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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.11.2021

Wer bin ich?

Schwarzes Herz
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Jasmina Kuhnke hat mit ihrem von Brutalität nur so strotzenden ersten Roman gegen Rassismus voll ins Schwarze getroffen. Auch hat ihre Weigerung, das Werk bei der Buchmesse persönlich vorzustellen, ihren ...

Jasmina Kuhnke hat mit ihrem von Brutalität nur so strotzenden ersten Roman gegen Rassismus voll ins Schwarze getroffen. Auch hat ihre Weigerung, das Werk bei der Buchmesse persönlich vorzustellen, ihren Bekanntheitsgrad sicherlich gesteigert, denn das ging vermehrt durch die Presse.
Das Cover mit den groben Händen gefällt mir gut, denn es führt gut in die Problematik ein.
In der Inhaltswarnung führt sie verschiedene Gewaltformen an sowie Fäkalsprache, die für die Leserin belastend sein dürften, aber ich denke, dass sie dieses Werk in all seiner Wucht nur so zu seiner Intendierten Botschaft führen können. Ihr wechselnder Schreibstil zeigt die Bandbreite ihres Könnens.
Die Figuren aus dieser Parallelgesellschaft sind sehr authentisch dargestellt. Drogen, Gewalt und Krankheiten regieren das Leben der Protagonistin, die stellvertretend steht für geschundene Frauen aus diesem Milieu, mit dem ich bisher niemals konfrontiert wurde. Das Werk hat mich aufgerüttelt und meinen Horizont diesbezüglich erweitert, deshalb habe ich es auch in kürzester Zeit verschlungen.
Als Kind einer alleinerziehenden Kroatin und eines Senegalesen, der vor ihrer Geburt verstirbt, merkt Jasmina, dass sie aufgrund Ihrer Hautfarbe “anders” ist. Der Stiefvater behandelt sie oft schlecht, diskriminiert sie, ebenso wie die Kinder auf dem Gymnasium, die aus einem anderen sozialen Umfeld stammen. Ohne Berufsausbildung und hilflos, gerät sie in die Fänge ihres Ehemannes, der sie schlägt, in jeder Hinsicht erniedrigt und sie hörig macht.Sie lebt nur für ihre Kinder.
Nur der Laufsport gibt ihr Anerkennung und Kraft, jedoch muss sie diesen aus gesundheitlichen Gründen bald aufgeben. Die schwarze Ich - Erzählerin hat ein sehr negatives Selbstbild und erkennt erst spät, dass sie sich aus den auferlegten Ketten befreien muss, da sie aber keine Freunde und familiäre Unterstützung hat, fällt ihr das umso schwerer.
Im letzten Viertel des Buches tritt jedoch eine Wendung ein.
Wir haben hier eine sehr emotional erzählte Selbstfindungsgeschichte, die vielen Frauen die Augen öffnen sollte, um Ihnen Kraft zu einer Entwicklung vom abhängigen, hilflosen Opfer zu einem individualisierten, selbstbestimmten Leben zu geben.
Das Buch hat auch mir die Augen für die Problematik geschärft, und ich kann es allen Frauen empfehlen, die bereit sind zu hinterfragen: "Wieviel Gewalt kann ein Mensch ertragen".

Veröffentlicht am 12.10.2021

Undankbarkeit!

Wenn ich wiederkomme
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Die Thematik dieses Werkes hat mich sehr interessiert, denn, aufgrund des demografischen Wandels, und der Tatsache, dass in den sogenannten “reichen, westlichen Ländern" fast alle Frauen berufstätig sind, ...

Die Thematik dieses Werkes hat mich sehr interessiert, denn, aufgrund des demografischen Wandels, und der Tatsache, dass in den sogenannten “reichen, westlichen Ländern" fast alle Frauen berufstätig sind, werden immer mehr Alten- und Kinderbetreuerinnen gesucht, die, wie in dieser Geschichte, aus Osteuropa stammen und ihre Familie verlassen müssen, um in der Fremde Geld zu verdienen. Das mag sich zunächst negativ anhören, aber es war und ist schon immer so, dass man dorthin gehen muss, wo die Arbeit ist. Für viele Personen, zum Beispiel aus der ehemaligen DDR, ist das völlig selbstverständlich. Was würden diese Frauen aus Osteuropa aber machen, wenn es diese Jobangebote nicht gäbe, denn in ihren Heimatländern herrscht große Arbeitslosigkeit?
Das Cover hebt die Anonymität dieser Frauen durch den dunklen Hintergrund hervor, nur ein Lichtstrahl erhellt ihr Dasein. Aus dem Dorf der Protagonistin arbeiten die meisten Frauen und Männer im Ausland, und auch Daniela kann ihren halbwüchsigen Sohn in der Obhut der Eltern und der 8 Jahre älteren Schwester zurücklassen.
Die Geschichte wird aus drei Perspektiven erzählt. Zunächst erzählt der Sohn Manuel, wie einsam er sich ohne seine Mutter fühlt. Im zweiten Teil beschreibt die Mutter ihr arbeitsreiches Dasein in Italien. In diesem Hauptteil erfahren wir viel über ihre Vorgeschichte und ihre Beweggründe für den Weggang, denn sie arbeitet, damit die Kinder auf eine teure Privatschule in der nächstgrößeren Stadt gehen können. Der Tochter finanziert sie dann noch ihr Architekturstudium. Sie macht sich gewissermaßen zur Märtyrerin, indem sie auf fast alles verzichtet, um ihren Kindern teure Kleidung und Geschenke zu schicken. Als der Sohn dann einen Unfall hat ist sie, nach 4 Jahren, gezwungen zurückzukehren.
Natürlich entfremden sich Eltern und Kinder, aber, besonders der dritte Teil, mit dem bezeichnenden Titel “Bumerang” hat mich schockiert, denn hier spricht, Angelika, die Tochter, die wie ein Kind aus einer reichen Familie aufgewachsen ist und nie für ihr Universitätsstudium arbeiten musste. Sie stellt fest, dass ihre Mutter in den Vierzigern bereits müde und ausgelaugt ist, kritisiert diese, aber kommt nach ihrem Abschluss gar nicht auf die Idee, sich Arbeit zu suchen, sondern geht mit ihrem zukünftigen Mann nach Berlin. Die Hoffnungen und Wünsche der Mutter sind somit zerschlagen, denn diese hatte sich ein Leben mit der vereinten Familie im renovierten Haus vorgestellt.
Die Charaktere werden wahrheitsgemäß beschrieben, aber beide Kinder sind undankbar.
Alles wird in leisen, ruhigen Tönen erzählt. Kurze Kapitellängen und der recht einfache Erzählstil lassen einen durch die Seiten fliegen.
Das Werk hat mich sehr nachdenklich gemacht, und ich kann eine sehr positive Leseempfehlung aussprechen. Allerdings wurden viele Fakten doch zu weichgezeichnet.
Trotzdem 5 Punkte

Veröffentlicht am 26.09.2021

Freund oder Feind?

Der Sucher
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Wir finden eine sehr detaillierte Beschreibung der ländlichen Idylle im Westen Irlands vor. Das lässt an die Romane von Maeve Binchy denken, die überwiegend in Irland spielen. Hier gibt es auch den typischen ...

Wir finden eine sehr detaillierte Beschreibung der ländlichen Idylle im Westen Irlands vor. Das lässt an die Romane von Maeve Binchy denken, die überwiegend in Irland spielen. Hier gibt es auch den typischen Dorfladen und den Pub, an dem sich die alten Männer am Abend treffen.
Die jungen Männer und Frauen sind größtenteils aus Perspektivlosigkeit weggezogen, uns die männlichen Erben der Schaffarmen finden keine Frauen, so dass es zu Selbstmorden, Alkohlabusus und Drogenkonsum kommt, denn es fehlt vielen an Halt in einer „modernen Welt“, wo Konsum und Neid herrschen.
Somit ist das soziale Gefüge in Gefahr, aber das ahnt Cal nicht, der Protagonist, ein Cop aus den USA, der aus persönlichen Gründen seinen Dienst quittiert hat, um ein neues Leben im vermeintlich
sehr beschaulichen Irland zu finden. Es fällt ihm schwer, sein Copleben hinter sich zu lassen, und wir erfahren viele Details über sein vorheriges Leben.
Er ist glaubwürdig und detailliert beschrieben, ebenso wie die anderen, teilweise schrulligen, Charaktere, die das Lokalkolorit ausmachen.
Erst nach und nach bemerkt Cal, wie sehr er bespitzelt und abgeschätzt wird, denn ein Fremder könnte ja die Gemeinschaft mit ihren unaussprechlichen Konventionen durcheinanderbringen. Unerwarteterweise wird er in einen Fall hineingezogen, denn es hat sich herumgesprochen, dass er vorher Cop war. Es geschehen merkwürdige Dinge, er wird zusammengeschlagen und bedroht. Und es wird deutlich, was sich hinter der Maske der Unbedarftheit etlicher Bewohner alles abspielt. Der Ort hält zusammen, obwohl Viele ahnen, was passiert ist, aber die örtliche Polizei soll nicht eingeschaltet werden, denn man regelt die Dinge auf eigene Weise. Das war schon immer so. Die Frage ist: „Wird er durchhalten, oder nach 6 Monaten das Handtuch werfen,wie die allermeisten Aussteiger?“
Nachdem es für meinen Geschmack im 1.Drittel zu viele Naturbeschreibungen gegeben hat, nimmt das Werk im 3. Drittel so richtig an Fahrt auf, es wird spannend und viele Fakten werden gelöst. Das dazu in einer authentischen, leicht verständlichen Sprache, so dass der Lesegenuss groß ist.
Ich empfehle das Buch nicht nur für Irlandliebhaber.
5 Punkte

Veröffentlicht am 14.08.2021

Auf und Ab in Harlem

Harlem Shuffle
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Das für die 60er Jahre authentische Cover, welches eine Straßenszene mit amerikanischen Straßenkreuzern und einer Ampel an einer typischen überirdischen Elektroleitung zeigt, führt gut in die Problematik ...

Das für die 60er Jahre authentische Cover, welches eine Straßenszene mit amerikanischen Straßenkreuzern und einer Ampel an einer typischen überirdischen Elektroleitung zeigt, führt gut in die Problematik ein, besonders, da nur dunkelhäutige Bewohner im Sichtfeld des Betrachters stehen. Überall liegen Papierfetzen und Müll herum.
Man wird gut in die Problematik eingeführt, denn gleich zu Beginn wird deutlich gemacht, dass hier indirekte Rassentrennung herrscht. Es gibt “weiße” und “schwarze” Geschäfte und die Gegend wird fast ausschließlich von Afroamerikanern bewohnt, die sich untereinander aber oft als “Nigger” beschimpfen.
So ist Rassismus und die Existenz als Schwarze Person in einer von Weißen beherrschten Gesellschaft das Rahmenthema. Der Plot macht die zunehmenden Rassenunruhen und die daraus resultierende Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre deutlich.
Der Autor zeigt aber auch die USA der Jetztzeit auf mit Polizeigewalt gegen Schwarze, der Erschließung George Floyds und der aktuellen Protestbewegung, denn in den vergangenen 60 Jahren hat sich für Afroamerikaner leider nicht viel verändert.
Das Leben in New York heutzutage wird ebenfalls genau porträtiert.
Whitehead präsentiert uns eine Familiengeschichte, aber auch einen Krimi. Der dunkelhäutige Ray Carney bemüht sich, auf ehrliche Weise zu überleben, aber er lebt in einer schrecklichen, viel zu kleinen Wohnung, und seine Frau erwartet ihr zweites Kind. Als Möbelhändler verdient er nicht genug und rutscht somit immer mehr in illegale Nebeneinnahmen ab. Er lässt sich auf einen größeren Coup ein und gerät danach zwischen alle Fronten. Wie wird er es überstehen?
Es handelt sich um eine Übersetzung aus dem Amerikanischen der 60er Jahre. Allerdings bleibt mir die Bedeutung einiger deutscher Sätze verschlossen, obwohl ich sehr gut Englisch kann, und die Originalsprache unter Umständen andere Nuancen möglich macht. Generell hat der erfahrene Übersetzer aber sehr gute Arbeit geleistet und bringt den sehr intensiven, flotten und mitreißenden Schreibstil des Autors rüber.
Die Charaktere sind authentisch und bringen dem Leser diese immerwährende Problematik näher. Aber auch Diskriminierung unter Schwarzen wird dargestellt.
Der Autor war mir bisher nicht bekannt, aber seine Herangehensweise hat mich vollständig überzeugt. Somit werde ich mich an andere Werke Whiteheads heranwagen, allerdings in der Originalsprache. “Harlem Shuffle” wäre als annotierte Fassung auf Englisch auch in der Oberstufenarbeit der Gymnasien einsetzbar, denn die Thematik “Rassismus” wird sehr häufig unterrichtet.

Veröffentlicht am 08.08.2021

Total breakdown.

Systemfehler
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Das Cover in schreienden Signalfarben und dem schwindenden Empfangsstärke - Symbol des Internets demonstrieren die Brisanz der Thematik, nämlich den drohenden Untergang des hochzivilisierten Europas.
Dieses ...

Das Cover in schreienden Signalfarben und dem schwindenden Empfangsstärke - Symbol des Internets demonstrieren die Brisanz der Thematik, nämlich den drohenden Untergang des hochzivilisierten Europas.
Dieses ist mein erstes Werk von Wolf Harlander, aber das Vorgängerbuch "42 Grad" hat auch sofort mein Interesse geweckt, denn es werden brandaktuelle Themen angesprochen. In “Systemfehler” geht es darum, dass Hacker das gesamte digitale Leben lahmlegen. Zwei Hauptprotagonisten, Daniel Faber, IT-Spezialist, und Nelson Carius vom BND versuchen, den Hintermännern auf die Schliche zu kommen. Dabei wird nicht nüchtern berichtet, sondern die Handlung ist in realistische und authentische Kontexte integriert. Man erfährt viel über Fabers Familie und seine berufliche Zwangslage. Der Leser wird mit der bedrohlichen Situation anhand des Lebens der Normalbürger, die plötzlich ohne Geld, Nahrungsmittel, Internet, medizinischer Versorgung ... dastehen, konfrontiert.
Harlander hat einen leicht verständlichen, klaren und schnörkellosen Schreibstil. In kurzen Kapiteln mit ständigem Perspektivwechsel wird berichtet, unterbrochen von Pamphleten, Aktenvermerken, Zeitungsmeldungen, politischen Geheimprotokollen, ja sogar einem Briefing des Weißen Hauses in Washington. Man ist völlig gefesselt, besonders, da der Realitätsbezug eine mögliche Nachahmung befürchten lässt, denn die Cyberkriminalität nimmt immer mehr zu. Die Handlungsstränge werden gegen Ende gekonnt zusammengefügt, und Faber heuert bei einem neuen Arbeitgeber an, was er sich wohl niemals hätte vorstellen können. Das Werk führt zu einer gekonnten Auflösung, hinterlässt den Leser aber mit den Schilderungen eines Horrorszenarios, die mich sehr nachdenklich gestimmt haben, besonders, da die zahlreichen Figuren sehr authentisch porträtiert wurden. Insgesamt ein realistischer, hochbrisanter Thriller der mich von Anfang bis Ende gefesselt hat.
Eine klare Kaufempfehlung für breitgefächerte Leserkreise.