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Venatrix

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Veröffentlicht am 26.05.2022

Von Berlin nach Deutsch-Südwest-Afrika

Entscheidung in Afrika
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Autorin Elke R. Richter entführt uns in ihren historischen Roman zunächst in das Moabiter Krankenhaus in Berlin. Anschließend führt uns die Reise nach Deutsch-Südwest-Afrika.

Doch von Anfang an. Man schreibt ...

Autorin Elke R. Richter entführt uns in ihren historischen Roman zunächst in das Moabiter Krankenhaus in Berlin. Anschließend führt uns die Reise nach Deutsch-Südwest-Afrika.

Doch von Anfang an. Man schreibt das Jahr 1904 und der Arzt Rudolph Kampmann forscht mit Leidenschaft am Robert-Koch-Institut an einem Impfstoff gegen den Typhus. Gleichzeitig ist er Chirurg am Moabiter Krankenhaus, wo er die Krankenschwester Dorothea kennen- und schätzen lernt. Just als sich die beiden vorsichtig näherkommen, zwingen familiäre Probleme Rudolph, Berlin zu verlassen. Der Brief, den er Dorothea schreibt, erreicht sein Ziel nicht und Dorothea gibt, von Rudolph enttäuscht, dem Werben von Arnold Rautenberg, einem anderen Stationsarzt, nach und heiratet ihn. Ein Fehler, den sie umgehend bereut.

Als Rudolph die Heiratsanzeige in der Zeitung liest, verpflichtet er sich, für drei Jahre als Militärarzt nach Deutsch-Südwest-Afrika. Im dortigen Lazarett trifft Rudolph auf Arnold, dem er, um sein Leben zu retten, einen Unterschenkel amputieren muss, der nach einem Schusswechsel von Wundbrand befallen ist. Dass diese lebensrettende Operation ein Nachspiel haben wird, lässt sich leicht erraten ...

Meine Meinung:

Dieser historische Roman ist penibel recherchiert. Die Leser erfahren in mehreren Handlungssträngen einiges aus der Geschichte der Medizin und lernen den beschwerlichen Alltag in einem Krankenhaus um 1900 kennen. Daneben dürfen wir an der unrühmlichen Kolonialgeschichte des Deutschen Kaiserreiches teilhaben. Hier in Deutsch-Südwest-Afrika begehen die deutschen Truppen Genozid an der indigenen Bevölkerung. Wir erleben die Strapazen, denen die Männer ausgesetzt sind und die oft unzureichende medizinische Versorgung. Rudolph und seine Kollegen versuchen ihr Bestes, aber gegen Wundbrand und Typhus sind sie weitgehend machtlos. Die Tetanusimpfung, wie wir sie heute kennen, wird flächendeckend erst in den 1930er Jahren entwickelt. Die Seren gegen den Thypus erhalten nur die Offiziere, da zu wenig geliefert wird.

Neben diesen Hauptsträngen entwickelt die Autorin einige Nebenhandlungen, die zwar interessant, aber nicht zwingend mit Rudolph und Dorothea zusammenhängen. Ein Beispiel ist die Häufung von Todesfällen von Patienten, die sich bereits auf dem Wege der Besserung befinden. Weder Rudolph noch Dorothea geraten hier unter Verdacht, weshalb diese Sequenz - so dramatisch sie auch sein mag - die eigentliche Handlung per se nicht weiterbringt.

Die Charaktere sind sehr gut entwickelt. Der ernste Rudolph, der ein schreckliches Geheimnis mit sich herumschleppt, das dem Leser erst spät enthüllt wird und Dorothea, die in Afrika über sich hinauswächst.
Natürlich dürfen Intriganten genauso wenig fehlen wie arrogante Eltern bzw. Schwiegereltern. Eine interessante Entwicklung macht Sophie Rautenberg, Dorotheas Schwiegermutter durch, die am Krankenbett von Arnold, seine Charakterschwäche(n) erkennt.

Gut gefällt mir die penible Recherche von Elke R. Richter. Zum Nach- und Weiterlesen findet man am Ende des Romans ein Literatur- und Quellenverzeichnis.

Trotz vieler Details aus der Medizingeschichte und dem Größenwahn des deutschen Kolonialismus werden die Leser nicht mit Infodump überschüttet.

Der Kniff in der zweiten Hälfte des Buches aus den Tagebucheintragungen von Rudolphs Cousin zu zitieren, bildet einen Bruch in der Erzählstruktur, der ziemlich auffällt, weil er den Lesefluss ein wenig hemmt. Mir persönlich hat das nichts ausgemacht, andere Leser könnten darüber stolpern.

Fazit:

Ein penibel recherchierter Ausflug in die Vergangenheit, dem ich gerne 5 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 26.05.2022

Penibel recherchiert und fesselnd erzählt

Das Land, von dem wir träumen
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Dieser historische Roman entführt uns in das Südtirol von 1925. Das ehemals zu Österreich-Ungarn gehörende „Welschtirol“ ist seit dem Ende des Ersten Weltkrieges Teil Italiens. Der Hass auf den „reichen, ...

Dieser historische Roman entführt uns in das Südtirol von 1925. Das ehemals zu Österreich-Ungarn gehörende „Welschtirol“ ist seit dem Ende des Ersten Weltkrieges Teil Italiens. Der Hass auf den „reichen, deutschen“ Norden hat gravierende Auswirkungen: Die Faschisten verbieten den Südtirolern, deutsch zu sprechen, die Namen müssen italianisiert werden. So wird aus Brugger (und seinen Komposita) Ponte. Amtssprache ist italienisch, wer in der Öffentlichkeit deutsch spricht, wird bestraft. Deutschsprachige Lehrkräfte erhalten Berufsverbot, was aber einige, wie unsere Protagonistin Franziska Bruggmoser nicht abhält, heimlich in einer Katakombenschule die Südtiroler Lebensart weiter zu geben.

Soweit der historische Hintergrund. Die Italianisierung Südtirols hat allerdings nicht nur Gegner. Franziskas Vater Ludwig Bruggmoser, nunmehr Luigi Ponte, erhofft sich Erleichterungen, wenn er sich dem Diktat der Regierung beugt. Damit bringt er nicht nur seine Tochter, sondern auch die meisten der Dorfbewohner auf. Niemand im Dorf nimmt ihm seine landwirtschaftlichen Produkte ab. Der Bauernhof schlittert in eine gefährliche finanzielle Schieflage. Franziska ist einfallsreich und versucht mit der Eröffnung einer Jausenstation, den Verkauf der Landwirtschaft zu verhindern, während der Bruder, der traditionell als Hoferbe vorgesehen ist, sich dem Alkohol hingibt. Letztendlich wird Luigi Ponte zwischen allen Stühlen sitzen, denn Franziskas Deutschunterricht wird von ihrem nichtsnutzigen Bruder an die Behörden verraten.

Meine Meinung:

Dieser fesselnde historische Roman beschäftigt sich nicht nur mit der Italianisierung Südtirols, sondern bietet einen Einblick in die traditionelle Welt der ländlichen Bevölkerung. Mädchen wird selten höhere Bildung zugestanden, die Erbhöfe fallen ausschließlich an den erstgeborenen Sohn, egal ob er ein Genie oder ein Trottel ist. Die anderen Geschwister haben wenig Auswahl: entweder als ausgenützte, weil unbezahlte Arbeitskraft bleiben oder den Hof und die Heimat verlassen. Die Mädchen werden „gewinnbringend“ verheiratet und verbessern ihre Situation oft nur unwesentlich.

Franziska wehrt sich mit allen Mitteln verschachert zu werden, trotzt den italienischen Behörden, indem sie eben deutsch unterrichtet. Interessant auch der Seitenblick auf die kleine Gruppe jüdischer Handwerker.

Franziska (und viele Südtiroler) träumen nach wie vor vom deutschsprachigen Südtirol, einem Land, das es nicht mehr gibt. Vater Bruggmoser/Ponte hat das frühzeitig erkannt, nützen wird es ihm nichts.

Gut gefallen mir die penible Recherche und der eindringliche Schreibstil. Die Figuren sind lebendig, haben ihre Ecken und Kanten. Natürlich ist den Lesern der oder die Eine sympathischer als der oder die Andere. Die widersprüchlichen Reaktionen mancher Protagonisten wirken authentisch.

Sehr gut ist die Stimmung zwischen den Menschen eingefangen. Man weiß nicht mehr, wem man trauen kann. Die Risse gehen durch die Familien. Das wird sich in wenigen Jahren noch verstärken, wenn die Nazis die „deutschen“ Südtiroler „heim ins Reich“ holen wollen und ihnen das Blaue vom Himmel versprechen. Doch das „Dableiben“ oder „Aussiedeln“ ist Gegenstand des nächsten Bandes dieser Familiensaga, auf den ich mich schon sehr freue.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem gut recherchierten und fesselnd erzählten historischen Roman 5 Sterne.

Veröffentlicht am 22.05.2022

Ein gelungener Reihenauftakt

Kalt lächelt die See
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Dieser Krimi ist der Auftakt zu einer neuen Krimi-Reihe, die auf der Kanalinsel Guernsey spielt.

Worum geht’s?

Vor der Küste der Insel wird ein verlassenes Segelboot entdeckt. Ausgerechnet das Ehepaar ...

Dieser Krimi ist der Auftakt zu einer neuen Krimi-Reihe, die auf der Kanalinsel Guernsey spielt.

Worum geht’s?

Vor der Küste der Insel wird ein verlassenes Segelboot entdeckt. Ausgerechnet das Ehepaar Hamon, deren kleine Tochter Ava vor zwei Jahren spurlos verschwunden ist, hat es gechartert. Hat das Verschwinden der Eltern mit dem des kleinen Mädchens zu tun? Bei der Recherche entdeckt DI Kate Langlois eine Nachricht mit den Worten „Ava lebt“. Kann das sein? Und wo befindet sich das nunmehr knapp fünfjährige Mädchen?

Die Ermittlungen reißen alte Wunden auf. Neben Kate und dem damaligen Team ermittelt Tom Walker, ein etwas pingelig wirkender Londoner, mit dem Kate anfangs so ihre liebe Not hat. Daneben gibt es natürlich auch einen intriganten Kollegen, der es auf Kates Posten abgesehen hat. Während Kate dem Neuzugang die Hintergründe ihres gespannten Verhältnisses erzählt, bleibt Walkers Geheimnis um seine Versetzung von London nach Guernsey bestehen. Trotzdem gelingt es den beiden, Licht ins Dunkel rund um das Verschwinden von Ava und ihren Eltern zu bringen. Unerwartete Hilfe erhält Kate durch Nicolas, einen französischen Archäologen, der vielleicht eine Zukunft auf Guernsey hat.

Meine Meinung:


Ellis Corbet ist ein fesselnder Krimi gelungen, der zu Beginn ein wenig langsam daherkommt, aber stetig Fahrt aufnimmt, um in einem spannenden Showdown zu enden.
Gut gefällt mir, dass die Insel Guernsey und ihre von Wind und Wetter gegerbten Bewohner ihre Rollen spielen. Die Charaktere haben so ihre Ecken und Kanten. Kate Langlois muss sich, wegen der Verfehlung ihres ehemalige Polizeipartners, doppelt und dreifach anstrengen, das Vertrauen ihrer Kollegen wieder zu gewinnen. Bin sehr neugierig, aus welchem Grund Tom Walker sich auf die Kanalinsel versetzen hat lassen. Das wird hoffentlich in einem nächsten Band enthüllt.

Der Schreibstil ist flüssig und das Cover macht Lust, die Kanalinsel(n) zu besuchen.

Fazit:

Ein gelungener Auftakt einer neuen Krimi-Reihe, dem ich gerne 5 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 22.05.2022

Im Schatten des berühmten Bruders

Miss Dior
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Dieses Buch zeichnet das Leben von Catherine Dior, der Schwester von Modeschöpfer Christian Dior nach.

Wie es bei Geschwistern berühmter Persönlichkeiten üblich ist, kann deren Leben nicht isoliert betrachtet ...

Dieses Buch zeichnet das Leben von Catherine Dior, der Schwester von Modeschöpfer Christian Dior nach.

Wie es bei Geschwistern berühmter Persönlichkeiten üblich ist, kann deren Leben nicht isoliert betrachtet werden. Auch hier ist das der Fall. Catherine Dior wurde 1917 als Ginette Dior geboren. Nach dem Verlust des Vermögens 1929 und dem Tod der Mutter 1931 übersiedelt der Rest der Familie nach Callien, einem kleinen Ort nahe Cannes.

1941 begegnet Ginette, nunmehr Catherine, dem Mitbegründer der Résistance Hervé des Charbonneries. Obwohl Hervé verheiratet ist und drei Kinder hat, trifft beide der „coup de foudre“ (Liebe auf den ersten Blick). Durch ihn schließt sie sich dem Kampf für die Befreiung Frankreichs von der Besetzung durch die NS-Diktatur an. Im Juli 1944 wird sie mit anderen Résistance-Mitgliedern von der Gestapo verhaftet, gefoltert und ins Frauenlager Ravensbrück deportiert. Nach mehreren Stationen wird sie gemeinsam mit anderen KZ-Häfltingen im Mai 1945 in der Nähe von Dresden durch die amerikanischen Truppen befreit.
1952 ist sie Zeugin der Anklage beim Tribunal gegen die NS-Verbrecher.

Catherine Dior stirbt hochbetagt am 17. Juni 2008.

Meine Meinung:

Ursprünglich sollte die Autorin Justine Picardie eine neue Biografie über Christian Dior schreiben. Doch je länger sie sich mit der Familie beschäftigt hat, desto mehr war sie von seiner Schwester fasziniert. Herausgekommen ist dieses interessante Buch. Auch wenn im letzten Drittel der Fokus wieder stärker auf Christian und seine Kreationen gelegt wurde, ist das Buch Catherines Biografie. Die Autorin hat zahlreiche Schauplätze besucht, durfte im Familienarchiv stöbern und zahlreiche private Fotos hier veröffentlichen.

Nach den Erlebnissen im KZ kann man gut verstehen, dass Catherine ihrem Bruder den Platz im Vordergrund überlässt und lieber im Hintergrund arbeitet. Sie züchtet Rosen, die auch für die Parfumerzeugung verwendet werden.

Der Schreibstil ist angemessen und angenehm. Der Leser taucht tief in die Geschichte der Besetzung Frankreichs durch die NS-Truppen ein und erlebt den Kampf der Französinnen und Franzosen gegen Hitler-Deutschland.
Im Anhang finden sich interessante Angaben zu den Quellen.

Fazit:

Eine gelungene Biografie Catherine Diors, der Schwester die im Schatten ihres Bruders stand. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 22.05.2022

Der längste Krieg und keine Frieden in Sicht

Afghanistan
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Als die Taliban nach Abzug der westlichen Truppen Afghanistan Ende August 2021 das Land wieder in Besitz genommen haben, haben sich viele Menschen gefragt ob den Beteuerungen, der neuen, alten Herrscher ...

Als die Taliban nach Abzug der westlichen Truppen Afghanistan Ende August 2021 das Land wieder in Besitz genommen haben, haben sich viele Menschen gefragt ob den Beteuerungen, der neuen, alten Herrscher Glauben geschenkt werden darf, dass u.a. Frauenrechte beachtet und eingehalten würden. Die Pessimisten haben recht behalten - nichts von den vollmundigen Versprechungen ist eingehalten worden.

Rund 100 Tage nach der Machtübernahme ist die deutsche Journalistin Natalie Amiri nach Afghanistan gereist, um sich ihr eigenes Bild von der Lage der Bevölkerung zu machen. Dabei liegt ihr Fokus natürlich insbesondere auf den Frauen.

Was Natalie Amiri und viele andere befürchtet haben, ist eingetroffen: Mit medienwirksamen Auftritten angeblich gemäßigter Taliban haben sie den Westen eingelullt, um weiterhin Hilfsgelder zu bekommen. Die zugesagten Rechte für Frauen und Mädchen für Arbeiten und Schulbesuch, sind drastisch eingeschränkt worden. Tausende Frauen verloren innerhalb weniger Tage ihre Jobs und dürfen nur mehr verschleiert und in Begleitung eines männlichen Familienmitglieds auf die Straße. Mädchen ist der Schulbesuch nur für wenige Jahre erlaubt.
In diesem Buch verleiht Natalie Amiri allen jenen Afghaninnen und Afghanen eine Stimme. Sie erklärt auch, warum der Westen (und zuvor die Russen) so kläglich versagt haben.

Die Autorin hat ungeachtet der Gefahr in der sie selbst schwebte, zahlreiche Fahrten durch das zerstörte Land unternommen, Dutzende BewohnerInnen getroffen und ihnen genau zugehört.

Fazit:

Mit diesem umfassenden Bild von Afghanistan verleiht sie den Afghaninnen und Afghanen, die nicht den Taliban angehören, eine Stimme. Möge sie gehört werden. Gerne gebe ich diesem wichtigen Buch 5 Sterne.