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Veröffentlicht am 09.10.2017

Mord in der weihnachtlichen Backstube

Frostkalt
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Heiner Hölzle, der schwäbische Kommissar, den es nach Bremen verschlagen hat, ermittelt wieder - sehr zur Freude seiner Fangemeinde!

Diesmal bekommt er es mit einem verzwickten Mordfall zu tun, der ihm ...

Heiner Hölzle, der schwäbische Kommissar, den es nach Bremen verschlagen hat, ermittelt wieder - sehr zur Freude seiner Fangemeinde!

Diesmal bekommt er es mit einem verzwickten Mordfall zu tun, der ihm einen unwillkommenen Einblick in von außen scheinbar heile, im Innern jedoch verrottete Familienstrukturen vermittelt. Und das in der besinnlichen Adventszeit!
So müssen Hölzle und seine bewährten Mitarbeiter nicht nur den Mord an einem nicht ganz so rechtschaffenen Bäckermeister, für den eine Reihe Verdächtiger ohne Alibi in Frage kommen, lösen, sondern sie werden auch konfrontiert mit dem Fall eines ausgesetzten Neugeborenen und schließlich gar noch mit einem zweiten Mord.
Als am Ende eine junge Frau brutal zusammengeschlagen wird, bringt dies Hölzle auf eine heiße Spur, dank derer es ihm gelingt, einen skrupellosen und zu allem entschlossenen Mörder dingfest zu machen...

Wieder war es ein Vergnügen, dem sympathischen Kommissar aus dem Schwabenland mit seiner Vorliebe für gutes Essen bei der Lösung eines Mordfalles zuzuschauen!
Die Geschichte, die sich die beiden Autorinnen diesmal für ihn ausgedacht haben, ist spannend und läd zum Miträtseln ein.
Denn im Grunde ist der Leser den Ermittlern um Hölzle immer einen Schritt voraus! Liliane Skalecki und Biggi Rist haben sich dafür entschieden, undatierte Rückblenden in ihre Handlung einzubauen, die allesamt Puzzlestücke der Geschichte sind und den Leser mit Informationen über vergangene Geschehnisse und, ebenso wichtig, über deren Charaktere versorgt.

Bis zum Schluss gelingt es dem Autorengespann, die Spannung aufrechtzuerhalten und sogar kontinuierlich zu steigern.
Nein, vorhersehbar war die Auflösung nicht, - und wie die Kommissare, so tappen auch die Leser lange Zeit im Dunkeln, folgen Spuren, die ins Nichts führen, machen die Bekanntschaft von ehrlichen und weniger ehrlichen Zeitgenossen und nehmen von einem Verdächtigen nach dem anderen Abschied, die allesamt Grund genug hatten, dem ehrenwerten Bäckermeister das Lebenslicht auszublasen.
Wie es Hölzle allmählich gelingt, den Tathintergrund zu erhellen, ist nachvollziehbar-logisch und unterhaltsam zur gleichen Zeit.

Denn tatsächlich - amüsant ist dieser Kriminalroman durchaus auch, dann nämlich, wenn Hölzle und seine Kollegen und Freunde ihre Auftritte haben, wenn sie privat werden, auf dem Bremer Weihnachtsmarkt, einem der schönsten in Deutschland, wie man hier erfahren kann, bummeln und ein wenig zu heftig den Gaumengenüssen zusprechen, den dieser zu bieten hat.
Auch Einzelheiten aus dem Liebesleben Hölzles liest man immer wieder gerne...

Doch verlieren die beiden Autorinnen niemals den roten Faden, verlieren niemals das Ziel vor Augen - um am Ende den Faden zur Befriedigung des Lesers aufrollen zu können!
Und so ist auch dieser Hölzle-Fall sehr empfehlenswert, - und nicht nur zur frostkalten Weihnachtszeit....

Veröffentlicht am 01.10.2017

Ein Sommer im Paradies der Kindheit

Das Haus im Amselgarten
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Die Erzählerin der herzerwärmenden Geschichte hält es, nachdem sie einen Bauarbeiter, der ihr den Frühling durch seinen Lärm vergällt, mit einem Pfeil in den Allerwertesten verwundet hat, für geraten, ...

Die Erzählerin der herzerwärmenden Geschichte hält es, nachdem sie einen Bauarbeiter, der ihr den Frühling durch seinen Lärm vergällt, mit einem Pfeil in den Allerwertesten verwundet hat, für geraten, ihrem Zuhause zu entfliehen. Sie nistet sich bei der Großmutter in einem kleinen Dorf im Thüringischen ein - und verbringt dort, im Land ihrer Kindheit, einen wunderschönen, unvergesslichen Sommer im Einklang mit dem Rhythmus der Natur und dem, was sie so freigiebig zu bieten hat.

Das kleine, rundum fröhliche Buch hat mir wunderschöne Lesestunden beschert!
Es bringt mir ein Stück heile Welt zurück mitten im Stress und Getriebe unsrer hektischen Zeit.
Auf dem Land, bei der Großmutter der Erzählerin, scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, alles atmet Ruhe und Muse und Gelassenheit. Großmutters Ort erinnert mich in vielem an meine eigene Kindheit, die ich gar nicht weit von Silke Heins idyllischem Schauplatz verbracht habe.
Einfach leben in diesem Frühling, dem folgenden Sommer und dem abschließenden Altweibersommer, mit all den Pflanzen und Düften und Lichtern, all dem kleinen und großen Getier, dem beschaulichen Dorfleben, den Festen, die anfallen und für kleine Höhepunkte sorgen - Silke Heins liebevoll-lebendige Beschreibungen bringen mir Erinnerungen an die heile Welt meiner Kindheit zurück!

Obwohl die sich auf der Flucht befindliche Erzählerin als auch deren Großmutter, die aus der Zeit meiner eigenen Urgroßeltern zu kommen scheint, sind uneingeschränkt zum Liebhaben! Sie arrangieren sich so wunderbar miteinander, harmonisieren so perfekt, dass Altersbarrieren überhaupt keine Rolle spielen. Herzerwärmend fürwahr!

Darüberhinaus flicht Silke Hein bezaubernde kleine Begebenheiten mit Menschen und Tieren in ihre Geschichte ein, bei denen man herzlich lachen kann ob ihrer Skurrilität oder einfach nur gerührt und berührt ist ob ihrer Wärmen und Freundlichkeit.
Und beide, Großmutter und Enkelin, haben dazu noch ein großes Herz für Tiere! Während des Aufenthalts der Enkelin ziehen nach und nach Hund, Katze und Hängebauchschwein in Großmutters Haus im Amselgarten ein - zur Freude des Lesers, der gar nicht genug bekommen kann von den liebenswerten, anstrengenden, eigenwilligen neuen Mitbewohnern, die Großmutters Herz und das der Enkelin im Sturm erobern.

Nur ungern trennt man sich am Ende des Sommers, der längst in den Herbst übergegangen ist, von den Bewohnern des Häuschens, das so liebevoll mit all dem bestückt ist, das das Leben vor vielen Jahrzehnten bereichert hat und von der Großmutter in Ehren gehalten wird.

Einen Gutteil seines Charmes verdankt die Geschichte auch den detaillierten Beschreibungen der Autorin - sei es einer blühenden Wiese, eines schön gedeckten Kaffeetisches, der Amselschar, die dem Häuschen seinen Namen gegeben hat, oder der Zubereitung allerlei alter Gerichte, Marmeladen oder Likören.
Obendrein werden auch noch Rezepte, zur Freude des Lesers, in die Geschichte integriert!
Und zu meinem ganz persönlichen Vergnügen, denn gerade reift bei mir der köstliche Schlehenlikör nach dem Rezept, das die Verfasserin in der Originalhandschrift einer Urur...großmutter mit den entzückten Lesern teilt...

Und weil mir das Büchlein eine solche Freude bereitet und meinen Alltag mit Sonne geflutet hat, möchte ich ihm eine herzliche Leseempfehlung hinterherschicken!

Veröffentlicht am 30.09.2017

Harald, ein Wikinger ohne Fehl und Tadel

Herrscher des Nordens - Thors Hammer
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Der Norweger Harald Sigurdsson, genannt Hardrada, gilt als einer der großen Wikingerkönige!
Gestützt auf Quellen, allen voran die "Heimsklingla", ein Epos des Isländers Snorri Sturlason, eines Sängers ...

Der Norweger Harald Sigurdsson, genannt Hardrada, gilt als einer der großen Wikingerkönige!
Gestützt auf Quellen, allen voran die "Heimsklingla", ein Epos des Isländers Snorri Sturlason, eines Sängers und Dichters von Heldenliedern, erzählt Ulf Schiewe Haralds abenteuerliche und faszinierende Geschichte.
Bereits als Halbwüchsiger zeigten sich die staunenswerten Qualitäten des jungen Harald, der unter der Obhut seiner verwitweten Mutter Asta im Kreise seiner Geschwister aufwuchs. Als sein Halbbruder Olaf seine Königswürde und sein Reich an den Dänen Knut verlor und beides in der historischen Schlacht von Stikle Stad zurückerobern wollte, kämpfte der gerade 15 Jahre zählende Harald an seiner Seite. Er zeichnete sich durch große Tapferkeit und Klugheit aus, wurde aber in der verlorenen Schlacht, die seinem Bruder das Leben kostete, schwer verwundet und musste nach seiner Genesung aus der Heimat fliehen. Nach gefahrreicher Reise kam er, trotz seines jugendlichen Alters längst zum verantwortungsvollen, vorausschauenden und umsichtigen Anführer geworden, mit einer stetig anwachsenden Gruppe von Getreuen schließlich an den Hof des Großfürsten und Herrscher der Rus, Jarisleif der Weise, bei dem er und seine Männer sich als willkommene Söldner, Waräger genannt, verdingten.
Mit Haralds Ankunft in Russland endet der erste von drei Romanen um Harald Hadrada!

Der Autor hat mich mit seinem umfassenden Wissen über das Thema, dessen er sich in seinem Werk über den bewunderten Norwegerkönig Harald angenommen hat und das er in eine packende Erzählung verwebt hat, mehr als überzeugt! Als ich schließlich das Buck zuschlug, konnte ich noch lange nicht Abschied nehmen von Harald und den realen wie auch fiktiven Figuren, die ihm Ulf Schiewe zur Seite gestellt hatte.
Lebensechter, wahrer, aber auch einfühlsamer und voller Sympathie hätte man sie kaum zeichnen können! Sie nehmen Gestalt an vor den Augen des Lesers, begleiten ihn, berühren ihn. Sie laden dazu ein, Partei für sie zu ergreifen oder sie aus tiefstem Herzen zu verabscheuen. Sie werden zu Freunden oder zu Todfeinden.
Gerade die negativen Charaktere wirken in ihrer abgrundtiefen Bösartigkeit ungeheuer kraftvoll und schillernd, sie ziehen den Leser ebenso in ihren Bann wie Harald, die Lichtgestalt, der sich im Laufe der Handlung so überzeugend vom ungestümen Knaben zu einem wahren Führer seines Volkes entwickelt, der Freund und Feind gleichermaßen für sich einzunehmen versteht.

Doch ist der Autor nicht nur ein wahrer Meister in der Schilderung seiner handelnden Personen, denen er auf unnachahmliche Weise Leben einhaucht, sondern er versteht es auch glänzend, dem Leser das Leben in der Zeit der Wikinger, in diesem Band ab dem Jahre 1027, nahezubringen!
So birgt der Roman eine Fülle von detaillierten Informationen nicht nur über die Kriege sowie deren Hintergründe, und die unweigerlich damit einhergehenden Gräuel, sondern auch über den Alltag eines Volkes, mit dem man im allgemeinen vor allem Raub, Plünderung, Piraterie, ungebändigte Wildheit, Totschlag und mordlustiges Erobern assoziiert.
Jedoch, so erfährt man mit Staunen, waren die Wikinger nicht nur tapfere Krieger, - nein, sie waren weit mehr! Geschickte Handwerker findet man unter ihnen, neugierige Reisende in der damals bekannten Welt. Und zumeist lebten sie innerhalb eines geordneten Systems, stets im Einklang mit der Natur, umgeben von ihren Mythen, die eine große Rolle im Leben eines jeden Nordländers spielten und die gegen Bedrohungen von außen, wie zum Beispiel die langsame, nicht selten gewaltsame Durchsetzung des Christentums, verteidigt wurden. Sie betrugen sich in ihrem Alltag gesittet und kultiviert, legten Wert auf Gepflegtheit und Sauberkeit und pflegten enge Familienbande.

So mancher Leser von "Thors Hammer" mag sich nun von alten Vorurteilen verabschieden müssen - was aber nicht schwer fallen kann, denn im Gegenzug gewinnt er differenziertere Kenntnisse des fernen Seefahrervolkes, das immer wieder aufs Neue inspiriert, genauso wie der Welt, in der es sich bewegte und die Unbillen, mit denen es sich auseinandersetzen musste. Ulf Schiewe vermittelt sie großzügig und auf ungemein fesselnde Art, so dass man kaum anders kann als mit Spannung auf die beiden Folgebände zu warten!

Veröffentlicht am 25.09.2017

Spione in Cambridge: gestern und heute

Cambridge 5 - Zeit der Verräter
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"Universitäten sind bis heute Ziel für Geheimdienste aller Couleur, aber Cambridge hat dabei immer eine besondere Rolle gespielt"
So wird im Klappentext die Autorin Hannah Coler zitiert und besser kann ...

"Universitäten sind bis heute Ziel für Geheimdienste aller Couleur, aber Cambridge hat dabei immer eine besondere Rolle gespielt"
So wird im Klappentext die Autorin Hannah Coler zitiert und besser kann man den Roman nicht in einem Satz zusammenfassen!
Genau darum geht es in der Geschichte - um Spionage damals und heute in einer altehrwürdigen englischen Universitätsstadt, die gleichzeitig auf eine lange Tradition als Brutstätte von Geheimagenten zurückblickt.
Und so verläuft die Handlung des Romans auch auf unterschiedlichen Zeitebenen. Er beginnt in der Gegenwart und zentriert sich dort auf den charismatischen, doch zynischen Geschichtsprofessor Hunt, der sich vom Revolutionär und Gegner des Establishments in den frühen 70er Jahren zum, wenn auch widerwilligen, Mitglied eben dieses Establishments entwickelt hat. Ein, wie unzählige Beispiele nicht nur in Großbritannien belegen, ganz und gar nicht untypischer Werdegang!
Die zweite Handlungsebene wird durch die junge deutsche Doktorantin Wera geschaffen, deren Dissertation von Hunt persönlich betreut wird. Wera hat sich vorgenommen, über Kim Philby zu promovieren, einen der fünf Spione, die zusammen als "Cambridge 5" bezeichnet werden, und der der wohl bekannteste, schillerndste, ruchloseste Spion war, den England je hervorgebracht hat. Gleichzeitig jedoch spionierte jener Philby über Jahrzehnte bis zu seiner finalen Enttarnung für den russischen KGB!
Hunt steht Weras wagemutigem Unterfangen zunächst skeptisch gegenüber, doch lässt er sich nach und nach faszinieren von den Ergebnissen ihrer Recherchen, die sich verweben mit seiner eigenen Vergangenheit und der seiner ehemaligen Kommilitonen aus der gemeinsamen Studienzeit in Cambridge, von denen er sich jedoch längst weitgehend distanziert hat.
Als einer von ihnen eines gewaltsamen Todes stirbt, und dies ausgerechnet in Hunts Arbeitszimmer, sieht letzterer sich unversehens als Hauptverdächtiger - und die Geschichte entwickelt sich zu einem spannenden Krimi, der überraschende Geheimnisse aufdeckt und an dessen Ende dem Leser klar wird, dass Spionage nach dem Ende des Kalten Krieges keineswegs der Vergangenheit angehört sondern weiter gedeiht, wenn sich auch die Schwerpunkte verlagert haben....

Die Autorin, eine bekannte Historikerin, die unter dem Pseudonym Hannah Coler schreibt, erweist sich als profunde Kennerin des Themas, dessen sie sich in dem Roman angenommen hat. Sie erzählt eine verzwickte, nur schwer durchschaubare Geschichte auf unterschiedlichen Ebenen geschickt und flüssig, versteht es hervorragend, den Leser gefangen zu nehmen und eintauchen zu lassen in eine dem Laien weitgehend unbekannte, gefährliche und schillernd-faszinierende Welt, die vielen nur aus den Romanen eines John le Carre, eines Graham Greene oder eines Ian Fleming, dem geistigen Vater des unverwüstlichen James Bond, bekannt sein dürfte. Und die, so mag der erstaunte Leser am Schluss feststellen, die Fiktion sogar noch übertrifft.

Darüberhinaus gibt Hannah Coler auch noch einen ebenso aufschlussreichen wie kritischen Einblick in Alltag und System einer elitären und ehrfurchtgebietenden Universität wie Cambridge und die Mechanismen, die hinter den Kulissen wirksam werden, um das System aufrechtzuerhalten, und die ein Bild werfen auf die britische Gesellschaft von heute, die sich, und das überrascht, seit dem Jahr 1934, als Philby & Co. ihre Geheimdiensttätigkeiten begonnen haben, und das auch den Beginn der zweiten Handlungsebene des Romans darstellt, kaum verändert hat!

Alles in allem haben wir es mit "Cambridge 5" mit einem anspruchsvollen, ob der komplexen Thematik nicht leicht und gewiss nicht nebenbei zu lesenden, jedoch vorzüglich geschriebenen und recherchierten Roman zu tun, für den ich eine klare Leseempfehlung ausspreche!

Veröffentlicht am 11.09.2017

Wider das Vergessen

Marlenes Geheimnis
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In ihrem neuen und wie gewohnt mit wunderbarer Sprache geschriebenen Roman erzählt Brigitte Riebe die bewegende Geschichte von Eva Auberlin, die mit ihrer Tochter Marlene nach dem Zweiten Weltkrieg und ...

In ihrem neuen und wie gewohnt mit wunderbarer Sprache geschriebenen Roman erzählt Brigitte Riebe die bewegende Geschichte von Eva Auberlin, die mit ihrer Tochter Marlene nach dem Zweiten Weltkrieg und der Vertreibung aus ihrer Heimatstadt Reichenberg im Sudetenland und der folgenden gefahrvollen Odyssee eine neue Heimat am Bodensee findet.
Aber es ist gleichzeitig die Geschichte von Evas Enkeltochter Nane, die nach der Beerdigung ihrer Großmutter deren Aufzeichnungen liest, womit der Leser sich auf eine zweite Handlungsebene begibt, denn in dieser hält sie die Stationen ihres Lebens fest und enthüllt ein Geheimnis, das nicht nur das Leben ihrer Nachkommen, der Auberlin-Frauen, zu denen auch Nanes unkonventionelle Mutter Viktoria gehört, aufrüttelt und in neue Bahnen lenken wird!

Brigitte Riebe nimmt sich eines weitgehend unbekannten Kapitels der deutschen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte an, zu dem es längst nicht so viele Augenzeugenberichte zu geben scheint, wie zu anderen schweren Themen, die sich auf den Zweiten Weltkrieg und ihre Folgen beziehen!
Flucht aus Ostpreußen? Das kennt man, nicht zuletzt durch die Bücher der Publizistin Marion Gräfin Dönhoff! Aber kaum jemand schreibt über die Vertreibung der Sudetendeutschen, die nach dem verlorenen Krieg als Deutsche nicht mehr in dem Land bleiben durften, das ihnen und ihren Vorfahren längst Heimat geworden war.

Die Autorin lässt Eva stellvertretend für all jene Sudetendeutsche ihre Geschichte erzählen, die Unsägliches erleiden mussten und denen das neue Heimatland lange keine Heimat werden konnte, da sie mit Misstrauen und Abneigung von den Einheimischen der jeweiligen Orte und Regionen, in denen sie sich niederließen, beäugt wurden.

Die Roman-Eva hatte Glück! Durch Zufall und Glück konnte sie ihre Kenntnisse und Begabungen, das Schnapsbrennen nämlich, das sie von ihrem Vater, einem Apotheker, gelernt hatte, dank der Heirat mit Toni Auberlin erfolgreich einsetzen und es zu Wohlstand und Anerkennung bringen. Mit Abstrichen kann man wohl von gelungener Integration sprechen!

Doch lernt der Leser nach und nach eine ganz andere Eva kennen, eine, die Geheimnisse hütet, die womöglich Schuld auf sich geladen hat, die alles in allem so facettenreich ist, wie nur Brigitte Riebe selbst sie ersinnen kann.
Das Gleiche gilt auch für die übrigen Akteure, allen voran Marlene und Nane. Gerade Marlene gibt Rätsel auf, sie ist hart und weich zugleich, schroff und dennoch liebevoll, verschlossen und dann wieder erstaunlich offen. Sie ist gewiss jemand, der polarisiert, dem die Herzen nicht so schnell zufliegen können, wie das vielleicht bei der jungen, anfangs so verlorenen Nane der Fall ist, die die Autorin eine Entwicklung durchlaufen lässt, die in ihrer Glaubhaftigkeit überzeugt.
Wie immer auch lässt Brigitte Riebe eine Reihe von spannenden, anrührenden, aber auch ärgerlichen und wenig einnehmenden Nebenfiguren auftreten, die mit den vier Auberlin-Frauen auf die eine oder andere Weise verknüpft sind und die der bedrückenden und gleichzeitig hoffnunggebenden Geschichte eine gewisse Leichtigkeit und jedenfalls einen besonderen Charme verleihen, dem sich der Leser nicht entziehen kann.

Streckenweise schwer zu ertragen sind die Rückblicke, ist das, was sich auf der zweiten Handlungsebene ereignet, die zum großen Teil in den Kriegszeiten spielt und das Grauen fühlbar macht, das sich unter der braunen Herrschaft entfaltete!
Da erfährt man von Terror und willkürlichen Morden, von den Repressalien, denen Andersdenkende und -glaubende, denen solche, die die "falsche" Nationalität hatten, ausgesetzt waren, und von der Lebensgefahr, in der die Menschen Tag für Tag schwebten. Und man erfährt von Rache, sei es durch die Nationalsozialisten, die das Dorf Lidice und seine Bewohner nach dem Attentat auf Heydrich vernichteten, oder durch die Tschechen an den deutschstämmigen Mitbürgern in den ersten Nachkriegsmonaten.
Der ganze Horror des Krieges wird in diesem unvergesslichen Roman fühl- und erlebbar, die womöglich dunkelste Zeit unsrer Geschichte wird noch einmal heraufbeschworen - wider das Vergessen!
Denn es gibt Dinge, die niemals vergessen werden, niemals wieder geschehen dürfen. Brigitte Riebe erinnert uns nachdrücklich daran!