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Venatrix

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Veröffentlicht am 22.11.2020

Hat mich gut unterhalten

Taubenblut
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Gleich einmal vorab: Das Buch ist bereits 2015 unter dem Titel „Thailandeiland“ erschienen.

In einem Baggersee werden die Leichen zweier junger Frauen, die an einen Grabstein gefesselt sind, gefunden. ...

Gleich einmal vorab: Das Buch ist bereits 2015 unter dem Titel „Thailandeiland“ erschienen.

In einem Baggersee werden die Leichen zweier junger Frauen, die an einen Grabstein gefesselt sind, gefunden. Mit den Worten

»Hey, Fritz, jetzt keine Geschichten. Es sind zwei Morde passiert. Zwei tote Mädchen. Wahrscheinlich aus Thailand. Mit Rubinen oder so was im Ohr.« holt KHK Martha Kieninger vom LKA München ihren als „Silikon-Fritz“ bekannten „Hilfssheriff“ und Berater, den Mineraloge und Geophysiker Fritz Sperber, aus seinem beruflichen Desaster. Sperber hat vor einiger Zeit zur Lösung eines komplexen Kriminalfalls („Bayerisch Kongo“) beigetragen. Aufgrund seiner Kenntnis zu Rubinen und anderem Gestein ist er wieder eine willkommene Hilfe, auch, wenn er nach wie vor mit der Hierarchie und dem Bürokratismus des Polizeiapparates so seine liebe Not hat. Doch wer, wenn nicht er, kann diesen Fall lösen?

Die Überraschung ist groß, als sich herausstellt, dass es sich bei den beiden Leichen um Katoeys handelt, wie Transgender in Thailand genannt werden.
Die Rubine im Ohr bzw. in der Faust des Toten sind von herausragender Qualität namens „Taubenblut“ und stammen aus der Mine von Mogok, wie Sperber schnell herausfindet. Die Spur führt zu einem Wiener Edelsteinhändler.

Doch welche Rollen spielen der thailändische Guru und der bayerische Staatssekretär samt seiner Schwester, einer Nonne? Welche Geschichte verbindet diese höchst unterschiedlichen Menschen?

Meine Meinung:

Mit diesem fesselnden Krimi nimmt Lutz Kreutzer die Doppelmoral in Bayern aus Korn. Raffiniert hält er der etablierten Gesellschaft ihre Scheinheiligkeit vor Augen. Der Autor geht aber noch einen Schritt weiter und greift zum Stilmittel der größtmöglichen Konfrontation. Als Gegenpol zu den hübschen, grazilen Katoeys bringt er die „Burrneshas“, die albanischen »eingeschworene Jungfrauen«, ins Spiel. Als solche werden albanische Mädchen bezeichnet, die in ihrer Familie und in der Gesellschaft die Rolle eines Mannes übernimmt und dabei völlig auf sexuelle Beziehungen, Ehe und Kinder verzichtet. Die Frau legt vor den Ältesten der Gemeinde oder des Stammes einen Schwur ab und wird fortan als Mann behandelt. Sie trägt Männerkleidung und Waffen und kann die Position des Familienoberhaupts übernehmen.

Als Antagonist zu den grazilen, hübschen Katoeys taucht ein Killer der albanischen Mafia auf, der als Männer in Frauenkleider hasst. Erst am Ende des Krimis wird dies bravourös aufgelöst. Der Leser schwankt bei diesem zutiefst verstörten und verletzten Mann zwischen Abscheu und Mitleid. Das ist sehr selten.

Ob Nonnen oder Ladyboys, Politiker, Priester oder Scheinheilige aller Art - alle Figuren sind wunderbar gezeichnet. Der Leser kann sich den zwitschernden Katoey ebenso gut vorstellen, wie die geifernde Nonne.

Die Handlung ist spannend und führt Fritz Sperber auch nach Wien, wo er am Wiener Westbahnof ankommt, sein Kollege vom LKA Wien aber am Hauptbahnhof, der einstmals als Südbahnhof bekannt war, wartet. Herrlich diese Wortspielereien zu den Bahnhöfen, die auch in Wirklichkeit bei Bahnreisenden für Verwirrung sorgt.

Dieser Krimi schreit förmlich nach einer Verfilmung. Allein die Schilderung, wie die beiden späteren Mordopfer mit einem Taxi durch Bayern fahren und nach einem geeigneten Ort für das Etablissement ihres Gurus Nuh Poo Tubkim suchen, ist herrlich. Ohne jede Sprachkenntnis lassen sie Dr. Google die Ortstafeln wie Rosenheim übersetzen bis das Smartphone bei Tuntenhausen das Wort „Katoye“ auswirft. Die beiden, beinahe esoterischen Schönheiten zwischen den Lederhosen tragenden Männern sind schon eine rechte Augenweide.

Schmunzeln musste ich auch über die Kamele - aber das lest bitte selbst.

Fazit:

Ein fesselnder Krimi, der auch einiges an Wissen vermittelt und mich gut unterhalten hat. Dafür gibt es wieder 5 Sterne.

Veröffentlicht am 21.11.2020

Operation Soldatenklau

Unter Bombern
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Fritz Walter, der auch mir Österreicherin ein Begriff ist, wäre am 31. Oktober 2020 100 Jahre alt geworden. Diese Biografie zeichnet den Weg des kleinen Friedrich, der schon in jungen Jahren nichts anderes ...

Fritz Walter, der auch mir Österreicherin ein Begriff ist, wäre am 31. Oktober 2020 100 Jahre alt geworden. Diese Biografie zeichnet den Weg des kleinen Friedrich, der schon in jungen Jahren nichts anderes als kicken wollte, nach.

Aufgewachsen in Kaiserslautern, in unmittelbarer Nähe des „Betzenberges“ ist er ein Ausnahmetalent des deutschen Fußballs.

Ein ähnliches Talent ist August Klingler (1918-1944) aus Daxlanden nahe Karlsruhe.

Die Lebenswege der beiden Fußballer kreuzen sich schon 1939.

Eine große Rolle in beider Leben spielt Josef „Sepp“ Herberger, der als Reichstrainer alles daran setzte, die Spieler der Reichsmannschaft vor der Front zu bewahren. Mehrmals hat die „Operation Soldatenklau“ funktioniert und zahlreiche Fußballer vor dem Tod bewahrt.

Nur bei August Klingler ist es ihm nicht gelungen, den jungen Mann vom Reichsarbeitsdienst loszueisen und den „Roten Jägern“ einzuverleiben. Klinglers Vorgesetzte waren nicht bereit, Herberger zu unterstützen. Die „Roten Jäger“ war eine Mannschaft der besten Fußballer jener Zeit, die der fußballnärrische Jagdflieger Herbert Graf ins Leben gerufen hat. Ausgerechnet als Klingler an die russische Front abkommandiert worden ist, war Graf abgeschossen worden und schwer verletzt im Lazarett. Herberger konnte August Klingler nicht vor der Ostfront retten, wo er am 23.11.1944 gefallen ist.

Fritz Walter hat mehr Glück und spielt während des Zweiten Weltkrieges in diversen Militärmannschaften. Der Fußball rettet ihm abermals das Leben, denn als er 1945 in russische Gefangenschaft gerät, wird er erkannt und gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder vorzeitig entlassen.

Gemeinsam mit seinem Bruder Ottmar spielt er nach 1950 bis 1958 in der neu formierten deutschen Nationalmannschaft. Unvergessen ist die WM von 1954, als er die deutsche Fußball-Elf als Kapitän zum WM-Titel geführt. Österreich wurde damals Dritter.

Meine Meinung:

Autor Stefan Mayr ist er wunderbar gelungen, den Menschen und Sportler Fritz Walter zu porträtieren. Der Fußballer scheint immer mit beiden Beinen am Boden geblieben sein. Angebote, zu einem ausländischen Klub zu gehen, hat er immer abgelehnt. Seinem Klub Kaiserslautern ist er zeitlebens treu geblieben. Wenn ich mir das Gewese um die aktuellen Fußballer ansehe (Stichwort David Alabas Gagenforderung an den FCB), so kann ich nur den Kopf schütteln.

Fritz Walter ist nicht nur ein Ausnahmetalent. Davon gab es, wie man in diesem Buch lesen kann, ja mehrere. Er hat auch unwahrscheinliches Glück, den Zweiten Weltkrieg zu überleben, denn mindestens 38 andere Nationalspieler sind gestorben.

Das Buch ist penibel recherchiert und beinhaltet auch Dutzende Zitate aus der Zeitschrift „Kicker“. Ergänzt wird es durch zahlreiche Fotos.

Die Jahre des Zweiten Weltkrieges und seiner Grausamkeiten sind ungewöhnlich gut dargestellt. Der Leser kann das Geschehen hautnah miterleben.
Bei Sepp Herberger muss ich ein wenig Abbitte leisten, denn ich habe ihn eher auf der Seite der Machthaber vermutet.

Fazit:

Eine Hommage an einen herausragenden Fußballer, der ich gerne 5 Stern gebe.

Veröffentlicht am 21.11.2020

Behtsame Aufarbeitung eines TAbu-Themas

Wir Kinder der Gewalt
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Nach ihrem Buch „Die Soldaten kommen“ widmet sich Miriam Gebhardt diesmal den Folgen der Vergewaltigungen durch Besatzungssoldaten. Anders als immer wieder kolportiert, haben Soldaten aller Besatzungsarmeen ...

Nach ihrem Buch „Die Soldaten kommen“ widmet sich Miriam Gebhardt diesmal den Folgen der Vergewaltigungen durch Besatzungssoldaten. Anders als immer wieder kolportiert, haben Soldaten aller Besatzungsarmeen und nicht nur die Sowjets sexuelle Gewalten gegen die Besiegten ausgeübt. Dabei spielt der Ort des Geschehens kaum eine Rolle, ebenso wenig wie das Alter und das Geschlecht der Opfer.

Gesprochen wurde darüber von den Betroffenen nur ganz selten. Sie bekamen keinerlei Unterstützung. Im Gegenteil, sie wurden als Russenhuren oder Amiliebchen diffamiert. Besonders schlimm hat es jene getroffen, die bei diesm Gewaltakt schwanger wurden und natürlich den Kindesvater nicht benennen konnten. In manchen Fällen wurden diese Kinder der Gewalt stillschweigend geduldet. Liebe haben diese Kinder wenig erfahren. Besonders, wenn es dann später erwünschten Nachwuchs gab.

Welchen Belastungen die vergewaltigten Frauen ausgesetzt waren und wie sich die auf ihre Kinder bzw. Enkel übertragen haben, hat Miriam Gebhardt anhand von zahlreichen Interviews und Fragebögen erforscht.

Diese Gewalterfahrung wird, wie wir es aus der neueren Forschung nun wissen, an die nächste Generation(en) weitergegeben. So ist es auch wenig verwunderlich, dass die betroffenen Frauen bzw. ihre Kinder an Spätfolgen leiden.

Stellvertretend für die, ihren Schätzungen nach 900.000 Vergewaltigungen und den daraus ca. 80.000 geborenen Kinder, lässt die Autorin und Historikerin vier Frauen und einen Mann über ihre bzw. die Geschichte der Mütter zu Wort kommen.

Behutsam begegnet Miriam Gebhardt ihren Interviewpartnern, die sich oft ungeliebt fühlten. Sie berichtet auch von Versuchen, den „Erzeuger“ ausfindig zu machen. Das Aufwachsen ohne Vater ist in der Nachkriegszeit grundsätzlich ja kein Einzelschicksal, da Millionen von Männern gefallen oder vermisst waren. Doch der Makel in der Geburtsurkunde „Vater unbekannt“ stehen zu haben bzw. von den Gerüchten rund um die Zeugung zu hören, hat bei den Kindern tiefe Spuren hinterlassen, di sich in Depressionen und/oder Bindungsstörungen bemerkbar mach(t)en.

Neben den fünf Einzelschicksalen bietet Miriam Gebhardt einen Blick auf die geschichtlichen Zusammenhänge. Auch allgemeine Fragen zu diesem nach wie vor tabuisierten Thema werden gestellt und soweit möglich beantwortet.

Fazit:

Kinder der Gewalt - ein sehr schwieriges, emotionales Thema, das von der Autorin sehr sachlich und behutsam bearbeitet wird. Gerne gebe ich diesem Buch 5 Sterne.

Veröffentlicht am 21.11.2020

Ein beeindruckender hist. Roman

Heimatlos
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Judit Kovàts erzählt in diesem Roman die Geschichte der Lili Hartmann, die das Schicksal von Millionen Deutschen, die nach 1945 als Siebenbürger, Donauschwaben, Schlesier, Ungarndeutsche und Sudetendeutsche ...

Judit Kovàts erzählt in diesem Roman die Geschichte der Lili Hartmann, die das Schicksal von Millionen Deutschen, die nach 1945 als Siebenbürger, Donauschwaben, Schlesier, Ungarndeutsche und Sudetendeutsche aus der wiedererstandenen Tschechoslowakei (und anderen Staaten) vertrieben werden, teilt. Zuvor werden sie noch enteignet, aller beweglichen Besitztümer beraubt, erniedrigt und gedemütigt. Wer nicht spurt, wird erschossen. So nehmen die Tschechen und Slowaken blutige Rache an den Deutschen. Dabei ist es egal, ob es sich um alte Männer, Frauen oder Kinder handelt.

Wer ist sie nun, die Romanfigur Lili, die stellvertretend für zahlreiche Frauen steht?

Lili stammt aus dem slowakischen Käsmark/Kesmark/Kezmarok. Man sieht schon aus der dreifachen Bezeichnung des Ortes, dass unterschiedliche Menschen zusammenleben. Schon mit 12 Jahren ist sie die Ernährerin der Familie. Auf der Flucht muss sie ihre Großmutter und ihre Schwester begraben. Während die Frauen der Familie Hartmann in Etappen und verschiedenen Lagern Richtung Westen vertrieben werden, wird Lilis Vater, ein Rechtsanwalt, jahrelang in auf einer Festung inhaftiert und anschließend in das Uranbergwerk Jàchymov als Zwangsarbeiter verschleppt.

Wir erleben mit, wie sich Lily im Arbeitslager durchschlägt, wie sie durch einen Irrtum bei der Registrierung zur Mutter ihres kleinen Neffen wird und nach Bayern deportiert wird.

Heimatlos und ausgeliefert erlebt sie die ersten Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Auch das innere Gefüge ihrer Familie löst sich auf, als die Mutter sich in einen ebenfalls geflüchteten Tierarzt verliebt.

Meine Meinung:

Ein sehr gut gelungener Roman, der anhand von Lili Hartmanns Schicksal, die der Millionen vertriebenen Deutschen erzählt. Es klingt wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass diese Flüchtlinge nun in jenen KZ zusammengepfercht werden, die zuvor für Juden und Zwangsarbeiter errichtet wurden.

Die Geschichte ist einfühlsam und spannend erzählt. Es gibt keine großen Helden, sondern kleine Zufälle und Begebenheiten, die über Leben und Tod entscheiden.

Die Autorin beschreibt das Leben der kleinen Leute, die es nicht richten konnten, die ums nackte Überleben kämpften, für die das Ende des Krieges der Beginn ihres eigenen Leidensweges war. Die entwurzelt und heimatlos in Deutschland, oft als Eindringlinge maximal geduldet waren.

Der Roman ist, wie es sich für eine Historikerin gehört, penibel recherchiert.

Fazit:

Ein beeindruckender Roman der ungarischen Schriftstellerin und Historikerin, dem ich gerne 5 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 21.11.2020

Mehr als ein KOchbuch

Barocke Kochkunst heute
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Dieses Kochbuch ist ein wahrer Augenschmaus und eine wunderbare Geschenkidee! Nicht nur die gekonnt und opulent in Szene gesetzten Speisen sind wunderschön anzusehen und dann auch nachkochbar, sondern ...

Dieses Kochbuch ist ein wahrer Augenschmaus und eine wunderbare Geschenkidee! Nicht nur die gekonnt und opulent in Szene gesetzten Speisen sind wunderschön anzusehen und dann auch nachkochbar, sondern die gesamte Aufmachung des Buches ist prächtig.

Gerhard Ammerer, profunder Kenner von Salzburgs Geschichte, hat das historische Kochbuch der Maria Clara von Dückher von Hasslau zu Urstein und Winckl (1617-1681) gemeinsam mit Marlene Ernst behutsam ins hier und heute übertragen.

Bevor wir uns den 24 Rezepten, die nach den vier Jahreszeiten gruppiert sind, widmen dürfen, gibt es noch einen fesselnden und detailreichen Ausflug in die Familiengeschichte derer von Dückher von Hasslau zu Urstein und Winckl. Zahlreiche Abbildungen von Dokumenten, den Seiten des Kochbuchs und Plänen sowie Fotos stimmen uns auf die barocken Rezepte ein.

Marlene Ernst hat die Mengenangaben sowie die Zutaten der Gerichte an den heutigen Geschmack angepasst. Dem 350 Jahre alten Kochbuch fehlen natürlich Angaben zu Garzeiten und Kochtemperaturen. Doch auch diese Hürde hat die Köchin gemeistert und so können die barocken kulinarischen Spezialitäten nachgekocht werden.

Manche Rezepte, wie das Quittengelee, die Englische Topfentorte oder der Mandelkäse, klingen erfrischend modern.

Fazit:

Dieses Buch ist mehr als ein Kochbuch. Es ist eine Familiengeschichte eines Adelsgeschlechts, eine Dokumentation einer Epoche und ein wunderbares Geschenk. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.