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Veröffentlicht am 12.06.2020

Abendrot ist aller Laster Anfang

Auszeit bei den Abendrots
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Zumindest, wenn man Josef mit Vornamen heißt. Der Gatte von Helene Abendrot setzt sich auf einer Reise nämlich so mir nichts, Dir nichts einfach ab und teilt seiner Frau lediglich mit, dass er eine Zeit ...

Zumindest, wenn man Josef mit Vornamen heißt. Der Gatte von Helene Abendrot setzt sich auf einer Reise nämlich so mir nichts, Dir nichts einfach ab und teilt seiner Frau lediglich mit, dass er eine Zeit für sich brauche.

Die arme Helene - ein paar Jahre jünger als Josef und damit eine Endvierzigerin - ist zunächst fertig mit sich und der Welt. Doch dann beginnt sie zu handeln und erhält von ihrer Freundin Adrienne tatkräftige Unterstützung.

So ein Ehe-Lockdown hat nämlich durchaus etwas Positives, kann sie sich doch nun auch auf sich besinnen. Das gelingt am besten mithilfe ein paar netter kleiner Workshops an idyllischen Orten wie Südfrankreich, Österreich und Italien.

Doch ich will nicht zu viel verraten, sonst bringe ich Sie um den Genuss der literarischen Eloquenz von Autorin Alexandra Holenstein, die mit Humor, aber durchaus auch mit Einfühlsamkeit, besonders was ihre weiblichen Charaktere anbelangt, nicht zuletzt jedoch mit viel Kreativität und einer wunderbaren Beobachtungsgabe eine Story gesponnen hat, die Ihnen sicher den Sommer versüßen wird.

Ein Eheroman der besonderen Art: locker-flockig, aber dennoch mit jeder Menge Tiefgang. Keine flachen Gags, sondern gut durchdachte, die gewisse Bereiche unserer Gesellschaft spiegeln. Eine empfehlenswerte Urlaubslektüre. Nicht nur für Reisen nach Italien, Frankreich und Österreich!

Veröffentlicht am 08.06.2020

Angst vor dem Tod

Die langen Abende
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Das ist ein wichtiges Thema in diesem Roman, was nicht verwunderlich ist, da die Protagonistin Olive Kitteridge nun ins (hohe) Alter gekommen ist. Wer den ersten Teil kennt, der in der deutschen Übersetzung ...

Das ist ein wichtiges Thema in diesem Roman, was nicht verwunderlich ist, da die Protagonistin Olive Kitteridge nun ins (hohe) Alter gekommen ist. Wer den ersten Teil kennt, der in der deutschen Übersetzung nicht nach Olive benannt ist, sondern "Blick aufs Meer" heißt, ist ein wenig im Vorteil, die Kenntnis ist jedoch nicht unabdingbar.

Olive muss nun ohne ihren Gatten Henry auskommen, der nach langer und schwerer Krankheit verstarb. Sie bleibt dennoch die Alte und nimmt auf die ihr eigene Art am Leben teil. Diese ist für ihre Mitmenschen ebenso wie für sie selbst nicht immer leicht zu ertragen, doch gibt es Menschen, die sie zu schätzen wissen.

Ebenso wie solche, die sie abgrundtief hassen, doch sind es deutlich weniger geworden - nicht nur wegen der natürlichen Ausdünnung im Alter, nein, Olive lebt nun, nachdem sie schon längst ihre Tätigkeit als Mathematiklehrerin aufgegeben hat, auch ziemlich zurückhaltend und kommt nicht mehr mit ganz so vielen Menschen in Berührung.

Wie auch "Blick aufs Meer" besteht dieser Roman aus einer Aneinandereihung von Kapiteln, die alle an Olives Wohnort, der fiktiven Kleinstadt Crosby in Maine spielen; sie steht jedoch nicht in jeder davon im Mittelpunkt. Nein, wir Leser folgen auch dem Leben anderer Bürger der Stadt, nicht selten nimmt Olive dabei eine Nebenrolle ein, die kleiner oder größer sein kann. Doch immer wieder steht sie im Mittelpunkt der chronologisch aufeinander folgenden Erzählungen, die quasi das Gerüst der Handlung bilden.

Obwohl der Roman rund 350 Seiten umfasst, hatte ich ihn in wenigen Stunden ausgelesen - ich konnte ihn einfach nicht aus der Hand legen, mich nicht von Olive und ihren Mitbürgern trennen.

Elizabeth Strout hat mit Olive Kitteridge eine faszinierende Figur geschaffen, die es in ihrer Vielschichtigkeit locker mit Harry Angstrom aus den "Rabbit"-Romanen von John Updike ebenso wie mit anderen bekannten Figuren der Literaturgeschichte aufnehmen kann - ganz zugespitzt formuliert ist sie quasi ein erwachsenes, differenziert zu betrachtendes Pendant zu Pippi Langstrumpf, die polarisiert und dennoch stets konsequent und unbeirrt ihren eigenen Stiefel durchzieht. Auch wenn sie ihr Tun nicht selten bereut, sie kann es aber trotzdem nicht sein lassen.

Veröffentlicht am 29.05.2020

Eine absolute Kehrtwende

Der tröstende Duft von Rosinenschnecken
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Die erfährt Anne, als sie gerade vor dem bisherigen Höhepunkt ihres Lebens steht - der Hochzeit mit ihrem Traummann Dirk Jacobsen: genauso plötzlich, wie er in ihr Leben trat, entschwindet er wieder daraus ...

Die erfährt Anne, als sie gerade vor dem bisherigen Höhepunkt ihres Lebens steht - der Hochzeit mit ihrem Traummann Dirk Jacobsen: genauso plötzlich, wie er in ihr Leben trat, entschwindet er wieder daraus und hinterlässt ihr ein schweres Erbe, nämlich seine beiden Kinder und seine demente Mutter. Die sind nämlich im Laufe ihrer gemeinsamen Jahren - vier waren es - alle bei ihnen eingezogen und mehr noch: Stieftochter Miriam ist nämlich bereits junge Mutter. Eine Unterstützung bei der Erziehung ihres kleinen Sohnes Moritz ist für sie selbstverständlich. Dabei hat Anne weder Erfahrung mit Kindern noch mit Demenzkranken.

Gut, dass ihre Freundin Bille ihr in jeder Situation zur Seite steht, wie schon seit ihrer gemeinsamen Grundschulzeit!

Trotzdem wimmelt es nur so von Missverständnissen, Reibereien und Grabenkämpfen - wie könnte es auch anders sein. Autorin Regine Wroblewski erspart uns Lesern wirklich nichts, jeder Charakter ist schonungslos dargestellt, mit allen guten und vor allem schlechten Eigenschaften, die in dieser Extremsituation besonders deutlich - und leider auch häufig - zum Vorschein kommen.

Doch das tut sie so liebevoll und warmherzig, dass man sich in dem Roman so wohlfühlt wie in einem Whirlpool. Dass es das Erstlingswerk der Autorin ist, mag man gar nicht glauben, Regine Wroblewski schreibt wie eine junge Göttin über Freud und Leid des Familienalltag und über den Umgang mit unerwarteten Entwicklungen. Ein herrliches Lesevergnügen, das sich ein jeder ins Haus holen sollte, der seinen reduzierten Alltag in Zeiten von Corona ein wenig erhellen möchte. Denn dies ist genau die richtige Lektüre dazu und es bleibt nur zu hoffen, dass die Autorin bald nachlegt!

Veröffentlicht am 20.05.2020

It must be magic

Da sind wir
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Hier schreibt Graham Swift von Zauberern und anderen bunten Vögeln. Auch wenn es zunächst gar nicht so schillernd losgeht in diesem kurzen Roman, der doch alles beinhaltet, was man sich nur wünschen kann! ...

Hier schreibt Graham Swift von Zauberern und anderen bunten Vögeln. Auch wenn es zunächst gar nicht so schillernd losgeht in diesem kurzen Roman, der doch alles beinhaltet, was man sich nur wünschen kann! Vor allem eine glasklare Sprache und einen stimmigen, fesselnden Stil, beides bleibt in der exzellenten Übersetzung bestens erhalten!

Im Mittelpunkt steht Ronnie, zunächst ein kleiner, verschüchterter Junge, den es zu Beginn der Bombardierungen auf London im Zweiten Weltkrieg - was mehr oder weniger gleichbedeutend mit dem Beginn des Krieges selbst ist - aufs Land verschlägt. Er wird, wie Abertausende anderer britischer Kinder auch, evakuiert und wird von seinen Gasteltern mehr oder weniger verzaubert - denn er kommt mehr oder weniger in ein Paradies. In dem er auch noch das Zaubern lernt.

Diese Fertigkeit will er Jahre später zu seinem Beruf machen - gemeinsam mit Jack, seinem Freund aus Armeezeiten, träumt er von einer Karriere auf der Bühne. Zu der dieser ihm irgendwann, mittlerweile zum Moderator einer kleinen Show geworden, ihm tatsächlich verhilft. Und fast auch noch zu einer Braut. Aber eben nur fast.

Warum das so ist und wie es kommt, dass Jack ebenso plötzlich von der Bühne verschwindet wie er auf ihr landet - das beschreibt Graham Swift ebenso lakonisch wie fesselnd. Und das Publikum - in diesem Falle wir, die Leser - bleibt mindestens ebenso nachdenklich zurück wie Evie, Ronnies Fast-Ehefrau...

Ein überaus lohnendes Stück englischer Literatur, das aus meiner Sicht nur einen einzigen Mangel aufweist: es ist viel zu schnell zu Ende!

Veröffentlicht am 20.05.2020

Born to be wild

Blutige Düne
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Dieses wilde Leben wurde ihm zum Verhängnis. Oder doch nicht?

Rocco, ein langjähriges Mitglied der norddeutschen Rockerszene, das seine Finger in allen möglichen dunklen Geschäften hatte, ist tot. Ganz ...

Dieses wilde Leben wurde ihm zum Verhängnis. Oder doch nicht?

Rocco, ein langjähriges Mitglied der norddeutschen Rockerszene, das seine Finger in allen möglichen dunklen Geschäften hatte, ist tot. Ganz klar ermordet. Aber: bald darauf wird ein junger Mann angegriffen, ein Idealist, dessen Lebensinhalt der Naturschutz, vor allem der Schutz des Meeres und seiner Umgebung ist. Ein Typ, der alles andere als wild ist. Doch beide Übergriffe tragen dieselbe Handschrift. Was um alles in der Welt können diese beiden Personen miteinander zu tun haben?

Sehr langsam, schrittchenweise, zeigen sich mögliche Zusammenhänge - alle äußerst überraschend, wie ich finde.

Auch diesmal steht das Privatleben der Ermittlerin Liv Lammers klar im Vordergrund. Ihr Vater, mit dem sie ja schon lange gebrochen hat, zeigt sich mal wieder von seiner ganz fiesen Seite und auch dieser familiäre Teil trägt diesmal nicht unwesentlich zur Spannung bei. Ich finde, diese familiären Ränke passen gut zu dem Setting und dadurch intensiviert sich auch ein anderer Eindruck von Sylt: nämlich das Bild als Nicht-Nur-Touristen-Insel.

Aus meiner Sicht der bisher beste Teil der Reihe: hier zog sich die Spannung von Anfang bis zum Ende durch, ich konnte das Buch gar nicht aus der Hand legen! Dies ist definitiv eine Reihe, bei der ich am Ball bleibe, bei der sich die Protagonistin von der Masse absetzt dank verschiedener Alleinstellungsmerkmale. Ich mag Liv sehr gern, sie ist so authentisch und einfach ein Typ. Kein unkomplizierter, aber ganz klar ein liebenswerter. Ich mag besonders gern an ihr, dass sie kein bisschen zickig ist und dass sie ein ebenso guter Kumpel für Männer wie für Frauen ist - wenn man sie lässt. Da verzeihe ich auch ihrer großartigen Autorin Sabine Weiss den ganz, ganz dicken Cliffhanger am Ende des Krimis - und freue mich wie Bolle auf den nächsten Teil!