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Veröffentlicht am 15.09.2016

Sehr gut gelungen: gekonnt und spannend geschrieben, psychologisch fein austariert.

Boy in the Park – Wem kannst du trauen?
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„Boy in the park“ von A.J. Grayson hat mich sehr positiv überrascht. So fein psychologisch austariert, so gekonnt und spannend erzählt, mit einer gelungenen Überraschung zum Schluss!, kaum zu fassen, dass ...

„Boy in the park“ von A.J. Grayson hat mich sehr positiv überrascht. So fein psychologisch austariert, so gekonnt und spannend erzählt, mit einer gelungenen Überraschung zum Schluss!, kaum zu fassen, dass es Debüt der Autorin ist.
Ich habe mich insgeheim schon vom Thriller-Genre verabschiedet, war aber von der Leseprobe sehr positiv angetan: Gute, philosophisch angehauchte Beobachtungen, mit feinem Humor garniert und treffender Gesellschaftskritik angereichert, haben meine Neugier entflammt. Also habe ich dem Roman eine Chance gegeben und wurde keineswegs enttäuscht.
Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen: Heute in San Francisco und vor paar Jahrzehnten an div. Plätzen in US. Im Heute beobachtet Dylan Aaronsen, etwa Mitte vierzig, ein sympathischer Kassierer im Bio-Supermarkt, wie ein kleiner Junge in jeder seinen Mittagspausen zum Teig in den Park kommt. Eines Tage verschwindet er auf eine rätselhafte Art. In der Vergangenheit führen die Bandaufzeichnungen auf Kassetten(!) Gespräche der Psychologin P. Lavrentis mit einem geistig umnachteten, manisch-aggressiven, unter akutem Mordverdacht stehenden jungen Mann namens Joseph in einer geschlossenen Anstalt in US. Lange versteht man nicht, was die beiden miteinander zu tun haben, denn am Anfang wird größtenteils aus Dylans Ich-Perspektive von seinem Leben in der Großstadt erzählt. Seine Sicht der Dinge ist so unterhaltsam, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte.
Nach und nach offenbart „Boy in the park“ seine gesellschaftskritische Seite. Z.B. Ein Dichter ist mit seiner Kunst völlig erfolglos und dazu verdammt, seinen Lebensunterhalt als Kassierer zu verdienen. Wer hat dagegen Erfolg? Der Chef des Supermarktes, ein Betrüger, der den neurotischen Großstädtern unnütze Wässerchen und Tütchen als Lebensmittelergänzungen tagein tagaus anschwätzt. Dieses Geschäft läuft ganz wunderbar, der Betrüger und die Betrogenen scheinen zufrieden. Dies und noch einige andere derartige Dinge sind so schön, mit Augenzwinkern gezeigt, dass diese Seite des Romans mich an unterhaltsame politische Satire denken ließ. Auch andere aktuelle Themen wie Waffenbesitz, Gewalt in der Familie, Einsamkeit, wachsender Armut in der amer. Gesellschaft sind gekonnt in den Erzählteppich hineingewoben worden. Und immer wieder taucht der Junge im Park, anfangs vor Dylans Augen in seinen Mittagspausen, später auf seiner Reise vor seinem geistigen Auge.
Im letzen Viertel wird der Roman z.T. zum Reiseführer. Die Fahrt von Frisco nach Nashville und zurück wird mit Landschaftsbeschreibungen angereichert, bildhafte Erinnerungen an einen Besuch bei Grand Canyon sind auch dabei. Ich empfand diese Schilderungen als eine angenehme Abwechslung. Dylans Sicht, denn auch hier führt er oft das Wort, seine freundliche Seite ist eine Bereicherung und gute Unterhaltung zugleich.
Es gibt auch einiges, das mir weniger gut gefiel: manches war zu breit erzählt, manches wiederholte sich unnötig, einige Züge und Gedanken, insb. im letzen Viertel, passten zu Dylan einfach nicht, manche Kindermissbrauchsszenen, obwohl eigentlich glaubhaft dargeboten, konnte ich trotzdem nicht abnehmen.
Der Roman liest sich aber trotz der Schwere einiger Themen sehr leicht und fabelhaft schnell, da recht flott geschrieben, in kraftvoller, aussagestarker Sprache. Es gibt einige geistreiche Sätze, die ihren gebührenden Platz in jedem Zitatenheft finden können. „Kurz wird mir klar, dass das alles Blödsinn ist, dass sich Lyrik und Pessimismus nur in der Art der Verzauberung unterscheiden, mit der jemand die Welt betrachtet. Aber ich fühle mich heute nicht verzaubert. Heute sehe ich bloß die Entenärsche.“ S. 74.
Zum Schluss wird alles aufgelöst, es wird klar, was der Junge im Park mit dem Ganzen zu tun hat. Überraschung zum Schluss halte ich für sehr gelungen. Kann man nicht voraussehen. Prima in Szene gesetzt.

Fazit: Ein sehr gut gelungener, gekonnt und spannend geschriebener, psychologisch fein austarierter Roman, der nicht nur prima unterhält und zum Nachdenken anregt, sondern auch auf emotionaler Ebene berührt. „Boy in the park“ hat mir viele erfüllte Lesestunden bereitet. Fünf Sterne und eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Gelungener Südfrankreich-Krimi! Urlaubsfeeling, sympathische Figuren, spannender Plot.

Tödlicher Tramontane
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Tödlicher Tramontane ist ein sehr gut gelungener Südfrankreich-Krimi, da er alles hat, was man von so einem Krimi erwartet.

Der Klappentext spiegelt die Ausgangssituation prima wieder. Ich war sofort ...

Tödlicher Tramontane ist ein sehr gut gelungener Südfrankreich-Krimi, da er alles hat, was man von so einem Krimi erwartet.

Der Klappentext spiegelt die Ausgangssituation prima wieder. Ich war sofort in die Geschichte eingetaucht. Es fühlte sich an, als ob ich im Urlaub in Banyuls-sur-Mer war: Nicht nur die Landschaften der Gegend, die Sonne über dem blauen Meer, sondern auch die dort lebenden Menschen und ihre Eigenarten wurden unterhaltsam und mit einer Prise Humor vermittelt. Man bekommt leicht eine Ahnung, wie die Einheimischen sind, wie sie ticken, was für sie wichtig ist und warum.

So ist auch der Protagonist Perez, ein etwa Mitte fünfzig alter Mann, der sich dem Genuss verschrieben hat und in Banyuls-sur-Mer zu denjenigen gehört, die im Rathaus zusammen mit dem Bürgermeister und paar anderen Herrschaften über die wichtigen Dinge im Ort mitentscheidet. Deshalb ist er überrascht, dass er übers Dorfradio vermittelt mitbekommt, dass eine Hafenerweiterung in Banyuls so gut wie sicher ist. Dieser enorm wichtige Punkt wurde im Rathaus aber nie offiziell besprochen. Da fängt Perez zu recherchieren an. Und kaum tritt er diesen Weg an, schon passieren jede Menge Dinge, die für viel Wirbel sorgen. Perez sieht sich gezwungen zu handeln und alles wieder in Ordnung zu bringen. Perez hat auch früher manche kleinere Sachen untersucht. Diese hier ist aber ganz schön verwoben und kompliziert, auch weil da böse, einflussreiche Jungs mitmischen. Da Perez sich aber direkt angesprochen fühlt, seine beste Freundin ist plötzlich verschwunden und ihre Tochter ist in großer Sorge, gibt es für ihn keine wenn und aber.

Alle Figuren sind sehr gut gelungen. Sie kommen so authentisch, so lebendig rüber, dass man den Eindruck gewinnt, man ist in Banyuls-sur-Mer zu Besuch zwischen all den Leuten und erlebt ihre Abenteuer und Sorgen mit. Perez ist ein Schmuggler, aber ein sehr sympathischer. Es hat eben Tradition. Und er tut nichts anderes als die jahrhundertalte Tradition zu pflegen, in dem er spanische Delikatessen am Fiskus vorbei ins Land holt. Was aber Gerechtigkeit im zwischenmenschlichen Sinne angeht, da kennt er kein Pardon.
Auch Nebenfiguren sind einfach herrlich. Perez‘ Koch Haziem ist schon ein Schmuckstück, aber auch alle andere haben ihre Eigenheiten und Interessen, die sie nach Kräften vertreten.

Der Plot ist auch sehr gut gelungen. Spannende Momente wechseln sich mit emotionalen und genussvollen ab. Es gibt auch eine Portion Gesellschaftskritik, gut verpackt, der Schluss ist prima, spannend, aktionsreich und erfüllend.

Der Erzähler Michael Schwarzmeier hat sehr gut gelesen und die Geschichte wunderbar bereichert. Ich konnte alle Figuren ihren Stimmen nach prima unterscheiden und problemlos mitgehen. Hat Spaß gemacht, diesem Krimi zuzuhören. So geht jede Hausarbeit leicht von der Hand, wenn man etwas Tolles zu hören hat.

Fazit: Tödlicher Tramontane ist ein sehr gut
gelungener Südfrankreich-Krimi, da er alles hat, was man von so einem Krimi erwartet: Urlaubsfeeling, sympathische Figuren, die Eigenarten der Einheimischen und ihre Art die Welt zu sehen, spannenden Plot und einen stimmigen Schluss.
Ich bin auf weitere Werke aus der Feder von Yann Sola gespannt und vergebe 5 wohl verdiente Sterne für diesen unterhaltsamen und prima gelungenen Regio-Krimi.
Hörbuch, Spieldauer: 9 Stunden und 47 Minuten, ungekürzte Ausgabe, gelesen von Michael Schwarzmeier.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Hector hat sich in der Folge 7 selbst übertroffen.

Hector und die Suche nach dem Paradies
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Klappentext: „Hector ist 25 und zum ersten Mal richtig verliebt. In Clotilde, eine Kollegin aus dem Krankenhaus, schön wie ein Botticelli-Engel, aber leider auch genauso unnahbar. Als mehrere Patienten ...

Klappentext: „Hector ist 25 und zum ersten Mal richtig verliebt. In Clotilde, eine Kollegin aus dem Krankenhaus, schön wie ein Botticelli-Engel, aber leider auch genauso unnahbar. Als mehrere Patienten der Klinik nach dem Genuss eines Tees apokalyptische Wahnvorstellungen haben, fliegt Hector ihr in Richtung Himalaja. Der Auftrag: zu verhindern, dass die falschen Leute hinter das Geheimnis des Tees kommen. In Katmandu liefern Buddhismus und Hinduismus Hector jede Menge interessante Antworten auf die Frage nach dem Paradies. Und ist diese Reise auch seine Chance, Clotilde doch noch näher zu kommen?“

Der KT spiegelt den Inhalt treffend wieder. Der Roman ist eine Reise im doppelten Sinn: Physisch reist Hector in die Berge. In der Hinsicht hat die „Hectors Suche nach dem Paradies“ etwas von einem Reisführer: Die Eindrücke von Katmandu, die Begehungen der Stupas, die Beschreibungen der Umgebung, die Wanderungen in den hohen Bergen zu den gut versteckten Klöstern, bildhafte Naturbeschreibungen, all das führ dazu, dass man sich wie im Urlaub fühlt.
Spirituell reist Hector auch, denn dazu gibt es ein reichhaltiges Kulturprogramm in Form von philosophisch angehauchten Diskussionen unter Freunden. Buddhismus, Hinduismus und Christentum werden unter die Lupe genommen und die Kernpunkte verglichen. Dazu sind diese schon stark verknappt und vereinfacht, aber gut auf den Punkt gebracht und sehr unterhaltsam dem Leser dargeboten. Diskutiert wurde auch über Gott (und seine Existenz) und die Welt, über Leben und Tod, u.a. wurde Unterschied zwischen Erleuchtung und Nirwana erklärt, alles sehr zugänglich, sodass man keine Verständigungsprobleme haben dürfte. Als Handlung gibt es eine spannende Verfolgungsjagd, gefährliche und weniger gefährliche Bösewichte, schöne junge Frauen, die sich Hector an den Hals werfen, jede Menge von feinem Humor und eine Prise Mystik.
Mir hat Spaß gemacht, sowohl den Diskussionen zu folgen, als auch bei der Verfolgungsjagt dabei zu sein. (Fast) alle wollen den sagenhaften Tee sein eigen nennen, der angeblich einen in Ekstase versetzen kann.
Alle Figuren sind prima gelungen und kommen sehr lebendig rüber. Selbst die Nebenfiguren haben nicht nur ihre eigenen Konturen bekommen, sie haben mich oft überrascht und hier und dort zum Schmunzeln gebracht. Die Pharma-Konzerne kommen da wohl kaum als Sympathieträger daher. Sie stellen zusammen mit den Vertretern der chinesischen und amerikanischen Regierungen die Bösewichte dar. Die amerikanischen Agenten avancieren erst zu Bösewichten, ihr typisches Gehabe, die Welt gehöre ihnen, ist prima, nur in einer Szene perfekt eingefangen worden, dann bekommen sie etwas von Witzfiguren. Köstlich. Die Gesellschaftskritik bei der Darstellung weiterer Figuren wie die humorvoll-ironische Kritik der weltpolitischen Verhältnisse vertiefen und bereichern die Geschichte. Diese sollte man sich nicht entgehen lassen.
Ich fand es schön, Hector mit seinen 25-Jähren zu begegnen, denn in den früheren Folgen ist er mindestens zehn Jahre älter und hat altersbedingt schon ganz andere Sorgen. In diesem Band ist er ein ganz junger Arzt, der seine Internatur absolvieren muss und sich für die Psychiatrie noch nicht entschieden hat.
Ich mag auch diesen Erzählstil: Schlicht und ergreifend, wie ich den in den ersteren Folgen der Reihe vor paar Jahren kennengelernt und meinen Spaß daran gefunden habe. Frei nach dem Motto: Geniale Dinge sind einfach.
Ich muss auch sagen, dass es sich erst hingezogen hat, bis sich der rote Faden der Geschichte erkenntlich zeigte, dann aber wurde sie spannend und je weiter ich las, desto besser gefiel mir „Hectors Suche nach dem Paradies“. In der zweiten Hälfte konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen.
Auf der spirituellen Reise mangelt es Hector an Frauen und Sex keineswegs. Dabei sind bestimmte Botschaften zwischen den Zeilen gut erkennbar, in etwa: eine starke Frau kann viel, mit einem passenden Mann kann sie schier Unmögliches erreichen.

Fazit: Tolle Unterhaltung, die nicht nur amüsiert, sondern auch zum Nachdenken anregt und der Welt Spiegel vors Gesicht hält. Hector hat sich selbst in der Folge 7 übertroffen. 5 von 5 möglichen Sternen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein ganz besonderes Leseerlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte.

Die Straße der Geschichtenerzähler
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Klappentext: „Die junge Engländerin Vivian Rose Spencer reist 1914 zu Ausgrabungen in der Türkei. Hier, im sagenhaften Labraunda, lässt sie die strengen Konventionen ihrer Heimat weit hinter sich und ...

Klappentext: „Die junge Engländerin Vivian Rose Spencer reist 1914 zu Ausgrabungen in der Türkei. Hier, im sagenhaften Labraunda, lässt sie die strengen Konventionen ihrer Heimat weit hinter sich und verliebt sich in den Archäologen Tahsin Bey. Als der Krieg ausbricht, verlieren sich die beiden aus den Augen. Auf ihrer Suche nach ihm trifft Vivian in einem Zug nach Peschawar den jungen Paschtunen Qayyum Gul. Beide ahnen nicht, dass ihre Geschicke sich auf immer verbinden und sie eines Tages, auf der Straße der Geschichtenerzähler, wieder zusammenführen werden.“
Der KT lässt schon fast einen Frauenroman vermuten. So in etwa fängt er auch an. Die gemütlichen Abende bei den Ausgrabungen in Labraunda mit charismatischen Erzählern, die ihre Legenden um die mutigen Abenteurer zum Besten zu geben wissen. Von da aus ist es auch bis zu einer Liebesgeschichte nicht weit. Tahsin Bey, der unzählige Geschichten und Geheimnisse seines Landes kennt und mit seiner Faszination zur Archäologie auch die junge Viv Spencer beeindruckt, avanciert trotz des Altersunterschieds zum Zukünftigen von Viv.
Aber ein Frauen- oder Liebesroman ist „Die Geschichte der Straßenerzähler“ keineswegs. Die emotionale Seite, die in solchen Romanen oft ausführlichst in Szene gesetzt wird, ist hier weitestgehend ausgeklammert. Das gilt nicht nur für die Romantik. Es gibt bildhafte Schilderungen vom Leid der im ersten Weltkrieg verletzten Männer, aber was sich Viv dabei denkt und fühlt, da sie eine Zeit lang eine Hilfskrankenschwester in London ist, bliebt dem Einfühlungsvermögen der Leser überlassen.
Die ersten zwei Teile spielen in Jahren 1914-1916 und liefern nicht nur die romantischen Bilder in Labraunda, sondern lassen vor allem die Leser über den Unsinn eines Krieges anhand nachdenken. Starke anti-Kriegsbotschaften, tiefe Gedanken zu Werten und Moral in Kriegszeiten. Dabei geht es nicht nur um den ersten Weltkrieg. Es geht auch um Herrscher und Beherrschten im Sinne Machtinhaber und „Fußvolk“, wie Engländer und Pakistanis oder auch Osmanen und Armenier, oder auch Männer, die Krieg führen und Frauen, die nun ihre Pflicht als Krankenpflegerinnen erfüllen müssen. Prägnante Situationen dazu sind in opulenter Fülle da.
Frauenrechte, Stellung der Frauen in der Gesellschaft, ob in England oder in Peschawar, ist eines der zentralen Themen des Romans. Es werden englische Frauen in London und in Peschawar gezeichnet und die einheimische Frauen. Man sieht, wie stark sich ihre Lebensweisen, Bildungsstand und die gesellschaftliche Stellung unterscheiden!
Viv gibt in Peschawar kostenlosen Unterricht paschtunischem Jungen Najeeb. Seine Neugier und Wissensdurst bringen sie oft zum Schmunzeln, es macht ihr Spaß, ihn zu unterrichten. Er ist auch ein spannender Diskussionspartner. Viv schafft es mühelos, ihre Faszination für Archäologie auf ihn zu übertragen, denn sie sucht nach einem Stirnreif, der König Dareios dem helenischen Seefahrer Skylax im Jahr 515 vor Christus als Zeichen des Vertrauens geschenkt hat. Najeeb ist Feuer und Flamme, auch weil es um das historische Erbe seines Volkes geht. Najeebs Mutter reagiert aber alles andere als erfreut, als sie von diesen Unterrichtsstunden hört. Najeeb soll zu Mulla zum Unterricht gehen. Paschtunische Frauen erhalten gar keine Bildung. Ihnen wird von Kindesbeinen eine Mutterrolle anerzogen. Dies wurde sehr gelungen anhand von Najeebs kleiner Nichte gezeigt. Viv reist in Kürze nach England zurück.
Der letze Teil spielt 1928-1930. Vieles hat sich geändert. Hier spielt die Geschichte um den Aufstand der Paschtunen gegen die Briten, dem viele Einheimische zu Opfern fallen. Viv ist wieder in Peschawar. Najeeb hat sie eingeladen, um zusammen den Stirnreif auszugraben, dessen Fundort Najeeb ausfindig gemacht hat.
Die Geschichte ist komplex, facettenreich und so erfrischend anders, wie frei von der Leber erzählt! So leicht und locker kann nur eine Meisterin des Fachs solche schwierigen Themen angehen und diese gekonnt miteinander verweben. Ihre Schilderungen spielen mitunter mit allen Sinnen: man riecht, schmeckt, nimmt haptisch ihre Geschichte wahr. Es werden auch verschiedene erzählformen kombiniert, insb. im letzen Teil gibt es Briefe, Telegramme, Reminiszenzen, Geschichten über die Schicksale der paschtunischen Frauen, etc., die das Leseerlebnis bereichern.
Es ist nicht alles am Ende erklärt worden. Lose Enden, könnte man meinen. Aber ich finde, es muss nicht immer alles ins Kleinste ausgeschlachtet werden. Der rote Faden ist gut präsent, die Hauptbotschaften sind sehr klar dargelegt worden und angekommen, den Rest kann man sich denken.
Die Ausgestaltung des Buches ist etwas ungewöhnlich. Es fehlen die „Gänsefüßchen“ bei der direkten Rede. Paar Mal bin ich drüber gestolpert, aber sonst sieht der Text so entspannt und aufgeräumt aus, dass es mir wiederum gut gefallen hat.
Das Coverbild mit dem Mann, der die orientalisch anmutende Straße entlangläuft, halte ich für sehr gelungen. Das könnte die Straße der Geschichtenerzähler sein, zu der die Geschichte immer wieder zurückkehrt, daher ist der Titel ist doch recht passend.

Fazit: Die Straße der Geschichtenerzähler habe ich sehr gern gelesen. Das Buch wollte sich nicht aus der Hand legen lassen. Es ist ein ganz besonderes Leseerlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Man taucht ein eine völlig andere Welt ab, erfährt so viel über die damalige Zeit, über die Paschtunen und ihre Sicht der Dinge.
Auf dem Buchrücken liest man: „Kamila Shamsie verfügt über außergewöhnliche erzählerische Kraft.“ Salman Rushdie. Und: „Diesen aufregenden und zutiefst bewegenden Roman kann man gar nicht genug empfehlen.“ The Guardian.
Ja, das stimmt. Trotzdem dass hier wohl kaum mit Emotionen „gespielt“ wird, ist es ein bewegender Roman, der noch lange nachhallt. Gerne lese ich auch weitere Romane aus der Feder von Kamila Shamsie.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine meisterhaft erzählte Geschichte über Freundschaft, Liebe, uvm.

Und damit fing es an
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Eine Geschichte, die recht ernst ist und manchmal schwermütig daherkommt, jedoch sehr schön und gekonnt erzählt wurde.

Der Roman besteht aus drei Teilen. Teil 1 (S. 11-119) spielt hpts. in Matzlingen, ...

Eine Geschichte, die recht ernst ist und manchmal schwermütig daherkommt, jedoch sehr schön und gekonnt erzählt wurde.

Der Roman besteht aus drei Teilen. Teil 1 (S. 11-119) spielt hpts. in Matzlingen, im Mittelland der Schweiz in den Jahren 1947-1952, und zeigt das Leben von Gustav Perle und das von seinem Freund Anton Zwiebel. Gustav ist fünf am Anfang des Romans, lebt mit seiner Mutter in ärmlichen Verhältnissen in einer kleinen Wohnung, geht mit ihr zusammen die Kirche putzen und lernt, sonst nicht so viel vom Leben zu erwarten. Gustavs Vater ist seit Jahren tot. Anton kommt aus einer wohlhabenden jüdischen Familie, sein Vater ist Banker. Familie Zwiebel lebt in einer schicken Wohnung, darin steht ein Flügel, auf dem Anton auch gerne spielt. Gustav und Anton lernen sich in der Vorschule kennen. Es ist Anfang einer lebenslangen Freundschaft mit ihren Höhen und Tiefen. Gustav ist anfangs oft von Antons Mutter zum Eislaufen eingeladen. Auch wenn Anton etwas vorspielen möchte, ist Gustav immer dabei. Anschließend gibt es gemütliches Miteinander bei Köstlichkeiten zum Tee/Kaffee. Bald darf Gustav nicht mit. Er soll Nachhilfestunden nehmen. Seine Mutter sieht es nicht gern, dass Gustav oft bei den Zwiebels ist.
Im Teil 2 (S. 123-210) breitet der allwissende Erzähler die Geschichte von Gustavs Vater in Matzlingen in den Jahren 1937-1942. Für diese Rückblende wurde die Gegenwartsform benutzt mit der Intention, das Geschehen in der Vergangenheit näher heranzutragen. Erst hört es sich nach der Liebesgeschichte zwischen Erich Perle und Emilie, aber recht bald weiß man es besser. Die Nöte der jüdischen Flüchtlinge sind bildhaft und prägnant in den Erzählteppich hineingewoben worden. Im Jahr 1938 flohen jüdische Familien aus Österreich in die Schweiz. Gustavs Vater als stellvertretender Polizeichef in Matzlingen muss auf einmal entscheiden, wer bleiben darf und wer in die Hände von Nazis zurückgeschickt werden soll.
Erich Perle ist eine zutiefst tragische und leidenschaftliche Figur. Er muss sich zwischen zwei Lieben, zwischen Herz und Pflicht, zwischen Menschlichkeit und der Treue zu den Vorschriften des Staates entscheiden. Obwohl Erich Perle ein pflichtbewusster und aufrichtiger Mann ist, ist er auch ein Mann, dem die Entscheidungen seines Herzens sehr wichtig sind. Es gibt auch Polemik zu weiteren Themen, wie z.B. Neutralität, S. 157. Auch weitere Themen wie Familienleben, Man-Frau Beziehung, Liebe, Leidenschaft, Freundschaft, erfülltes Leben sind in den Erzählteppich gekonnt hineingewoben worden.
Das Thema Selbstbeherrschung ist in beiden Teilen ein wiederkehrendes Motiv. Dem Kleinen Gustav wird im ersten Teil von seinem Nachhilfelehrer eingebläut, dies wäre eine der wichtigsten Charakterzüge der Schweizer. Im zweiten Teil findet das Thema eine ganz andere Interpretation. Beide stehen in einem starken Kontrast zu einander. Überhaupt wird in diesem Roman gerne wie gekonnt mit Kontrasten gespielt, sowohl bei den Themen als auch bei den Figuren: Es gibt zwei Frauenfiguren, die eine prinzessenhafte Vorstellung von der Liebe und dem Leben insg. in den jungen Jahren hatten und später als verbitterte Nörglerinnen das Leben ihrer Kinder bis zum Schluss schwermachten. Dagegen stehen zwei weitere Frauenfiguren, die das Leben zu genießen wussten. Auch die Väter von Gustav und Anton, ihre Lebenswege und Schicksale stehen im deutlichen Kontrast zu einander. Konträr sind auch die zwei Hauptfiguren: Gustav macht das, was er kann mit den Mitteln, die er zur Verfügung hat. Anton hat den Kopf in den Wolken. Ihm wurde vom Anfang an eingebläut, er wäre ein toller Musiker/Interpret. Dem versucht er sein Leben lang gerecht zu werden. Gustav ist ein Mensch, der ohne Liebe aufwuchs, diese aber braucht und gerne auch gibt. Anton ist ein Egozentriker, der sich gerne über andere stellt und Hirngespinsten nachjagt.
Teil 3 (S. 231-331) erzählt das Leben der Hauptfiguren in den Jahren 1992-2002. Gustav besitzt ein kleines Hotel in Matzlingen und kümmert sich um seine Gäste. Anton ist Musiklehrer. Ein sehr guter sogar. Aber nach einigen Jahren will er es nochmals wissen und geht nach Genf. Die beiden sehen sich nur hin und wieder. Und von Mal zu Mal wird Anton immer absonderlicher.
Einiges kam mir recht überzeichnet vor, manches warf Glaubwürdigkeitsfragen auf.
Es lohnt sich aber diese Geschichte schon wegen der Sprache zu lesen. Diese Reife, die Einfachheit und Klarheit des Ausdrucks, die mit wenigen Sprachmitteln großes Kino herzaubern und einige schwierige Themen gekonnt interpretieren, sind schon recht beeindruckend. So etwas bekommt man nicht alle Tage.
Es gibt auch stimmige Reflexionen über das Leben, Freundschaft, schöne Sätze für die Zitatenliste, etc.

Fazit: Eine meisterhaft erzählte Geschichte über Freundschaft, Liebe, Leidenschaft, das Leben insg., die Fragen aufwirft, zum Nachdenken anregt und noch lange nachhallt.