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Veröffentlicht am 24.02.2018

"Meine Liebe zu meiner Mutter ist wie eine Axt. Sie schlägt sehr tief." (S.137)

Heiße Milch
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Tief gelandet sind folglich auch Sofia Papastergiadis und ihre Mutter Rose - zumindest von ihrer Heimat Yorkshire aus, im tiefen Süden Europas nämlich, in Spanien. Dort soll Rose in der Spezialklinik des ...

Tief gelandet sind folglich auch Sofia Papastergiadis und ihre Mutter Rose - zumindest von ihrer Heimat Yorkshire aus, im tiefen Süden Europas nämlich, in Spanien. Dort soll Rose in der Spezialklinik des Dr. Gomez endlich Heilung finden, Heilung von einer diffusen Krankheit, die sie im wahrsten Sinne des Wortes lähmt. Zumindest manchmal. Denn die 64jährige Rose kann sich kaum mehr fortgebewegen.

Ihre Tochter Sofia kann das sehr wohl, zumindest physisch. Sie kann gehen: doch nach einer eigentlich recht erfolgreich begonnenen Karriere als Anthropologin mit einem tollen Masterabschluss, der nun mit der Dissertation gekrönt werden sollte, ist auch sie gelähmt - innerlich zumindest. Die 25jährige kommt nicht in die Pötte, sie lässt sich treiben, ist immer noch abhängig von ihrer Mutter.

Und diese von ihr: Rose hat sich in ihrer Krankheit eingerichtet, lässt Sofia alles machen, sie quasi von vorne bis hinten bedienen. Diese gegenseitige Abhängigkeit tut beiden nicht gut, ganz und gar nicht, doch gibt es eine Lösungsmöglichkeit?

Mutter und Tochter setzen im wahrsten Sinne des Wortes auf Dr. Gomez - sie haben für die überaus hohen Behandlungskosten ihr Haus versetzt. Doch möglicherweise ist er ein Scharlatan.

Die Geschichte wird aus Sofias Perspektive erzählt, aus der Perspektive einer jungen Frau, die sich treiben lässt, die eher (an)nimmt, als eigene Initiative zu ergreifen, deren Handlungen meist - auch wenn sie durchaus energisch sein kann - eher reaktive sind. Doch die Begegnungen in Spanien, bspw. mit der Deutschen Ingrid - während der Behandlungen ihrer Mutter hat sie viel Zeit - bringen sie auf neue Gedanken.

Sofia und Rose sind von ihrem Vater bzw. Partner, dem Griechen Christos vor langer Zeit verlassen worden, Sofia hat ihn seit über einem Jahrzehnt nicht mehr gesehen. Der Kontakt ist spärlich, denn der Vater hat nun eine neue Familie, mit und für die er lebt. Kann er vielleicht Sofia weiterhelfen? Sie macht sich auf den Weg zu ihn.

Ein Roman über starke Gefühle, über das Verhältnis zu anderen, zu sich selbst. Vor allem aber zu seinem Weg zur Findung der eigenen Identität. Deborah Levy hat einen schmerzlichen Roman geschrieben, finde ich, aber sie hat eine Leichtigkeit hineingebracht, die ihn unterhaltsam, anregend und spannend werden lässt. Auch wenn es an keiner Stelle unbeschwert zuging, war die Handlung für mich stets gut (be)greifbar. Die Sprache ist klar, dabei durchdacht, es werden viele Metaphern benutzt, vor allem solche, die zerstörende Kraft beinhalten. So der Vergleich von Sofias Mutterliebe zu einer Axt, den ich zum Titel dieser Darstellung gemacht habe, der eine weitere Formulierung zu den Veränderungen, die Sofia innerlich durchlebt, gegenübersteht: "Was ich über mich weiß, zerfällt derzeit in Trümmer und der Hammer ist Ingrid." (S.141).

Kraftvolle Vergleiche im Prozess einer Selbstfindung stehen im Zentrum des Romans, doch drumherum gruppieren sich zahlreiche Fragestellungen und Entwicklungen, die die Darstellung von Sofias Leben, ihrer Entwicklung, ergänzt. Obwohl ich den Roman gut lesen konnte, kann ich nicht sagen, dass ich ihn gerne gelesen habe, denn er hinterlässt in mir Gefühle, die ich nicht ganz einordnen kann. Vielleicht hat die Autorin Deborah Levy mir ja - ob beabsichtigt oder nicht - einen Spiegel vorgehalten, den ich erst einmal begreifen muss.

Veröffentlicht am 21.02.2018

Berichte von der Front als Graphic Novel

Großväterland
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um es einmal sehr allgemein zu beschreiben, präsentieren der Historiker Christian Hardinghaus und der Zeichner Markus Freise hier einmal in ungewohntem Format. Zeitzeugenberichte aus dem zweiten Weltkrieg ...

um es einmal sehr allgemein zu beschreiben, präsentieren der Historiker Christian Hardinghaus und der Zeichner Markus Freise hier einmal in ungewohntem Format. Zeitzeugenberichte aus dem zweiten Weltkrieg sind es, die hier sozusagen im Comicmodus aufbereitet werden. Dabei verlieren sie keineswegs die Ernsthaftigkeit, die Gewichtigkeit der Bedeutung, nein, die Zeichnungen lassen die Vorgänge - die meisten gezeichneten Ereignisse spielen sich an der Front ab - noch eindringlicher und vor allem plastischer wirken.

Ziemlich starker Tobak also, der hier Schülern - denn dies ist die primäre Zielgruppe - vorgesetzt werden soll. Doch die Autoren wissen, was sie tun und gehen hart gegen bestehende Gefahren wie verblassende Erinnerungen - eine natürliche Folge des allmählichen Verschwindens von Zeitzeugen - an. Es sind sieben längere und 2 kürzere (so genannte One-Pager) Kriegsberichte von insgesamt sieben Männern und zwei Frauen, alle in den 1920ern geboren, bei Kriegsbeginn also teilweise noch Kinder, auf jeden Fall aber Jugendliche.

Die gesamte Bandbreite, die Ausweitung des Zweiten Weltkrieges wird hier vorgeführt, die Berichte kommen aus unterschiedlichen "Ecken", von der Ostfront natürlich, dann schildert einer der jungen Männer seine Erlebnisse am D-Day in der Normandie, aus Norwegen, Polen und und und. Ebenso wie geographische Verschiedenheiten prägen zeitliche Unterschiede die Geschichten - sie erstrecken sich über die gesamten (fast) sechs langen, furchtbaren Kriegsjahre.

Unterfüttert hat Christian Hardinghaus die Zeitzeugenberichte mit zahlreichen Hintergrundinformationen zu jedem einzelnen Erlebnis, die aus dem Buch ein fundiertes, informatives und enorm bereicherndes Instrument sowohl für den Schulunterricht als auch die individuelle Fortbildung werden lassen. Und das definitiv nicht nur für junge Leute!

Ich fand es schade, dass es keine Fotos und keine näheren Informationen zu den Zeitzeugen gab, wenn ich es auch gut nachvollziehen kann, dass sie möglicherweise anonym bleiben wollten. Dennoch, es hätte die ganzen Bezüge noch um einiges lebendiger werden lassen!

Als ein weiteres Manko sehe ich die aus meiner Sicht nicht allzu individualiert gestalteten Personenzeichnungen. Bei Gisela bspw. der wir gleich im ersten One-Pager zu Kriegsbeginn begegnen, war für mich nicht auszumachen, ob sie ein junges Mädchen, ein Kind oder sogar schon ein älterer Mensch ist - auch das Geschlecht ist für mich nicht ganz klar zu identifizieren. Und das ist nicht der einzige Fall, so dass es aus meiner Sicht ein deutliches qualitatives Gefälle zwischen Texten und Zeichnungen gibt.

Aber dennoch ist das Buch insgesamt ein außerordentlich lohnenswerter Beitrag zur Verarbeitung des Zweiten Weltkrieges - nicht nur für junge Menschen!

Veröffentlicht am 21.02.2018

Durch einen dummen Verkehrsunfall zur Vollwaisen

Solange ich in deinem Herzen bin
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wird die kleine Ella, als ihr Vater Will von einer Autofahrerin, die auf den Boden ihres Wagens statt auf die Straße schaut, totgefahren wird. Da ihre Mutter Alice auch nicht mehr lebt, ist sie nun ganz ...

wird die kleine Ella, als ihr Vater Will von einer Autofahrerin, die auf den Boden ihres Wagens statt auf die Straße schaut, totgefahren wird. Da ihre Mutter Alice auch nicht mehr lebt, ist sie nun ganz allein auf der Welt. Elternlos zieht nun zu ihren Großeltern, den Eltern von Will, die sich rührend um sie kümmern, aber auch nicht mehr die Jüngsten sind und sowieso nicht die Eltern ersetzen können.

Der Leser erlebt die Geschichte aus einer ungewöhnlichen Perspektive - nämlich aus der des toten Will. Dieser hatte seiner Tochter versprochen, sie nie mehr allein zu lassen und muss dieses Versprechen nun brechen.

Oder doch nicht? Gibt es für ihn eine Möglichkeit, ins Leben zurückzukehren, den Tod rückgängig zu machen? Oder kann er möglicherweise aus dem Reich der Toten mit Ella Kontakt aufnehmen, an ihrer Seite sein?

Ein interessantes Thema, dachte ich mir, mit einem geradezu metaphysischen Ansatz. In der Tat eine interessante, ausgesprochen ungewöhnliche Geschichte, doch leider war alles ein wenig zu sensationsorientiert aufgebaut.

Gerade zum Ende hin jagte eine Räuberpistole die nächste, wurde die Geschichte immer verwegener. Zudem kamen zu viele Tote darin vor für meinen Geschmack, mir hätte es besser gefallen, wenn sie sich aufs Wesentliche, also auf Will und Ella konzentriert hätte. Ein interessanter Gedanke zum Leben nach dem Tod, der leider ein wenig über das Ziel hinausgeschossen ist.

Veröffentlicht am 21.02.2018

Ein Krimi der anderen Art

Totenrausch
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Eher der ruhigen, der introvertierten - doch wer glaubt, es ginge hier gemächlich zu, der befindet sich auf dem Holzweg! Nein, dies ist ein auf reduzierte Art überaus rasanter Krimi, auf den sich einzulassen ...

Eher der ruhigen, der introvertierten - doch wer glaubt, es ginge hier gemächlich zu, der befindet sich auf dem Holzweg! Nein, dies ist ein auf reduzierte Art überaus rasanter Krimi, auf den sich einzulassen lohnt.

Worum es geht: Bestatterin Blum - eingeführt bereits in den Vorgängerbänden "Totenfrau" und "Totenhaus"- ist auf der Flucht: jede Menge Leichen haften ihr an. Diesmal führt ihr Weg über den Umweg in den hohen Norden geradewegs nach Hamburg - und Blum wäre nicht Blum, wenn sie nicht schnurrstracks auf der Reeperbahn und im Rotlichtmilieu landen würde - und das mit ihren beiden Töchtern im Schlepptau!

Dass sie bald nicht mehr Blum, sondern Marie Müller heißt und dem brutalen Zuhälter Schiele auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist - das müssen Sie nicht verstehen. Jetzt noch nicht - erst, wenn Sie der Geschichte von Brünhilde Blum/ Marie Müller literarisch gefolgt sind.

Weitere Figuren tauchen auf - sie alle als schräg zu bezeichnen, ist - gelinde gesagt - eine Untertreibung sondergleichen! Und die Handlung wird blutig und hart - auch wenn es viel um innere Entwicklungen geht, sind es große Themen, die hier angesprochen werden: es stellt sich die Frage, wem man vertrauen kann und wer man selber ist - vom gesamten Umfeld gar nicht zu Reden. Blum jedenfalls bereitet sowohl sich als auch anderen jede Menge Schwierigkeiten - wobei nur der kleinere - durchaus nicht geringe Teil - hausgemacht ist .

Ein ruhiger, aber heftiger Thriller und damit eine ausgesprochen ungewöhnliche, umso wirkungsvollere Kombination. Teilweise sind die Entwicklungen dennoch ein wenig langsam. Das bezieht sich aber ausschließlich auf den Schreibstil, wenn man sich vergegenwärtigt, was da so los ist, geht es eindeutig Knall auf Fall.

Ein Buch für anspruchsvolle Thrillerfreunde, die wollen, dass es kracht und dass blut fließt und die nicht zu empfindlich sind. Im Gegensatz zum Vorgänger "Totenhaus", der meinen Geschmack nur teilweise getroffen, bin ich diesmal so ziemlich auf meine Kosten gekommen. Und empfehle die Geschichte mit Brünhilde/Marie, die mit diesem Band vollendet bzw. abgerundet wird, von ganzem Herzen!

Veröffentlicht am 21.02.2018

FliegerIN, grüß mir die Sonne

Unsere Hälfte des Himmels
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... grüß mir die Sterne und grüß mir den Mond!

So durfte es in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft nicht mehr heißen, in denen die Frauen nur für die Familie da sein sollten.

Das ...

... grüß mir die Sterne und grüß mir den Mond!

So durfte es in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft nicht mehr heißen, in denen die Frauen nur für die Familie da sein sollten.

Das bekommen Amelie, Johanna und ihre Freundinnen, die seit Jahren dem Segelflug in Frankfurt am Main frönen, zu spüren, wobei Johanna und Amelie sich dennoch um einen Ausbildungsplatz im von ihnen erstrebten Berufsfeld bemühen und durchaus noch darauf Chancen haben.

Doch unerwarteterweise wird etwas anderes für Amelie wichtiger, als die Liebe in ihr Leben tritt. Wird sich ein Keil zwischen die beiden Freundinnen schieben?

1971, über dreißig Jahre später: Amelies Tochter Liselotte sorgt sich um ihre Mutter, die ins Koma gefallen ist. Wird sie jemals daraus erwachen und Liselotte eine Antwort auf die vielen Fragen zu ihrer Herkunft geben können? Und wird Liselotte es schaffen, sich von ihrem spießigen Mann Eduard zu lösen, der sie nur als Heimchen am Herd zu brauchen scheint?

Die junge Nachbarin ihrer Mutter, die Studentin Marga wird eine unerwartete Hilfe für Liselotte bei dem Versuch, das Tor zur Vergangenheit zu öffnen.

Ein Buch über die Rolle der Frau im Laufe des 20.Jahrhunderts, die uns Frauen des 21. Jahrhunderts zeigt, dass unsere Ahninnen es um einiges schwerer hatten als wir und nicht wenige Hürden zu nehmen hatten. Für meinen Geschmack enthält dieser Roman, der insgesamt durchaus mitreißend und spannend ist, ein paar Klischees zu viel. Doch ist es wahrlich interessant, die Geschichte der Fliegerinnen und einige (erfundene) Einzelschicksale zu verfolgen. Ein Buch über Frauen, die ihren eigenen Weg gehen wollten!