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Veröffentlicht am 25.04.2018

Schwestern plötzlich vereint

Das Motel der vergessenen Träume
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Halbschwestern, genauer gesagt: zwischen Carmen und Gracie liegen über 12 Jahre: das war das Alter, in dem Carmen war, als ihr desillusionierter Vater seine Tochter packte und mit ihr zusammen fort ging, ...

Halbschwestern, genauer gesagt: zwischen Carmen und Gracie liegen über 12 Jahre: das war das Alter, in dem Carmen war, als ihr desillusionierter Vater seine Tochter packte und mit ihr zusammen fort ging, um ein neues Leben zu beginnen - fort von seiner trinkenden Frau, die nichts Besseres zu tun hatte, um sich gleich mit dem Ersten Besten zu trösten und ein zweites Kind zu zeugen: Gracie. Leider lebt Gracie dann auch nur mehr schlecht als recht bei ihrer Mutter auf - als Teenager verlässt sie irgendwann gefrustet ihr Heim, um - ja, das weiß sie selbst nicht so genau.

Wenig später findet Carmen sie im verlassenen Motel der Familie - und nimmt sie auf. Carmen, die Meteorologin ist und als Wetterfee beim Fernsehen arbeitet, einen nicht nur gut aussehenden, sondern auch - beziehungsweise vor allem - charakterlich wundervollen Ehemann hat, nämlich Ben, mit dem sie auch den Glauben an Gott teilt, ein wichtiges Element in ihrem Zusammenleben. Gracie sieht Carmen als perfekte Frau und geht auf Abstand, wobei ihr gar nicht der Gedanke kommt, dass Carmen verzweifelt ist - ihr seit Jahren unerfüllter Kinderwunsch wird immer unerträglicher und sie ist kurz davor, alle Hoffnung zu verlieren.

In einem gemeinsamen Projekt - der Wiederinstandsetzung des alten Motels, das seit einigen Jahren leer steht, verbringen die Schwestern einige Zeit miteinander, doch eine Nähe entsteht nicht. Werden Gracie und Carmen an ihren unglücklichen Schicksalen, die so unterschiedlich sind, wachsen oder verzweifeln? Werden Sie einander eine Stütze sein?

Ein Roman über die Unmöglichkeit des vollkommenen Lebens, über Hoffnung, Zuversicht und Enttäuschung - und über die Kraft des Glaubens. Auch ein Roman über unerwartete Geschenke, die dem Leben neue Wendungen geben können und über die Kraft des Glaubens und der Hoffnung. Vor allem jedoch der Liebe, die, wie schon die Bibel sagt, die stärkste Kraft von allen ist.

Ein eindringlicher und ungewöhnlicher Roman mit ausgeprägten, eigenwilligen und sehr, sehr unterschiedlichen Charakteren. Ein Roman für Leser, die gerne neue Wege erkunden und für solche, die es mögen, wenn der christliche Glaube in ihrer Lektüre eine Rolle spielt. Eine große Rolle sogar, wobei mir besonders gefiel, dass viele Facetten des Glaubens und auch des Zweifelns daran angesprochen werden und dieser sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch zieht. Wäre nicht das für meinen Geschmack nicht ganz passende offene Ende gewesen, dann wäre meine Begeisterung uneingeschränkt. Aber auch so empfehle ich einen kraftvollen und eigenwilligen Roman aus ganzem Herzen. Wer einmal etwas Eigenwilliges, ja Unkonventionelles fürs Gemüt sucht, der liegt hier richtig!

Veröffentlicht am 19.04.2018

Summer of '69

Unter der Haut
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Those where the best days of my life - back in the summer of '69. Das singt Bryan Adams. Und so empfindet es auch der junge Jonathan, gerade erst den elterlichen Zwängen einer gut behüteten Kindheit entronnen. ...

Those where the best days of my life - back in the summer of '69. Das singt Bryan Adams. Und so empfindet es auch der junge Jonathan, gerade erst den elterlichen Zwängen einer gut behüteten Kindheit entronnen. Ausgerechnet nach New York hat es ihn verschlagen und dort will er nun endlich was vom Leben haben, es beim Schopf packen, die Geheimnisse ergründen. Und tatsächlich fällt ihm das Leben - darunter versteht der junge Mann vor allem das Ausleben seiner Sexualität, bislang eine für ihn selbst geheimnisvolle, nahezu unverständliche Größe - wie eine pralle Frucht direkt in den Schoß.

Seine Traumfrau - zurückblickend müsste man sagen, die erste von vielen - führt ihn zu einem Mann, der den Schlüssel der Erkenntnis zu besitzen scheint - zu Joseph Eisenstein, einem erfahrenen Mann und leidenschaftlichen Büchersammler um die fünfzig. Eisenstein nimmt ihm mit in die Stadt, zeigt ihm das Leben, das aus schwül-warmer Leidenschaft und Hingabe zu bestehen scheint. Aus vielen Frauen und vor allem jungen Mädchen, die Jonathan nun willig ins Netz gehen. Und aus Büchern - ledern gebundenen Prachtexemplaren. Sie sind es, denen Eisensteins Leidenschaft zu gelten scheint.

Parallel geschieht eine ganze Reihe von Morden, die mit dem Ende des Sommers '69 abrupt endet. Genauso wie die enge Beziehung Jonathans zu Joseph Eisenstein. Und Jonathan bleibt jahrelang ein Suchender - bis er in einem israelischen Kibbuz einer Frau begegnet. Mal wieder. Und die führt ihn zu... Nein, das müssen Sie jetzt selbst lesen. Ich kann Ihnen das nicht alles erzählen, das hat Autor Gunnar Kaiser so gekonnt getan, dass ich Sie nur auffordern kann, sich in dieses Leseerlebnis zu stürzen. Und ich kann Ihnen versprechen, dass sie Vieles erfahren werden, das sich sowohl nach als auch - und zudem in wesentlich größerem Maße - vor dem Sommer des Jahres 1969 abgespielt hat, lange davor. Dieser ist nämlich zwar der Ausgangspunkt, aber längst nicht der einzige Handlungszeitraum.

Das Wort "Leseerlebnis" wähle ich mit Bedacht: dies ist nämlich ein ganz besonderes, denn der Leser stellt mehr und mehr fest: die Haut ist "nur" das, was man sieht. Darunter bleibt Vieles verborgen - manches will man ergründen, manches lernt man zu fürchten und manches sollte lieber verborgen bleiben.

Ein Buch, das ich mir erarbeiten musste. Lange, lange habe ich daran gelesen, es zu durchdringen versucht, mich an der Nase herumführen lassen, mich wieder eingefangen, mich daran gerieben, meine Schrecken überwunden, mich von Leidenschaften packen lassen, von denen ich gar nicht wusste, dass sie in mir schlummern und... Sie sehen also, ein Buch, das es dem Leser möglicherweise nicht leicht macht, eines, das unter die Haut geht eben. Man sollte hier definitiv auf den Titel achten, der hält definitiv, was er verspricht. Wie auch immer man zu dem Buch stehen mag - ich bin überzeugt, dass sich niemand so ganz entziehen kann.

Ein verstörendes Leseerlebnis, das viel Brutalität beinhaltet, große Gefühle und große Entwicklungen beschreibt und mich ausgesprochen aufgewühlt zurück lässt. Ein Buch, das aufrüttelt, aufweckt, aber auch durchschüttelt - ja, ehrlich gesagt, fühle ich mich wie durch einen Fleischwolf gedreht - was nach dem Lesen von mir da ist, ist dasselbe wie vorher. Aber in einer anderen Zusammensetzung. Ein Buch, das sicher nicht jedem guttut, das auch nicht jeder Lesen sollte - aus demselben Grund, aus dem ich Heinrich Manns "Untertan" nach der Lektüre weit hinten im Regal verbannt habe, aus dem ich Hesses "Unterm Rad" bisher nie zu Ende lesen konnte: es sind Bücher die weh tun. Bücher, die einem etwas von sich selbst zeigen. Etwas, das man nicht unbedingt sehen will. Bücher, die durchdringen und vielleicht aus diesem Grund alle ein "unter" im Titel tragen. Deswegen würde ich auch niemals sagen, man "muss" dieses Buch lesen, denn es kann auch sehr negativ auf den Lesenden wirken, ja, diese Kraft hat es. Ich werde es sicher so schnell nicht wieder lesen, denn ich weiß jetzt, dass ich dafür Kraft brauche, sehr viel Kraft und die muss ich mir erst wieder aufbauen. Immer schön peu á peu.

Also: ein Buch für mutige Leser, die keine Angst vor sich selbst haben.

Veröffentlicht am 18.04.2018

Wellness in Düsseldorf

Frösche, die quaken, töten nicht
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Wellness in Düsseldorf - und zwar vom Feinsten: das ist das Setting, in dem dieser handlungsreiche, humorvolle und unterhaltsame Krimi der Autorin Vera Sieben spielt.
Das Setting: die Düsseldorfer Kriminalreporterin ...

Wellness in Düsseldorf - und zwar vom Feinsten: das ist das Setting, in dem dieser handlungsreiche, humorvolle und unterhaltsame Krimi der Autorin Vera Sieben spielt.
Das Setting: die Düsseldorfer Kriminalreporterin Liv Oliver braucht Erholung und hat beschlossen, dass sie diese am effizientesten in einem Wellnesstempel in ihrer Heimatstadt erlangen kann und sich kurzerhand für ein paar Tage eingecheckt. Doch bereits am ersten Morgen wird sie Zeugin eines Todesfalles: an einem der Nachbartische stirbt ein älterer Herr, der sich als Besitzer der Wellnessanlage herausstellt - wohlgemerkt als nicht gerade beliebter Chef bei den ehemaligen Mitarbeitern. Er hinterlässt: eine getrennt lebende Ehefrau, 2 erwachsene Kinder aus erster Ehe, die im Betrieb mitarbeiten und eine knackig-junge Geliebte. Sie alle spekulieren aufs Erbe, sind damit verdächtig, einen Mord begangen zu haben. Dazu kommt noch eine Reihe von Hotelangestellten mit eigenen Interessen... und prompt verwandelt sich Livs Erholungsurlaub in einen von einer Zeitung finanzierten Arbeitsaufenthalt. Trotzdem lässt sie sich die Butter nicht vom Brot nehmen, ermittelt vor, während und nach der Anwendungen, die sie nun auf Zeitungskosten genießt ... und konkurriert bzw. kooperiert dabei - man kann es unterschiedlich sehen - mit ihrem ehemaligen Freund Frank, der als ermittelnder Kommissar für den Fall zuständig ist....

Ein spannend angelegter Krimi, in dem das Düsseldorfer Lokalkolorit aus jeder Zeile springt und der Nicht-Düsseldorfern gut als Ergänzung zum Reiseführer bei einem Stadtbesuch dienen kann: enthält er doch neben Beschreibungen diverser Sehenswürdigkeiten auch Hinweise auf kulinarische Düsseldorfer Spezialitäten und das nicht zu knapp: das beste Düsseldorfer Alt, der scharfe Löwensenf, die berühmte Konditorei Heinemann mit ihren Pralinen - das alles wird so anschaulich dargestellt, dass man es als Schleichwerbung sehen kann - für mich waren es gute Tipps, so anschaulich beschrieben, dass mir das Wasser im Munde zusammenlief und der nächste Trip nach Düsseldorf bereits in Planung ist.

Ein rundes Ding also - der neue Krimi von Vera Sieben? Naja, sagen wir, ein ovales, das Ende war dann doch ein bisschen ohne "Schmackes", wie der Rheinländer zu sagen pflegt und der ein oder andere Erzählstrang blieb unaufgelöst. Nichtsdestotrotz von mir eine klare Leseempfehlung mit einprägsamen Hinweis zum Schluss:

Willst Du Dich in Düsseldorf verlieben
lies den Krimi von Vera Sieben!

Veröffentlicht am 18.04.2018

Nachkriegskindheit im Pott

Gummitwist in Schalke Nord
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Fast jeder der in den 50er und 60er Jahren geborenen, vor allem die in westdeutschen Siedlungen aufgewachsenen Nachfahren der Kriegsflüchtlinge aus dem Osten, hat Gummitwist gespielt, ob in Schalke-Nord, ...

Fast jeder der in den 50er und 60er Jahren geborenen, vor allem die in westdeutschen Siedlungen aufgewachsenen Nachfahren der Kriegsflüchtlinge aus dem Osten, hat Gummitwist gespielt, ob in Schalke-Nord, oder, wie in meinem Fall, in Köln-Süd. Vieles von dem, was Elke Schleich über ihre Nachkriegskindheit schreibt, erkenne ich, obwohl zehn Jahre jünger, wieder und kann es fast wortgetreu auf die eigene Erlebniswelt oder die von Freundinnen übertragen.
18 kleine Geschichten fügen sich hier zu einer und damit zur Beschreibung von Lenis - so heißt die Hauptperson in Schleichs kleinem Büchlein - Kindheit und Jugend zusammen, wobei durch das spezielle Lokalkolorit des Ruhrgebiets noch eines draufgesetzt wird. Ob erfüllte und - vor allem - unerfüllte Wünsche, die Begleitung des Vaters beim sonntäglichen Kneipengang, die Reisen zur Verwandtschaft in der Ostzone und natürlich die erste Liebe: alles wird wiedergegeben in diesem ganz spezifischen Lokalkolorit.

Ein Buch für alle in den 1950er und 60er Geborenen, ein Buch für die Ruhrpottler und natürlich für die, die lernen wollten/sollen/müssen, dass Schalke mehr ist als die Farben Blau-Weiß in einem Fußballstadion, Verzeihung, in einer riesigen Arena.

Veröffentlicht am 18.04.2018

Ich singe den Leib, den elektrischen

Gebrauchsanweisung für die Welt
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Ich singe den Leib, den elektrischen - so Walt Whitman, der von Andreas Altmann Vielzitierte in einem seiner größten Gedichte ... und auch Altmann besingt hier den Leib der Welt, wenn auch nicht in Gedichtform. ...

Ich singe den Leib, den elektrischen - so Walt Whitman, der von Andreas Altmann Vielzitierte in einem seiner größten Gedichte ... und auch Altmann besingt hier den Leib der Welt, wenn auch nicht in Gedichtform. Er offenbart sich als Prediger der Achtsamkeit und diese kann für etliche Rezipienten, die damit einen Spiegel vorgeführt bekommen, zuweilen sehr schmerzhaft sein.

Ich selbst empfand das Buch als sehr, sehr sperrig und brauchte viel Zeit zum Lesen und Erfassen der diversen Botschaften von Andreas Altmann - aber ist nicht die Welt ein sperriger Platz? Von daher hat mich dies nicht weiter gestört, da es zum Thema passte, das aus meiner Sicht ein überaus individuelles ist, denn eine Gebrauchsanweisung für die ganze Welt kann zwangsläufig nur eine subjektive sein.

Der Leser sollte sich seine - ganz persönlichen - Juwelen heraussuchen: Das Kapitel über Sprache, Sprachempfinden und das Verhältnis zur Sprache finde ich bspw. wunderschön und sehe es als das für mich herausragende Element des Buches - m.E. sollte es in Schulbüchern abgedruckt werden, wenn auch noch zu überlegen wäre, in welchem Fach... Die Fähigkeit, Sprache zu lieben und zu schätzen, egal welcher Mißbrauch bereits im Laufe der Geschichte damit betrieben wurde, welche Gewalt in den Ländern, in denen sie gesprochen wird, herrscht bzw. herrschte und dass man zumindest "bitte" und "danke" in den Sprachen des Gastlandes lernen sollte, das alles hat mich sehr berührt. Andere Leser werden sich möglicherweise für andere Themen mehr erwärmen und sich so ihre eigenen Besonderheiten erwählen.

Auf der anderen Seite stört mich auch vieles: die vielen Frauengeschichten vor allem, die den Autor zum eitlen Geck werden lassen, aber es bringt mich auch etwas zum Lächeln. Nun ja, es ist sein persönlicher Akzent.

Nur in Einzelfällen prangert er andere Reisende an, so die Asien-Sextouristen: ich empfinde das als positiv. Das ist aus meiner Sicht ein Mißstand und er gehört angesprochen. Und er findet klare, harte Worte dafür: auch das ist ok für mich. Auf der anderen Seite kann er aber auch sehr zart sein wie in dem Bericht über Malouf, den afghanischen Jungen, der mich weinen ließ.

Ein Buch das polarisiert und das durchaus keine leichte Kost ist - mich haben die Erkenntnisse des Autors je nachdem nachdenklich, wütend, emotional werden lassen - und ein Buch, das so viele Botschaften beinhaltet und insgesamt lange nachwirkt, ist an sich schon die Lektüre wert!