Ein erschütternd reales Zukunftsszenario: ein Muss!
Vollendet – Die Flucht"Vollendet" war mein erstes Buch von Neal Shusterman, den heute dank seiner "Scythe"-Reihe die ganze Welt kennt, dessen erste Science-Fiction-Quadrologie vor einigen Jahren aber noch ein absoluter Geheimtipp ...
"Vollendet" war mein erstes Buch von Neal Shusterman, den heute dank seiner "Scythe"-Reihe die ganze Welt kennt, dessen erste Science-Fiction-Quadrologie vor einigen Jahren aber noch ein absoluter Geheimtipp war. Als der Fischer Verlag nach Jahren sehnsuchtsvollen Wartens eine neue Auflage der Reihe herausbrachte und das zum Anlass nahm, endlich den vierten Teil von "Vollendet" auch auf deutsch herauszubringen, habe ich beschlossen, die ganze Reihe nochmals zu lesen und zu rezensieren. Und ich kann euch sagen - beim zweiten Mal hat mich diese Geschichte noch viel mehr erschüttert, berührt, verstört und begeistert!
"Ist sein Geist auf völlig unerklärliche Weise noch vollständig, obwohl sein Körper ausgeteilt worden ist wie ein Kartenspiel? Oder hat man ihn dermaßen zerrupft, dass von Bewusstsein keine Rede mehr sein kann, dass keinerlei Hoffnung besteht auf Himmel, Hölle oder sonst etwas, das ewig währt?"
Das Cover der neuen Auflage ist eine riesige Verbesserung zur alten Gestaltung. Das "alte Cover" war sehr schlicht gehalten mit dem glänzenden Metallic-Grau, den Flecken, Kratzern und Blutspritzern. Das sah ganz nett aus aber umgeworfen hat es mich nicht - ganz anders als sein Inhalt. Das neue Cover jedoch zeigt ein namenloses Gesicht, das mit kalten, wütenden Augen in die Kamera starrt, sodass man sofort in die Geschichte hineingezogen wird. Besonders gut gefällt mir auch der Pixel-Look des Gesichts, das durch die einzelnen Teile an die Umwandlung erinnert. Auch das neue Anhängsel am Titel finde ich passend. Warum der deutsche Titel jedoch "Vollendet" lautet und nicht "Umgewandelt" oder ähnliches haben ich immer noch nicht begriffen. Der Begriff "ein Leben vollenden" kommt nur einmal am Rande vor und ist für einen unwissenden Erstleser sehr nichtssagend. Das englische Original trifft den Kern der Geschichte mit dem Titel "Unwind", was frei übersetzt so viel bedeutet wie "umgewandelt" oder "aufgelöst" bedeutet, schon besser.
"Nach der Charta des Lebens ist das menschliche Leben von der Empfängnis bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein Kind dreizehn Jahre alt wird, unantastbar.
Im Alter zwischen dreizehn und achtzehn Jahren können Eltern ein Kind rückwirkend "abtreiben"...
... unter der Bedingung, dass das Leben des Kindes "streng genommen" nicht endet.
Der Vorgang, mit dem das Leben eines Kindes abgeschlossen wird, das Kind aber dennoch am Leben bleibt, wird Umwandlung genannt.
Die Umwandlung ist inzwischen eine gängige Praxis in der Gesellschaft."
Na, habt ihr auch eine Gänsehaut? Diese vorangestellte Charta des Lebens, welche nach dem sogenannten "Heartland-Krieg" als Kompromiss zwischen den beiden Fronten des Krieges, den Abtreibungsgegnern und -befürwortern, verabschiedet wurde, wirft uns gleich in das Schreckensszenario einer Dystopie, in der Problemteenager einfach umgewandelt werden und der Welt als Organbank dienen. Zugegeben, diese Idee ist schon absurd, abstoßend und ein wenig makaber. Doch an alle, die nun die Stirn runzeln und an der Seriosität der Geschichte zweifeln: diese Idee funktioniert innerhalb dieser schockierenden und gleichzeitig wahnsinnig faszinierenden Geschichte, die Spannung, Gesellschaftskritik, Gruppendynamik und einen Schuss Wahnsinn zu einem komplexen Meisterwerk verarbeitet, das man nicht mehr aus der Hand legen kann.
"Die Charta sollte die Unantastbarkeit des Lebens eigentlich schützen, doch stattdessen machte sie es wertlos."
Direkt nach dem etwas schockierenden Prolog beginnt der erste Teil der sieben geteilten Geschichte mit der Flucht von Connor Lassiter, der bald schon ehrfürchtig von anderen Wandlern der "Flüchtling aus Akron" genannt wird. Denn statt sich seiner Umwandlung tatenlos zu ergeben, flieht er bevor die JuPos ihn abholen kommen. Als er verfolgt von Einsatzkräften über eine Autobahn rennt, trifft er in einer Kurzschlussreaktion eine Entscheidung, die außer seinem auch noch zwei weitere Leben rettet. Er überfällt ein angehaltenes Auto, nimmt den darin sitzenden Jungen als Geisel und rettet ihn somit unwissentlich vor seiner Umwandlung. Denn der Junge in den langen weißen Gewändern ist ein Zehntopfer - das zehnte Kind einer religiösen Familie, die ihr Kind willentlich dem Wohl der Gemeinschaft opfert. Auf seiner Flucht durch den Wald neben der Autobahn trifft er auf ein Mädchen, das im Durcheinander auf der Straße dem Bus entkommen ist, der sie vom Waisenhaus direkt ins Ernte Camp bringen sollte, da das Geld für staatliche Mündel knapp wird. Sie hilft ihm, einen der Polizisten zu überwältigen und so entsteht eine Schicksalsgemeinschaft, die vor den Vollstreckungsbeamten eines Staates fliehen muss, für den sie nicht mehr Wert sind als ihre Organe...
"Veränderung", schreit Risa auf. "Was meinen sie mit Veränderung? Sterben ist ein bisschen mehr als Veränderung!"
Die rasant erzählte Geschichte über das schwere Schicksal dreier Jugendliche, die unterschiedlicher nicht sein könnten aber in ihrem Hass auf den Staat vereint sind, hat mich von der ersten Seite in ihren Bann gezogen. Die Vorstellung, dass hier Kinder bloß durch Nichtgefallen oder Budgetkürzungen willentlich für das Allgemeinwohl geopfert werden und jedes Recht auf Leben, Selbstbestimmung oder ihren Körper verlieren ist einfach nur beklemmend. So klebte ich beinahe an den Seiten während ich mit Connor, Risa und Lev durch verlassene Straßen, von Versteck zu Versteck, ins Ernte Camp und zu einem Ort, den sie den "Friedhof" nennen reiste und ihnen von Herzen einen Moment Ruhe, Sicherheit und Hoffnung wünschte. Man fiebert mit, während die drei Jugendlichen vor den JuPos fliehen, fast einem Terrorattentat zum Opfer fallen, jeden Menge verrückte Aktionen durchziehen wie zum Beispiel ein Baby zu stehlen, sich streiten, wieder versöhnen und dabei an aller Not und allem Leid wachsen und zu sich finden. Auch einige wirklich berührende Szenen schmücken den Plot, der sonst vor allem auf Action, Gewissensfragen und die starken Charaktere baut. Die Szene einer Umwandlung aus der Sicht des Wandlers geschrieben, hat mich besonders berührt und ich musste einen Moment innehalten bevor ich weiter lesen konnte.
"Die Chirurgen heben etwas heraus. Er will nicht hinsehen, aber er kann nicht anders. Es ist
kein Blut da, sondern nur die sauerstoffreiche Lösung in fluoreszierendem Grün, wie
Frostschutzmittel."
Besonders hervorgehoben wird die perfide Idee durch den meisterhaft direkten, schonungslosen Schreibstil, der uns einen gruseligen Gänsehautmoment nach dem anderen beschert ohne grausam oder blutig zu sein. Neal Shusterman versteht es geschickt, uns ein umfassendes Bild der Gesellschaft zu liefern, in dem er Protagonisten aus unterschiedlichen sozialen Gruppen und Lebenssituationen ihre Sichtweise schildern lässt. Lev kommt aus einer sehr gutsituierten Familie, die der Umwandlung nicht negativ gegenübersteht, Risa ist mit dem absoluten Abschaum des Landes aufgewachsen und als solchen behandelt worden und auch Connor lebte in schwierigen Verhältnissen. Der Druck, der durch die gehetzte Flucht, die immer wieder eingefädelten philosophischen Fragen und schockierende Szenen auf dem Leser wärt, ist heftiger als bei manch einem blutigen Thriller. Dadurch dass und Neal Shusterman uns kaum eine Verschnaufpause gönnt und in ruhigen Momenten geschickt die Erzählperspektive zu einem aufregenderen Schauplatz wechselt, hatte ich die Geschichte an einem Tag durchgelesen und konnte gleich zum zweiten Teil greifen.
"Wir sind keine Täter", sagt Connor." Wir sind abgehauen."
"Wir sind Schwerverbrecher", entgegnet Lev. "Was du tust, ich meine natürlich, was wir tun, ist nach den Bundesgesetzen ein Verbrechen."
"Was, Kleider stehlen?"
"Nein, uns selbst. Mit der Unterschrift unter den Umwandlungsverfügungen sind wir Eigentum des Staates geworden. Dass wir abgehauen sind, macht uns nach dem Bundesgesetz zu Verbrechern."
Erzählt wird die Geschichte immer abwechselnd aus der Sicht von den Hauptprotagonisten Connor, Risa und Lev als personale Erzähler. Das fand ich etwas schade, da ich bei diesen tiefgreifenden Charakteren gerne ihre Geschichte aus der Innensicht zum Beispiel aus der Ich-Perspektive erlebt hätte. Nichtsdestotrotz erhalten wir auf den 480 Seiten einen wundervollen Einblick in die Köpfe und Herzen der drei Wandler, die damit leben müssen, dass die Welt sie nicht wollte und sie bis zu ihrem 18. Geburtstag in Angst und Unruhe verbringen müssen. Mit wenigen Worten charakterisiert der Autor seine Protagonisten als starke Teenager, die vor allem eines sind: Menschen. Menschen, die Angst haben, Rache wollen, lieben, hassen, zweifeln, trauern, hoffen und leben wollen. Auch wenn das Buch an manchen Stellen hart und kompromisslos erscheint, hat es mich doch tief berührt. Ich liebe Bücher, die mich zum Nachdenken anregen, egal in welchem Genre sie angesiedelt und dieses hat mich wirklich sehr dazu angeregt! Es ist so unendlich schön und bitter mitzuerleben, wie die drei sich zusammen durchkämpfen und alle Seiten der Not kennenlernen. In der Mitte des Buches merkt man, dass sich der Autor sehr wohl auch Gedanken über Gruppendynamik gemacht hat und diese sehr glaubwürdig dargestellt. Wie Lev, Risa und Connor nach kurzer Zeit schon zusammenhalten obwohl sie sich am Anfang gar nicht leiden konnten, ist erstaunlich und auch sehr glaubwürdig dargestellt.
"In einer perfekten Welt wäre alles entweder weiß oder schwarz, richtig oder falsch, und jeder würde den Unterschied erkennen. Aber die Welt ist nicht perfekt. Das Problem sind die Menschen, die denken, sie wäre es."
Besonders beeindruckt hat mich die Figur Connor, der zwar jung und teils so dynamisch ist, dass er über das Ziel hinausschießt, aber der dennoch nicht bereit ist, kampflos sein Leben aufzugeben, so wenig lebenswert es in den Augen seiner Eltern oder der Gesellschaft auch sein mag. Er steht für das ein, an das er glaubt und beweist unendlich viel Mut und Tapferkeit ohne zu heldenhaft zu wirken. Es ist wunderschön mit anzusehen, wie aus dem sturen, rebellischen Problemteenager n verantwortungsvoller, aufrechter... nun ja... Held wird. Natürlich macht er am laufenden Band Fehler, handelt unüberlegt und gibt manchmal Sachen von sich, die andere verletzten, doch genau das macht seine Persönlichkeit aus. Er geht immer genau den Weg, den er für richtig hält und bleibt sich selbst treu, er ist ein aufrechter Anführer, der sich selbst zurücknimmt und seine Stärke nutzt er um anderen die helfende Hand zu reichen anstatt sie zu Boden zu drücken. Außerdem sind seine coolen Sprüche ("Hübsche Socken"), seine sarkastischen Bemerkungen und die lockeren Streitereien, die er anzettelt ein Lichtblick, der die niederschmetternde Stimmung etwas anhebt.
"Zuerst hat sich Risa Sorgen gemacht, aber mittlerweile kennt sie Connor zu gut. Er tut nur das Falsche, wenn es das Richtige ist."
Auch Risa hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Auch wenn man zu Beginn nicht so recht weiß, was man von ihr halten soll da sie nicht so offen, direkt und leicht zu lesen ist wie Connor, ist sie mir schnell ans Herz gewachsen und ich habe ihre Distanziertheit als Besonnenheit erkannt, verstanden, dass ihre Zurückhaltung eigentlich Intelligenz ist und sich ein riesiges Herz hinter ihren stillen Augen verbirgt. Durch sie kommt eine sanftere, mitfühlendere Note in die Geschichte und ihr analysierender Blick auf das Gruppengefüge hat mir den einen oder anderen Aha-Moment beschert.
"Vom Überleben auf der Straße hatte er keine Ahnung, aber Hunger macht jeden zum Überlebenskünstler."
Fast am spannendsten fand ich jedoch Levi Jedediah Calder, der sich als Zehntopfer freiwillig aus religiösen Gründen umwandeln lassen will und der auf genau diese Spende an die Gesellschaft sein ganzes Leben lang vorbereitet wurde. Dass diese Vorbereitung aber nichts anderes als eine Gehirnwäsche war, beginnt er erst zu verstehen als er auf der Flucht dazu gezwungen ist, selber zu denken und einen Überlebenstrieb zu entwickeln. Seine Entwicklung vom naiven, gottgläubigen Zehntopfer, der die Umwandlung als seine Bestimmung ansieht, zum zähen Überlebenskünstler, der vom Hass auf seine Eltern und den Staat zu Gräueltaten angetrieben wird, ist wohl die heftigste der Geschichte. Da er noch so jung ist und viel zerbrechlicher als die anderen wirkt, hat er in jedem Moment das absolute Mitgefühl des Lesers und wir müssen ihm fast alles was er tut verzeihen.
"Risa würde am liebsten aufstehen und gehen. Noch jetzt, am Ende ihres Lebens, gibt es diese eine, unvermeidliche Frage: Was taugst du?"
Auch alle Nebencharaktere sind authentisch und hinterlassen einen bleibenden Eindruck auch wenn sie nur eine sehr kurze Rolle spielen. In diesem Buch tauchen so viele Leute auf, die alle nur in wenigen Sätzen charakterisiert werden, was aber vollkommen ausreicht. Jeder der irgendwie auftaucht, seine Rolle spielen darf und schließlich wieder verschwindet, scheint sich perfekt in das komplexe Gebilde von Neal Shusterman einzufügen. Roland zum Beispiel fand ich einen super Charakter, da er zwar klar als "Der Böse" hingestellt wurde, andererseits aber auch ein armes Opfer der Regierung war, die ihm genauso an den Kragen wollte wie auch Lev, Risa und Connor. Ein ganz besonderer Nebencharakter ist auch der junge, dunkelhäutige Cy-Fi, den Lev auf seiner Flucht trifft. Der arme Junge hat nach einem Unfall den rechten Schläfenlappen eines Wandlers transplantiert bekommen und trägt jetzt fremde Gefühle und Erinnerungen in sich, die manchmal Überhand nehmen und ihn zu ungewollten Taten zwingen. Es ist einfach nur traurig, wie sehr er darunter leiden muss, dass in seinem Kopf nie Frieden und Ruhe herrscht und das ist noch nicht einmal zu weit hergeholt. Auch heute schon kann es nach einer Transplantation zu Charakterveränderungen kommen.
"Wandler gingen nicht mit einem Knall, nicht einmal mit einem Winseln. Sie verloschen still wie eine Kerzenflamme, die zwischen zwei Fingern ausgedrückt wird."
Und wie in einer jeden guten Dystopie schwingt auch eine ordentliche Portion Gesellschaftskritik mit. Vor allem geht es hier um die populäre Frage ob eine Abtreibung moralisch, rechtlich und gesellschaftlich gerechtfertigt ist. Diese Problematik, bei der gerade in den USA die Fronten der Befürworter und der Gegner sehr verhärtet sind, wird hier auf äußerst erschreckende und augenöffnende Art und Weise auf die Spitze getrieben. Dabei behält er es sich vor, nicht direkt auf die Frage zu antworten sondern vor allem auf die Brisanz und die Blindheit der Diskussion hinzuweisen. Dabei stellt er auch die Autorität und Legitimation von Gesetzen in Frage. Ist es Unrecht sich gegen ein Gesetz zu wenden, das Eltern und Erziehungsberechtigten erlaubt, unerwünschte und störende Jugendliche zwischen dem 13. und 18. Lebensjahr nachträglich abzutreiben? Muss man sich an das Gesetzt halten auch wenn es falsch ist? Und woher weiß man, dass nicht man selbst falsch liegt?
"Nichts anderes ist das Gesetz: wohlbegründete Vermutungen darüber, was richtig und was falsch sein könnte"
Aber es bleibt nicht nur die Frage nach der Moral, sondern auch nach dem Sitz der Seele und deren Verbleib beim Umwandeln. Denn wie Hayden mal fragte: "Aber wenn jeder Teil von dir am Leben ist", sagt Hayden, "nur eben in jemand anderem ... lebst du dann, oder bist du tot?" Die Wandler stellen sich immer wieder die Frage, ob sie - das was sie ausmacht oder ihr Bewusstsein - noch da sind, wenn sie umgewandelt werden. Außerdem werden immer wieder Spuren von Diskussionen über Gott und Gerechtigkeit miteingefädelt. Die naive aber doch ernsthafte Art und Weise wie die Protagonisten sich mit ihrem bevorstehenden Tod auseinandersetzen hat mich sehr beeindruckt und ich habe mir selbst folgende Frage gestellt:
"Was ist euch lieber: Sterben oder umgewandelt zu werden?
Jetzt weiß er es endlich. Vielleicht wollte er genau das. Vielleicht hat er Roland deshalb bis aufs Blut gereizt. Weil er lieber von wütender Hand umgebracht als mit kühler Gleichgültigkeit zerlegt werden will."
Doch die Kleinigkeit, die die Geschichte wirklich schlimm macht, ist der wahre Kern. Die Linie zwischen Fiktion und Realität ist gar nicht so klar, wie man nach dem abartigen Klapptext vielleicht annimmt. Einige der Kurzartikel, die dem Beginn eines neuen Textteils unterstehen sind nicht erfunden und erzählen eine grausame Geschichte. Denn ja es gibt einen Schwarzmarkt, auf dem mit Organen gehandelt wird, die durch Entführungen und Bestechung ergaunert wurden, wie es die Teilepiraten in diesem Buch tun und, auch um die Organspende ranken sich düstere Geschichten. Ein Beispiel dafür ist der Fall in Mosambik, in dem Waisenkindern Organe wie Augen, Leber und Herz entnommen wurden. Das im Buch angeführte "Storchen" ist ebenfalls nicht so unrealistisch. Bevor es möglich war abzutreiben, gab es ein sehr großes Problem mit ausgesetzten Kindern. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden in manchen europäischen Städten bis zu 30 % der geborenen Kinder in Findelhäusern abgegeben. Und auch, das der Abschaum der Bevölkerung als Organbank dienen soll ist keine komplett abwegige Idee. In China dienten zum Tode Verurteilte als Organspender, ob sie wollten oder nicht. Mehr als die Hälfte aller gespendeten Organe stammten von ehemaligen Häftlingen. Vielleicht weicht unsere Welt also gar nicht so weit von dieser Dystopie ab. Auch der medizinische Fortschritt in Transplantationen und Organspende scheint realistisch. Neal Shusterman selbst meinte in einem Interview, er wäre auf die Idee dieses Buches gekommen nachdem er einen Artikel eines Mediziners gelesen hatte, welcher meinte, dass in Zukunft 100% des Menschen "wieder verwendbar" seien.
"Aus mir wäre ohnehin nicht viel geworden, jetzt habe ich statistisch gesehen eine Chance, dass wenigstens ein Teil von mir irgendwo in der Welt große Bedeutung erlangt. Ich wäre lieber teilweise bedeutend als vollkommen nutzlos"
Ich könnte hier noch viele Gründe mehr angeben, wieso mich dieses Buch so sehr fasziniert und so gefesselt hat, aber am besten du machst dir selbst ein Bild und liest diesen wirklich tollen Roman. Ich würde das Buch aber erst Lesern ab 16 oder 18 Jahren empfehlen. Alles andere ist meiner Ansicht nach viel zu früh um mit diesem doch sehr schwierigen Thema fertig zu werden oder es wirklich ganz zu verstehen. Das Ende führt alle Stränge geschickt und zufriedenstellend zusammen, sodass man die Geschichte als Einzelband lesen könnte. Wer die Welt aber noch nicht so schnell verlassen und noch mehr von Connor, Lev und Risa lesen will, dem kann ich es dringend ans Herz legen, die drei weiteren Teile zu lesen.
"Bitte...", sagt der Junge.
Bitte was? Bitte verstoßen Sie gegen das Gesetz? Bitte bringen Sie sich selbst und die Schule in Gefahr? Aber nein, das ist es nicht, ganz und gar nicht. Eigentlich sagt er: Bitte seien Sie ein Mensch. Das Leben ist so voller Regeln und Zwänge, dass man das leicht vergisst."
Fazit:
Ein erschütternd reales Zukunftsszenario das einen umwerfenden Auftakt zu der Dystopie des Jahres darstellt. Für Science-Fiction-Liebhaber und jeden anderen Leser und Nichtleser auf dieser Welt auf der Suche nach einer berührenden Message ein absolutes Muss!
Erschüttert, berührt, verstört und begeistert!