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Venatrix

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.05.2021

Er wird mir fehlen, der Hugo Portisch

So sah ich Mein Leben. Life is a story - story.one
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Als der österreichische Journalist Hugo Portisch am 1. April im 94. Lebensjahr verstorben ist, habe ich, so wie viele andere Menschen große Trauer empfunden.
Mit diesem kleinen Buch, das er Hannes Steiner ...

Als der österreichische Journalist Hugo Portisch am 1. April im 94. Lebensjahr verstorben ist, habe ich, so wie viele andere Menschen große Trauer empfunden.
Mit diesem kleinen Buch, das er Hannes Steiner diktiert hat und von Martin Haidinger in den jeweils passenden historischen Kontext gesetzt wurde, lässt er sein Leben nochmals Revue passieren.
Für Hugo Portisch, der 1927 in Brünn (heute Bratislava) geboren wurde, war die Freiheit immer das höchste Gut.
Seine Reportagen aus aller Welt sei es aus Paris, Washington, London oder Peking - wir haben sie mit Gänsehautfeeling gehört - Immer am Puls des Weltgeschehens. Unvergessen ist auch seine Reportage aus Prag zu Beginn des Prager Frühlings 1968.
Sein oberster Prinzip im Journalismus war: Check - Recheck - Doublecheck.
Etwas, was ich im heutigen Journalismus vermisse. Heute werden Nachrichten oft Sensationsgier wegen ungeprüft unter die Leute gebracht.
Er wird mir fehlen, der Hugo Portisch!

Veröffentlicht am 02.05.2021

Wenn aus Kränkung Rache wird

Rache
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Österreichs wohl bekanntester Gerichtspsychiater hat sich eines Themas angenommen, das noch nicht so gut erforscht ist - der Rache.

Prof. Reinhard Haller schöpft aus seinem reichen Erfahrungsschatz. In ...

Österreichs wohl bekanntester Gerichtspsychiater hat sich eines Themas angenommen, das noch nicht so gut erforscht ist - der Rache.

Prof. Reinhard Haller schöpft aus seinem reichen Erfahrungsschatz. In 13 Kapitel geht er dem Mythos Rache nach. Ist Rache wirklich süß? Oder dient sie nur der Befriedigung diverser Eitelkeiten?

Wer kennt das Gefühl nicht, einem Autofahrer, der einen den Parkplatz weggeschnappt hat, heimlich die Reifen aufzuschlitzen oder zumindest die Luft herauszulassen? Oder dem Kollegen eins auszuwischen? Eben! Doch ob und wie es zur Eskalation und Ausführung der Rachegedanken kommt, können wir hier nachlesen.

Und was passiert, wenn die Rache ausgelebt wurde? Fühlt sich der Rächer besser? Wahrscheinlich nur kurz, denn nachhaltig ist das Gefühl nicht.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, seine Rachefantasien fallen zu lassen und eine Versöhnung oder ein Verzeihen einzuleiten?

Anhand von Beispielen aus der Literatur sowie der Kriminalgeschichte bringt uns Reinhard Haller das Wesen der Rache und ihre Mechanismen näher.

Oft setzt Rache eine Spirale der Gewalt in Gang, in denen der Täter selbst zum Opfer wird.

Meine Meinung:

Wenn ich heute in den Nachrichten lese, dass in den 4 Monaten des heurigen Jahres in Österreich bereits 9 Frauen aus Rache, weil sie ihren Partner verlassen haben, ermordet wurden, muss man dem Thema Rache mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit widmen.

Reinhard Haller zeigt auch Lösungsvorschläge auf, um aus der Falle der Rache herauszukommen. Das setzt aber reflektierte Menschen voraus, was die meisten, die Rache nehmen, ja nicht sind.

Das Buch ist trotz des ernsten Themas gut zu lesen, da es gut strukturiert ist..

Fazit:

Ein Einblick in die Abgründe der Menschen, gekonnt aufbereitet von Prof. Reinhard Haller. Gerne gebe ich dem Buch 5 Sterne.

Veröffentlicht am 26.04.2021

Eine Leseempfehlung

Viktor
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„Meine Großmutter kam zur Welt, an dem Tag an dem Gustav Mahler starb. Kaum sieben Jahre nach dem Tod Dvoraks und im Frühling als Stravinsky’s Pertoeskja Premiere feierte.“

Mit diesen Worten beginnt die ...

„Meine Großmutter kam zur Welt, an dem Tag an dem Gustav Mahler starb. Kaum sieben Jahre nach dem Tod Dvoraks und im Frühling als Stravinsky’s Pertoeskja Premiere feierte.“

Mit diesen Worten beginnt die Geschichte der jüdischen Familie Rosenbaum in Wien, die von Geertje van den Berg in der Ich-Form erzählt wird. Man schreibt das Jahr 1994 und Geertje schickt sich an, im niederländischen Nijmegen ihren Schulabschluss zu machen, um später Jura zu studieren.

Geertje ist es leid, dass sich die Familie ihres Judentums schämt und es nicht lebt. Die Familienmitglieder ergehen sich in Andeutungen aus der Vergangenheit. So haben die Großeltern und Mutter eine interessante Sprachregelung bis zur Perfektion getrieben: Man vermeidet zahlreiche Worte wie Gas, Ermordung oder Transport, die an die Shoa erinnern. Für diejenigen, die in den diversen Konzentrationslagern umgebracht wurden, gibt es nur den euphemistischen Satz „Der (oder die) lebt nicht mehr.“ Dennoch sind die Personen Teil des Familienlebens und sei es, wie Viktor, der ein abschreckendes Beispiel zu geben hat. Denn Viktor Rosenbaum, der Bruder von Geertjes Großvater, gilt als schwarzes Schaf der Familie, für das man sich auch heute noch schämen muss.

Als sie sich entschließt, aktiv in das jüdische Leben einzusteigen und ihren Namen von Geertje in Judith amtlich ändern zu lassen, muss sie dazu einen Nachweis erbringen. Damit beginnt eine Reise in die Vergangenheit der Familie Rosenbaum.

„Was den Rest angeht, so musste ich gegen den Widerstand meiner Großeltern an arbeiten, überhaupt über Viktor zu sprechen. Gegen ihr offensichtliches Unbehagen und Besorgnis vor möglichen Familiengeheimnissen meines unbekannten Großonkels, der mir eigenartigerweise viel vertrauter war als all die anderen toten Familienmitglieder, über die ständig gesprochen wurde – vielleicht nur, weil er grüne Augen hatte, wie ich.“


Meine Meinung:

Das Buch basiert auf der Geschichte der Wiener Familie Fanto, die sich als Österreicher sehen und nicht als Juden. Erzählt wird sie aus der Sicht der Enkelin Geertje, die sich der verdrängten Vergangenheit stellt. Denn die vagen Andeutungen gehen ihr zunehmend auf die Nerven. Auch, dass die ganze Familie die ungenießbaren Kalbsmedaillons, die die Großmutter kocht, lobt. Das wird sich in einem Ausbruch auf S. 364 entladen.

„Von jetzt an nenne ich alles beim richtigen Namen. Und das sieht so aus: Ich heiße Judith. David, Sascha, Hedy, Martha, Laura, Otto und all die anderen sind ermordet worden. Viktor hat uns gerettet. Und was dich angeht ...,“ ich stach mit dem Zeigefinger nach meiner Großmutter, „deine Kalbsmedaillons sin un-ge-nieß-bar.!“

Die Mauer des Schweigens wird durchbrochen und es scheint, als würden sich die Großeltern dafür schämen, überlebt zu haben.

Die zahlreichen Rückblenden n das Österreich ab 1914 geben die politische Lage authentisch wieder. Auch der Glaube, dass verdienten Teilnehmern am Ersten Weltkrieg unter den Juden nichts passieren würde und die späte Einsicht, dass die Nazis keine halben Sachen machen, kommt zur Sprache.
Ein wenig vermisse ich Jahreszahlen. Für mich ist es kein Problem den Ständestaat, den Bürgerkrieg oder die Ermordung von Engelbert Dollfuss einzuordnen, da ich als Österreicherin in der Geschichte des Staates gut bewandert bin. Anderen Lesern fehlen möglicherweise diese Kenntnisse.

Auf ihrer Reise nach den Spuren ihrer ermordeten Familienmitglieder, fährt sie nach Auschwitz und begegnet einem alten Mann:

„Im Bus unterwegs nach Auschwitz sitze ich am Fensterplatz, als ein älterer Mann neben mir Platz nimmt. So unauffällig wie möglich versuche ich ihn von der Seite zu beobachten. Sein Gesicht ist glatt rasiert, bis auf einige Stellen in den tiefen Furchen. Weiße Haare liegen wie Fäden auf der mit Leberflecken bedeckten Kopfhaut und auf den dunklen Äuglein liegt schon ein grauer Hauch. ’Das ist mein zweites Mal’, sagt er auf einmal, während er weiterhin geradeaus vor sich hinschaut. ’Das erste Mal war vor 52 Jahre, aber nicht in einem Bus, sondern in einem Güterwaggon. Ich war zwanzig’.“

Das Buch beschreibt als die Problematik der „zweiten und dritten Generation“. Es erzählt die Einwirkung von tradierten Familienwerten auf die Entwicklung der eigenen Identität. Auf liebevolle Art und mit einem Hauch „Wiener Schmäh“ schreibt die Autorin über die Wirkung des Namens auf jemandes Schicksal. Denn Geertje hat diesen Namen immer als für sich selbst unpassend gefunden, mit Judith kommt sie besser zurecht. Die Frage, die sich Judith mehrfach stellt: Wem gehört die Shoa? Sind nicht die Nachkommen ebenso betroffen?


Interessant habe ich gefunden, dass auch in den Schulen der Niederlande 1995 wenig über die Judenverfolgung gelehrt wird. Geertje muss heimlich in der Bücherei darüber lesen.

Fazit:

Ein gelungener Roman über die Geschichte einer jüdischen Familie. Die verschiedenen Zeitebenen erzeugen Spannung und führen den Leser durch die unterschiedlichen Lebenssituationen. Gut lesbar und trotz aller Tragik auch immer humorvoll. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 25.04.2021

Fesselnd bis zur letzten Seite

Die Wahrheit der Dinge
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„Manchmal hat er den Eindruck, als steckten zwei Menschen in ihm …Er ist weder der eine noch der andere, gerade in den letzten Tagen wird das deutlich. Bleibt die Frage: Wer ist er eigentlich?“


Frank ...

„Manchmal hat er den Eindruck, als steckten zwei Menschen in ihm …Er ist weder der eine noch der andere, gerade in den letzten Tagen wird das deutlich. Bleibt die Frage: Wer ist er eigentlich?“


Frank Petersen ist seit Jahren Strafrichter in Hamburg. Ein Mann mit Erfahrung und gesundem Menschenverstand, zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk, und korrekt. Trotzdem steckt er in einer tiefen Sinnkrise. Zum einen hat ihn Ehefrau Britta verlassen und zum anderen hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe vier seiner Urteile aufgehoben. Das schmerzt ihn sehr, ist er doch um größtmögliche Objektivität bemüht und lässt sich nicht von Gefühlen leiten.

Als er dann noch erfährt, dass Corinna Maier aus der Haft entlassen wird, gerät Leben restlos in Wanken. Diese Frau hat vor mehr als vier Jahren im Gerichtssaal, kurz vor Petersons Urteilsverkündung, den Angeklagten und Mörder ihres Sohnes erschossen. Dieses traumatische Erlebnis hat den Richter seit her nicht mehr losgelassen.

Ist es Ursache für seine Selbstzweifel? Wie es so seine Art ist, beginnt er der Sache auf den Grund zu gehen und holt Corinna von der Haftanstalt ab.

Meine Meinung:

Markus Thiele, selbst Jurist, lässt den Leser tief in die Gedankenwelt des Richters und der verurteilten Frau eintauchen. Wir lernen nicht nur Peterson und seine Familie kennen, sondern auch Corinna Maier. Eine Frau, die zielstrebig einen Platz im Leben sucht, ihn findet und gleich zweimal alles verliert, was sie liebt. Zuerst ihren Lebensgefährten und knapp zwanzig Jahre später ihren einzigen gemeinsamen Sohn. Beide sterben jeweils durch ein Gewaltverbrechen, der eine wird zu Tode geprügelt, der andere durch eine Überdosis Heroin.

Zu Beginn des ersten Prozesses ist sie noch von dem Gedanken an die Gerechtigkeit der deutschen Justiz überzeugt, wird aber bitter enttäuscht. Im Prozess gegen den Mörder ihres Sohnes kann sie eine Wiederholung nicht ertragen und übt Selbstjustiz. Die Leser erfahren in Rückblenden, die sehr geschickt in Gespräche zwischen Corinna und Frank eingebettet sind, mehr über Corinna. Peterson ist beeindruckt und lässt sich zu einer kleinen Unkorrektheit hinreißen, die ihn eigentlich seinen Job kosten könnte.

Mir hat dieser Roman, der einige Elemente der wahren Ereignisse um Marianne Bachmeier enthält, sehr gut gefallen. Er ist ein Balancieren zwischen Recht und Gerechtigkeit. Die anspruchsvolle Sprache, die gelungenen Charaktere sowie die Betrachtungen zum Thema Schuld, Aufarbeitung, Strafe und Schicksal haben mich überzeugt. Dieses Buch ist das zweite von Markus Thiele. Wenn es weitere von ihm gibt, werde ich nicht an ihnen vorbeikönnen.

Fazit:

Eine fesselnde Lektüre über Recht und Unrecht, Gerechtigkeit und Rechtsprechung, der ich gerne 5 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 25.04.2021

Eine opulente Familiensaga

Das achte Leben (Für Brilka)
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„Teppiche sind aus Geschichten gewoben. Also muss man sie wahren und pflegen. Auch wenn dieser jahrelang irgendwo verpackt den Motten zum Fraß vorgeworfen wurde, muss er nun aufleben und uns seine Geschichten ...

„Teppiche sind aus Geschichten gewoben. Also muss man sie wahren und pflegen. Auch wenn dieser jahrelang irgendwo verpackt den Motten zum Fraß vorgeworfen wurde, muss er nun aufleben und uns seine Geschichten erzählen. Ich bin mir sicher, wir sind da auch eingewebt, auch wenn wir das nie geahnt haben.“ (S 31)


Dieser Roman, der mit 1.280 Seiten ein ziemliches Schwergewicht ist (nur „Krieg und Frieden“ ist noch dicker) beschreibt anhand der Geschichte der Familie Jaschi, die Geschichte Russlands vom Zarenreich bis heute.

Die Familiengeschichte über sechs Generationen ist in acht Bücher aufgeteilt, in dem jeweils einem Familienmitglied besonderer Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Familiensaga beginnt im Jahr 1900 in Georgien und endet im 2007 wieder dort. Der Bogen spannt sich vom Zarenreich, über den Ersten Weltkrieg, die Revolution, dem Bürgerkrieg, die Stalinära, den Zweiten Weltkrieg, die Sowjetunion und dem Zerfall derselben sowie den blutigen Auseinandersetzungen in Georgien bis heute.

„Vor den Toren Moskaus stand ein Bataillon. Das waren die stolzen Reste der 34. Division. Sie konnten schon den Kreml sehen, doch plötzlich mussten sie stiften gehen. Wie einst Napoleon. (S. 290)

Wir begleiten die acht Familienmitglieder über weite Strecken ihres Lebens.

Stasia
Christine
Kostja
Kitty
Elene
Daria
Niza
Brilka

Es sind vor allem die Frauen dieser Familie, die im Mittelpunkt stehen. Ausnahme ist Kostja, der durch seine Stellung immer wieder Fäden zieht.


„Die Geschichten überlappen sich, gehen ineinander über, verwachsen – ich versuche, dieses Wollknäuel auseinanderzuziehen, weil man ja die Dinge nacheinander erzählen muss, weil die Gleichzeitigkeit der Welt nicht in Worte zu fassen ist.“ (Seite 521)


Meine Meinung:

Eine opulente Familiensaga, die ich in wenigen Tagen verschlungen habe. Das Buch erzeugt eine Sogwirkung, der sich die Leser schwer entziehen können.
Die brutale Geschichte Russlands vom Zarenreich bis heute wird nicht ausgespart, sondern ist Teil des Lebens der Familie Jaschi. Daneben wird leidenschaftlich geliebt, ebenso gehasst und so mancher gerät in die Fänge der Politik, ohne dies zu wollen.

Die Charaktere sind sehr gut gezeichnet. Lediglich Brilka, die sich als Zwölfjährige alleine aufmacht, um in Wien nach den verschollenen Liedern von Kitty zu suchen, erscheint mir ein wenig zu überzeichnet. Natürlich kann sie durch ihr bisheriges Leben erwachsener als eine durchschnittliche Zwölfjährige sein. Aber dies soll den 5 Sternen für diese opulente Familiensaga nicht schaden.