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Veröffentlicht am 24.07.2018

Widerstand und Verrat, Tod und (Über)leben

Alles, was ich bin
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Sie sind Mitglieder der USPD, also Sozialisten, in vielen Fällen auch Juden: Dora Fabian, Mathilde Wurm, Doras Cousine Ruth Wesemann/Becker und ihr Mann Hans sowie viele andere, allen voran der noch heute ...

Sie sind Mitglieder der USPD, also Sozialisten, in vielen Fällen auch Juden: Dora Fabian, Mathilde Wurm, Doras Cousine Ruth Wesemann/Becker und ihr Mann Hans sowie viele andere, allen voran der noch heute bekannte Ernst Toller, dessen "Eine Jugend in Deutschland" ich schon als Teenager verschlungen habe: das macht ihr Leben im nationalsozialistischen Deutschland so unerträglich, dass sie noch 1933 fliehen: in die Schweiz, nach Frankreich, aber vor allem nach Großbritannien, nach London. Hier werden Dora Fabian und Mathilde Wurm 1935 in Doras Wohnung tot aufgefunden - eine wahre historische Begebenheit - nicht die Einzige, die in dieser Geschichte zur Sprache kommt. Für mich ist dies ein Zeitzeugenroman, basierend auf wahren historischen Ereignissen - einiges wurde modifiziert, doch alles hat einen wahren Kern. So kommt bspw. die zweifelhafte Rolle des späteren NDR-Intendanten und Bundesverdienstkreuzträgers Hans Wesemann als Nazi-Agent und somit als Verräter zur Sprache. Der Roman wird abwechselnd aus der Sicht von Ernst Toller und der von Ruth geschildert, zwei in ihrer Wahrnehmung sehr verschiedene, in ihren politischen Standpunkten jedoch sehr ähnliche Sichtweisen.

Wir sehen Dr. Ruth Becker nun in Australien , eine sehr alte und sehr kluge Dame - die gerade eine beunruhigende Diagnose erhalten hat. Doch sie nimmt sie eher gelassen an, kann sie doch auf ein bewegtes und nicht ungefährliches Leben zurückblicken, auf die Zeit der Machtergreifung Hitlers und der Zeit davor, als sie und ihre Familie fleißige Synagogenbesucher waren, auf ihre Cousine Dora - die, wie auch der Rest der Familie, nicht überlebt hat - wir erleben ihre Sicht also in Form von Rückblicken. Toller hingegen spricht aus dem Jenseits, in das er sich bereits 1939 freiwillig verabschiedet hat.

Ein sehr atmosphärischer und aufschlussreicher Roman mit einigen - durchaus erträglichen - Längen, die offenbar dem Spagat zwischen Roman und historischer Realität geschuldet sind, mit denen die Autorin sehr verantwortungsvoll und einfühlsam umgeht. Mich erstaunt, dass eine Australierin so lebendig über Nazideutschland schreiben kann, aber möglicherweise ist dieses Erstaunen auch nur irgendwelchen Vorurteilen meinerseits geschuldet. Auf jeden Fall ein empfehlenswerter Roman, der den Leser bereichert dadurch, dass er sowohl aufschlussreich als auch lehrreich ist.

Veröffentlicht am 23.07.2018

Ich war noch niemals in New York...

Das rote Adressbuch
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Doris schon! Und sie war noch an vielen anderen Orten der Welt: in Paris, in ihrer Heimatstadt Stockholm sowieso, in einem kleinem englischen Nest, auf den sieben Weltmeeren... Das war einmal. Jetzt ist ...

Doris schon! Und sie war noch an vielen anderen Orten der Welt: in Paris, in ihrer Heimatstadt Stockholm sowieso, in einem kleinem englischen Nest, auf den sieben Weltmeeren... Das war einmal. Jetzt ist sie alt, sehr alt - weit über neunzig. Und blickt zurück auf ein Leben voller Entbehrungen.

Schon als Dreizehnjährige musste sie ihr Elternhaus verlassen, um selbst für ihren Unterhalt aufzukommen - und landet bald schon in Paris, wo sie längst nicht nur rosige Zeiten erlebt. Aber - und wo wäre es passender - sie lernt dort die Liebe kennen.

Dass es auch andere Arten von Liebe gibt, solche, die andere Zuneigung oder auch Geborgenheit oder Freundschaft nennen, auch das erfährt sie im Laufe ihrer zahlreichen Lebensjahre. Auch, wenn die meisten ihrer Lieben längst verstorben sind, ihre Namen in ihrem roten Adressbuch, einem Geschenk ihres früh verstorbenen Vaters sind durchgestrichen und daneben steht: tot. Nur ihre Großnichte Jenny ist ihr geblieben. Doch diese ist weit weg!

Die Schwedin Sofia Lundberg hat, inspiriert vom Adressbuch ihrer eigenen Großtante, einen ebenso gefühlvollen wie mitreißenden Familien- und Liebesroman geschrieben. Ja, es ist wirklich beides in einem, dieses Buch! Und stellenweise wird es dann zur Tragödie, denn Sofia Lundberg ist nicht zart besaitet. Und das dürfen ihre Leser auch nicht sein. Wenn Sie jetzt immer noch den Mut haben, hier zuzugreifen, dann werden Sie reich belohnt: mit einer originellen, facettenreichen Lebensgeschichte, die jedoch an keiner Stelle kitschig wird.

Ich war richtig traurig, als ich das Buch beendet habe und es zuklappen musste - ein echtes Highlight, im allerbesten Sinne ein Schmöker, der seinesgleichen sucht. Oder auch nicht, denn warum sollte dieses Werk nicht seine Einzigartigkeit beibehalten. Ein ganz besonderer Roman, den ich sicher oft an Menschen verschenken werde, die mir sehr am Herzen liege, ja, die ich auf die ein oder andere Art liebe. Und bei denen ich sicher bin, dass sie trotz des darin enthaltenen starken Tobaks dieses Buch lieben werden. So wie ich.

Veröffentlicht am 22.07.2018

Der König der Meere

Rotes Gold
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Ich liebe Sushi - und ich liebe Xavier Kieffer, den luxemburgischen Koch! In diesem spannenden Krimi hat man beides zusammen - was will man mehr?!

Es geht weiter mit Xavier - unkonventionell, sympathisch ...

Ich liebe Sushi - und ich liebe Xavier Kieffer, den luxemburgischen Koch! In diesem spannenden Krimi hat man beides zusammen - was will man mehr?!

Es geht weiter mit Xavier - unkonventionell, sympathisch und ein Feinschmecker in jeder Hinsicht hat sich der Protagonist aus der "Teufelsfrucht" kein bisschen verändert: das freut die geneigten Leser, die bereits ungeduldig auf die Fortsetzung dieser stimmungsvollen Reihe gewartet haben.

Xavier gerät durch seine Freundin, die Pariser Gastrokritikerin - nein, wohlgemerkt DIE Gastrokritikerin überhaupt - Valerie in illustre Kreise: ein vom japanischen Sternekoch Mifune zubereitetes exklusives Sushi-Diner, zu dem Francois Allégret, der Bürgermeister von Paris einlädt und auf dem der Koch - quasi im Zenit seines Erfolges - auf fatale Weise zu Tode kommt -vergiftet durch das schwere Nervengift Tetrodotoxin, das aus dem Kugelfisch wie auch aus anderem Meeresgetier gewonnen wird.

Xaviers erhofftes romantisches Wochenende mit Valerie platzt aufgrund der aufwühlenden Entwicklungen, doch findet er Ablenkung durch ein Austernfrühstuck mit einem alten Freund - Japaner und ebenfalls Koch - durch den er aufschlussreiche Informationen zu Mifune, zur Kunst der Sushi-Zubereitung und den in Meerestieren enthaltenen Giften enthält. Der Termin mit Valerie wird vertagt, seine Überlegungen zum Todesfall jedoch nicht. In den ersten Stunden nach dem grausigen Ereignis wird ein fataler Unfall vermutet, doch es kommt schlimmer! Verbrecherische Taten, bei denen sich alles um den König der Meere, den Thunfisch, dreht! Und Xavier ist immer mittendrin: er schuldet Bürgermeister Allégret, der nun im Kreuzfeuer steht, nämlich noch einen Gefallen und der scheut sich nicht, ihn als Ermittler einzusetzen - ein Ermittler jedoch, dem sein Job mit kiloweise Stopfleberpastete "versüßt" wird...

Im zweiten Band dieser wundervollen luxemburgischen Serie geht es ganz schön zur Sache - von der leichten Behäbigkeit, die den ersten Teil durchzog, ist keine Spur mehr zu erkennen. Wer atmosphärische Krimis liebt, in denen Essen und Trinken eine große Rolle spielen, auf knackige Spannung aber nicht verzichten will - für den ist "Rotes Gold" wie gemacht! Herrlich, wie Hillenbrand die Atmosphäre sowohl in Paris als auch im beschaulichen Luxemburg einfängt! Aber ob das Rauchen am laufenden Band - fast keine Seite, auf der sich Xavier nicht mindestens einen Glimmstengel gönnt - unbedingt sein muss? Hier wird es als typisch französische und auch luxemburgische Eigenart verkauft: nun, ich kenne jede Menge überzeugte bis militante Nichtraucher sowohl aus Frankreich als auch aus den Benelux-Ländern, für die genussvolles Essen und Zigarettenqualm am besten auf zwei unterschiedliche Planeten verteilt sein sollten... mir scheint, der Autor will hier auf charmante Art ein ganz persönliches Laster legitimieren. Das stört mich ein ganz kleines bisschen, tut dem Lesevergnügen in ganz großem Stil jedoch keinen Abbruch.

Veröffentlicht am 22.07.2018

Verhängnisvolle "Rumspringa"

Blutige Stille
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Auch der zweite Teil der Serie um Kate Burkholder, Polizeichefin von Painter Mills, Ohio, ist wie bereits der erste "Die Zahlen der Toten" ein absolutes Kleinod der amerikanischen Spannungsliteratur. Nicht ...

Auch der zweite Teil der Serie um Kate Burkholder, Polizeichefin von Painter Mills, Ohio, ist wie bereits der erste "Die Zahlen der Toten" ein absolutes Kleinod der amerikanischen Spannungsliteratur. Nicht nur die Krimi- bzw. Thrillerelemente der Story erfüllen höchste Ansprüche - nein, auch die Rahmenhandlung, in der der hohe Anteil der Amish-Bevölkerung der Gemeinde eine nicht geringe Rolle spielt, ist der Knaller schlechthin.

Painter Mills ist Kate Burkholders Geburtsort - auch sie war eine Amish, die sich in ihrer "Rumspringa" - der Zeit, in der Spätpubertierende eine Entscheidung in bezug auf ihre religiöse Zukunft und damit auf ihr ganzes weiteres Leben treffen können - gegen das "schlichte" Leben entschieden hat.

Parallelen zu ihrem eigenen Schicksal weist der neueste, besonders tragische Fall auf, in dem die siebenköpfige Amish-Familie Plank auf brutalste Weise ermordet, teilweise gar gefoltert wurde, auf. Schnell zeigt sich, dass der Dreh-und Angelpunkt die fünfzehnjährige Mary ist, die ihre erste Liebe erlebte und drauf und dran war, sich für ein Leben "draußen" zu entscheiden.

Kate ermittelt unter alten Bekannten aus ihrem früheren Leben als Amishe, doch auch unter Fremden: Mary hat in einem Laden gejobbt: könnte das ein Hinweis sein? Doch auch Jungs aus ihrer Gemeinde haben für sie geschwärmt - könnte tatsächlich einer der pazifistischen Amish durchgedreht sein? Zudem taucht noch der älteste Sohn der Familie Plank auf - auch er ein Abtrünniger mit einer gewissen Vergangenheit und mit tiefen Wunden.

Linda Castillo schreibt fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite. Kleines Manko aus meiner Sicht: die Figuren werden oft nur vage skizziert - so bleibt das Wesen von Marys ebenfalls ermordeten Geschwistern völlig im Dunkeln. Doch das sind nur winzige Abstriche in einem anspruchsvollem und inhaltsreichen Thriller, den ich bedingungslos einer großen Lesergemeinde - alt und jung, Mann und Frau, Krimi- oder Thriller-Liebhaber - ans Herz legen möchte.

Veröffentlicht am 22.07.2018

Originelles Ermittlerpaar

Der Ruf des Kuckucks
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Wie auch der erste "Danach"-Roman von Joanne K. Rowling hat mich dieser Krimi wieder voll begeistert: die Frau hat es einfach drauf, unabhängig vom Genre.
Mich faszinieren atmosphärische Schilderungen ...

Wie auch der erste "Danach"-Roman von Joanne K. Rowling hat mich dieser Krimi wieder voll begeistert: die Frau hat es einfach drauf, unabhängig vom Genre.
Mich faszinieren atmosphärische Schilderungen und Personenbeschreibungen, die die jeweiligen Orte und Figuren gleichsam mit wenigen Pinselstrichen umreißen.

Genau wie man in den Harry-Potter-Büchern wie auch im "Ganz normalen Todesfall" rasch ein Bild vom Setting und den Charakteren hatten, gelingt es auch im "Kuckuck", sich den Afghanistan-Veteranen und Privatermittler Cormoran Strike, den unehelichen Sohn eines berühmten Rocksängers sowie Robin, seine Assistentin für kurze Zeit vorzustellen, wie auch Lula, das Opfer, ihre Angehörigen und Freunde.

Ein tolles Buch, das ich mit viel Freude gelesen habe! Ich hoffe sehr, dass Frau Rowling - warum nur hat man ihr Pseudonym auffliegen lassen, auch so wäre der Krimi der absolute Hit geworden - wieder eine Serie daraus macht. Ich würde mit Sicherheit am Ball bleiben und diesem sowohl sehr englischen als auch überaus originellen Team von Fall zu Fall entgegenfiebern!