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Veröffentlicht am 27.10.2019

Intrigenreiches Wien, opulent erzählt

Im Schatten des Turms
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"Im Schatten des Turms" führt uns in die opulent erzählte Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Schon der Prolog nimmt uns gleich mitten ins Geschehen, lebhaft und auf positive Weise detailreich finden ...

"Im Schatten des Turms" führt uns in die opulent erzählte Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Schon der Prolog nimmt uns gleich mitten ins Geschehen, lebhaft und auf positive Weise detailreich finden wir uns im Wiener Narrenturm, erleben Angst, Ungewissheit und Bedrohung ganz unmittelbar. Der Narrenturm existiert wirklich, wurde einst als psychiatrisches Krankenhaus erbaut und ist heute ein Museum. Ihn als Fokus eines Romans zu sehen, hat mich sofort fasziniert. Der Klappentext, mit der Überschrift "Hinter den Mauern des Narrenturms, der ersten psychiatrischen Heilanstalt der Welt" und einem ausführlichen Absatz über den Narrenturm und die damaligen Entwicklungen der Psychiatrie erweckten bei mir den Eindruck, daß dies der Hauptfokus des Romans sein würde. Im ersten Drittel ist dies auch der Fall. Wir lernen Alfred kennen, einen jungen Medizinstudenten. Ganz ausgezeichnet wird hier geschildert, wie das Medizinerstudium damals verlief, man sieht es geradezu bildlich vor sich, gerade, wenn man die Schauplätze aus eigener Anschauung kennt. Die Charaktere sind lebendig, das Geschehen ausgesprochen interessant. Wir begleiten Alfred und seine Mitstudenten in den Narrenturm, erleben, wie die "Irrsinnigen" zu Anschauungsobjekten herabgewürdigt, ihnen das Menschsein abgesprochen wird. Die im Klappentext erwähnte Begegnung mit der "jungen Frau mit seltsamen Malen auf den Armen", die sinistre Vorgänge im Narrenturm vermuten läßt, wird eindringlich geschildert. Auch die anderen Fälle, mit denen Alfred medizinisch zu tun bekommt, sind geradezu spannend, denn der Autor vermittelt uns hier kenntnisreich und anschaulich den damaligen Stand der Medizin. Das ist ein Thema, das in historischen Romanen in dieser Ausführlichkeit selten vorkommt und das machte das erste Drittel des Buches für mich ausgesprochen erfreulich. Davon hätte ich gerne noch viel, viel mehr gelesen.

Die zweite Hauptperson ist Helene, eine Grafentochter, die in einer gänzlich anderen Welt lebt als Alfred. Hier zeigt sich ebenfalls der hervorragende Schreibstil, ich sah ihr idyllisches Schloß mit den gepflegten Gärten, dem gütigen Vater und dem treu ergebenen Personal ebenfalls vor mir. René Amour versteht es, das historische Umfeld zum Leben zu erwecken und auch seine Charaktere auszuarbeiten. Wenn da eine Dame auf ihrer Chaiselongue nicht sitzt, sondern "residiert", sagt uns dieses eine Wort schon sehr viel - die gelungene Wortwahl beeindruckt immer wieder. Das ganze Buch hindurch sind bis zum kleinsten Nebencharakter alle facettenreich und echt. Es treten einige historische Persönlichkeiten auf, sogar Kaiser Joseph II begegnet uns und wird vom historischen Namen zum Menschen. Ein Namensverzeichnis zu Beginn des Buches listet die vielen Charaktere auf und vermerkt auch, welche historisch verbürgt sind. Ein informatives und persönliches Nachwort gibt zusätzliche Informationen zur Behandlung von historischen Persönlichkeiten und Orten, gibt auch nützliche Hintergrundinformationen. Die historische Genauigkeit ist, soweit ich das beurteilen kann, exzellent. Hier spürt man penible Recherche, die gut in die Geschichte eingearbeitet wird.

Der Narrenturm und die medizinische Komponente treten leider nach dem ersten Drittel völlig zurück und tauchen kaum noch auf, das Geheimnis um die junge Frau mit den Malen wird fast beiläufig aufgelöst. Ich fand es sehr schade, daß diese im Klappentext ausführlich angekündigte Thematik letztlich eine wesentlich kleinere Rolle spielte, als zu vermuten war. Der Hauptfokus der Geschichte liegt auf sehr ausgefeilten Intrigen mit allem Drum und Dran: chiffrierte Briefe, maskierte Schläger, Decknamen, Symbole, doppeldeutige Bemerkungen. Das ist sorgfältig konzipiert, ist nur leider ein Thema, das mich überhaupt nicht anspricht. Die mysteriösen Begegnungen und Bemerkungen waren mir irgendwann zu viel, und als unsere Protagonistin Helene irgendwann ihren Konversationspartner fragt, ob es nicht möglich wäre, sich ausnahmsweise einfach mal völlig normal zu unterhalten, ohne alberne Spielchen, war ich ganz auf ihrer Seite. Auch hat sich mir nie erschlossen, welchen Zweck diese Intrigen für die meisten Beteiligten hatten, ich konnte mit einigen der Manöver wenig anfangen. Zudem konnte ich an manchen Stellen nicht nachvollziehen, wie schnell sich eine unerfahrene Person das geschickte Intrigenspiel angeeignet hat und wie ungeschickt manch erfahrene Intrigantin manchmal agierte. Das ist natürlich ein rein subjektiver Eindruck, hat mir persönlich aber das Lesevergnügen eben doch stellenweise merklich gedämpft, weil es so einen großen Raum einnahm. Wem dieses Thema liegt, der wird es in diesem Buch ganz ausgezeichnet dargestellt und geschildert finden.

Ein weiteres Hauptthema des Buches war der Krieg, die Leiden der zwangsweise Rekrutierten, das unmenschliche Verheizen von Menschenleben. Auch hier wieder bemerkenswertes historisches Wissen, lebhaft geschilderte Szenen, die Kämpfe für meinen Geschmack manchmal etwas zu ausführlich. Störend fand ich, daß hier und auch am Ende des Buches etwas zu oft lebensrettende Zufälle eine Rolle spielen. Das kann man einmal, auch zweimal noch nachempfinden, aber vier-/fünfmal sind mir persönlich zu viel. Interessant waren hier dafür Gespräche, die verschiedene Ansichten zum Weltgeschehen und den gedanklichen Strömungen jener Zeit darstellten; dies so gut, daß man durchaus beiden gegensätzlichen Ansichten etwas abgewinnen konnte.

So ist "Im Schatten des Turms" ein Roman, der mir persönlich thematisch nicht ganz zusagte, dessen Abkehr vom medizinischen/psychiatrischen Thema ich bedauerlich finde, der dafür durch hervorragend recherchierte und erzählte historische Genauigkeit besticht, durch einen bemerkenswerten Schreibstil und Charaktere, die einen berühren und von den Buchseiten lebensecht aufsteigen.

Veröffentlicht am 13.10.2019

Düster-atmosphärische Vielfalt

Die alte Freundin Dunkelheit
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"Die alte Freundin Dunkelheit" hat mich gleich durch das ausgesprochen gelungene Titelbild (welches leider in meinem eBook nicht angezeigt wird) angesprochen. Sehr stimmungsvoll, mit herrlich düsterer ...

"Die alte Freundin Dunkelheit" hat mich gleich durch das ausgesprochen gelungene Titelbild (welches leider in meinem eBook nicht angezeigt wird) angesprochen. Sehr stimmungsvoll, mit herrlich düsterer Atmosphäre. Die durch das Titelbild geweckte Erwartung wird vom Buch dann auch erfüllt.

In 20 Geschichten (eine davon ein Gedicht) führt uns Katja Angenent in verschiedene Welten der Düsternis, dies in bemerkenswerter Vielfalt. Den Beginn machen Geschichten mit historischem Hintergrund. Gleich zu Beginn begegnen wir dem Salierkaiser (zum Zeipunkt der Geschichte noch König) Heinrich IV. Die Autorin nimmt diese historische Persönlichkeit und webt ihn in eine fiktive Geschichte ein, die seinem berühmten Gang nach Canossa eine ganz neue Perspektive verleiht. Diese Kombination ist ein gelungener Einstieg. In den folgenden "historischen" Geschichten sind die Persönlichkeiten fiktiv, die historischen Umstände gut geschildert und für die Geschichten genutzt. Der Schreibstil ist - bis auf eine zu moderne Formulierung - dem Hintergrund angemessen und paßt sich dann bei den folgenden "modernen" Geschichten mühelos der Gegenwart an, in der diese spielen. Das alleine ist schon einmal bemerkenswert und erfreulich.

Überhaupt gefiel mir der Stil ausgezeichnet. Die Autorin kann hervorragend Atmosphäre und Stimmung schaffen, es finden sich wunderschöne Sätze wie "Im Hof hatte der Nebel die dürren Bäume gänzlich verschlungen; er erahnte ihre Schatten mehr, als er sie tatsächlich sah." Wir tauchen in so viele verschiedene Welten ein, die ich oft bildlich vor mir sah. Ob es nun mächtige Burgen sind, ein trostloses Hotel, ein sogenannter Lost Place, oder ein fast ausgestorbenes irisches Dorf - Katja Angenent versteht es, uns in wenigen wohlgesetzten Worten ihre Welten zu schildern. So machte mir das Lesen Spaß, nur die konsequente Großschreibung des Wortes "Du" an Stellen, an denen es nie groß geschrieben wird (zB in wörtlicher Rede), irritierte mich doch ziemlich.

Die Geschichten haben unterschiedliche Länge, manche sind gerade zwei Seiten lang, andere etwas länger. Mir persönlich sagten die etwas längeren Geschichten meistens mehr zu, da man sich hier mehr in die Atmosphäre vertiefen konnte und auch thematisch weniger offen blieb. Allerdings bieten nur die wenigsten Geschichten eine Erklärung oder wenigstens einen Hinweis, was auch durchaus so beabsichtigt ist. Ich ziehe es vor, nicht ganz so sehr im Dunkeln gelassen zu werden und so gab es einige Geschichten, die mich am Ende etwas unzufrieden zurückließen, weil mir wichtige Punkte völlig im Dunkeln blieben. Das ist aber reine Geschmackssache. Wenn man sich darauf einlassen kann, daß vieles offen bleibt, wird man mit exzellent gestalteter Atmosphäre belohnt und letztlich gefielen mir auch diese Geschichten meistens gut. Es gab nur vereinzelte Geschichten, mit denen ich gar nichts anfangen konnte, der Großteil hat mich angesprochen und dies auf erfreulich vielfältige Weise.

Der Untertitel des Buches ist "Schauergeschichten" - es ist überwiegend ein mildes Erschauern, eine Art wohliges Unwohlsein. Das fand ich angenehm - stärkerer Grusel wäre auch willkommen gewesen, aber er hat mir nicht gefehlt. In manchen Geschichten ist es nicht das Erschauern, das im Vordergrund steht, sondern eine überraschende Wendung oder auch leise Wehmut. Es sind für mich düster-atmosphärische Geschichten. Durch die vielfältigen Themen, Zeiten und Schauplätze begann ich jede Geschichte mit leiser Neugier, wohin mich die Autorin nun führen würde. Das Lesen hat sich gelohnt und ich werde dieses Buch ganz sicher erneut mit Freude lesen.

Veröffentlicht am 27.09.2019

So lernt man Wien richtig kennen!

Wien abseits der Pfade (Jumboband)
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In "Wien Abseits der Pfade" nimmt Georg Renöckl uns auf eine hochpersönliche Reise durch Wien mit und erfreut den Leser mit einer herrlichen Vielfalt an Informationen. Es ist unglaublich, was man hier ...

In "Wien Abseits der Pfade" nimmt Georg Renöckl uns auf eine hochpersönliche Reise durch Wien mit und erfreut den Leser mit einer herrlichen Vielfalt an Informationen. Es ist unglaublich, was man hier alles über Wien lernen kann. Dreizehn Kapitel sind je einem Spaziergang gewidmet und der Autor beschreibt seine Spaziergänge inklusive der Eindrücke aller Sinne, so daß man fast den Eindruck hat, neben ihm herzugehen und alles direkt mitzuerleben. Diese persönliche Erzählweise ist sehr ansprechend und hebt das Buch aus anderen heraus. Die Spaziergangthemen sind sehr unterschiedlich, so gibt es einen, der sich Gerüchen widmet. Ein weiterer zeigt uns eine ganz ländliche Seite Wiens, dann geht es mal in die Arbeiterviertel und einmal fast touristisch in die Durchhäuser.

Das Klassisch-Touristische vermeidet Renöckl aber nach Möglichkeit - wer k.u.k.-Romantik erwartet, ist hier fehl am Platze. Das durch kitschige Filme und eine geschäftstüchtige Souvenirindustrie bekannte Kaiserpaar Sisi & Franz kommt hier fast nur als Bahnhofsstart- und endpunkt vor. Hier geht es um ein vielseitigeres Wien und so widmen sich manche Spaziergänge auch Gegenden, in die man nicht unbedingt herumschlendern würde, weil es dort nicht viel zu sehen gibt. Zu berichten gibt es aber in jedem Viertel etwas und das tut der Autor vielseitig. Jedes Kapitel ist wie eine kleine Wundertüte, wir wissen noch nicht, was uns erwartet und es ist stets eine bunte Mischung. Besonders historische Informationen gibt es viele, was mich sehr erfreut hat, aber wir erfahren auch etwas über innovative Geschäftsleute mit originellen Ideen, die sich der Nachhaltigkeit widmen oder alte Traditionen auf neue Weise aufleben lassen. (Nur auf einen Schneckenzüchter, der seine Schnecken in Streß versetzt, um den von ihnen dann in Panik produzierten Schaum als Kosmetik verkaufen zu können, hätte ich als Geschäftsidee verzichten können). - Manche berichteten Hintergrundfakten sind auch schlichtweg skurril, an manchen Stellen wird auf ein originelles Bauwerk oder anderes Detail hingewiesen, man bekommt wirklich von allem etwas.

Originelle Läden und Restaurants lernen wir ebenfalls kennen. Jedem Kapitel folgt ein kleiner Anhang, in dem die sehenswerten Geschäfte oder Restaurants/Cafes aufgeführt sind. Da der Autor diese alle auch tatsächlich besucht hat und wir literarisch dabei waren, sind das wertvolle und lebendige Tips.

Nicht alle Kapitel überzeugen auf gleiche Weise und manchmal waren mir auch die Kommentare zum Abriß alter Gebäude und dem Bau "gesichtsloser" Neubauten etwas zu viel, selbst wenn ich von der Thematik her zustimme.

Ich habe ziemlich lange über die Bewertung für dieses Buch gegrübelt. Nun bin ich mit dem Inhalt fast duchweg zufrieden, was soll man da grübeln? Leider - die Ausstattung wird dem Inhalt überhaupt nicht gerecht. Das Buch hat den doch recht stolzen Preis von 20 Euro; für ein Taschenbuch von weniger als 400 Seiten ist das recht viel. Da könnte man also ein wenig hochwertige Ausstattung erwarten. Das Papier ist durchschnittlich, das habe ich bei anderen Bücher dieser Art schon wesentlich besser gesehen. Jedem Kapitel ist ein klitzekleiner Stadtplanausschnitt vorangestellt, auf dem die wesentlichen Punkte eingetragen sind. Nur ist dieser Ausschnitt so klein und grau-weiß, daß man darauf so gut wie nichts erkennt. Damit hat er nicht mehr als eine Alibifunktion. Das ist - gerade bei Spaziergängen, die man doch eventuell auch mal ablaufen möchte - ärgerlich.
Dann sind die Abbildungen im Buch durchweg schwarz-weiß und größtenteils ziemlich klein. Warum bei dem Buchpreis nicht ein paar Farbbilder drin sind, erschließt sich mir überhaupt nicht - das bekommen günstigere Bücher wesentlich besser hin. Mehrere der schwarz-weiß Bilder sind dann auch nutzlos, da man auf ihnen nichts erkennt. Das finde ich bei keinem Buch akzeptabel, bei einem Buch für diesen Preis aber schon gar nicht. Inhaltlich hat das Buch 4,5 Sterne locker verdient, die Ausstattung/das Preis-Leistungs-Verhältnis erreicht knapp 3 Sterne.

Eine Leseempfehlung ist es aber in jedem Fall. Der stellenweise wundervoll trocken, immer gut lesbar, herrlich persönlich und mit einer so bemerkenswerten Vielfalt an Wissen. Hier kennt jemand seine Stadt und dank ihm habe auch ich nun Wien besser kennengelernt als je zuvor.

Veröffentlicht am 22.09.2019

Eine unterhaltsame, teils nachdenkliche Reise nach Kophusen

Elbgift
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Hinter dem erneut ansprechenden und gelungenen Titelbild von "Elbgift" verbirgt sich eine ausgefeilte Geschichte, die mich gerne nach Kophusen zurückkehren ließ. Die Titelbilder sind einer der vielen gelungenen ...

Hinter dem erneut ansprechenden und gelungenen Titelbild von "Elbgift" verbirgt sich eine ausgefeilte Geschichte, die mich gerne nach Kophusen zurückkehren ließ. Die Titelbilder sind einer der vielen gelungenen Aspekte der Serie - stets zum Inhalt passend, auf den Punkt gebracht, ansprechend und mit hohem Wiedererkennungswert.

Eine weitere Stärke sind die Charaktere, die bis zum kleinsten Nebencharakter hervorragend gestaltet sind. Ganz vorne natürlich das Ermittlerteam Philip, Peter und Hauke. Hier haben wir drei Kollegen, bei denen der Ton mal ein wenig rauher werden kann, die keine Gelegenheit auslassen, sich zu frotzeln, die aber im wahrsten Sinne des Wortes kollegial zusammenarbeiten und füreinander da sind. Aufgrund ihrer durchaus teils sehr unterschiedlichen Wesenszüge bringt jeder von ihnen einen ganz eigenen Aspekt in die jeweiligen Ermittlungen ein, was sich harmonisch zusammenfügt. Der absolute Knaller ist Hauke, der mir im letzten Band durch seine sehr offensive Verliebtheit eher auf die Nerven ging. Hier sorgt er für zahlreiche amüsante Momente (überhaupt schätze ich den trockenen Humor der Serie sehr), herrliche Wortwechsel, zeigt aber auch, daß er Köpfchen hat. Andere Kophusener Bewohner kennen wir schon aus vorherigen Bänden und es ist schön, sie, und ein paar vertraute Orte wiederzusehen, auch wenn Kophusen selbst diesmal leider weniger im Fokus stand und es somit nicht die volle Portion herrlichen Lokalkolorits gab.

Das Geschehen spielt sich hauptsächlich in einer noblen Seniorenresidenz ab. Daß diese nobel und teuer ist, wird recht häufig betont, überhaupt scheint mir in Kophusen ein wenig umgekehrter Snobismus zu herrschen. Die Residenz wird anschaulich - manchmal ein wenig zu detailliert - beschrieben und der Kulturclash zwischen Hauke und der Residenzwelt bietet viel Potential, das die Autorin gut zu nutzen weiß. Der Fall ist verwickelt, es gibt viele Ansatzpunkte, was leider auch dazu führt, daß einige interessante Aspekte ein wenig untergehen und ein paar Punkte offenbleiben.
So gibt es viele Lösungsansätze und es bleibt auf spannende Weise bis zum Ende offen, was nun genau hinter dem Fall steckt. Sogar ganz am Ende gibt es noch einen Überraschungsmoment. Der Showdown am Ende war mir persönlich zu wirr (Hauke fühlt sich zu Recht an das Ohnsorg-Theater erinnert) und ich schätze die Showdowns nicht, die mit einer ausführlichen Täterselbstbelastung inklusiver ausführlicher Tätererklärung von Motiv und Tathergang daherkommen. Gelungen fand ich aber, dass es hier kein schwarz und weiß gibt, dass man bei mancher Motivation nachdenklich wird und daß sehr wichtige Fragen angesprochen werden.

Überhaupt ist "Elbgift" allgemein ein wenig nachdenklicher. Bei Serien muß man immer damit rechnen, daß Privatleben oder vorherige Probleme der Ermittler einen gewissen Raum einnehmen. Das war im vorherigen Band gut gelöst - Philip Goldberg hat zwar ein Trauma erlitten, welches die Serie begleitet, aber es hat für mich im letzten Band den Fall nicht überlagert. Hier hat es für meinen Geschmack etwas zu viel Raum eingenommen, auch neigten alle drei Ermittler doch sehr zu Grübeleien. Das ist sicherlich alles gut geschildert, war aber nicht mein persönlicher Geschmack, da es mir den Fall etwas zu sehr überlagerte.

Die Polizeiarbeit ist wieder solide, teilweise amüsant unkonventionell. Alles ist nachvollziehbar, es gibt keine bequemen Zufälle. Wieder einmal also ein Lesevergnügen in dieser Serie.

Veröffentlicht am 08.09.2019

Es gibt nicht nur eine Erinnerung

Wie Frau Krause die DDR erfand
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In diesem recht kurzen Büchlein begegnen wir Isabella Krause, die für eine Fernsehproduktion Zeitzeugen finden soll, die über das Leben in der DDR berichten. Das Titelbild läßt das Thema sofort erkennen, ...

In diesem recht kurzen Büchlein begegnen wir Isabella Krause, die für eine Fernsehproduktion Zeitzeugen finden soll, die über das Leben in der DDR berichten. Das Titelbild läßt das Thema sofort erkennen, vor dem im "mangelwirtschaftsmattblau" gehaltenen Hintergrund, das eine typische Trabant-Farbe war, blicken uns von zwei Fernsehbildschirmen diverse DDR-Symbole entgegen, wie das Sandmännchen, der Wartburg, der Fernsehturm und die Weltzeituhr.

Wir lernen Isabella als eher erfolglose Schauspielerin kennen und erfahren im Laufe des Buches durch ihre Erinnerungen Stück für Stück mehr über sie. Gerade die Erinnerungen an ihre Kindheit und an ihre teils ungewöhnliche Familie sind unterhaltsam zu lesen, in einer schönen Mischung aus amüsant und liebevoll. Überhaupt ist der Schreibstil eine Freude. Die Autorin hat ihren ganz eigenen Stil, trocken, prägnant, bildhaft. Ich habe schon nach einigen Seiten des Buches nachgesehen, welche Bücher sie noch geschrieben hat, denn sie fällt sprachlich angenehm auf.

Isabellas Auftrag für die Fernsehproduktion stößt uns gleich auf die gängigen Ost-West-Vorurteile, denn die Produktionsfirma ist aus dem Westen. Und wir sehen, daß auch fast genau 30 Jahre nach dem Mauerfall noch nicht wirklich zusammengewachsen ist, was zusammengehört und gerade bei den Altersgruppen, die die Teilung noch bewußt miterlebt haben, die Vorurteile recht lebendig sein können.

Isabella schaut sich in ihrem eigenen Umfeld nach Zeitzeugen um und präsentiert so ein etwas betuliches Bild vom gemütlichen Dorf-/Kleinstadtleben, das den Westproduzenten nicht ins Konzept paßt. Diese in der Gegenwart spielenden Szenen wechseln immer wieder mit Isabellas Erinnerungen und auch ihren Gedanken darüber, wie diese DDR nun eigentlich war. "Das Gedächtnis war ein Kaufmannsladen, in dem Erinnerungen feilgeboten wurden. Einige gab es umsonst, andere waren bereits nach kurzem Nachdenken zu haben. Aber es gab auch Dosen und Schachteln, die sich nur mit Mühe öffnen ließen, und Schubladen, die hartnäckig klemmten" heißt es im Buch. So bekommt man im Mittelteil des Buches zunächst einen fast ostalgischen Eindruck, der die "bei uns konnte man sehr gut leben"-Leser sicher erfreuen wird. Kleine Bemerkungen weisen aber schon darauf hin, dass die DDR mehr war als Sandmännchen und Pittiplatsch. So denkt Isabella an ihren ersten Berlinbesuch und stellt fest: "Was war das für eine Grenze gewesen, an der die Soldaten das Gesicht dem eigenen Volk zuwandten und dem Feind den Rücken?"

Die Szenen, in denen die westdeutschen Fernsehleute mit den von Isabella ausgewählten Zeitzeugen aufeinandertreffen sind teils erhellend, teils für meinen Geschmack ein wenig zu skurril und erscheinen manchmal etwas plakativ. Manche Szenen (wie die in einem Altersheim für Künstler) strahlen in dem großartig beschreibenden Stil der Autorin, aber insgesamt war dieser Mittelteil des Buches eher durch die Erinnerungen Isabellas für mich lesenswert. Von den Gegenwartsszenen hatte ich mir mehr erwartet, weil gerade zwei davon einfach zu skurril sind und für mich die Chance verschenkt wurde, etwas mehr über das ganz normale DDR-Leben zu erfahren. Die Interviews mit einer Kindergärtnerin und einem Werksarbeiter hätten hier viel berichten können, waren aber zu kurz und dienten hauptsächlich dazu, die enttäuschten Erwartungen der Fernsehleute recht wiederholend darzustellen. Zum Ende hin gewinnt das Buch wieder, zeigt uns zudem auch einige der Facetten des Unrechtsstaates DDR, der in putzigen DDR-Museen und heiteren Ostprodukteläden gerne übersehen wird und verbindet diese gut mit Isabellas unbeschwerter Kindheit.

Denn genau das zeigt dieses Buch ausgezeichnet auf: es gibt nicht die "eine" wahre Erinnerung an die DDR (wie es ohnehin so gut wie nie die eine, wahre Erinnerung an etwas gibt). Die heiteren, gemütlichen Erinnerungen der einen haben ebenso ihren Platz wie die tragischen, dunklen Erinnerungen der anderen, solange man nicht vergißt, dass es viele kleine Puzzleteile gab, dass man Menschen nicht Jahrzehnte ihres durchaus zufriedenen Lebens in ihrem Heimatland absprechen darf, andererseits aber auch beschönigende Ostalgie fehl am Platze ist. Kathrin Aehnlich bringt uns diese viele Facetten hier nahe, ebenso wie die gegenseitigen Ost-West-Vorteile und das Gefühl vieler Ostdeutscher, vom Westen nicht ganz für voll genommen zu werden. Auch hier wird es an einzelnen Stellen ein wenig zu plakativ, zu offensichtlich für mich, aber insgesamt bringt uns "Wie Frau Krause die DDR erfand" das Ost-West-Thema durchaus gelungen dar und liefert zahlreiche Impulse, das eigene Bild, die eigenen Vorstellungen und (Vor)urteile zu hinterfragen.