf eine seltsame Art aus dem Zusammenhang gerissen, etwas über die Vergangenheit erfährt man nur in Andeutungen (in Bezug auf die Ich-Erzählerin) bzw. sehr punktuell: so sammelt bspw. jemand alle Informationen über den Mann, der vom Himmel fiel. Und auf dem Gelände der Fabrik landete. Ein dunkelhäutiger Mann, der vielleicht aus Kamerun stammte, vielleicht aber auch nicht. Den keiner einordnen kann. Ebenso wenig wie den Wolf.

Ein spröder, ziemlich sperriger Roman, der den Leser - so mein Eindruck - gar nicht erobern, sondern seine Spuren in ihm, in seinem Gedächtnis hinterlassen will. So etwas habe ich noch nie gelesen - es war schwer und gleichzeitig leicht, sperrig und gleichzeitig offen. Stellenweise geradezu teilnahmslos, wenn man das von einem Roman sagen kann.

Ein bisschen erscheint er mir wie eine Bühne, von der fast alle Darsteller verschwunden sind, bald wird sie komplett einsam sein. Endzeitstimmung auf eine seltsam sachliche Art. Für Leser, die gern interpretieren - oder auch für Liebhaber sehr offener, moderner Formate. Ich bevorzuge die zweite Variante und hoffe, dass ich bei dem ein oder anderen Neugierde wecken konnte, es lohnt sich!

Veröffentlicht am 24.08.2018

Won't you be my number two?

Liebe - lieber nicht
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Me and number one are through: das sang einst Joe Jackson und ich habe selten erlebt, dass ein Lied besser zu einem Roman passt als dieses - wobei darin ganz andere Lieder vorkommen, wesentlich schmalzigere ...

Me and number one are through: das sang einst Joe Jackson und ich habe selten erlebt, dass ein Lied besser zu einem Roman passt als dieses - wobei darin ganz andere Lieder vorkommen, wesentlich schmalzigere und ebensolche Filme . Das sind aber auch die einzigen kitschig- süßlichen Komponenten in diesem Liebesroman mit Ecken und Kanten.

Wir lernen zunächst Henry und Zoe getrennt voneinander kennen und erleben, wie Henry seine Langzeitfreundin April unmittelbar vor der Hochzeit sitzen lässt, weswegen er sich in seinem Heimatdorf nicht mehr sehen lassen kann und nach London geht, wo er sich als Teilzeit-Zahnarzt und Friseur durchschlägt.

Zoe dagegen wird auf eine noch drastischere Art von ihrem Freund Alex, mit dem sie gerade zusammengezogen ist, getrennt: durch dessen Unfalltod. Auch sie zieht danach nach London, das für die ruhelos Gewordene aber nur Zwischenstation sein soll - sie plant eine lange, eine wirklich sehr lange Reise.

Weiter geht's mit dem so passenden Joe Jackson-Song: There is not much left of me - what you get is what you see,
Die beiden treffen sich und kommen zusammen, aber nicht so richtig. Obwohl es beide zueinander zieht, bleibt die Beziehung ziemlich lange unverbindlich, ohne dass sie einander den jeweiligen Grund dafür verraten.

Is it worth the energy? I leave it up to you
Und genau dadurch wird es kompliziert, denn beim endlich doch stattfindenen Outing ist einer ehrlich und der andere verrät nur Bruchstücke, wodurch es - nun ja, ziemlich diffizil wird für die beiden.

Eine Geschichte mit Ecken und Kanten, mit Haken und Ösen und mit diversen Nebenwegen, denn die beiden Hauptfiguren Henry und Zoe stehen zwar im Mittelpunkt, werden aber flankiert von Nebendarstellern, die sich nicht einfach so beiseite schieben lassen und das sind beileibe nicht nur die beiden Ex-Partner April und Alex. Nein, es tauchen eine ganze Reihe von Figuren auf und leider finden die Ausführungen der Geschehnisse in diesen Nebensträngen auf Kosten der Charakterisierung der Figuren statt - abgesehen von Zoe und Henry kann ich eigentlich keinen so richtig lebendig vor mir sehen.

Doch auch die Entfaltung der Geschichte findet nicht immer da statt, wo sie aus meiner Sicht besonders verweilen sollte - so wird Zoes und Henrys erstes Aufeinandertreffen ziemlich schnell "abgefrühstückt" (und glauben Sie mir, nicht im Stil eines Full English Breakfast - nein, das ist eher die sehr knappe südeuropäische Variante).

Dennoch, das Thema ist eines mit Biss, der Autor Andy Jones lässt den British Sense of Humour an den richtigen Stellen aufblitzen und mit dem halb-offenen Ende kann ich sehr gut leben. Eine leichte, aber nicht oberflächliche Geschichte, die schnell gelesen, aber nicht ganz so schnell vergessen ist. Urlaubslektüre für nicht ganz Anspruchslose also!