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Veröffentlicht am 04.03.2021

Opulent wie die Gemälde der niederländischen Renaissance

Otmars Söhne
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Nach "Bonita Avenue", 2010 im niederländischen Original und 2013 auf Deutsch erschienen, folgte mit gebührendem Abstand 2019 (2021 dann auf Deutsch) "Otmars Söhne", das als Trilogie geplant ist. ...

Nach "Bonita Avenue", 2010 im niederländischen Original und 2013 auf Deutsch erschienen, folgte mit gebührendem Abstand 2019 (2021 dann auf Deutsch) "Otmars Söhne", das als Trilogie geplant ist. Bei einer solchen Ausführlichkeit wie der Buwaldas ist der zeitliche Abstand nachvollziehbar, sind doch beide Werke von komplexer Struktur und umfassen über 600 Seiten.

Konnte "Bonita Avenue" mich von Beginn an bedingungslos begeistern, musste ich mich an "Otmars Söhne" zunächst herantasten. Denn es schlägt seinen Vorgänger in Bezug auf Komplexität, Opulenz und Verwendung literarischer Kniffe und Feinsinnigkeiten noch um Längen.

Es geht um Ludwig Smit, aber die Vergangenheit spielt wieder und wieder mit ein, nein, eigentlich dominiert sie das Geschehen auf eine fast manische Art und Weise. Fast? Nein, sie tut es wirklich.

Denn Ludwig hat zwei Väter und zwei Geschwister - Stiefgeschwister, es sind eigentlich Otmars Kinder. Denn Otmar ist der Stiefvater und damit derjenige der in Ludwigs Leben eine deutlich dominantere Rolle spielt.

Ein ganzes Heer an Personal wird hier aufgeboten und es ist schwierig, damit nicht durcheinander zu geraten, aber es lohnt sich durchaus.

An Opulenz ähnelt dieser "Schinken" den Gemälden der niederländischen Renaissance, einem Breughel zum Beispiel, auf dem man bei jeder Betrachtung unzählige neue Details entdeckt. So erging es mir bei der Lektüre dieses Buches - ich habe immer mal zurückgeblättert und neu gelesen und neue Aspekte taten sich mir auf. Ein ungeheuer eindringlicher, aber auch fordernder und gelegentlich etwas anstrengender Roman!

Veröffentlicht am 28.02.2021

Eine Frau, die ihrer Zeit voraus war

Die Frau von Montparnasse
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Das war Simone de Beauvoir! Dieser Roman beleuchtet ihr Leben und - wie könnte es anders sein - ihre Beziehung zu Sartre. Eine ungewöhnliche Frau war sie, in vielen Aspekten ihrer Zeit weit voraus. Und ...

Das war Simone de Beauvoir! Dieser Roman beleuchtet ihr Leben und - wie könnte es anders sein - ihre Beziehung zu Sartre. Eine ungewöhnliche Frau war sie, in vielen Aspekten ihrer Zeit weit voraus. Und klug wie keine andere, was den jungen Sartre schnell faszinierte.

Er wollte sie, aber er wollte auch andere: in diesem Roman kam es für mich so rüber, als ob sie sich zunächst seinen Bedürfnissen beugte, sich dann jedoch selbst einfand in dieser Art zu leben - wenn auch mit Einschränkungen.

Denn Sartre nahm sich, was er brauchte - Simone hingegen gab und nahm. In genau der Reihenfolge.

Dem Leser offenbaren sich neue Aspekte der berühmten Denkerin -wir lernen sie als wanderfreudigen Naturmenschen kennen. Große Strecken legte sie zurück, war oftmals wochenlang unterwegs - die Bewegung in der Natur scheint eine Art Lebenselexir für sie gewesen zu sein.

Ebenso wie auf der anderen Seite die Stadt Paris mit ihren Cafés und vor allem Hotels - viele Jahre lebte Simone in Hotelzimmern in ihrer Heimatstadt und richtete sich erst in der zweiten Lebenshälfte eine eigene Wohnung ein.

Eine Frau, die am Puls der Zeit lebte - auch das war Simone de Beauvoir. Sie kannte alle wichtigen Leute ihrer Zeit in Frankreich, einige davon prägte sie. Und sie gestaltete sich ihre eigene Familie - unkonventionell wie (fast) alles in ihrem Leben.

Ja, in allem konnte Simone nicht, wie sie wollte, dafür war sie zu früh geboren worden - noch waren die Pforten des Lebens in zahlreichen Bereichen noch nicht für Frauen geöffnet. Frauenrechte - das war eines ihrer Lebensthemen.

Die Autorin Caroline Bernard hat eine fesselnde Romanbiographie geschaffen, in der mir lediglich die Darstellung der Geisteswelt Beauvoirs zu kurz kommt. Und Simones Pariser Viertel Montparnasse, das sogar im Titel vorkommt, bleibt ein bisschen farblos. Ingesamt jedoch kann ich diesen Roman allen empfehlen, die Simone de Beauvoir etwas besser kennenlernen möchten.

Veröffentlicht am 19.02.2021

Ganz normal!

Die Einwilligung
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Als ganz normal empfanden das Umfeld der erst 13jährigen V., wie sich Vanessa Springora in ihrem bitteren Tatsachenbericht selbst nennt, ihre Beziehung mit dem fast 30 Jahre älteren G.M., der volle Name ...

Als ganz normal empfanden das Umfeld der erst 13jährigen V., wie sich Vanessa Springora in ihrem bitteren Tatsachenbericht selbst nennt, ihre Beziehung mit dem fast 30 Jahre älteren G.M., der volle Name ist schnell gegoogelt. Ihre eigene Mutter erlaubte ihr, in den jungen Jahren mit dem Mann zusammenzuleben, obwohl sie sich doch denken konnte, was dort stattfand. Und nicht nur sie, es wurden von den berühmtesten der Berühmten der französischen Kulturszene Petitionen unterschrieben, die derartige Verbindungen befürworteten.

Und G.M. schrieb völlig offen darüber, jahrelang! Und obwohl man inzwischen in Frankreich etwas anders auf die Dinge blickt, ist er bis heute nicht strafrechtlich verurteilt worden. Und in den 70er und 80er Jahren wurde er zu diversen Fernsehshows eingeladen, in denen seine "Neigung" durchaus wohlwollend diskutiert wurde.

Kein Wunder, dass V. ihre Beziehung - man konnte sie durchaus als eine feste bezeichnen - jahrelang selbst als vollkommen normal empfand, ohne sich Gedanken darüber zu machen, welche Rolle sie selbst darin einnahm: definitiv keine gleichberechtigte, zumal G.M. durchaus noch was nebenher am Laufen hatte.

Das er sie ihrer Jugend beraubte, das ist ihr erst Jahre später klar geworden. Wobei das nur eine seiner Untaten war. Sie berichtet fast lakonisch darüber, wenn es auch gelegentlich aus ihr herausbricht. Ich konnte stellenweise kaum weiterlesen, fühlte mich ebenso ohnmächtig wie dankbar, dass meine Eltern das alles gottseidank schon damal ganz anders gesehen haben. Schwere und wichtige Kost - und alles andere als normal!

Veröffentlicht am 15.02.2021

Kriegskinder im Osten wie im Westen

Lebenssekunden
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Angelika aus Kassel und Christine aus Ost-Berlin haben eines gemeinsam: beide sind sie im Sommer 1940 geboren, ziemlich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs also. Ihre bewusste Kindheit und die Jugend ...

Angelika aus Kassel und Christine aus Ost-Berlin haben eines gemeinsam: beide sind sie im Sommer 1940 geboren, ziemlich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs also. Ihre bewusste Kindheit und die Jugend sind von den Nachkriegsjahren geprägt.

Angelika wächst in einer sehr liberalen Künstlerfamilie auf - mit der Schule hat sie es nicht so, als sie allerdings hinausgeworfen wird, weiß sie zunächst nicht weiter. Doch langsam, aber sicher reift in ihr der Entschluss, ihr großes Interesse Fotografieren zum Beruf zu machen. Als Mädchen ohne Schulabschluss eine Lehrstelle finden? Geht das? Während Angelika sich noch zu finden versucht, geschieht in ihrem nächsten Umfeld ein traumatisches Ereignis, das ihre ganze Familie berührt.

Christine in Ostberlin hingegen lebt ein extrem strukturiertes Leben: schon von klein auf. Sie ist Kunstturnerin und in ihrem Leben gibt es nur Schule und Sport. Und sehr, sehr viel Druck. Nur mit allergrößter Disziplin sind verlockende Ziele wie Sportfeste in Westdeutschland oder vielleicht sogar die Teilnahme an den Olympischen Spielen zu erreichen. Und dann lernt sie bei einer dieser Gelegenheiten Thomas aus Stuttgart kennen und lieben. Beziehungsweise nur lieben, denn es ist den beiden jungen Leuten nicht möglich, sich näher kennen zu lernen. Werden sie dennoch zueinander finden?

Ein Roman, der eine Sogwirkung auf mich hatte, der entlang relevanter historischer Ereignisse ab 1956 aufgebaut ist und der mich wirklich faszinierte. Zu großen Teilen jedenfalls. Ich fand es jedoch schade, dass manchmal nicht klar wurde, was von den Ereignissen Realität, was Fiktion war - mir hätte ein entsprechendes Nachwort hier sehr geholfen. Der Ausbildung nach bin ich Historikerin und möchte das daher immer genau nachverfolgen, gerade wenn die Handlung mich so fasziniert.

Autorin Katharina Fuchs schreibt wirklich eindringlich und mitreißend, ein bisschen merkwürdig finde ich allerdings, dass die bisherigen Romane alle nach dem Schema aufgebaut sind, dass es zwei Hauptfiguren gibt, deren Schicksale sich dann irgendwann kreuzen. Obwohl mir dieses Buch sehr gefallen hat, fände ich es angenehm, wenn dieser Aufbau sich nicht weiterhin in Romanen der Autorin quasi als eine Art Automatismus wiederholen würde.

Veröffentlicht am 12.02.2021

Ein Freund der Pflanzen und der Damen

Fürst Pückler
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Das war der etwas windige Fürst Pückler, der in diesem schmalen Band in Form von Anekdoten eingeführt wird. Man mag denken, dass das dem adligen Herrn nicht so ganz gerecht wird, doch nach der ebenso kurzen ...

Das war der etwas windige Fürst Pückler, der in diesem schmalen Band in Form von Anekdoten eingeführt wird. Man mag denken, dass das dem adligen Herrn nicht so ganz gerecht wird, doch nach der ebenso kurzen wie eindringlichen Lektüre bin ich mehr und mehr davon überzeugt, dass das Gegenteil der Fall ist.

Autorin Dorothee Nolte hat ihn gar trefflich porträtiert, als Charmeur und als Plantomanen. Wobei der zweite Teil - aus meiner Sicht bedauernswerter Weise - ein wenig zu kurz kommt, wir finden den Hallodri, wie er nicht selten genannt wird, zwar ebenso oft zwischen den Laken mannigfaltiger Damen wie in unterschiedlichen Gärten, doch werden diese leider kaum genauer beschrieben.

Was schade ist, da er als Gartengestalter doch um einiges erfolgreicher war denn als Schürzenjäger, zumindest langfristig, da die Gartengestaltung neben dem Schreiben zu einer seiner hauptsächlichen Ertragsquellen wurde. Und da seine Verschwendungssucht einfach alles überstieg, hatte er diese dringend nötig. Ein kleiner unterhaltsamer Band, durch den man schnell und unkompliziert Bekanntschaft schließen kann mit einem rechten Lebemann, der aber durchaus einiges an Potential in sich trug!