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Veröffentlicht am 18.06.2021

Mit Puffel und Putin

Miss Merkel: Mord in der Uckermark
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Angela Merkel geht in den Ruhestand – und was kommt dann? Die Frage nach der nächsten Kanzlerin oder dem nächsten Kanzler beschäftigt viele. David Safier fragt sich stattdessen, was die zukünftige Altkanzlerin ...

Angela Merkel geht in den Ruhestand – und was kommt dann? Die Frage nach der nächsten Kanzlerin oder dem nächsten Kanzler beschäftigt viele. David Safier fragt sich stattdessen, was die zukünftige Altkanzlerin mit der neugewonnenen Freiheit und Freizeit wohl anstellen wird. Seine Antwort: Sie geht unter die Hobby-Detektive! Und das, obwohl in ihrer fiktiven neuen Heimat, dem beschaulichen Klein-Freudenstadt, eigentlich absolut nichts los ist.

Safiers „Miss Merkel“ findet es gar nicht so einfach, plötzlich ein Rentnerleben zu führen. Ihre Anfangsschwierigkeiten kompensiert sie mit Kuchenbacken, was ungute Effekte auf den Waschbrettbauch ihres Personenschützers Mike hat. Ehemann Achim, liebevoll „Puffel“ genannt, freut sich auf die ruhige Zweisamkeit – oder Dreisamkeit: Das Ehepaar Merkel/Sauer hat sich nämlich einen Mops namens Putin zugelegt. Nun fehlen nur noch ein paar neue Freunde, um in Klein-Freudenstadt Fuß zu fassen. Ein Fest auf der nahegelegenen Burg scheint eine gute Gelegenheit, um Leute kennenzulernen – doch dann verstirbt der Gastgeber in seinem von innen verschlossenen Weinkeller. Für den örtlichen Kommissar ein klarer Fall von Selbstmord, aber Angela Merkel hat Zweifel. Obwohl weder Ehemann noch Bodyguard begeistert sind, beginnt sie, Nachforschungen anzustellen und stößt dabei auf mehrere Ungereimtheiten …

Der Krimi steht und fällt mit seiner Hauptfigur – das dürfte kaum überraschen. Die in die Gedanken dieser fiktiven Angela Merkel eingestreuten Anekdötchen zum Berliner Betrieb sind durchaus amüsant zu lesen; auch das Zusammenleben mit Puffel und Putin sowie die Begegnungen mit dem gemeinen Volk sind unterhaltsam. Das Cosy Crime dient eher als Kulisse; Spannung kommt nicht wirklich auf und mit Miss Marple hat Miss Merkel in etwa so viel gemein wie Klein-Freudenstadt mit dem Prenzlauer Berg. Wegen des Genres sollte man also nicht zu diesem Buch greifen, die originelle Grundidee macht allerdings Spaß. David Safier beweist wieder einmal, dass er ein Meister der witzig-abstrusen Gedankenexperimente ist. Das Ergebnis ist ein netter Schmöker und trotz aller Absurditäten irgendwie auch eine Hommage auf Angela Merkel.

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Veröffentlicht am 05.05.2021

Zwischen Männern und Kulturen

Laudatio auf eine kaukasische Kuh
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„Laudatio auf eine kaukasische Kuh“ – das klingt nach einem Hohelied auf die Viehhaltung. Die Kuh spielt allerdings nur eine kleine Nebenrolle in diesem Roman. Hauptfigur ist die angehende Ärztin Olga ...

„Laudatio auf eine kaukasische Kuh“ – das klingt nach einem Hohelied auf die Viehhaltung. Die Kuh spielt allerdings nur eine kleine Nebenrolle in diesem Roman. Hauptfigur ist die angehende Ärztin Olga Evgenidou, die in Bonn kurz vor dem letzten Staatsexamen steht und mit ihrem Medizinerfreund Felix van Saan glücklich zu sein scheint. Einziger Wermutstropfen: Irgendwann muss sie ihm ihre in München lebende Familie vorstellen und blickt diesem Culture Clash mit Grauen entgegen. Denn auch wenn sie schon viele Jahre in Deutschland leben, sind Olgas Eltern und Großmutter noch sehr in der griechisch-georgischen Kultur verwurzelt. Außerdem versucht ihre Mutter, Olga zu verheiraten, seit diese 15 Jahre alt ist. Natürlich weiß die Familie nichts von Felix – und natürlich hat sie sehr konkrete, eigene Vorstellungen vom zukünftigen Schwiegersohn …

Der Spagat zwischen ihrem unabhängigen Leben und ihrer Familie verlangt Olga einiges ab und liest sich dabei oft amüsant. Doch plötzlich steht sie nicht nur zwischen zwei Kulturen, sondern auch zwei Männern. Und ab da konnte ich ihre Gefühlslagen nicht mehr so recht nachvollziehen; Felix‘ Rivale Jack Jennerwein ist nämlich zunächst vor allem eins: aufdringlich. Die Annäherungsversuche des rastlosen Lebenskünstlers gehen schon in Richtung Stalking.

Auch mit einigen familiären Beziehungen tat ich mich schwer; Olgas Mutter ist zum Beispiel eine manipulative Drama-Queen, der die Gefühle der eigenen Tochter herzlich egal sind. Die nahbareren Charaktere bleiben eher blass. Und so konnte ich auf der zwischenmenschlichen Ebene nicht so richtig mitfühlen und mitfiebern; vermutlich fand ich die Entwicklungen deswegen auch etwas langatmig erzählt. Am Ende überschlagen sich die Ereignisse dann; die schnelle Abhandlung der letzten Kapitel wurde der Geschichte und den Protagonisten in meinen Augen allerdings auch nicht gerecht.
Etwas aufgefangen hat das der Georgien-Teil, denn im Laufe der Geschichte verschlägt es den Großteil der Protagonisten in das Herkunftsland von Olgas Eltern. Im Gegensatz zur Autorin war ich noch nie dort, aber die „Laudatio auf eine kaukasische Kuh“ macht große Lust, das zu ändern: Georgien wird als facettenreiches und gastfreundliches Land bunt und liebevoll geschildert. Der Roman vermittelt einen lebhaften ersten Eindruck von Sitten und Gebräuchen, Essen und Wein – letzterer wird mehrmals so anschaulich beschrieben, dass ich mir zur Lektüre gerne selbst ein Gläschen eingeschenkt hätte. Und so ist mein Interesse an der kaukasischen Kuh bzw. Georgien an sich doch etwas größer geblieben als das an Olgas Beziehungsleben.

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Veröffentlicht am 04.02.2021

Gefühlslegasthenikerin im Gewissenskonflikt

Das Einmaleins des Glücks
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Die 37-jährige Mathematikerin Germaine ist anders als die anderen. Von Zahlen versteht sie viel, von Menschen wenig. Zwischentöne sind ihr fremd, Fettnäpfchen nicht – wobei sie meist noch nicht einmal ...

Die 37-jährige Mathematikerin Germaine ist anders als die anderen. Von Zahlen versteht sie viel, von Menschen wenig. Zwischentöne sind ihr fremd, Fettnäpfchen nicht – wobei sie meist noch nicht einmal bemerkt, wenn sie wieder einmal in eins gestolpert ist. Durch Vermittlung ihrer Cousine erhält sie eine Stelle bei der Stadtverwaltung und wird ausgerechnet am Beratungstelefon für Senioren eingesetzt, was ihr überhaupt nicht zusagt. Zum Glück hat die Bürgermeisterin Höheres mit der leidenschaftlichen Sudoku-Spielerin vor und schiebt ihr Spezialaufträge zu. Nach und nach stellt sich allerdings heraus, dass diese ganz und gar nicht im Interesse der Senioren sind. Und plötzlich steckt die sonst sehr auf ihren eigenen Vorteil bedachte Germaine in einem Gewissenskonflikt.

Wer Graeme Simsions „Rosie-Projekt“, „Rosie-Effekt“ und „Rosie-Resultat“ mochte, wird vermutlich auch Germaine ins Herz schließen, auch wenn das gar nicht so einfach ist. Die Gefühlslegasthenikerin hat nämlich nicht nur Probleme, ihre Mitmenschen zu verstehen, sie sind ihr auch relativ egal. Germaine fühlt sich verkannt, ist ehrgeizig und sehnt sich nach jemandem, der ihr Potential zu schätzen weiß. Nach und nach wird klar, dass sie in ihrem Leben einige große Enttäuschungen erlebt und sich daher einen ziemlich dicken Schutzpanzer zugelegt hat.

Germaines zwischenmenschliche Begriffsstutzigkeit ist ab und an ganz erheiternd, allerdings nutzt sich dieser Effekt mit der Zeit ab. Etwas bedauert habe ich, dass alle anderen Charaktere doch recht blass bleiben, obwohl sie durchaus Potential hätten. Autorin Katherine Collette hat offensichtlich ein Herz und Händchen für leicht skurrile, verschrobene Figuren, konzentriert sich aber komplett auf Germaine. Etwas mehr Abwechslung hätte die Geschichte bereichern können.

Trotzdem ist „Das Einmaleins des Glücks“ gut lesbar, hat mich immer mal wieder zum Schmunzeln gebracht und am Ende zufrieden zurückgelassen. Eine nette Zwischendurch-Lektüre.

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Veröffentlicht am 01.12.2020

Verwässert

Bergsalz
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Mal wieder ein Roman mit einem äußerst gelungenen Cover und einem prägnanten und ungewöhnlichen Titel. „Bergsalz“ spielt in dieser Geschichte eine kleine, aber bedeutende Rolle. Wäre sie eine Suppe, hätte ...

Mal wieder ein Roman mit einem äußerst gelungenen Cover und einem prägnanten und ungewöhnlichen Titel. „Bergsalz“ spielt in dieser Geschichte eine kleine, aber bedeutende Rolle. Wäre sie eine Suppe, hätte mir aber vielleicht gerade das Salz gefehlt.

Die Handlung von Karin Kalisas Roman ist in einem kleinen Allgäuer Dorf angesiedelt. Die über siebzigjährige Franziska Heberle wird von einer Nachbarin bei ihren Mittagessensvorbereitungen gestört und durchschaut schnell, dass diese nicht wirklich gekommen ist, um sich Mehl zu borgen. Denn Johanna von nebenan lebt so wie Franzi selbst: Verwitwet und allein in einem großen Haus, das die Kinder lange verlassen haben und das, wie aus Großfamilienzeiten gewohnt, eine bestens bestückte Speisekammer hat, in der keine der fünf bis sechs gewöhnlich vorhandenen Mehlsorten einfach so leer wird. Und so springt Franzi über ihren Schatten und bittet die Nachbarin herein. Zufällig kommt noch eine vorbei und weil das ungeplante Treffen ganz unverhofft guttut, verabredet man sich spontan für den nächsten Tag wieder. Nach und nach stellen die Frauen fest, wie schön es ist, mal wieder für andere zu kochen und beim Mittagessen Gesellschaft zu haben. Und die Runde wächst …

In „Bergsalz“ geht es um eine Graswurzelbewegung: Aus etwas Kleinem, von ein paar Frauen eher zufällig initiierten, entsteht nach und nach etwas Großes. Die Nachbarinnen erkennen bald, was ihnen und dem ganzen Dorf fehlt: Ein Ort, an dem man mittags zusammenkommen kann, ein Schwätzchen halten, die Einsamkeit vertreiben. Die Idee ist schön und entwickelt sich weiter; bald geht es nicht mehr nur um die älteren Damen. Nachdem sie mit so viel Herz eingeführt wurden, fand ich das richtig schade. Die weitere Entwicklung der „Offenen Küche“ ist fast märchenhaft; jegliche Hindernisse werden mühelos aus dem Weg geräumt oder scheinen wie von selbst zu verschwinden. Neue Figuren werden eingeführt und langsam fragte ich mich, ob hier weniger nicht mehr gewesen wäre, zumal es auch noch kurze Rückblicke ins Mittelalter gibt.

Richtig irritiert hat mich dann leider das Ende. Der Roman ist mit seinen 207 Seiten recht kurz für den großen Bogen, den die Autorin hier spannt – meinem Empfinden nach zu kurz. Aber auf den letzten Seiten gibt Kalisa plötzlich einem neuen Nebenschauplatz viel Raum und ein offenes Ende. Seine mystische Komponente hat für mich so gar nicht zur restlichen Geschichte gepasst, viel mehr hätten mich Details zu anderen Handlungssträngen interessiert.
Die Ausgangsidee von „Bergsalz“ hat mir gefallen; Karin Kalisa kann zudem sehr einfühlsam und berührend schreiben, ohne dass es je kitschig oder platt wird. Einzelne Sätze entfalten richtiggehend Weisheit und Wucht. Weniger Protagonisten, weniger Entwicklung und mehr Einzelheiten hätten dem Roman aber dennoch gutgetan; so erscheint mir die eigentliche Geschichte leider verwässert.

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Veröffentlicht am 09.07.2020

Gläserne Zukunft

Paradise City
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Schon der Klappentext dieses Thrillers löst ein leichtes Gruseln aus: „Deutschland in der Zukunft. Die Küsten sind überschwemmt, die großen Pandemien überstanden, weite Teile des Landes sind entvölkert ...

Schon der Klappentext dieses Thrillers löst ein leichtes Gruseln aus: „Deutschland in der Zukunft. Die Küsten sind überschwemmt, die großen Pandemien überstanden, weite Teile des Landes sind entvölkert (…)“ … und dann spielt auch noch eine staatliche Gesundheits-App eine Rolle, deren Gemeinsamkeiten mit der Corona-App allerdings schon nach dem Wort „App“ enden.

„Paradise City“ mutet nur auf den ersten Blick erschreckend aktuell an, wartet aber dennoch mit zeitgemäßen Themen auf: Staatliche Kontrolle, Überwachung und Big Data im Gesundheitswesen bilden den Rahmen von Zoë Becks neuester Dystopie. Hauptfigur Liina wohnt in der Verwaltungseinheit Frankfurt, einer 10 Millionen Megacity, die gleichzeitig deutscher Regierungssitz ist. Vom Nahverkehr bis hin zum Grundeinkommen ist alles optimiert, nicht zuletzt der Mensch, der durch die Gesundheits-App KOS komplett überwacht wird, natürlich zu seinem eigenen Besten. KOS überwacht Vitalwerte, analysiert Blut- und Urinproben, verschreibt Medikamente und organisiert auch gleich ihre Lieferung per Drohne. Die App mahnt zu ausreichendem Schlaf, gesunder Ernährung und Sport und ruft, wenn nötig, auch eigenständig einen Krankenwagen. Liinas Chef, Mitinhaber einer der letzten nichtstaatlichen Nachrichtenagenturen, kann sie allerdings nicht mehr helfen: Er stürzt vor eine Bahn, während die Investigativjournalistin, mit der er zusammengearbeitet hat, ermordet wird. Kann das ein Zufall sein?

Ich mag Dystopien, die noch einen gewissen Bezug zur Realität haben und „Paradise City“ gehört ganz klar in diese Kategorie. Beck erklärt zwar nicht im Detail, welche Entwicklungen zu der beschriebenen Zukunft geführt haben, streut aber immer wieder kleine Erklärungen ein. Das liest sich gut. Auch die Handlung beginnt recht vielversprechend und thematisiert komplexe Trade-offs: Exzellente Versorgung und Wohlstand versus Freiheit – was ist größtmögliche Bequemlichkeit wert? Wieso keinem Algorithmus das Denken überlassen, wenn der doch viel schlauer ist – und zudem streng darauf programmiert, nur das Beste für Individuum und Gesellschaft zu wollen? Und was ist eigentlich objektiv das Beste?

Die Handlung enthält verschiedene Perspektiven auf diese Konflikte. Allerdings fand ich enttäuschend, dass ich weder an Liina noch an die anderen Figuren so dicht ran kam, dass ich mit ihnen gezittert oder gelitten hätte. Geschilderte Emotionen waren zwar nachvollziehbar, der Funke sprang aber einfach nicht über; da blieb immer eine gewisse Distanz. Und am Ende von „Paradise City“ fallen den Protagonisten jede Menge Erkenntnisse einfach so in den Schoß. 100 Seiten mehr hätten dem Ganzen vielleicht gutgetan – die Geschichte hätte sich langsamer aufbauen und glaubwürdiger entwickeln können, eventuell wären dann auch die Figuren greifbarer geworden. Dennoch: Die Grundidee ist spannend. Letztendlich geht es auch hier um die Frage, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen und um was es sich zu kämpfen lohnt.

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.

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